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AFRIKA/798: Im Vorfeld des großen Spiels - Südafrika (medico international)


medico international - rundschreiben 01/10

Im Vorfeld des großen Spiels - Südafrika


Warum alte Anti-Apartheid-Kämpfer mit dem FIFA-Präsidenten Sepp Blatter nicht gemeinsam auf die Torwand schießen wollen und Straßenhändler Angst um ihre Umsätze haben. Wenige Monate vor dem Weltcup fand Bernd Eichner am Kap der guten Hoffnung mehr Zweifel als Zuversicht, dass vom großen Fest des Fußballs auch die Ärmsten etwas mitbekommen.


Marcus Solomon wurde 1964 wegen Widerstandes gegen das Apartheidregime auf die berüchtigte Gefängnisinsel Robben Island verschleppt. Der Film "More than just a game" dokumentiert den Kampf des heute 70-jährigen Leiters des medico-geförderten Children's Ressource Center in Kapstadt und seiner damaligen Mitgefangenen in der Haft Fußball spielen zu dürfen. Auch Prügel und Nahrungsentzug konnten sie nicht davon abhalten, drei Jahre lang den immer gleichen Wunsch vorzubringen, um ihre tristen Zellen verlassen zu können. Schlussendlich hatten sie Erfolg. Robben Island bekam eine eigene Gefängnisliga und sogar einen Schiedsrichterverband. Alle Gefangenen sollten die Möglichkeit bekommen, jeden Samstag an den Spielen teilzunehmen. Dass die Partien nach FIFA-Regeln gespielt wurden, passt der FIFA gut in ihr PR-Konzept für die kommende Fußball-WM in Südafrika. "Unsere Liga hatte nichts mit dem gemeinsam, was die FIFA in Südafrika veranstaltet, uns ging es um Partizipation, die FIFA hingegen betrachtet Fußball als ihr Eigentum mit dem sie Geld verdienen will", kritisiert Marcus. Da er sich von der FIFA nicht als Werbeträger vereinnahmen lassen wollte, blieb er der Filmpremiere einfach fern.


Hohe Erwartungen am Kap

Marcus' Urteil über Sepp Blatter fällt dennoch ausgewogen aus. Schließlich ist es dem mächtigsten Mann der Fußballwelt zu verdanken, dass die WM 2010 das erste Mal auf dem afrikanischen Kontinent stattfindet. Damit machte er sich bei vielen europäischen Fußballfunktionären unbeliebt, die nicht daran glauben wollten, dass Südafrika die Organisation der weltgrößten Sportveranstaltung bewältigen kann. In Afrika jedoch brachten ihm seine Zuversicht und sein Durchsetzungsvermögen enorme Popularität ein. In einer südafrikanischen TV-Talkshow wurde der FIFA-Präsident vom Moderator gar mit den Worten "Sepp, wir lieben dich" begrüßt, denn die Erwartungen in Südafrika sind hoch: Die WM soll Tourismus und Wirtschaft nachhaltig stärken und die wochenlange Medienaufmerksamkeit bietet die Chance, das Klischee vom chaotischen Afrika zu widerlegen. Schließlich schaffen es afrikanische Länder sonst meist nur mit Krisen, Korruption und Kriegen in die Nachrichten der nördlichen Hemisphäre. "Endlich können wir der Welt zeigen, dass wir keine Bananenrepublik sind", erzählt mir ein Taxifahrer, der wie viele Südafrikaner auf gute Geschäfte während der WM hofft. Je näher allerdings die WM rückt, desto mehr Träume platzen, vom großen Kuchen etwas abzubekommen, denn nicht nur auf dem Spielfeld bestimmt die FIFA die Regeln. 17 Verpflichtungen zugunsten der FIFA musste das südafrikanische Parlament absegnen, die Befugnisse in den Bereichen Finanzen, geistige Eigentumsrechte, Marketing, Sicherheit, Gesundheitsversorgung, Transport und Kommunikation umfassen.


