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ASIEN/1005: Autoritärer Populismus auf den Philippinen (WeltTrends)


WeltTrends Nr. 190 / August 2022
Das außenpolitische Journal

Autoritärer Populismus auf den Philippinen

von Ralf Havertz


Die Philippinen, der südostasiatische Inselstaat mit 110 Millionen Einwohnern, werden seit 2016 von rechtspopulistischen Präsidenten regiert. Mit ihrer Politik zielen sie darauf ab, die Herrschaft von einigen Hundert Familienclans im Lande sicherzustellen. Dies gilt auch für den neuen Präsidenten Ferdinand Marcos Jr., dem es gleichzeitig auch darum geht, die Geschichte der mörderischen und kleptokratischen Diktatur seines Vaters Ferdinand Marcos Sr. (Präsident von 1965 bis 1986) umzuschreiben.

Der alte Marcos hatte das Land von 1972 bis 1981 unter Kriegsrecht gestellt, systematisch ausgeplündert und Dissidenten umbringen und foltern lassen. Dass Marcos Jr. und der frühere Präsident Rodrigo Duterte (2016-2022) sich in ihren Wahlkämpfen populistischer Mittel bedient haben, ist eigentlich widersprüchlich. Denn Populismus richtet sich grundsätzlich immer gegen die Elite. Der Rechtspopulismus auf den Philippinen hat eine starke rhetorische und propagandistische Seite. Sein ideologischer Kern ist der Autoritarismus.


Populismus und Rechtspopulismus

Cas Mudde und Cristóbal Rovira Kaltwasser [1] haben Populismus als Ideologie definiert, in der das gute, rechtschaffende "Volk" einer korrupten und inkompetenten Elite gegenübergestellt wird. Beide, "Volk" und Elite, sind im Populismus als homogene Einheiten gedacht. Populisten stehen in dieser Gegenüberstellung auf der Seite des "Volkes" oder geben vor, dort zu stehen. Sie nehmen weiterhin an, das "Volk" sei in der Lage, einen einheitlichen Willen (volonté générale) zu formulieren, was wiederum eine homogenisierende Wirkung hat und dazu führt, dass abweichende, dem einheitlichen Willen entgegenstehende Meinungen als gegen das "Volk" gerichtet eingestuft werden können. Seine eigentliche politische Richtung - seine spezielle Prägung als Rechtspopulismus oder Linkspopulismus - erhält der Populismus erst durch die Ideologien, mit denen er sich verbindet. Rechtspopulismus entsteht im Wesentlichen durch eine Verbindung des Populismus mit einem aggressiven Nationalismus und Autoritarismus [2].


Die neue Blüte des Rechtspopulismus

Rechter Populismus hat eine längere Geschichte auf den Philippinen und kann bis zur Präsidentschaft von Joseph Estrada (1998-2001) zurückverfolgt werden. In den 1960er- und 1970er-Jahren war Estrada mit Auftritten in über hundert Filmen einer der erfolgreichsten Schauspieler des Landes. Seinen Status als Prominenter und seine charismatische Erscheinung nutzte er als Kapital für seinen politischen Aufstieg. Populismus ist bei ihm vor allem als Stil in Erscheinung getreten, aber auch in seinem unnachgiebigen Kampf gegen den bewaffneten Islamismus im Süden des Landes, der ihm dazu diente, sich als starker, Ordnung schaffender Mann in Szene zu setzen. Mit der Präsidentschaft von Rodrigo Duterte und der Wahl von Ferdinand Marcos Jr. (er trägt den Spitznamen "Bongbong") im Mai 2022 zu seinem Nachfolger ist der Rechtspopulismus auf den Philippinen zu neuer Blüte gelangt. Während sein Nationalismus weniger prononciert ist, wird der Autoritarismus in ihm geradezu zelebriert.

