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AFRIKA/1177: Mali - Nach dem Krieg den Frieden sichern, schwieriges Unterfangen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. März 2013

Mali: Nach dem Krieg den Frieden sichern - Schwieriges Unterfangen

von Marc-André Boisvert


Bild: © Marc-André Boisvert/IPS

Zwei Tuareg-Mädchen im Goudebo-Flüchtlingslager in Burkina Faso
Bild: © Marc-André Boisvert/IPS

Ouagadougou, Burkina Faso, 13. März (IPS) - Im Norden Malis sichern die Armee und ihre ausländischen Verbündeten eine Stadt nach der anderen. Doch wie es nach dem Ende des Krieges weitergehen soll, ist unklar. Strategien, um die politische Krise zu lösen, die zum Militärputsch vor einem Jahr führte, sind nicht in Sicht.

"Um die Befehlsgewalt über ganz Mali wiederzuerlangen, braucht die Regierung die Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad (des Nordens). Wir befinden uns seit 52 Jahren im Krieg. Und wir werden weitermachen, bis sich die Lebensbedingungen unseres Volkes verbessert haben", sagt Ibrahim ag Mohamed Assaleh von der MNLA, wie die Separatistenorganisation abgekürzt wird.

Im Januar 2012 hatte die MNLA einen Militärstützpunkt in Menaka in der malischen Region Gao angegriffen und das Ende der Marginalisierung der Nomadenvölker in Azawad gefordert. Im März des gleichen Jahres übernahm sie die Kontrolle über den Norden Malis. Kurz darauf wurde die MNLA jedoch von einer Koalition aus militanten Islamisten bestehend aus der Al-Qaeda im islamischen Maghreb, 'Ansar Dine' und der Bewegung für Einheit und Jihad in Westafrika abgedrängt.

"Die Intervention von Frankreich und der internationalen Gemeinschaft im letzten Januar kam den Menschen in Azawad durchaus gelegen, solange sie auf die Bekämpfung der Terroristen abzielte, gegen die wir viele Monate gekämpft haben", berichtete Assaleh im IPS-Exklusivinterview in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso.


MNLA plant Wahlboykott

Am 29. Januar kündigte Malis Interimspräsident Dioncounda Traoré den Fahrplan für den Übergang an. Danach sollen bis spätestens Ende Juli Wahlen stattfinden. Doch die MNLA kritisiert, dass sie nicht gefragt worden sei und deshalb an dem Urnengang auch nicht teilnehmen werde. "Sie können Wahlen organisieren, wo immer sie wollen. Doch nicht auf unserem Land. Denn wir wurden nicht zu Rate gezogen", kritisiert Assaleh, Teil des Teams, das mit der malischen Regierung verhandelt.

Im August 2012 waren unter Vermittlung des Präsidenten von Burkina Faso, Blaise Compaoré, Gespräche zwischen der malischen Regierung, der MNLA und der Islamistengruppe Ansar Dine zustande gekommen. "Doch die Verhandlungen kommen seit der französischen Intervention nur mühsam voran", berichtet ein Mitglied des burkinischen Vermittlungsteams, das sich Anonymität ausbat. Die Regierung in Bamako sieht sich aufgrund der UN-Resolution 2085 gezwungen, mit den nicht terroristischen Gruppen zu verhandeln.

Yvan Guichaoua, Experte für bewaffnete Gruppen und Dozent an der britischen University of East Anglia, macht für das gegenwärtige Chaos sowohl den Norden als auch den Süden Malis verantwortlich. "Das Problem besteht darin, dass die Behörden in Bamako keinerlei Bereitschaft zeigen, mit der MNLA zu verhandeln", moniert er. "Der Gruppierung wird vorgeworfen, das derzeitige Chaos angerichtet zu haben. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Mali wird seit seiner Unabhängigkeit von Aufständen heimgesucht."

Nach Ansicht von Roland Marchal, Konfliktexperte am Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung am Pariser Institut für politische Studien (Sciences-Po), hält einen politischen Kompromiss zwischen malischer Regierung, der MNLA und Ansar Dine für keine geeignete Lösung zur Sicherung des malischen Nordens.

