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AFRIKA/821: Festgefahrene Demokratisierung (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2010

Festgefahrene Demokratisierung

Von Dominic Johnson


Afrika ist nicht mehr der Kontinent der Gewaltherrscher und Bürgerkriege. Aber wirkliche Demokratie und Frieden stellen sich nicht ein, denn die Eliten haben gelernt, diese Prinzipien in ihrem Sinne zu nutzen.


Die politische Kultur Afrikas im Jahr 2010, ein halbes Jahrhundert nach der Unabhängigkeit zahlreicher afrikanischer Länder, bietet vordergründig ein positives Bild. Fast überall sind in diesem oder nächstem Jahr pluralistische Wahlen entweder angesetzt oder in Vorbereitung. Mit der Ausnahme Somalias, Eritreas und Libyens ist das Mehrparteiensystem afrikaweit institutionalisiert, die Wahlurne gilt als höchster Ort der politischen Auseinandersetzung. Offene bewaffnete Konflikte, für die es keinen Friedensprozess oder einen anderen Rahmen der möglichen zivilen Lösung gibt, toben nirgends mehr außer in Somalia. Was für ein Kontrast zur Situation vor zehn Jahren, als in einem breiten Gürtel quer durch den Kontinent von Angola über Kongo bis Sudan sowie in Teilen Westafrikas und am Horn von Afrika Krieg herrschte und auf internationaler Ebene die Befürchtung umging, weite Gebiete Afrikas stünden am Rande des unaufhaltsamen Staatszerfalls und der grenzüberschreitenden Rohstoffkonflikte.

Die Einkehr von Frieden und der Aufbau demokratisch aussehender Institutionen hat aber die Zufriedenheit der Afrikaner mit ihren politischen Systemen ebenso wenig grundlegend verbessert wie das Verhalten afrikanischer Herrscher. Machtmissbrauch, Autoritarismus und Willkür sowie vor allem das Gefühl, der Staatschef wäre unantastbar und stünde nach wie vor außerhalb jeder Kontrolle und Kritik, bleiben weit verbreitet. Diese altbekannten negativen Merkmale der afrikanischen Staatlichkeit festigen sich sogar in dem Maße, in dem einzelne Länder durch das Ausnutzen von Nischen der Globalisierung und durch den Export hochwertiger Rohstoffe Erfolge in der Armutsbekämpfung und ein stabil hohes Wirtschaftswachstum vorweisen. Ein Präsident wie Robert Mugabe in Simbabwe, dessen Wirtschaftspolitik das Volk ins Elend stürzt, ist angeschlagen; sprudeln aber die Milliarden wie in Angola, und sei es unter Ausschluss der Bevölkerungsmehrheit, kann er sich dagegen immunisieren, notfalls mit Gewalt.

Wenn sich in Afrika demokratische Spielregeln eingebürgert haben, ist dies weniger dem Aufbegehren einer entrechteten Bevölkerung zu verdanken als der gekonnten Anpassung einer politischen Elite. So wie Afrika im vergangenen Jahrzehnt den Anschluss an die Regeln der Weltwirtschaft geschafft hat und in der Globalisierung jetzt als Mitspieler akzeptiert wird, so haben Afrikas Herrscher es verstanden, sich auch in der Politik internationalen Standards zu beugen. Wozu mit plumper Repression und Verweigerung demokratischen Wettbewerbs weltweite Kritik, Sanktionen und möglicherweise sogar bewaffneten Widerstand auf sich ziehen, wenn man seine Macht viel besser durch einen vorgeplanten und kontrollierten Wahlprozess sichern kann? Das verstehen mittlerweile machthungrige Machthaber von Angola bis Algerien, von Nigeria bis Uganda. Sudans Präsident Omar Hassan al-Bashir, als einziger Staatschef der Welt vom Internationalen Strafgerichtshof mit Haftbefehl gesucht, dürfte seine demokratische "Wahl" im April mit 68,2% der Stimmen jetzt auf der internationalen Bühne als Beweis für seine politische Lauterkeit vor sich hertragen. Für Faure Gnassingbé in Togo und Ali Bongo in Gabun, beide als Söhne ihrer verstorbenen, diktatorisch herrschenden Väter an die Macht geraten, öffnete die Legitimation durch Wahlen den Weg zur persönlichen Emanzipation, ebenso wie zuvor für Joseph Kabila in der Demokratischen Republik Kongo. Langjährige Autokraten wissen, dass ein 99%-Sieg ohne Gegner sie diskreditiert, ein 60%-Erfolg gegen eine zugelassene Opposition hingegen stärkt sie. Mit Rechenschaft vor dem Volk hat so etwas nicht das Geringste zu tun.


Demokratie und Machtprobe

Die geglückte Einführung der Spielregeln der westlichen Demokratie in undemokratisch strukturierten Machtsystemen in Afrika kann eine weiterhin von jeglicher Partizipation ausgeschlossene Bevölkerung jedoch nicht dauerhaft befriedigen. Jenseits regelmäßiger Wahlen ist noch viel zu tun, damit auch zwischen den Wahlterminen freie Rede und Kritik möglich ist. Noch gibt es zwar wenig Anzeichen dafür, dass die betroffenen Bevölkerungen damit ein wirkliches Problem hätten. Weder in Simbabwe noch in Nigeria oder Äthiopien führten die massiv manipulierten Wahlen der letzten Jahre zu Massenprotesten oder zu dauerhafter Unruhe. Die Ausnahme war Kenia, wo eine offensichtliche Wahlfälschung Ende 2007 Protestdemonstrationen, polizeiliche Repression, organisiertes Zurückschlagen der Opfer gegen die Ethnie der "anderen" Seite und schließlich wochenlange ethnische Pogrome mit über 1.300 Toten und mehreren hunderttausend dauerhaft Vertriebenen zur Folge hatte.