Als Marcos am 9. Mai mit 58,8 Prozent der Stimmen zum neuen Präsidenten der Philippinen gewählt wurde, stand Sara Duterte, die Tochter des früheren Präsidenten Duterte, ebenfalls auf dem Wahlzettel. Sie wurde in einer gesonderten Wahl mit 61,5 Prozent der Stimmen zur Vizepräsidentin gewählt. Damit haben sich die dynastischen Verhältnisse auf den Philippinen verfestigt. Beide, der jüngere Marcos ebenso wie Duterte, sind schon früh in die politischen Fußstapfen ihrer Väter getreten. Bereits 1980 - das war noch während der Diktatur seines Vaters - hat der damals erst 23 Jahre alte Marcos Jr. in der Provinz Ilcos Norte zunächst den Posten des Vizegouverneurs und später, im Jahr 1983, dann das Amt des Gouverneurs übernommen. Nach dem Sturz seines Vaters im Jahre 1986 ging er zusammen mit seiner Familie im US-Bundesstaat Hawaii ins Exil. Nachdem der alte Marcos 1989 gestorben war, wurde dem jungen 1991 offiziell die Rückkehr auf die Philippinen gestattet - unter der Voraussetzung, dass er sich der Justiz wegen der vielen Vorwürfe gegen ihn und seine Familie stellen müsse. Dies betrifft insbesondere die extreme Korruption, derer sich die Familie Marcos während der Diktatur des alten Marcos schuldig gemacht hat. Es gilt als gesichert, dass die Familie in dieser Zeit zwischen fünf und zehn Milliarden US-Dollar illegal auf die Seite geschafft hat. Der verschwenderische Reichtum der Familie ist legendär. Als die Aktivistinnen der People Power Revolution 1986 den Palast der Marcos-Familie stürmten, fanden sie dort eine Kollektion von 3.000 Paar Schuhen, die sich Imelda Marcos, die Ehefrau von Marcos Sr., angeschafft hatte. Von den unrechtmäßig angeeigneten Reichtümern seiner Familie musste Marcos Jr. bislang keinen einzigen Cent an den philippinischen Staat, geschweige denn an eines der vielen Opfer der Marcos-Diktatur zahlen. Schätzungen zufolge sind während dieser Diktatur mehr als 3.000 Menschen politischen Morden zum Opfer gefallen, während mehrere Zehntausend unter Folter der Regime-Schergen zu leiden hatten.

Von einer Aufarbeitung dieser Periode in der philippinischen Geschichte kann keine Rede sein. Während des Präsidentschaftswahlkampfes hat der junge Marcos seine Position zu dieser Vergangenheit klargemacht: Es gibt nichts, wofür er oder seine Familie sich zu entschuldigen hätten. Ganz im Gegenteil! Wenn jemandem Unrecht geschehen sei, dann seiner Familie, die von einer gierigen Elite außer Landes getrieben worden sei, damit sie sich die Reichtümer der Marcos-Familie aneignen konnte. Hier macht die Geschichtsklitterung aber nicht Halt. Vielmehr hat Marcos Jr., der 1992 kurz nach seiner Rückkehr nahtlos wieder in die philippinische Politik einsteigen konnte - er wurde damals ins Abgeordnetenhaus gewählt -, in den letzten Jahren eine umfassende Manipulationskampagne in den sozialen Medien betrieben, mit der die Zeit der Präsidentschaft seines Vaters als "Goldenes Zeitalter" der Philippinen verklärt wurde. Mit dieser Kampagne hat Marcos Jr. sehr viele Menschen erreicht und unter ihnen eine nostalgische Stimmung erzeugt. Wie eine Studie von Statista aus dem Jahre 2020 ergeben hat, halten sich Philippinos am Tag durchschnittlich rund vier Stunden in sozialen Netzwerken auf. Ganz dem populistischen Ideal entsprechend hat Marcos Jr. erfolgreich einen direkten, ungefilterten Kontakt mit den Massen hergestellt. Die neuen Medien haben ihm dafür ein vorzügliches Instrument an die Hand gegeben. Sein Kampagnenmanager Vic Rodriguez betonte, dass diese Art der "direkten Kommunikation mit dem Volk" essenziell für Marcos' Wahlkampf sei [3]. Während Marcos Jr. mit seiner Kampagne die sozialen Medien dominiert hat, sind Anfragen von etablierten oder kritischen Medien an sein Wahlkampfteam häufig unbeantwortet geblieben.


