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ASIEN/635: Welt in die Finanzkrise gespart? Experten verwehren sich gegen Vorwurf (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. August 2010

Asien: Welt in die Finanzkrise gespart? - Experten verwehren sich gegen Vorwurf

Von Kalinga Seneviratne


Singapur, 19. August (IPS/IDN*) - Für Asiaten ist Sparsamkeit eine Tugend, ein Leben auf Pump wie in westlichen Staaten üblich kaum vorstellbar. Nach Ansicht von Finanz- und Wirtschaftsexperten wären die Staaten der Region gut beraten, mehr Geld auszugeben - allerdings nicht für ein Leben im Überfluss, sondern für nachhaltige Vorhaben.

Drei singapurische Wissenschaftler - eine in den USA lehrende Wirtschaftsprofessorin, ein internationaler Rechtsgelehrter und ein Management-Guru - haben sich mit dieser Frage in einem Streitgespräch auseinandergesetzt. Den Anfang nahm die Diskussion am 20. Juli, als die 'Straits Times' einen Kommentar von Lim abdruckte. Darin legt die Professorin an der 'Ross School of Buisiness' der US-amerikanischen Michigan-Universität den ostasiatischen Nationen nahe, weniger sparsam zu sein und mehr Geld in Umlauf zu bringen.

Ihre Empfehlung unterfütterte sie mit Erfahrungen, die die Länder der Region nach der Finanzkrise von 1997 bis 1989 gemacht hatten. Kaum hätten sich die Volkswirtschaften von den Folgen der Asienkrise erholt, hätten sie enorme Leistungsbilanzüberschüsse vorweisen können, entstanden aus der Akkumulierung ausländischer Devisenreserven als Puffer zum Schutz vor Spekulanten. Ein Teil dieser Überschüsse wurde in US-Dollar-Kapitalanlagen investiert.


Schlecht angelegtes Billiggeld

Das reichlich vorhandene Billiggeld habe minderwertigen Hypotheken und riskanten Anlageobjekte Vorschub geleistet, die letztlich zur Finanzkrise führten, schrieb Lim und verwies auf den Vorsitzenden der US-Bundesbank Ben Bernanke, der eine weltweite Sparwelle ('global savings glut') für die verheerenden marktwirtschaftlichen Verzerrungen verantwortlich machte.

Die Sparsamkeit der Asiaten erklärte sie mit dem Fehlen sozialer Sicherungsnetze, die etwa die Versorgung von Menschen im Rentenalter oder die Schulbildung von Kindern ermöglichen. Sie empfahl den asiatischen Staaten deshalb eine Reform des Finanzsektors zugunsten wirksamer und unterschiedlicher Finanzinstrumentarien vorzunehmen, die einen weniger rigiden Sparkurs erforderlich machen.

Knapp eine Woche später veröffentlichte die Straits Times einen über E-Mail ausgetauschten Schlagabtausch zwischen der Professorin und Tommy Koh, dem Vorsitzenden des Zentrums für internationales Recht der Nationaluniversität Singapur. Koh kritisierte den Vorschlag Lims, Asiaten sollten mehr für Konsumgüter ausgeben, um die Welt aus der Wirtschaftskrise zu führen.

Bernankes Argumentation bezeichnete er als eigennützig und unredlich. Der US-Wirtschaftswissenschaftler laste den Gläubigern der USA ein Problem an, das durch unnachhaltige Defizite entstanden sei. "Die Gier hat die Wall Street verleitet, Investoren mit solchen ungesunden Instrumentarien hinters Licht zu führen."


In die Zukunft investieren

Koh räumte zwar ein, dass Asiaten kulturell bedingt und aus kluger Voraussicht sparen, vertrat jedoch die Meinung, dass eine weise Verwendung der Gelder empfehlenswert sei. So sollten gerade Ostasiaten einen größeren Teil ihrer Ersparnisse für Aus- und Fortbildung, Wohnen und Gesundheit ausgeben. Auch sei es wichtig, dass sie in die Armutsbekämpfung investierten und sicherstellten, dass es alle Asiaten zu einer grundlegenden Sanitär- und Wasserversorgung und einem zumindest bescheidenen Lebensstandard bringen können.

Lim zufolge lässt sich die Ursache für die globale Finanzkrise eines solchen Ausmaßes kaum allein durch Gier allein erklären. Vielmehr seien es niedrige Zinsen und billiges Geld gewesen, die Menschen gierig machten und nach unkonventionellen und zweifelhaften Mitteln zur Befriedigung der Gier und nach ungewöhnlichen Neuerungen suchen ließen.

Koh jedoch bleibt dabei: Gier und fehlende Regulierung seien für die Finanzkrise verantwortlich machen. Unter dem ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush und dem US-Finanzmogul Allan Greenspan sei 'Regulierung' ein Schimpfwort und 'Deregulierung' ein Lob gewesen.

In die gleiche Kerbe schlug Augustine Tan von der 'Singapore Management University'. Er schaltete sich in die Debatte mit der Warnung ein, sich vor einem Konsumverhalten a la USA zu hüten. Das müsse auch für aufstrebende asiatische Wirtschaftsnationen wie China gelten. Der Volksrepublik und anderen Ländern Asiens riet er, kluge Investitionen zu tätigen.

"Wenn eine Verringerung der Ersparnisse erfolgen soll, sollten sie in Infrastruktur, Bildung und den Erwerb ressourcenreicher Unternehmen im Ausland fließen anstatt in den Konsum, der nur noch mehr Importe aus Amerika und den Industriestaaten zur Folge hätte", sagte Tan.


Sich der Realität stellen

Koh appellierte an die US-Amerikaner, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken. "Sie sollten sich endlich eingestehen, dass ihre geringen Spareinlagen, ihre verschwenderischen Konsumgewohnheiten und ihre Verschuldung das grundlegende Problem darstellen. "Als Nummer eins der verschuldeten Staaten ist es moralisch verwerflich, die Gläubiger für die selbst verursachten Probleme verantwortlich zu machen." (Ende/IPS/kb/2010)


* Der von 'Global Cooperation Council' und 'Globalom Media' erstellte Informations- und Analysendienst IDN-InDepthNews ist Kooperationspartner von IPS-Deutschland.

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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2010