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AFRIKA/776: Simbabwe - Zwischen Hoffen und Bangen (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 5, Oktober/November 2009

Zwischen Hoffen und Bangen

Von Dumisani F. Nengomasha


Am 15. September 2008 wurde das "Global Political Agreement" (GPA) zwischen den Parteien in Simbabwe unterzeichnet. Eine private Bestandsaufnahme ein Jahr nach der Bildung der Regierung der Nationalen Einheit aus lokaler Sicht.


Was hat sich also in diesem Jahr aus Sicht eines Bewohners Simbabwes verändert? Vor einem Jahr schrieb ich einen Artikel für eine deutsche Tageszeitung, aus Sicherheitsgründen unter diesem Pseudonym. Heute schreibe ich wieder, noch immer aus Sicherheitsgründen unter diesem Pseudonym. Vielleicht ist dies die treffendste Beschreibung der Situation: Es herrscht eine allgemeine Unsicherheit. In Simbabwe hofft und bangt man. Man hofft auf eine allgemeine, vor allem ökonomische Verbesserung, aber es wird immer noch als leichtsinnig angesehen, sich irgendwie auch nur im Ansatz politisch zu exponieren.

Dieser Artikel ist subjektiv. Er kann nicht anders sein, denn in Simbabwe fehlt weiterhin die Möglichkeit, Informationen wirklich zu verifizieren. Eine weitere traurige Wahrheit: Wir können nicht ausschließen, dass die Menschen außerhalb Simbabwes besser über das Land informiert sind als wir selbst. Nur weniges ist wirklich gesichert, ansonsten leben wir in einem Land der Gerüchte.

Die politische Lage in Simbabwe ist in der lokalen Wahrnehmung denkbar einfach: Mit dem Eintritt der beiden MDC-Fraktionen in die Regierung haben diese die Aufgabe übernommen, im westlichen Ausland als Bettler zu fungieren und für die Aufhebung der "targeted" oder "smart sanctions" (u.a. EU-Sprachgebrauch), der "sanctions" (MDC-Sprachgebrauch) oder "illegal sanctions" (Zanu-PF) zu bitten. Immerhin, mit dem Wort Sanktionen verbindet sich vielleicht die einzige Einigkeit in der "Regierung der nationalen Einigkeit".

Im Lande selbst bestimmt noch immer die Zanu-PF die politische Agenda unter offener Missachtung aller Vereinbarungen. Noch immer ist politische Gewalt in weiten Teilen des Landes gang und gebe. Noch immer verteilen Zanu-Granden Farmen oder andere Güter an persönliche Günstlinge, noch immer werden Farmen besetzt, um klare Verhältnisse zu schaffen oder zumindest Ansprüche geltend zu machen. Erschreckenderweise setzen sich diese Polarisierungen teilweise bis auf die Distriktebenen durch, wo zumindest früher Bekanntschaft und Verwandtschaft politische Differenzen milderten.

Können bestimmte Prozesse nicht mehr rückgängig gemacht werden, wie z.B. die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, so werden sie blockiert oder desorganisiert. Die Zanu-PF profitiert nun von den etablierten Verbindungen Partei-Staatsapparat-Staatsunternehmen. MDC-T(svangirai)-Mitgliedern auch abseits des populären Falls Bennett werden unter hanebüchenste Anklagen gestellt und erhalten vergleichsweise drakonische Urteile.

Die staatlichen Medien - der Rundfunk, das Fernsehen und die einzige Tageszeitung des Landes - sind längst nur noch Parteiorgane der Zanu-PF. Sie verbreiten genüsslich jedes von Gerichten gefällte Urteil gegen MDC-Funktionäre, mag es noch so nebensächlich sein - und lassen auch sonst kein gutes Haar an der Arbeit der MDC-T-Minister.