Staatliches Mordprogramm

Die Politik seines Vorgängers Duterte gegen Drogenhändler wolle er fortführen. Allerdings betrachte er Drogenabhängige als krank und behandlungsbedürftig, so Marcos Jr. Er ziehe es vor, sie in Entzugskliniken bringen zu lassen, anstatt sie zum Abschuss freizugeben. Gesetzesbrecher, die nicht rehabilitiert werden könnten, hätten aber zweifellos die Todesstrafe verdient. Während der Amtszeit Dutertes hat es auf den Philippinen Tausende "extra-legale Tötungen" - also politisch sanktionierte Morde - an Menschen gegeben, die des Drogenhandels oder -konsums verdächtigt wurden. Zwischen Juli 2016 und September 2021 sind offiziellen Zahlen der Duterte-Regierung zufolge 6.201 Menschen bei drogenbezogenen Polizeiaktionen getötet worden. Die Zahl der Opfer ist aber wahrscheinlich viel höher. Nach Schätzungen verschiedener Menschenrechtsgruppen liegt die tatsächliche Zahl der Ermordeten irgendwo zwischen 12.000 und 30.000 [4]. Duterte selbst hat sich der BBC gegenüber damit gebrüstet, in seiner Zeit als Bürgermeister von Davao drei Drogenhändler eigenhändig erschossen zu haben. Er sei auf dem Motorrad durch die Stadt gefahren auf der Suche nach Drogenhändlern, die er erschießen könne, so Duterte im Dezember 2016. Schlechte Manieren sind das Markenzeichen vieler Populisten. In diesem Zusammenhang reicht es, Donald Trump als Beispiel anzuführen. Der Populismusforscher Pierre Ostiguy hat ein solches Verhalten als "flaunting of the low" bezeichnet [5]. Der ehemalige Präsident Duterte und seine Tochter Sara, die neue Vizepräsidentin, haben das "Niedrige" in der Politik mit tätlichen Angriffen auf Verwaltungsmitarbeiter (Sara Duterte in ihrer Funktion als Bürgermeisterin von Davao) und mit eingestandenen Morden (Rodrigo Duterte) auf einen Tiefpunkt geführt.

Die staatliche Gewalt hat sich in der Zeit der Präsidentschaft von Duterte nicht nur gegen Menschen gerichtet, die (gerechtfertigt oder ungerechtfertigt) mit Drogen in Zusammenhang gebracht wurden, sie betraf auch politische Gegner. All diejenigen, die sich der Regierung kritisch entgegenstellten, liefen Gefahr, offiziell als Kommunisten oder Terroristen gebrandmarkt zu werden. Das Verfahren ist als red-tagging bekannt. Sicherheitsbehörden erstellen schwarze Listen, auf denen häufig linke AktivistInnen, Gewerkschaftsfunktionäre, Umweltschützer, Menschenrechtsanwälte und die LeiterInnen von Bauernorganisationen und von indigenen Gruppen landen [6]. Red-tagging dient zum einen der Einschüchterung der davon Betroffenen und zum anderen der Aufhetzung der Bevölkerung gegen diese "Staatsfeinde." Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen zufolge sind während der Amtszeit Dutertes mehrere hundert Menschen, die auf solchen schwarzen Listen standen, gewaltsam zu Tode gekommen.