Stadien in weißer Umgebung

"Die Regierung macht sich zum Handlanger der FIFA", äußert sichtlich erregt Eddie Cottle vom internationalen Gewerkschaftsbund Building and Wood Workers. Er zeigt mir die Baustelle des neuen WM-Stadions im schicken Stadtviertel Green Point in Kapstadt. Wenn es nach den Plänen der Provinzregierung gegangen wäre, würden wir jetzt im ärmeren und schwarzen Athlone stehen. Das dortige große Stadion sollte ausgebaut werden, um Kosten zu sparen und städtebauliche Ungleichheiten abzumildern. Denn Athlone ist das Tor zu den Townships der Cape Flats, die während der Apartheid systematisch vernachlässigt wurden. Vom Stadionausbau und den begleitenden Infrastrukturmaßnahmen hätte auch die ärmere Bevölkerung profitieren können, doch da spielte die FIFA nicht mit. Ein FIFA-Funktionär habe lapidar verlauten lasen, so der Gewerkschaftler, dass eine Milliarde Fernsehzuschauer keine Hütten und keine Armut sehen wollten. Die südafrikanische Regierung unterwarf sich der FIFA und errichtete in Green Point, nahe dem vornehmen Waterfront-Einkaufszentrum, für 450 Millionen Euro ein neues Stadion.

Darüber haben sich wahrscheinlich die Baukonzerne Murray&Robert und WBHO am meisten gefreut. "Im letzten Jahr konnten beide Firmen dank der WM-Aufträge ihren Gewinn verdoppeln", rechnet Eddie vor. Daneben sehen 12 % Lohnerhöhung fast etwas mickrig aus. Beachtlich ist aber, dass Eddie und seine Kollegen diese in zwei wilden Streiks erkämpfen konnten, obwohl 70% der Bauarbeiter über Subunternehmer beschäftigt sind und lediglich befristete 3-Monats-Verträge haben. Die Mehrheit verdient immer noch weniger als 300 Euro im Monat. Immerhin spendiert die FIFA jedem der insgesamt ca. 23.000 Stadion-Bauarbeiter zwei Karten für ein WM-Spiel. Was allerdings über den Verlust des Arbeitsplatzes nach Fertigstellung der Stadien nur kurz hinwegtrösten wird. Qualifizierungsmaßnahmen haben nur die Wenigsten durchlaufen und in einem Land, in dem rund 40 % der Bevölkerung arbeitslos sind, wartet niemand auf sie.


Bannmeilen für Fanartikel

Auch für die zahlreichen Straßenhändler ist die Party vorbei, bevor es überhaupt richtig losgeht. Traditionell versorgen sie die Fußball-Fans rund um die Stadien mit Getränken, Essen und Fanbedarf, bspw. den Vuvuzela-Tröten. Damit ist jedoch 48 Stunden vor dem Anpfiff Schluss, denn dann gelten von der FIFA reglementierte Bannmeilen. Innerhalb dieser Bannmeilen ist ausschließlich der Verkauf von Produkten der WM-Sponsoren durch lizenzierte Händler erlaubt. Sperrzonen wird es auch in der Innenstadt rund um die offiziellen Fan-Parks geben. Die genaue Ausdehnung dieser Verbotszonen ist selbst Organisationen wie streetnet, welche die Interessen der Straßenhändler in Durban vertritt, noch unbekannt. "Wahrscheinlich wird die Stadtverwaltung ihre Auflagen erst sehr spät veröffentlichen, um Proteste zu verhindern", vermutet Gaby Bikombo, der früher selbst sein Geld als Straßenhändler verdiente. Mittlerweile betreibt er einen mobilen Frisörsalon und arbeitet bei streetnet mit. Von der Stadtverwaltung hält er nicht viel. In vorauseilendem Gehorsam hat diese bereits strenge kommunale Verordnungen erlassen und versucht, den Straßenhandel auf bestimmte Zonen einzugrenzen. Um dort verkaufen zu dürfen, ist eine Genehmigung kommunaler Behörden notwendig, für deren Beantragung ein Internetzugang und ein gewisser Sinn für Bürokratie erforderlich sind. "Für Straßenhändler ist das eine Überlebensfrage", betont Gaby. "Sie machen das schließlich nicht zum Spaß. Sie hoffen auf das 'große Geschäft', um sich aus ihrem Elend zu befreien." Viele richten sich deshalb jetzt schon auf die Wünsche der WM-Touristen ein und kaufen Fanartikel auf dem China-Markt. Damit droht ihnen der nächste Ärger, denn viele dieser Merchandise-Artikel verletzen die Markenrechte der FIFA. Selbst den Begriff "2010 Südafrika" hat sich die FIFA schützen lassen. Ein Werbeplakat, das statt zweier Nullen Fußbälle verwendet, wurde bereits untersagt. Jede Anspielung, die auf das Turnier verweist, soll den exklusiven Partnern und Sponsoren vorbehalten sein. Diese Exklusivität lässt sich die FIFA teuer bezahlen.


