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ASIEN/619: Gewerkschaften in Burma wiederbeleben - ILO wagt sich auf politisches Minenfeld (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Juli 2010

Burma: Gewerkschaften wiederbeleben - ILO wagt sich auf politisches Minenfeld

Von Marwaan Macan-Markar


Bangkok, 14. Juli (IPS) - Seit fast 50 Jahren verhindert das Militärregime in Burma die freie Betätigung von Gewerkschaften. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO will nun die Rechte der Arbeiter stärken und begibt sich damit auf ein heikles Terrain. Allerdings ist die Junta durch wilde Streiks wegen der drastisch gestiegenen Lebenshaltungskosten unter erheblichen Druck geraten.

Die UN-Organisation untersucht derzeit eine Klausel in der neuen Staatsverfassung Burmas, die den Weg für Gewerkschaftsarbeit in dem südostasiatischen Land wieder frei machen könnte. "In dem Text steht, dass Arbeitnehmer ein Recht darauf haben, sich zusammenzuschließen und Vertreter zu wählen", sagte Steve Marshall, der das ILO-Verbindungsbüro in Burma leitet. "Unter Berufung auf diese Klausel dringen wir darauf, dass dieses Recht auch tatsächlich garantiert wird."

Um das Ziel zu erreichen, muss ILO allerdings einige Stolpersteine überwinden. Die Verfassung, die durch ein von Betrugsvorwürfen überschattetes Referendum angenommen wurde, gestattet der Militärjunta ausdrücklich repressive Maßnahmen, wenn die nationale Sicherheit und Stabilität bedroht ist.

Die Arbeitsorganisation meint dennoch Hinweise darauf zu erkennen, dass die Generäle von ihrem harten Kurs gegenüber den Gewerkschaften abgewichen sind. Im Juni beantragten sieben Aktivisten offiziell die Gründung der Nationalen Gewerkschaft Burmas. Bislang hatte der Vorstoß für sie keine negativen Konsequenzen.

"Sie sind nicht verhaftet worden", erklärte Marshall. Das Regime habe ihnen lediglich mitgeteilt, dass sie sich so lange gedulden müssten, bis ein neues Gesetz zu Gewerkschaften verabschiedet werde. Normalerweise gehen die Militärs schonungslos gegen alle vor, die ihre Macht in Frage stellen könnten.


Neues Gewerkschaftsgesetz angekündigt

Die Junta, die das Land 1989 in Myanmar umbenannt hatte, kündigte im Januar an, ein solches Gesetz nach den in diesem Jahr geplanten Wahlen anzugehen. ILO bot dem Regime daraufhin ihre Hilfe an und ließ ihr Mandat auf Burma ausweiten. Bei einem Treffen in Genf entschied die Organisation kürzlich, dass sie sich künftig auch mit Fragen befassen werde, die die "Versammlungsfreiheit in Burma" beträfen. Außerdem will ILO in dem Land gegen Zwangsarbeit und den Einsatz von Kindersoldaten bei inneren Konflikten vorgehen.

Die Aussicht auf das Recht, sich wieder gewerkschaftlich organisieren zu dürfen, könnte mit der Streikwelle zu tun haben, die zwischen November 2009 bis März dieses Jahres über Burma hinwegschwappte. Insbesondere weibliche Beschäftigte in Textil- und Schuhfabriken im Hinterland der früheren Hauptstadt Rangun legten ihre Arbeit nieder, um bessere Grundlöhne, kürzere Arbeitszeiten und eine Bezahlung von Überstunden durchzusetzen.

Derartige Protestaktionen hatte es seit etwa 20 Jahren nicht mehr gegeben. Die Junta verzichtete auf den Einsatz des Militärs und forderte die betroffenen Firmen auf, die Unstimmigkeiten mit den Beschäftigten selbst zu lösen. In den Industriegebieten außerhalb von Rangun arbeiten rund 50.000 Menschen in schätzungsweise 130 Fabriken.

Die Proteste in den Fabriken kamen den Militärs offensichtlich äußerst ungelegen, denn die Generäle wollen erstmals ebenfalls nach 20 Jahren wieder Wahlen abhalten. Das Ergebnis des letzten Urnengangs, der der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) von Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi den Sieg brachte, wurde von dem Regime nicht anerkannt.


Streiks aus der Not geboren

Altgediente burmesische Gewerkschafter sind über die Streiks allerdings nicht überrascht. "Wir haben mit solchen Protesten gerechnet, weil die Lebenshaltungskosten stark gestiegen sind", sagte Maung Maung, der Generalsekretär der im Exil tätigen Gewerkschaftsverband FTUB. Von ihren schmalen Löhnen könnten die Menschen in Burma nicht einmal mehr das Allernötigste kaufen. Laut Maung traten an einem Tag sogar rund 10.000 Arbeiter in den Ausstand.

Dass sich die Junta ungewöhnlich friedlich verhält, mochte damit zu tun haben, dass viele Streikende Frauen waren. "Unter ihnen waren Ehefrauen, Schwestern und Töchter der Soldaten", sagte Maung im Gespräch mit IPS. Die Militärangehörigen selbst hätten bereits darüber geklagt, dass ihre Familien verhungerten und ihre Frauen aus materieller Not in die Prostitution getrieben würden. Politische Beobachter rechnen allerdings nicht damit, dass die Gewerkschaften die Freiheiten, die sie vor dem Militärputsch 1962 genossen, in absehbarer Zeit wiedererlangen können. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.ilo.org/yangon/country/lang--en/index.htm
http://www.ftub.org/
http://www.ncgub.net/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=52135

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. Juli 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2010