MDC-Dilemma: Erwartungsdruck

Die Simbabwerinnen und Simbabwer sind sich dieser Einseitigkeit natürlich bewusst. Berichte werden immer wieder häufig abfällig als "biased" abgetan. Doch die gebetsmühlenartigen Wiederholungen bleiben langfristig nicht ohne Wirkung. Sie werden mit den täglichen eigenen Erfahrungen kombiniert zu einem subjektiven Bilde.

Dies ist das Dilemma der MDC-Fraktionen: Ihre Arbeit wird von den heterogenen Anhängerschaften an den subjektiven Erwartungen gemessen. Und hier bestehen die großen Defizite: Noch immer werden Arbeiter und Angestellte vom Professor bis zur Krankenschwester unter- oder monatelang gar nicht bezahlt. Anwälte klagen noch immer über die gleichgetaktete Justiz, die Zivilgesellschaft über das verschleppte Tempo des Verfassungsprozesses. Für die Opfer der politischen Gewalt des letzten Jahres gibt es bis auf wenige, eindeutige Einzelfälle noch immer keine Anerkennung oder gar Entschädigung. Wie auch, es ist noch nicht mal ein Verfahren zur Anerkennung entwickelt worden.

Außer Lippenbekenntnissen ist nichts geschehen. Das neu eingerichtete Ministerium für Versöhnung bleibt ein Papiertiger, ein zahnloser zudem, wenn es seit Neuestem in erster Linie auffordert zu vergeben und zu vergessen. Der Antrag auf eine parlamentarische Untersuchungskommission zur politischen Gewalt des letzten Jahres wurde im Februar eingereicht und seitdem nicht einmal debattiert, geschweige denn bewilligt.

Der MDC-T reagiert auf diese Defizite mit der unregelmäßigen Publikation "Prime Minister". Auf vier bedruckten DIN-A3 Seiten wird hauptsächlich die - hier selbstverständlich immer herausragende - Arbeit der MDC-T-Minister dargestellt - und über die mangelnde Kooperation der Zanu-PF lamentiert.

Gerade dadurch vermittelt die frei verteilte Publikation einen hilflosen Eindruck, wenn immer wieder das Politische Abkommen von September 2008 zitiert wird und Beispiele seiner Ignorierung durch die Zanu-PF genannt werden. Ebenso hilflos wirkt die ständige Anrufung der SADC durch die MDC. Selbst die Anhänger dürften inzwischen wissen, dass seitens der SADC wohl kaum mehr als diplomatische Lippenbekenntnisse zu erwarten sein werden.

Wenn hier keine Rede von der MDC-M(utambara)-Fraktion ist, so ist dies einfach die tägliche Realität. Ihre Arbeit ist praktisch unbekannt. In Ausnahmefällen wird sie wahrgenommen, je nach Seite mal positiv, mal negativ. Im alltäglichen Leben ist sie jedoch kaum wahrnehmbar.


Fortschritte im Alltagskampf

Abseits der Politik sind Fortschritte sichtbar: In den Geschäften sind wieder Güter vorhanden, angeblich stieg die Anzahl der formell Beschäftigten von vier Prozent auf 16 Prozent der Bevölkerung. Dennoch bleibt es ein gefährlicher, geschenkter Aufschwung durch ausländische Geber: Vor einem Jahr reichten an den Zahltagen für staatliche Angestellte die Schlangen an den Banken bis zu 200 Metern auf die Straßen. An den anderen Tagen zumindest bis an die Türen. An den Schaltern für Ein- und Auszahlungen ratterten die wertlosen Scheine durch die Zählmaschinen, bevor der Kassierer jeden Schein noch einmal auf den aufgedruckten Wert überprüfte, als ob dies einen Sinn machte. Ohne mindestens eine Einkaufstasche oder einen Koffer brachte weder eine Einzahlung noch eine Auszahlung finanziellen Nutzen. Wer nur eine Nachfrage hatte, gelangte unbedrängt an die Information, die Schalter für Devisen waren geschlossen.

Mit der Abschaffung des ZimDollar begann die Phase der leeren Banken mit sich langweilenden Angestellten. Nunmehr sind die Schlangen bei den Devisenschaltern und bei der Information, wo die begehrten Formulare der "Western Union" für die Direktüberweisung der Verwandten aus dem Ausland liegen.