"Zunächst einmal könnte es gut sein, dass sich die Bevölkerung im Norden von der MNLA nicht vertreten fühlt", erläutert er. Aus diesem Grund wäre eine Nationale Konferenz, die viele Akteure mit tiefen politischen, sozialen, religiösen und kulturellen Wurzeln zusammenschließt, seiner Meinung nach die bessere Lösung, um ein nachhaltiges Abkommen zu stiften.

"Wir brauchen einen neuen sozialen Vertrag, der eine Art Amnestie ebenso vorsieht wie Gerechtigkeit. Die Entscheidung sollte den Maliern selbst überlassen werden und nicht der internationalen Gemeinschaft oder dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC)", so Marchal in Anspielung auf Menschenrechtsverletzungen, die allen Kriegsparteien zur Last gelegt werden.


Menschenrechtsverletzungen auf allen Seiten

Etliche Menschenrechtsorganisationen haben willkürliche Hinrichtungen von Tuaregs durch die Armee dokumentiert. Die Vorwürfe zwangen den Oberbefehlshaber General Ibrahima Dahirou Dembele die mutmaßlichen Täter von der Front abzuberufen.

'Human Rights Watch' wiederum macht die MNLA für Exekutionen, Plünderungen und Vergewaltigungen im Verlauf eines Anschlags auf das Militärlager Aguelhok im Norden Malis im vergangenen Jahr verantwortlich. Nach Angaben der malischen Regierung und der Internationalen Menschenrechtsliga nahm die MNLA damals an die 153 malische Soldaten gefangen und exekutierte sie.

Die Schwere der Anschuldigung hat den ICC zu einer Untersuchung und die malische Regierung zur Ausgabe von Haftbefehlen gegen 26 Personen einschließlich Assaleh veranlasst. Bisher wurden vier MNLA-Mitglieder festgenommen. "Die Haftbefehle sind gegenstandslos", betont hingegen Assaleh. "Die Massaker in Aguelhok im Januar 2012 wurden nicht von MNLA-Kämpfern begangen. Wir verlangen eine unabhängige Untersuchung und wären auch bereit, mit dem ICC zu kooperieren."

Was den politischen Fahrplan der Regierung angeht, bleibt der Tuareg-Kämpfer skeptisch. "Wir haben in der Vergangenheit so viele Abkommen unterzeichnet. Nun müsse sie endlich umgesetzt werden. Wir brauchen eine definitive Lösung der Probleme in Azawad." Wie er beklagt, hat sich seit dem Militärputsch nichts geändert. Die Netzwerke des gestürzten malischen Präsidenten Amadou Toumani Touré seien immer noch sehr mächtig und wollten die Kontrolle zurück.

Nach Angaben von Assaleh vertritt die MNLA in Mali die Interessen von 90 Prozent aller Tuareg, 40 Prozent aller Fulani und 30 Prozent aller Araber im Norden des Landes. "Wir haben auch als Minderheit legitime historische Forderungen. Azawad ist unser Land", betont er. Alle Tuareg seien eingeladen worden, sich der MNLA anzuschließen.


"Für viele ist die MNLA eine Gruppe von Gangstern"

Doch den Anspruch der MNLA, die überwiegende Mehrheit aller Tuaregs im Norden Malis zu vertreten, weist Guichaoua als unrealistisch zurück. Die Gruppe repräsentiere eine kleine Minderheit - weitgehend die Tuareg-Völker Idnan und Chamanamas, wie er sagt. Marchal ist der gleichen Meinung. "Für viele ist die MNLA eine Gruppe von Gangstern."

Die MNLA konnte inzwischen mit Hilfe der französischen und tschadischen Armee ihre Hochburg Kidal sichern. Wie Assaleh erklärt, ist die malische Armee gar nicht in der Lage, die Menschen vor Ort zu schützen, vielmehr würde ihre Präsenz zu einer noch größeren Repression der lokalen Bevölkerung führen.

Doch Guichaoua zufolge ist der Aufbau einer legitimen politischen Vertretung von innen heraus eine nachhaltige Präventivmaßnahme gegen weitere Rebellionen. "Das ist die Herausforderung, die von uns liegt." (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.mnlamov.net/
http://www.ipsnews.net/2013/03/war-over-now-to-secure-peace/

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IPS-Tagesdienst vom 13. März 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2013