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ASIEN/615: Landwirtschaft und Ernährungssicherheit in Afghanistan (IPPNWforum)


IPPNWforum | 120 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Getreide, Mandeln, Opium
Über Landwirtschaft und Ernährungssicherheit in Afghanistan

Von Michael Krawinkel


Wenn von Landwirtschaft in Afghanistan die Rede ist, wird meist von Mohnanbau gesprochen. Daher soll hier darauf eingegangen werden, was zur Ernährungssicherheit notwendig ist und was Landwirte motiviert, bestimmte Pflanzen anzubauen und andere nicht. Diese Entscheidungen enthalten weit mehr Rationalität als vielfach unterstellt wird.


Auf die Entscheidung für die Produktion von Nahrungspflanzen und damit einem wichtigen Beitrag für die Nahrungssicherung haben zahlreiche Faktoren Einfluss: Landrechte und Bodenfruchtbarkeit, Saatgut, evtl. Dünger & Pestizide, Bewässerung und Anbautechniken sowie -technologie, Erntetechniken, Transport und Lagerung, Nahrungsmittelvermarktung mit Transport zu Verkaufsstellen, Märkte oder Läden, Anbieter und Nachfrager, Preisbildung und Abtransport. Wenn das alles gewährleistet ist, sollte zumindest genügend Nahrung zur Verfügung stehen.

Sprechen wir über Ernährungssicherung, wird die Sache noch komplexer; denn neben den Nahrungsmitteln, die vorhanden sein müssen, kommen die Verarbeitung, die Konservierung, Verpackung, Lagerung und Transport sowie das Angebot verarbeiteter Produkte und die Nahrungsmittelnutzung hinzu. Dazu zählen die Zubereitung im Haushalt, die Fürsorge für Säuglinge und Kleinkinder, Kranke und Alte, die sich auch bei einem ausreichenden Nahrungsangebot nicht selbst versorgen können; sie brauchen Hilfe von Familienmitgliedern oder sozialen Einrichtungen. Schließlich ist Gesundheit eine Voraussetzung für die Verzehrs- und Verdauungsfähigkeit der Menschen; erst wenn diese auch gegeben ist, werden Sättigung und Leistungsfähigkeit erreicht. Die Aufzählung dieser Vielzahl von Aspekten der Ernährungssicherheit soll deutlich machen, dass diese weit über ein Nahrungsangebot hinausgeht, das etwa im Rahmen humanitärer Nothilfe durch Verteilung von Rationen erzielt werden kann.

Nachhaltig ist allein die Nahrungssicherung erst dann zu nennen, wenn sie auf Produktion beruht, die in Ländern mit finanziell armen Bevölkerungen im ländlichen Raum wesentlich durch Kleinbauern - eventuell im genossenschaftlichen Zusammenschluss - erfolgt. Was veranlasst Bauern, Nahrungsmittel zu produzieren? - Hier sind prinzipiell zwei mögliche Ziele zu nennen: die Selbstversorgung (Subsistenz) und der Einkommenserwerb. Beide Ziele können alternativ oder mit unterschiedlicher Gewichtung nebeneinander verfolgt werden.

Die Auswahl der Pflanzen durch die Bauern erfolgt nach Anbaueigenschaften, Vermarktungschancen und Ernährungspräferenzen. Umgekehrt gefragt: was hindert Bauern, bestimmte Nahrungsmittel zu produzieren? - Hier sind Schwierigkeiten beim Anbau zu nennen, z.B. geringe Bodenfruchtbarkeit, hohe Kosten für Saatgut, Dünger, Pflanzenschutz und Bewässerung mit geringen Einkommenschancen und hohem Risiko durch Ernteausfälle. Hinzu kommen Unsicherheit der Erträge, schlechte Transport- und Vermarktungsmöglichkeiten, die sowohl wirtschaftlich als auch durch Unsicherheit auf den Transporten und Märkten bedingt sein können.


Mandelanbau

An zwei Beispielen sollen diese Aspekte in Afghanistan im Jahr 2009 erläutert werden. Im August 2009 wurde über einen Anstieg der afghanischen Mandelernte um mehr als 20% gegenüber der Ernte 2008 berichtet. Dies resultierte in einem Preisverfall um 40% von 100 Afghanis in 2008 auf 60 Afghanis in 2009. Bauern aus Samangan und Daykundi, dass sie unter diesen Umständen die Grundbedürfnisse ihrer Familien nicht finanzieren können; ein Bauer aus Daykundi ergänzte, dass er mit dem geringeren Einkommen seine Familie nicht über den Winter ernähren kann. Hunderte von Haushalten in den Provinzen Samangan, Balkh, Parwan, Kunduz und Daykundi hängen wirtschaftlich vom Mandelanbau ab. In 2005 wurden 38.700 Tonnen Mandeln geerntet und der Exporterlös betrug 9,4 Mio. US$. Das allein war ein Viertel der Exporte von Früchten, Nüssen und Gemüse. Aber da es an Verarbeitungskapazität fehlt, bleibt den Afghanen ganz überwiegend nur die Primärproduktion, während die Erlöse aus Verarbeitung, Verpackung und Vermarktung anderen Ländern zugute kommen. Afghanistans Klima ist ideal für die Mandelproduktion, und die wirtschaftliche Situation der Bauern könnte durch Investitionen in den Sektor deutlich verbessert werden. Auch Aufkäufe zur Stabilisierung der Preise und Einlagerung sind angezeigt.


