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ASIEN/621: Konflikt mit Uiguren in China nicht gelöst (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Juli 2010

China: Konflikt mit Uiguren nicht gelöst - Regierung wird verfehlte Politik vorgeworfen

Von Gordon Ross

Uigure in der chinesischen Region Xinjiang - Bild: Gordon Ross/IPS.

Uigure in der chinesischen Region Xinjiang
Bild: Gordon Ross/IPS

Peking, 16. Juli (IPS) - Vor mehr als einem Jahr gingen in der autonomen chinesischen Region Xinjiang Uiguren gegen die Zentralregierung in Peking auf die Barrikaden. Daraufhin kam es zu den schwersten ethnischen Auseinandersetzungen, die die Volksrepublik seit Jahrzehnten erlebt hatte. Inzwischen ist in Xinjiangs Hauptstadt Urumqi wieder Ruhe eingekehrt, doch unter der Oberfläche gärt es weiter.

Muslimische Uiguren, die die größte Volksgruppe in Xinjiang bilden, protestierten Anfang Juli 2009 in Urumqi gegen einen Angriff von Aufsehern gegen uigurische Arbeiter in einer Fabrik in der Provinz Guangdong. Die Aufseher waren Han-Chinesen, die mehr als 91 Prozent der Bevölkerung der Volksrepublik ausmachen. Bei den folgenden Unruhen in Xinjiang wurden 200 Menschen getötet und weitere 1.600 verletzt. Laut der Regierung handelte es sich bei den meisten Opfern um Han-Chinesen.

Die Unruhen sind inzwischen abgeflaut, doch die ethnischen Spannungen bleiben bestehen. Menschenrechtsgruppen kritisieren, dass von offizieller Seite die Zahl der von den Han-Aufsehern getöteten Uiguren heruntergespielt wurde. Das brutale Vorgehen der Polizei sei in den staatlichen Medien verharmlost worden, hieß es.

Die beiden englischsprachigen Zeitungen des Landes - 'China Daily' und 'Global Times' - berichteten auf ihren Titelseiten in großer Aufmachung über den Jahrestag der Unruhen, zitierten aber kaum uigurische Quellen. Stattdessen wurde das Schicksal junger Han-Waisen geschildert, deren Eltern von uigurischen Aufständischen getötet worden waren. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua ging überhaupt nicht auf die Zusammenstöße ein.


Wirtschaftliches Interesse an rohstoffreichem Westen Chinas

Nach Einschätzung politischer Beobachter werden sich die Spannungen weiter auf Pläne der Führung in Peking für eine Entwicklung des Westens des Landes auswirken. Kürzlich kündigte die Regierung Investitionen von umgerechnet rund 100 Milliarden US-Dollar in der Region an. Xinjiang ist vor allem wegen seiner reichen Erdöl- und -gasvorkommen von großem wirtschaftlichen Interesse.

In den vergangenen Jahren haben 19 chinesische Provinz- und Kommunalverwaltungen Finanzhilfen und weitere Unterstützung im Umfang von etwa 590 Millionen Dollar für die autonome Region bereitgestellt. Dadurch seien Tausende neuer Arbeitsplätze geschaffen worden, sagte Ma Dazheng, der stellvertretende Direktor des Forschungszentrums über Grenzgeschichte an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, im Gespräch mit IPS. Ohne Stabilität könne die Führung in Peking die Entwicklung von Xinjiang nicht weiter vorantreiben, erklärte er. Auf lokaler Ebene werde nicht immer darauf geachtet, die Politik der Zentralregierung genau umzusetzen.

Laut Ma ist die Lage in der Region insgesamt zwar stabil, doch die Ursachen für die grundlegenden Spannungen seien nicht beseitigt worden. "Es ist also unvermeidlich, dass es zu unvorgesehenen Zwischenfällen kommen wird", sagte er. "Dass es einen Massenprotest wie im vergangenen Jahr geben wird, ist allerdings nicht wahrscheinlich."

Das Vorgehen der Sicherheitskräfte bei den Unruhen in Xinjiang wird in einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Uigurischen Menschenrechtsprojekts (UHRP) in Washington scharf kritisiert. Zeugen aus Urumqi beschreiben darin, wie Polizisten am 5. Juli 2009 uigurische Demonstranten erschossen und Uiguren in den folgenden Monaten von anderen Bewohnern der Stadt zusammengeschlagen wurden. "Willkürliche Festnahmen haben die Kluft zwischen Uiguren und Han weiter verbreitert", erklärte UHRP.

Nach dem Ausbruch der Gewalt habe die chinesiche Regierung Kritik aus aller Welt auf sich gezogen, als sie landesweit den Zugang zum Internet gesperrt sowie internationale Telefonate und den SMS-Versand blockiert habe, hieß es weiter. Deswegen sei über die Ereignisse in Xinjiang wenig bekannt geworden.


Invasion der Han-Chinesen

Kritiker werfen der Regierung zudem vor, durch die Förderung der Migration von Han-Chinesen gen Westen die Konflikte geschürt zu haben. Angehörige ethnischer Gruppen am Ort hätten dadurch schwieriger Arbeit gefunden.

Peking bedrohe durch diesen "Bevölkerungstransfer" systematisch das Überleben der Uiguren, warnte Carl Gershman, der Vorsitzender der nichtstaatlichen US-Organisation 'National Endowment for Democracy', in der 'Washington Post'. Die uigurische Sprache sei praktisch aus dem Schulbetrieb verbannt worden, kritisierte er. Hunderte Bücher über Geschichte und Kultur der Ethnie seien verboten worden. Außerdem seien die Uiguren wegen ihres muslimischen Glaubens zunehmend unter Druck geraten.

Gershman machte zudem darauf aufmerksam, dass die chinesische Regierung den historischen Kern der Stadt Kashgar im äußersten Westen von Xinjiang abreißt. Rund 200.000 Menschen werden nun zwangsweise umgesiedelt.

Peking wirft hingegen Oppositionellen im Ausland vor, Unruhen im Westen zu schüren. Die Regierung sucht die Schuld unter anderem bei Rebiya Kadeer, die nach ihrer Haft in China seit 2005 im Exil in den USA lebt. Die politische Aktivistin weist aber jede Verantwortung für den ethnischen Konflikt zurück. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.uhrp.org/
http://bic.cass.cn/english/infoShow/Arcitle_Show_Cass.asp?BigClassID=1&Title=CASS
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=52160

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IPS-Tagesdienst vom 16. Juli 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2010