Möglich wurde diese Ausnahme dadurch, dass die parteipolitische Landschaft Kenias die ethnische Zersplitterung des Landes treu nachbildet, jede Wahl damit zum ethnischen Kräftemessen wird, und jedes Lager schon vor den Wahlen Bürgerkriegsmilizen gebildet hatte. Das ostafrikanische Land dient auf dem Kontinent damit jetzt allerdings als abschreckendes Beispiel dafür, auf welche Warnsignale zu achten ist, damit eine Machtprobe mit dem Stimmzettel nicht zu einer Machtprobe mit der Waffe eskaliert.

Denn das Beispiel Kenia hat etwas deutlich gemacht, was für viele andere Länder gilt: Wahlen sind in der Tendenz auch dann destabilisierend, wenn der Amtsinhaber sich seines Sieges sicher sein kann. Es wird schließlich pro forma die Machtfrage gestellt. So begehrenswert es für den internationalen Ruf eines Präsidenten sein kann, eine Machtprobe an der Wahlurne gewagt und gewonnen zu haben, so riskant können sich die dafür nötigen innenpolitischen Manöver im eigenen Land auswirken. Jeder Wahltermin Afrikas ist inzwischen ein möglicher Funke für einen neuen Krieg.

Das Risiko von Konflikten, die sich an umstrittenen Wahlen entzünden, ist besonders groß in Ländern, deren Bewohner sich noch an Bürgerkriege erinnern und daran, dass die heute Mächtigen nicht immer mächtig waren. Wenn Burundis Präsident Pierre Nkurunziza, ehemals Chef einer Rebellenbewegung, sich in diesem Sommer zur Wiederwahl stellt, erfolgt dies in einem Klima zunehmender wechselseitiger Gewalt und Einschüchterung zwischen rivalisierenden Parteimilizen, die aus früheren Bürgerkriegsparteien hervorgegangen sind. Ähnliches gilt für die Wahlen in der Elfenbeinküste, die nicht zuletzt deshalb immer wieder verschoben werden, weil die Kontrahenten Angst vor einem Rückfall in den Krieg haben. Die Herrscher in Ländern wie Uganda, Äthiopien, Angola, Tschad, der Demokratischen Republik Kongo und Nigeria erscheinen mangels einer starken organisierten Opposition gefestigter, aber das Misstrauen gegenüber der Staatsmacht ist im jeweiligen Land groß und es ist keineswegs ausgemacht, dass alle politischen Kräfte sich an den verfassungsmäßigen Weg halten, wenn ihnen der Wahlverlauf nicht passt. Strukturen zur inneren Befriedung im Falle einer Krise sind in keinem dieser Länder etabliert.

Es rächt sich nun allmählich, dass die Einführung des westlichen Demokratiemodells in Afrika eben vor allem auf Druck des Westens hin erfolgte, also von außen und nicht von innen getragen. Das eigene Aufbegehren gegen die postkolonialen Diktaturen nahm in den meisten afrikanischen Staaten zunächst andere Wege: Es ging um gesamtgesellschaftliche Diskussionsforen, um die Anpassung des Staatsverständnisses an die Lebenswirklichkeit der Menschen, um die Aufarbeitung vergangener Verbrechen und um Versöhnung unter Bewahrung der gegenseitigen Achtung einstiger Kontrahenten. Nicht von ungefähr wurde Afrika in den 90er Jahren der Kontinent der Nationalkonferenzen, der Wahrheitskommissionen und der Friedenskonferenzen. Aber wenig davon hat sich in die daraus entstandenen politischen Ordnungen hinübergerettet. Es war ein kurzer Frühling. Das liegt auch daran, dass die westlichen Demokratieförderer in Extremsituationen immer wieder doch Angst vor ihrer eigenen Courage bekamen und systematisch den Machterhalt der Diktatoren unter neuem Vorzeichen betrieben. Kein streitbarer Demokrat in Afrika glaubt heute ernsthaft daran, dass die internationale Gemeinschaft ihn vor einem Diktator schützen würde. Nicht einmal in Simbabwe, obwohl kein afrikanisches Land so massive Kritik aus dem Ausland auf sich zieht.

Ändern lässt sich daran wenig, nachdem der Westen sich weitgehend zugunsten Chinas aus Afrika zurückgezogen hat und der afrikanische Autoritarismus damit einer neuen Legitimationsblüte entgegenblicken kann. 50 Jahre nach der Unabhängigkeit ist Afrika kein Kontinent der Einparteiendiktaturen und Militärjuntas mehr, und die Gefahr eines kontinentalen Zerfalls scheint vorerst gebannt, aber die Demokratisierung ist auf halbem Wege steckengeblieben und droht eher den Rückwärtsgang in eine neue autokratische Eiszeit einzulegen.


Dominic Johnson (* 1966) ist Afrika-Redakteur der taz und Autor. 2009 erschien die Neuauflage von Kongo: Kriege, Korruption und die Kunst des Überlebens im Verlag Brandes & Apsel.
johnson@taz.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2010, S. 36-38
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2010