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AFRIKA/1113: Mali - Der Ministerpräsident regiert, die Junta herrscht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. April 2012

Mali: Der Ministerpräsident regiert, die Junta herrscht

von Soumaila T. Diarra



Bamako, 20. April (IPS) - In Mali nimmt die Übergangsregierung nach dem Staatsstreich vom 22. März allmählich Formen an. So verfügt das westafrikanische Land inzwischen über einen Interimspräsidenten und einen Regierungschef. Doch die fortgesetzten Festnahmen lassen Zweifel an der Bereitschaft der Putschisten aufkommen, die Macht tatsächlich abzugeben.

Dioncounda Traoré ist seit 12. April im Amt. Der Mathematiker und ehemalige Parlamentspräsident bestimmte fünf Tage später Cheick Modibo Diarra per Dekret zum neuen Regierungschef. Während Traoré auf eine langjährige politische Laufbahn zurückblicken kann, ist der Astrophysiker Diarra, ein ehemaliger Mitarbeiter der US-Raumfahrtbehörde NASA und früherer Leiter des Microsoft-Afrika-Büros, ein Neuling im politischen Geschäft. Er gründete im letzten Jahr die Partei 'Versammlung für die Entwicklung Malis' (RPDM), für die er eigentlich Ende des Monats als Präsidentschaftskandidat an den Start gehen wollte.

Doch den Wahlen sind der Aufstand der Islamisten und Tuareg-Rebellen im Norden des Landes und der Sturz des damaligen Staatspräsidenten Amadou Toumani Touré in die Quere gekommen. Touré hat sich inzwischen mit seiner Familie nach Senegal abgesetzt. Einem Abkommen mit der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (ECOWAS) vom 6. April zufolge sind die Putschisten bereit, die Macht an eine Zivilregierung abzutreten.

Die Unzufriedenheit inner- und außerhalb der Armee mit der Reaktion der Touré-Administration auf den Januar-Aufstand von Rebellen der Nationalen Bewegung für die Befreiung von Azawad (MNLA) hatte dem Putsch erst Vorschub geleistet. Der Norden einschließlich der drei größeren Städte Gao, Kidal und Timbuktu befindet sich komplett in der Hand der MNLA, der größten, nach Unabhängigkeit strebenden Tuareg-Rebellengruppe, und der Islamisten, die in einem vereinigten Mali das islamische Recht einführen wollen.


Neuerliche Festnahmen

Dass Diarra zum neuen Ministerpräsidenten ernannt wurde, hält die Junta unter Leitung von Hauptmann Amadou Sanogo nicht davon ab, mit der Verhaftung ehemaliger Mitglieder der gestürzten Regierung und Militärs fortzufahren.

So wurden der frühere Regierungschef Modibo Sidibé, der Generaldirektor der Malischen Solidaritätsbank Bablay Ba, der ehemalige Verteidigungsminister General Sadio Gassama, der einstige Armeestabschef Hamidou Sissoko und der nationale Polizeikommissar Mahamadou Diagouraga festgenommen. Die Häftlinge werden in der Kati-Militär-Kaserne 15 Kilometer außerhalb der Hauptstadt Bamako festgehalten. Auch Kassoum Tapo und Tiéman Coulibaly, zwei führende Mitglieder der zivilen Bewegung gegen den Putsch, befinden sich in der Gewalt der Militärs.

"Wir begrüßen zwar die Rückkehr zur konstitutionellen Normalität, weisen aber darauf hin, dass sich noch zahlreiche Personen in Haft befinden", meinte der Anwalt Hamidou Diabaté im IPS-Gespräch. "Wir verstehen nicht den Sinn dieser Festnahmen. Die Entscheidung, jemanden zu verhaften, sollte der Justiz überlassen werden." Diabaté ist Mitglied der 'Front zur Rettung der Demokratie und der Republik', einer Gruppe, die sich explizit gegen den Coup ausgesprochen hat.

"Erst jetzt erkennen wir das wahre Gesicht von Hauptmann Sanogo", sagte Ousmane Maiga, ein Mitglied des Jugendflügels der Union für die Republik und die Demokratie, deren Parteiführer Soumaila Cissé ebenfalls in Haft sitzt. "Sanogo geht es darum, an der Macht zu bleiben."

Doch die Aktivitäten der Junta stoßen nicht nur auf Ablehnung. So erklärte Hamadoun Amion Guindo, Präsident der Gewerkschaft CSTM, gegenüber IPS, dass die Soldaten das, was sie begonnen hätten, auch zu Ende bringen sollten.

Viele Gewerkschaftler, Politiker und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, die der 'Malischen Koordinationsstelle patriotischer Organisationen' angehören, sind der Ansicht, dass das Abkommen zwischen der Junta und der ECOWAS dem Interimspräsidenten ohnehin nur eine Amtszeit von 40 Tagen beschert. "In diesem Zeitrahmen müssen sich beide Seiten auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigen, der Dioncounda Traoré ins Amt folgt", so Guindo.


Putschisten bei armen Bevölkerungsgruppen beliebt

In Bamako ist der Rückhalt für die Junta besonders groß, vor allem in den armen Vierteln. So erklärte Fanta Sissoko, Bewohnerin des Stadtteils Medina Coura: "Sollten sich die Soldaten komplett zurückziehen, könnten unsere Politiker mit ihren korrupten Machenschaften fortfahren. Wir brauchen neue politische Führer, die das Land nach vorne bringen."

Fest steht, dass es neue Premierminister schwer haben wird, die Krise zu meistern. Seit seiner Vereidigung hat er allerdings schon Kontakte zu verschiedenen Rebellenfraktionen aufgenommen. Etwa 200 Soldaten, die von 'Ansar Dine', der führenden Islamistengruppe im Norden, festgenommen wurden, sind wieder frei. (Ende/IPS/kb/2012)

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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2012