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ASIEN/809: Aserbaidschan - Anhaltende Spannungen mit Iran wegen Festnahme junger Lyriker (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. Juli 2012

Aserbaidschan: Anhaltende Spannungen mit Iran wegen Festnahme junger Lyriker

von Shahla Sultanova



Baku, 26. Juli (IPS) - Im Iran sitzen seit fast drei Monaten zwei aserbaidschanische Lyriker in Haft - wegen angeblicher Spionage für Israel. Während die Bemühungen um ihre Freilassung auf Hochtouren laufen, bleiben die Beziehungen zwischen den beiden Ländern angespannt. Nach Ansicht von Beobachtern befürchtet Teheran, Israel könne Aserbaidschan als Brückenkopf nutzen, um seinen Einfluss in der Region zu vergrößern.

Aserbaidschanische Regierungsvertreter haben die Festnahme verurteilt. Der 23-jährige Farid Huseynzade und der 21-jährige Shariyar Hajizade waren von dem Iranischen Zentrum für unabhängige Schriftsteller und Dichter zu dem Poesiefestival am 29. April in Maraga in der südwestiranischen Provinz Chusestan eingeladen worden.

Auf der Busfahrt zurück nach Baku wurden die beiden jungen Männer am 3. Mai in Täbris, der Hauptstadt der nordwestiranischen Provinz Ost-Aserbaidschan festgenommen. Die iranische Regierung reagierte erst nach der fünften diplomatischen Anfrage aus Aserbaidschan und erklärte, dass die Lyriker wegen "krimineller Machenschaften" in Gewahrsam genommen worden seien.

"Der Iran legt aber nicht genau dar, welches Vergehen den Gefangenen vorgeworfen wird", sagte der Sprecher des aserbaidschanischen Außenministeriums, Elman Abduallajew. Nach Berichten iranischer Medien wurden die beiden wegen Spionage für Israel und illegalen Drogenkonsums festgenommen.


Inhaftierte gelten in ihrem Land als unpolitisch

Diese Anschuldigungen seien "lächerlich", meinte der Autor Alik Alioghlu, der eng mit Huseynzade und Hajizade befreundet ist. Die beiden Dichter hätten sich nie politisch engagiert und den Iran kritisiert. "Sie schrieben über Liebe und einige soziale Themen. Die politische Lage in Aserbaidschan oder gar im Iran wollten sie dagegen nicht beschreiben."

Seit ihrer Inhaftierung durften die Männer erst drei Mal mit ihren Familien telefonieren. Sie berichteten ihren Eltern, gut behandelt zu werden. Man habe sie bezichtigt, ohne die vorgeschriebenen Dokumente in den Iran eingereist zu sein. Allerdings dürfen einem seit Februar 2010 geltenden Abkommen zufolge aserbaidschanische Staatsbürger mit Ausnahme von Journalisten ohne Visum in den Iran fahren. Damit erscheint die Begründung der Behörden in Teheran fadenscheinig.

Am 12. Juli wandte sich eine Gruppe von 14 in Aserbaidschan ansässigen Jugendorganisationen an UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und bat die Weltorganisation, sich für die Freilassung von Huseynzade und Hajizade einzusetzen. Eine der Organisationen, 'IRELI Public Association', sandte außerdem einen Brief an das geistliche Oberhaupt des Irans, Ajatollah Ali Hosseini Chamenei.

"Wenn die Lyriker schuldig wären, hätten die Iraner dies sofort verkündet", sagte Orkhan Mukhtarli von IRELI. Da es auch nach mehr als zwei Monaten noch keine offizielle Stellungnahme aus dem Iran gebe, stecke sicherlich etwas anderes hinter den Festnahmen.

Niyazi Mehdi, Professor an der staatlichen Universität von Baku, bei dem die jungen Männer studierten, hält die Vorwürfe ebenfalls für "unglaubwürdig". Es sei sehr schwer, Informationen aus dem Iran zu bekommen, erklärte er. Die Männer hätten höchstens Fotos von Gebäuden machen können, die ohnehin per Satellit sichtbar seien. Es leuchte also nicht ein, warum zwei Dichter als Spione entsandt werden sollten.

Für die Freilassung setzte sich auch der prominente Schriftsteller Chingiz Abdullajew ein, der Vorsitzender des PEN-Clubs in Baku ist. Shahbaz Khuduoghlu, Journalist und Leiter des Qanun-Verlags in Baku, sieht einen deutlichen politischen Hintergrund. In den iranischen Medien endeten Berichte über die Festnahmen stets mit Bildern von einem Treffen zwischen dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew und dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu. "Dies beweist, dass Huseynzade und Hajizade Opfer eines politischen Spiels zwischen Iran und Aserbaidschan geworden sind."

Khuduoghlu berichtete, er habe die iranische Botschaft in Baku gebeten, Vertretern aserbaidschanischer Nichtregierungsorganisationen, Journalisten und Anwälten zu gestatten, die Inhaftierten zu treffen, um das Vorgefallene zu klären. Auf sein Schreiben habe er bisher keine Antwort erhalten.


Wechselseitige Beschuldigungen

Die Beziehungen zwischen den beiden Staaten, die sich gegenseitig des politischen Verrats beschuldigen, haben sich in jüngster Zeit verschlechtert. Nach Darstellung der aserbaidschanischen Behörden plant der Iran terroristische Angriffe gegen das Land, während Teheran die Gegenseite bezichtigt, sich auf die Seite Israels zu stellen.

Im Januar nahm die Polizei in Aserbaidschan zwei Männer im Zusammenhang mit einem angeblichen Mordkomplott gegen Israelis fest. Im März verhafteten die Sicherheitskräfte weitere 22 Menschen, von denen die meisten aserbaidschanische Staatsbürger waren. Angeblich waren sie vom Iran angeheuert worden, um Terroranschläge gegen die Botschaften der USA und Israels in Baku zu verüben.

Vertreter des Irans kritisierten die Festnahmen. Dort ist man offenbar beunruhigt über ein Waffengeschäft im Umfang von 1,6 Milliarden US-Dollar, das Aserbaidschan und Israel 2011 abschlossen hatten. Teheran befürchtet, dass Israel seinen Einfluss in der Region weiter ausdehnen könnte und Aserbaidschan dazu benutzen könnte, einen Angriff gegen den Iran auszuführen.

Bei einem offiziellen Besuch in Aserbaidschan im Juni überbrachte der iranische Bildungsminister Präsident Alijew dennoch eine Einladung zu einem bevorstehenden Treffen der Staats- und Regierungschefs der Blockfreienbewegung in Teheran. Shahinoghlu geht aber davon aus, dass Alijew dem Gipfel fernbleiben wird, wenn die beiden Männer nicht vorher freigelassen werden. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2012