Gewinne für die FIFA

Sponsorengelder und TV-Rechte der WM 2010 bescheren der Organisation, die in der Schweiz als gemeinnütziger Verein registriert ist, rund 2,3 Milliarden Euro Einnahmen. Für die Ausgaben hingegen müssen die südafrikanischen Steuerzahler aufkommen. Die gewerkschaftsnahe südafrikanische NGO Labour Research Service (LRS) beziffert die Kosten für die Stadionbauten und die Errichtung damit verbundener Infrastrukturen auf ca. 1,74 Milliarden Euro (ursprünglich geplant waren 230 Millionen Euro). LRS warnt vor leeren öffentlichen Kassen und bis zu zweistelligen Steuererhöhungen; keine einfache Situation für Präsident Zuma, der stets verspricht, dass alle Südafrikaner von der WM profitieren werden. Schon jetzt vergeht kaum ein Tag ohne Protestkundgebung gegen die mangelnde Bereitstellung von öffentlichen Dienstleistungen.

16 Jahre nach Ende der Apartheid wollen die Menschen aus den Armenvierteln endlich Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung sowie fließend Wasser und Strom. Patrick Bond, Professor an der University of KwaZulu-Natal und Leiter des Centre for Civil Society in Durban, rechnet aber nicht mit Behinderungen für auswärtige Fans: "Während der WM wollen alle Südafrikaner perfekte Gastgeber sein und feiern." Allerdings befürchtet er, dass die Ausgaben für die WM zu Kürzungen bei den Sozialprogrammen führen werden und die ungleiche Wohlstandsverteilung sich so weiter verfestigt. Der Gewerkschaftsaktivist Eddie drückt es drastischer aus: "Der Sport-Industrielle-Komplex nutzt die WM, um Südafrika auszuplündern." Ein Sieger steht für ihn schon vor dem Anpfiff fest: Die Fédération Internationale de Football Association.


Projektstichwort:

medico international hat sich mit anderen deutschen Nichtregierungsorganisationen zusammengeschlossen, um unter dem Motto "Kick For One World" für eine gerechte Fußballweltmeisterschaft zu werben. In Kooperation mit Organisationen der Zivilgesellschaft in Südafrika setzen wir uns dafür ein, dass die FIFA-WM 2010 für die Menschen im südlichen Afrika eine Bereicherung wird - sowohl sozial als auch ökonomisch. Durch Veranstaltungen mit dem südafrikanischen Film "Fahrenheit 2010" möchten wir im Vorfeld der WM Informationen jenseits der Themen Gewalt, Sicherheit oder Tourismus vermitteln und dabei Stimmen aus der Region zu Wort kommen lassen. Zusätzlich unterstützen wir unseren Partner Khulumani in seinem Anliegen, den Hauptsponsor der deutschen Nationalmannschaft und internationalen Konzernriesen Daimler Benz zu bewegen, die Auftragsbücher über die Kooperation mit dem alten Apartheidregime offenzulegen, und die Opfer dieser profitablen Liaison angemessen zu entschädigen. Das Stichwort lautet: Südafrika.


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Quelle:
medico international - rundschreiben 01/10, Seite 30-34
Herausgeber: medico international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2010