Weizenernte

Für die Weizenernte in Afghanistan war 2009 ein gutes Jahr. Über sechs Millionen Tonnen Getreide werden erwartet, nachdem die Niederschläge zeitgerecht und in ausreichender Menge fielen und die Anbauflächen ausgeweitet wurden. In 17 der 34 Provinzen werden 50.000 Tonnen Getreideüberschuss erwartet. Durch diese Entwicklung ist der Weizenpreis um 30% gefallen, auch wenn er laut afghanischem Landwirtschaftsministerium immer noch deutlich höher als in 2007 ist. Nun plant die Regierung, 100.000 metrische Tonnen Weizen von den Bauern aufzukaufen, um die Preise zu stabilisieren. Außerdem forderte sie das Welternährungsprogramm (WFP) auf, Weizen für Nothilfeprogramme im Süden des Landes im Norden Afghanistans selbst zu kaufen. Letzteres ist bedeutend, weil das WFP überwiegend importierten Weizen verteilt; gerade mal 7.000 Tonnen will das WFP im Land kaufen - wenn die Güte internationalen Qualitätsstandards entspricht. Letzteres kann leicht ein Ausschlussgrund werden, wenn die Qualitätskriterien auf in Industrieländern produzierten Weizen ausgelegt sind. Und so ist mal wieder nicht auszuschließen, dass der Weizenpreis im Land durch das Überangebot verfällt und gleichzeitig Weizen von außen eingeführt wird.

Beide Beispiele zeigen den dringenden Handlungsbedarf für eine Unterstützung der Regierung zur Stabilisierung landwirtschaftlicher Erträge durch eine aktive Preispolitik, die den Bauern stabile Einkommen garantiert. Die Mittel für die Unterstützung der Regierung aus den sog. Geberländern könnten hier sehr sinnvoll eingesetzt werden. Und diese Ausgaben tragen weit mehr zur Sicherheit im Land bei als immer höhere Militärausgaben.


Opium als Alternative

Ohne Preisgarantien für Getreide, Mandeln und andere landwirtschaftliche Produkte ist die Alternative des Opiumanbaus für die Bauern anhaltend verlockend; denn die Drogenkartelle stellen sichere hohe Einkommen in Aussicht und lösen dies auch ein. So berichtet IRIN (Integrated Regional Information Networks des UN Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten) über einen Bauern in Badakshan, der für 60kg Opium, die er erntet, 17.000 US$ bekommt; kaufen will er von diesem Geld einen Generator und einen Traktor - also Investitionen in die Zukunft der Landwirtschaft und des Haushalts, nur eben für ein unerwünschtes Produkt, das ihm aber ein gutes Einkommen sichert. Wäre der Opiumanbau nicht so unerwünscht, würden Markt-orientierte Ökonomen diesem Bauern durchaus sinnvolles Verhalten attestieren.

Manche Experten halten Afghanistan bereits für einen 'Narko-Staat', in dem regionale Drogenaufkäufer mehr Einfluss als die Regierung haben. Wenn vermieden werden soll, dass das Land durch Drogenanbau die Verbesserung der Lebenschancen der Bevölkerung im ländlichen Raum erreicht, ist eine (pro-)aktive Agrar- und Nahrungsmittelpolitik notwendig, die den Anbau von Nutzpflanzen gegenüber dem Drogenanbau attraktiv macht und ein ausreichendes Preisniveau sicherstellt.

Was kann von außen getan werden, um Marktinterventionen zugunsten von Lebensmittelpflanzen zu fördern? - Notwendig sind Investitionen in ländliche Entwicklung und Landwirtschaft, Förderung genossenschaftlicher (Selbst-)Organisation, Schaffung von Anreizen für eine vielfältige Nahrungsproduktion, Sicherung von Märkten sowie Investitionen in Nahrungsmittelverarbeitung, -lagerung und -transport. Das bestehende Missverhältnis zwischen dem Aufwand für militärische Zwecke und dem tatsächlichen Aufwand und Einsatz für zivile Entwicklungsprogramme ist unethisch und überhaupt nicht akzeptabel. So wird Deutschland der Verantwortung, die es in Afghanistan übernommen hat, nicht gerecht, denn der ganze militärische Aufwand wird ja mit dem Wohl der Menschen begründet.


Michael Krawinkel ist Kinderarzt und Professor für Ernährung des Menschen mit Schwerpunkt Ernährung in Entwicklungsländern an der Justus-Liebig-Universität in Gießen; er arbeitet mit in der International Society of Tropical Pediatrics und der International Pediatric Association.

Nachrichten von IRIN finden Sie auf: www.irinnews.org


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Quelle:
IPPNWforum | 120 | 09, Dezember 2009, S. 22-23
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2010