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ASIEN/807: Indiens Kleinbauern brauchen Land, Infrastruktur und Gewerbe (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 356 - Juni 2012
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Indiens Kleinbauern brauchen Land, Infrastruktur und Gewerbe

Ein großes Land vor tiefgreifenden Veränderungen



Über die ländlichen Regionen in Indien referierte kürzlich beim Uelzener Landwirtschaftlichen Verein der frühere ARD-Ostasien-Korrespondent Paul Hampel: Die anhaltende Rückständigkeit des Landes kann man demnach nur vor dem Hintergrund der britischen Besatzung, die von 1800 bis zur Befreiung durch Gandhi im Jahr 1946 dauerte, verstehen.


Kolonialismus und Liberalisierung

Unter der britischen Kolonialherrschaft verhungerten 1,5 Millionen Menschen allein deshalb, weil die Engländer den Bauern den Anbau von Indigo (für die britische Textilindustrie) und von Opium (für den Export nach China) aufzwangen. Das Verbot des nationalen Salzabbaus und der Zwang zum besteuerten Salzimport ist ein weiteres Beispiel für die erzwungene Abhängigkeit von den britischen Kolonialherren. Die Zerstörung des Mischwalds an den Hängen des Himalaya im Norden des Landes durch eine verordnete Kultivierung nicht landestypischer Pinien führte zu massiver Bodenerosion. War Indien noch im 19. Jahrhundert das drittreichste Land der Erde, so wurde diese Stellung durch die britische Besatzung rasch zerstört. Die Briten unterdrückten die Schulbildung und hinterließen 1946 ein Land, in dem nur 14 Prozent der Menschen lesen und schreiben konnten. "Indien war damals auf dem Stand, den Preußen vor der Einführung der Schulpflicht vor 200 Jahren hatte!", referiert Hampel. Beim Aufbruch in eine neue Zeit musste Indien nicht nur mit diesen Handicaps zurechtkommen, sondern auch mit dem Ballast des komplizierten Kastensystems. Die Kastenzugehörigkeit gilt als "Bestimmung", aus der man auch durch Leistung nicht ausbrechen kann. Auch die Teilung von Pakistan und Indien erschwerten den Neubeginn. Unter den Nachfolgern Mahatma Gandhis näherte sich das Land der Sowjetunion an. Die Liberalisierung des indischen Marktes war im Unterschied zu China nicht nur auf Massenproduktion für den Weltmarkt ausgerichtet, sondern konzentrierte sich vor allem auf globale Dienstleistungen im Bereich der EDV. Bis heute sind von den 1,2 Milliarden Menschen aber immer noch 50 Prozent Analphabeten.


Kleinbauern und Monsanto

60 Prozent der Bevölkerung leben auf dem Land und sind von einer zumeist noch von mittelalterlichen Strukturen geprägten Landwirtschaft abhängig. Zwar wurden die Maharadschas 1946 abgesetzt, behielten aber die Steuerfreiheit für ihre Latifundien. Die Landreform von Indira Gandhi führte dazu, dass der durchschnittliche Bauer etwa 3 bis 7 Hektar bewirtschaftet. Die Landknappheit dieser parzellierten Landwirtschaft fordert die Intensivierung und hat neben der Abholzen von Wald auch zu Überdüngung und hohem Pestizideinsatz geführt. Der Monsanto-Konzern verspricht durch seine gentechnisch veränderten Sorten zunächst höhere Erträge. Gleichzeitig steigt die Verschuldung der Bauern bei Geldverleihern mit 10 bis 20 Prozent Monatszinsen. Wegen fehlender Rücklagen in schlechten Erntejahren gibt es immer wieder Selbsttötungen von Bauern im mittleren und östlichen Indien.


Basmati als Exportschlager

Die ohnehin geringe staatliche Förderung bleibt zu 90 Prozent bei korrupten Beamten hängen. Die indische Baumwolle kann mit subventionierter US-Baumwolle ohnehin nicht konkurrieren. Indien exportiert Reis, vor allem den edlen Basmati. Dem Land ist es gelungen, ein US-Patent auf Basmati-Reis zu verhindern. Während hochwertiger Reis in den Export fließt, wird billiger Reis vor allem aus Südostasien importiert. Auf dem Lande herrscht zwar kein Hunger, aber dennoch eine unsichere Ernährungssituation. Ein Hauptproblem sind fehlende Vermarktungsstrukturen in den Städten: Zwischenhändler machen hohe Gewinne, 40 Prozent der Waren verderben beim ungekühlten Transport auf den maroden Verkehrswegen oder kommen nicht mehr frisch bei Konsumenten und Verarbeitern an.


Kasten, Aufruhr, Perspektiven

Auf dem Lande haben alle Zugang zum Dorf-Fernseher und den indischen Bollywood-"Märchenfilmen". Alle bekommen mit, wie in den Städten neben den Prachtbauten der unermeßlich Reichen auch die Slums der Armen wachsen. In Delhi und Neu-Delhi leben bereits 45 Millionen Menschen. Viele Dorfbewohner werden durch Rohstoff-Konzerne von ihrem Land vertrieben. Parallel zur Auflösung der Kasten in den Städten wächst auf dem Land die revolutionäre Bewegung der maoistischen Naxaliten, die bereits 150 der 600 Distrikte beherrschen. Auch in den Städten gibt es eine Protestbewegung gegen die wachsende Korruption. Heute muss man bei Hausbau oder Elektrizitätsversorgung nicht mehr nur ein "Bakschisch" zahlen, sondern hohe Summen. Außenpolitisch hat das blockfreie Indien mit seinen traditionellen Verbindungen zu Russland ein ambivalentes Verhältnis zu den USA und Großbritannien, trotz der Auslandsaufenthalte vieler junger Inder in den USA. Die Konkurrenz des "effizienteren China" führt zu einer Annäherung an die USA, seit diese die Atombewaffnung des - mit Pakistan konkurrierenden - Indien akzeptiert.


Arbeit in den Golfstaaten

Trotz der sozialen Verwerfungen, Hindernisse und der Schicksalergebenheit vieler Inder setzt der ARD-Korrespondent auf die Flexibilität der "vielen klugen, leidensfähigen Menschen" in Indien. Bei der Entwicklung von Landwirtschaft, Infrastruktur und ländlichem Gewerbe müsse man vor allem auf die Frauen in der Landwirtschaft setzen. Die Weiterentwicklung des wenig angesehenen Handwerks und Gewerbes sei schwierig, aber die Voraussetzung zur Schaffung außerlandwirtschaftlicher Arbeitplätze - und damit der Möglichkeit zur Vergrößerung der Kleinstbetriebe auf mehr als 10 Hektar. Indische Wanderarbeiter sind in der Golfregion und überall in der Welt tätig und überweisen erhebliche Mittel in die Heimat. Zum ersten Mal können junge Familien mit diesem Geld aus dem festen Kasten-Umfeld ausbrechen: "Ein Einkommen von 50 Euro monatlich für täglich zehn Stunden Arbeit - das wäre ein Ziel." (en)

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 356 - Juni 2012, S. 20
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2012