Untersuchung des Internationalen Strafgerichts

Die vielen "extra-legalen Tötungen" im philippinischen "Anti-Drogen-Krieg" hatten das Internationale Strafgericht in Den Haag dazu bewogen, Ermittlungen gegen Rodrigo Duterte wegen des Verdachts von Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzuleiten. Diese Ermittlungen wurden jedoch im November 2021 auf Antrag der philippinischen Regierung vorläufig eingestellt. Jedes Land hat das Recht, einen solchen Aufschub zu beantragen, wenn es eigene Untersuchungen in der jeweiligen Sache durchführt, und genau das ist hier der Fall. Man muss sich keine Illusionen hinsichtlich des Ergebnisses dieser Untersuchungen machen. Die Duterte-Regierung hatte immer die Position bezogen, dass es sich bei den über 6.000 Tötungen, an denen die Sicherheitsbehörden beteiligt waren, jeweils um Notwehrhandlungen gehandelt hat. An dieser Version der Ereignisse wird sich auch unter Marcos Jr. mit großer Wahrscheinlichkeit nichts ändern. Duterte hatte lauthals verkündet, er werde eher sterben, als sich den Untersuchungen des Internationalen Strafgerichtshofs zu stellen. Soweit muss es aber nicht kommen: Marcos Jr. hatte im Wahlkampf bereits angekündigt, dass er die Untersuchungsbefugnisse des Internationalen Gerichtshofes in dieser Sache nicht anerkennen wolle. Die Philippinen hätten ein gutes und zuverlässiges juristisches System und seien daher auf Hilfe aus dem Ausland nicht angewiesen. Von den 15 RichterInnen des philippinischen Verfassungsgerichts wurden 14 von Duterte in ihr Amt eingesetzt. Wie immer sich auch ein Verfahren gegen Duterte entwickeln würde, es wäre mit seinem Scheitern spätestens in der letzten, obersten Instanz zu rechnen. Das Verhalten des jungen Marcos, der sich gegen den Internationalen Strafgerichtshof und vor Duterte stellte, kann man auch so lesen, dass er sich damit erkenntlich dafür zeigt, dass Duterte 2016 den Leichnam des alten Marcos nach Manila überführen und dort auf dem Heldenfriedhof beisetzen ließ. Duterte signalisierte damit, dass ihm an einer Aufarbeitung der diktatorischen Vergangenheit nicht gelegen ist.

Mit der Präsidentschaft von Marcos Jr. verfestigt sich auf den Philippinen der Autoritarismus. Die Philippinos waren in der Amtszeit Dutertes bereits wieder an den Autoritarismus gewöhnt worden. Bei Marcos Jr. kommt verschärfend hinzu, dass er in der autoritären Tradition der Diktatur seines Vaters steht, deren Charakter er in einer aufwendigen Manipulationskampagne in den sozialen Medien zu einer glorreichen Zeit umgelogen hat. In dieser Kampagne ist Marcos Jr. dem populistischen Ideal der direkten, ungefilterten Verbindung von Führungsfigur und "Volk" gefolgt. Dieser philippinische Rechtspopulismus ist ein Widerspruch in sich, denn seine Funktion ist die Absicherung der Position der herrschenden und miteinander konkurrierenden Familienclans, zu denen die Familien von Duterte und Marcos gehören.


Anmerkungen:

[1] Mudde, Cas / Kaltwasser, Cristóbal Rovira (2017): Populism: A very short introduction. Oxford University Press.

[2] Mudde, Cas (2007): Populist radical right parties in Europe. Cambridge University Press.

[3] Johnson, Howard / Simonette, Virma (2022): Bongbong Marcos: The man attempting to revive a corrupt political dynasty. BBC, 6. Mai 2022, vgl.
https://www.bbc.com/news/world-asia-61212659.

[4] Human Rights Watch. Philippines. Events of 2021. Vgl.:
https://www.hrw.org/world-report/2022/country-chapters/philip-pines.

[5] Ostiguy, Pierre (2017): Populism: A socio-cultural approach. In: Kaltwasser, C. Rovira / Taggart, P. Espejo, P. Ochoa / Ostiguy, P. (Hrsg.) (2017): The Oxford handbook of populism. Oxford University Press, S. 73-97.

[6] Human Rights Watch.


Prof. Dr. Ralf Havertz
, Politikwissenschaftler, Keimyung University, Daegu, Südkorea, Mitglied des WeltTrends-Beirates

Der Schattenblick veröffentlicht den Artikel mit der freundlichen Genehmigung des Autors und der Redaktion WeltTrends.

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Quelle:
WeltTrends Nr. 190 / August 2022, S. 21-26
Das außenpolitische Journal
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 15. August 2022

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