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ASIEN/598: Deutsch-afghanischer Anwalt recherchiert in Kundus (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 1. Dezember 2009

»Das ist eine unverschämte Arroganz«

Ein deutsch-afghanischer Anwalt hat in Kundus recherchiert:
Fast alle Toten beim Bombenangriff waren Zivilisten.
Gespräch mit Karim Popal

Interview von Gitta Düperthal


Karim Popal ist Rechtsanwalt in Bremen. Er setzt sich für die Hinterbliebenen der Opfer des Bundeswehr-Luftangriffs in der Region Chardara in Afghanistan ein.


Frage: Sie haben in der Umgebung der deutschen Bundeswehrgarnison im afghanischen Kundus recherchiert, daß bei der Bombardierung von zwei Tankwagen am 4. September insgesamt 179 Zivilisten getötet oder verletzt wurden. Sie fordern jetzt von der Bundesregierung eine Entschädigung. Sehen Sie Chancen für eine außergerichtliche Entscheidung, oder wollen Sie die Bundeswehr notfalls verklagen?

Karim Popal: Bedauerlicherweise hat der Verteidigungsminister bis heute nicht auf das Schreiben unserer Kanzlei reagiert - seit mittlerweile zwei Wochen. Ein Kollege hat noch am Freitag in der Rechtsabteilung des Ministeriums angerufen, um herauszufinden, ob unsere Post überhaupt angekommen sind und warum sie nicht beantwortet werden. Man hat ihn ans Bürger-Informationszentrum verwiesen, das ist unverschämte Arroganz.

Frage: Nach Ihren Erkenntnissen solllen nur fünf der Toten Taliban-Kämpfer gewesen sein. Wie sind Sie bei Ihren Recherchen vorgegangen?

Karim Popal: Wir haben an Ort und Stelle ein Team gebildet, bestehend aus der afghanischen Frauenorganisation »Rechte für die Frauen« und Mitgliedern einheimischer Menschenrechtsorganisationen. Von Kriegslords, Drogenbaronen und der korrupten Regierung haben wir uns grundsätzlich ferngehalten.

Die Frauen haben dann erreicht, was Männern nicht gelungen ist: Sie sind in Chardara von Tür zu Tür gegangen und haben Verwandte der Opfer befragt, alleinstehende Frauen oder verwaiste Kinder. So konnten wir die Zahl der Toten nachweisen. Die Wahrheit ist: Wir haben 179 Personen als Opfer zu bezeichnen, 20 gelten als vermißt, 22 sind verletzt, und 137 sind gestorben - darunter 36 Kinder zwischen fünf und 16 Jahren. Viele Frauen und Kinder haben ihre Ernährer verloren, sie müssen jetzt allein klarkommen.

Frage: Auf welche Widerstände sind Sie bei Ihren Recherchen gestoßen?

Karim Popal: In Afghanistan ist eine von den Besatzern installierte Regierung an der Macht. Die Gouverneure sind nichts als Marionetten, sie haben Kontakte zu Warlords und Drogenbaronen. Solche Personen militärisch zu unterstützen ist von der Bad Godesberger Afghanistan-Konferenz nicht vorgesehen. Der Regierungschef in Kundus, Gouverneur Mohammed Omar, hat versucht, uns bei unserer Recherche zu behindern - wir haben sie trotzdem fortgesetzt. Er soll auch Verbrecher aus dem Gefängnis geholt und bewaffnet haben, um sie angeblich in den Krieg gegen die Taliban zu schicken. Seitdem ist die Lage in Kundus noch unsicherer geworden. Er hat angeblich 30 Familien der Opfer mit 2000 Dollar entschädigt - unserer Kenntnis nach waren es nur zehn.

Frage: Exverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) mußte von seinem Amt als Arbeitsminister zurücktreten. Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) steht ebenfalls in der Kritik, weil er den Angriff zunächst als militärisch angemessen verteidigt hat ...

Karim Popal: Politiker müssen lernen, nicht blind Parteifreunde zu unterstützen, sondern sich an eigene Recherchen zu halten - das ist meine Kritik an zu Guttenberg. Jung hat mit großer Wahrscheinlichkeit die Öffentlichkeit belogen oder wichtige Informationen nicht weitergeleitet. Das Argument, der habe keine Informationen gehabt, zeigt, daß er sein Ministerium nicht im Griff hatte. Es führt kein Weg drum herum, daß ein Verteidigungsminister solche Berichte auch lesen muß.

Frage: Während Ihres Aufenthalts in Afghanistan erhielten Sie Morddrohungen von einem gewissen Mullah Hassan, der sich als Taliban ausgab. Sind Sie möglicherweise unter Druck gesetzt worden, damit Sie Ihre Recherchen einstellen?

Karim Popal: Aufgrund unserer Nachforschungen glaube ich nicht, daß es ein Taliban war, der mich bedroht hat. Ich habe vielmehr den korrupten Gouverneur von Kundus in Verdacht. Meine Handynummer war nur ihm oder seinen Mitarbeitern bekannt. Ein Sicherheitsbeamter hat uns bestätigt, daß kein Mullah Hassan unter den Taliban in dieser Region bekannt ist. Wir mußten dann vorsichtshalber eine Nacht lang unter dem Schutz deutscher Soldaten verbringen und sind am nächsten Tag von Kundus abgereist.


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Quelle:
junge Welt vom 01.12.2009
mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Dezember 2009