Die Gehälter für die Beamten und staatlichen Angestellten kommen nun von ausländischen Organisationen. Man munkelt, von den Vereinten Nationen, doch der durchschnittliche Simbabwer ist sich dessen nicht sicher - wozu auch, solange das Geld kommt, was aber durchaus nicht immer der Fall ist.

Und wenn es da ist, wird es schnell wieder von den noch immer praktisch parastaatlichen Monopolunternehmen ZEDC (Zimbabwe Electricity Distribution Company, die ehemalige ZESA - Zimbabwe Electricity Supply Authority - nannte sich um in Anerkennung der Umstände und der gängigen Übersetzung Zimbabwean Electricity Seldom Available); Telone (Telekommunikation) und ZINWA (Zimbabwe National Water Authority) abgenommen. Kaum jemand, der seine Rechnungen alle komplett zahlen könnte. Vielmehr zahlt man, was man kann - in der Hoffnung, dadurch nicht abgeschaltet zu werden. Doch selbst dies sind Luxusprobleme, von denen die Masse der Bevölkerung auf dem Lande ohne Strom, Wasser und Telefon nicht betroffen ist.

Der neue Warenkorb geht für eine seltene vierköpfige Familie in Harare von einem Bedarf von 600 US-Dollar pro Monat aus. Ein Arzt an einem staatlichen Krankenhaus erhielt die letzten zwei Monate ein Gehalt von 190 US-Dollar. Sollten einige Geber ihre Zusagen einhalten - was bisher nur vereinzelt der Fall war-, könnte er mit weiteren 550 US-Dollar rechnen.

Momentan kämpfen die meisten Familien, die Schulgebühren für die Kinder aufzubringen. In der Hoffnung, dass die Lehrer diesmal nicht wieder wegen ausstehender oder zu geringer Gehälter in den Streik treten werden. Die Universitäten starteten meist verspätet: Zu Beginn des Semesters vor wenigen Wochen waren häufig nur ein Drittel der Studierenden erschienen, die die Gebühren zahlen konnten. Doch dies war zu wenig, um die Hochschulen zu finanzieren.

Für die Masse der Bevölkerung insbesondere auf dem Lande hat sich somit wenig verändert. Wer nicht Verwandte im Ausland hat oder von ausländischen Geldgebern profitiert, kämpft weiterhin ums Überleben. Die Hauptsorgen sind einfach zusammenzufassen: Schulgebühren, Saatgut und Dünger. In wenigen Wochen wird vermutlich wieder der Hunger dazukommen: Trotz einer guten Regenzeit ist mangels Saatgut und Dünger die Ernte erneut weit unter Bedarf geblieben.

Da bleibt für Politik zunächst wenig Zeit. Der Wunsch der Masse der Bevölkerung ist einfach ein Zurück zu einem halbwegs normalen Leben. Politisches Engagement mit seinen eventuell aktiven oder passiven gewaltsamen Folgen wird als Bedrohung gesehen. Die Erfahrungen des letzten Jahres sind nicht vergessen, Jede Aufarbeitung wäre politisch und birgt daher aus der Sicht der Mehrheit die Gefahr neuer Gewalt mit sich. Von wenigen Aktivisten abgesehen, breitet sich ein Mantel des Schweigens über die Erfahrungen des letzten Jahres aus. Erlebnisse sind längst zu Anekdoten geworden, wenn diskutiert wird, ob die politischen "Umerziehungstreffen" des letzten Jahres angenehmer bei Tag oder bei Nacht waren.

Es hat ein gefährlicher Prozess der gemütlichen Einrichtung in die jetzigen Umstände begonnen. Und jede langfristige Handlung einer Person trägt momentan den Charakter einer Investition in die Perpetuierung dieser Situation.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
38. Jahrgang, Nr. 5, Oktober/November 2009, S. 15-16
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2010