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AFRIKA/1133: Äthiopien - Tod des Ministerpräsidenten bietet Chance für nationale Versöhnung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. August 2012

Äthiopien: Tod des Ministerpräsidenten bietet Chance für nationale Versöhnung

von Carey L. Biron und Karina Böckmann



Washington, Berlin, 23. August (IPS) - Nach dem Tod des äthiopischen Langzeit-Ministerpräsidenten Zenawi sprechen Vertreter der äthiopischen Zivilgesellschaft und internationale Menschenrechtsorganisationen von einer Chance für das Land, den seit Jahrzehnten zunehmenden Sektarianismus zu überwinden.

"Meles' Tod bietet die Gelegenheit zum Frieden in Äthiopien. Das heißt, dass dieser Übergang nicht nach dem Prinzip 'business as usual' erfolgen sollte", meint der prominente äthiopische Wirtschaftsprofessor Getachew Begashaw, der am Harper College in den USA unterrichtet. "Dieser Prozess muss das Land auf nationalen Versöhnungskurs bringen."

Der Exil-Äthiopier befürchtet, dass eine verpasste Gelegenheit an diesem kritischen Punkt zu einem Scheitern des äthiopischen Staates führen könnte. "Sobald die Situation in Gewalt umschlägt, wird es extrem schwierig sein, das Ruder herumzureißen. Dann haben wir ein zweites Somalia." Ein verfehlter äthiopischer Staat hätte verheerende Folgen für die gesamte Region.

Der Tod von Zenawi, der aufgrund eines Krebsleidens Monate lang von der politischen Bühne verschwunden war, wird Experten zufolge tiefe nationale und internationale Folgen haben. Zenawi und seine Volksbefreiungsfront von Tigray, die beherrschende Kraft der in Äthiopien regierenden Koalition Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker (EPRDF), hatten zwar nach der Machtübernahme vor 21 Jahren Freiheit, Demokratie und ethnische Dezentralisierung versprochen. Tatsächlich jedoch unterdrückten sie sämtliche politische, soziale, ethnische und religiöse Freiheiten.

"In den letzten Jahren verließ sich Meles auf noch mehr Repression, um den wachsenden Dissens abzuwürgen", bilanziert das renommierte Konfliktforschungsinstitut 'International Crisis Group' (ICG) die langjährige Herrschaft des verstorbenen Machthabers.

"Meles Zenawis gesamte Politik diente kurzfristigen Interessen. Das war gut für ihn, aber nicht gut für sein Land", meint Obang Metho, Exekutivdirektor der Solidaritätsbewegung für ein Neues Äthiopien mit Sitz in Washington. "Heute sind die ethnischen Gräben in Äthiopien tiefer denn je, und das ist seine Schuld."


Marionette der USA

Wie Metho weiter erklärt, hätten die USA Meles Zenawi als Marionette benutzt und alles auf eine Karte gesetzt, die es nun aber nicht mehr gebe. "Es ist also Zeit für einen neuen Plan, der endlich das äthiopische Volk unterstützt und den gemeinsamen Interessen dient."

Metho zufolge kommt den USA aufgrund der langen und durchaus umstrittenen Beziehung zum Zenawi-Regime in der Übergangszeit bis zu den Wahlen 2015 eine besondere Rolle zu. Washington stellte Addis Abeba - vor allem seit Beginn seines Anti-Terrorismus-Krieges - umfangreiche Militär- und Entwicklungshilfen bereit. Die USA wiederum verfügen über eine Militärbasis auf äthiopischen Boden, von der aus US-amerikanische Drohnen starten.

"Die USA sollten die Gelegenheit ergreifen, ihre Beziehungen zu Äthiopien abzugleichen und zur Bildung starker und rechenschaftspflichtiger Institutionen und zu Rechtstaatlichkeit beizutragen", heißt es in einer Mitteilung von 'Amnesty International', die in ihrer Stellungnahme zum Tod des äthiopischen Machthabers mit der Zenawi-Herrschaft besonders hart ins Gericht ging.

"Seine Regierung hat kritische Stimmen mundtot gemacht, die unabhängigen Medien ausgeschaltet, Menschenrechtsorganisationen unterdrückt und die politische Opposition stranguliert", schreibt Amnesty. "Äthiopiens Gefängnisse sind bis oben voll mit vermeintlichen politischen Gegnern - von städtischen Intellektuellen bis ländlichen Bauern. Folter und Misshandlungen waren die Normalität. Staatliche Ressourcen, Hilfe und Möglichkeiten wurden weitgehend dazu verwendet, um die Bevölkerung zu kontrollieren. Zehntausende Äthiopier sahen sich unter seiner Herrschaft gezwungen, das Land zu verlassen."

Auch der von Zenawi gepriesene Wirtschaftsaufschwung wird von vielen im Lande kritisch bewertet, hat die breite Bevölkerung nicht profitiert. Stattdessen blieb ein Großteil des Wohlstands in den Händen der Regierungspartei und insbesondere der Volksgruppe der Tigray, der Zenawi angehörte. Andere Ethnien wurden enteignet, vertrieben und unterdrückt.


Westen soll Wandel unterstützen

Der ICG zufolge sollten USA, Großbritannien und die EU bei der Vorbereitung und Gestaltung des von Zenawis Vize Hailemariam Desalegn geführten Übergangsprozesses eine besondere Rolle spielen und insbesondere die Kapazitäten innerhalb der politischen Opposition stärken. Die Vereidigung des neuen Regierungschefs in Addis Abeba wurde zunächst verschoben.

Ebenso wichtig seien Maßnahmen, die den zivilgesellschaftlichen Akteuren erlaubten, am politischen Leben Äthiopiens teilzunehmen, betont Begashaw. Die USA sollten ihren Beitrag zu einer politischen Öffnung, einer Freilassung der politischen Gefangenen und der Entkriminalisierung kritischer Nichtregierungsorganisationen leisten. "Wir werden nur Frieden haben, wenn wir allen friedlich gesinnten Akteuren entgegenkommen."

"Wir müssen dafür sorgen, dass die regierende Minderheit erkennt, dass ein neues Kapitel angebrochen ist, vor dem sie keine Angst haben muss. Das alte System muss niedergerissen werden, doch kann sie Teil des neuen Prozesses sein", sagt Metho. "'Wenn du schneller vorankommen willst, geh allein, doch wenn du weiterkommen willst, geh mit anderen'. So lautet ein altes Sprichwort. Nun ist es an der Zeit, sich mit allen Äthiopiern auf den Weg zu machen." (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.crisisgroup.org/~/media/Files/africa/horn-of-africa/ethiopia-eritrea/b089-ethiopia-after-
http://www.amnesty.org.uk/news_details.asp?NewsID=20291
http://www.ipsnews.net/2012/08/death-of-ethiopian-leader--brings-opportunity-for-peace/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 23. August 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2012