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GESUNDHEIT/940: Zusammenhalt und Solidarität in der Pflege - Eigenanteile der Pflegebedürftigen begrenzen


SPD-Pressemitteilung vom 8. April 2019

Zusammenhalt und Solidarität in der Pflege: Eigenanteile der Pflegebedürftigen begrenzen


Der SPD-Parteivorstand hat auf seiner heutigen Sitzung einstimmig folgenden Beschluss gefasst:

Vorbemerkung

Mit dem Beschluss des Parteivorstandes "Arbeit - Solidarität - Menschlichkeit: ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit" haben wir Grundpfeiler des Sozialstaats neu bestimmt. Dazu gehören:

  • Der Sozialstaat soll das Leben der Menschen leichter und sicherer machen.
  • Der Sozialstaat muss die Würde des Einzelnen achten.
  • Der Sozialstaat muss Abstiegsängsten entgegenwirken.
  • Er schafft es, alle angemessen an seiner Finanzierung zu beteiligen.
  • Er sorgt für mehr Zusammenhalt und Solidarität.

Für uns bedeutet dies auch ein klares Bekenntnis zum Wert der Arbeit. Dazu gehört insbesondere die stärkere Anerkennung und Aufwertung der Berufe in der Pflege. Die Beschäftigten in der Pflege verdienen für ihre Arbeit unseren Respekt und gute wertschätzende Löhne.

Ein weiterer Schritt voran: Pflege in Deutschland stärken

Mit ersten Vorschlägen für eine solidarische Weiterentwicklung der Pflege setzen wir die Reihe von Reformvorschlägen zum "Sozialstaat für eine neue Zeit" fort. Gerade in der Pflege muss der Sozialstaat Partner sein und Sicherheit geben, dort wo die Menschen mit Sorge auf ein großes Lebensrisiko blicken.

An dieser Stelle geht es um höhere Löhne in der Pflege und die Begrenzung der Eigenanteile der Pflegebedürftigen. Wir wollen dabei nicht stehen bleiben, sondern diesen Vorschlägen in diesem Jahr weitere Schritte folgen lassen, die Pflegeberufe weiter zu stärken und die Leistungen in der Pflege vor allem für Familien, in der Nachbarschaft und in Kommunen zu verbessern.

Derzeit sind rund 3,5 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig; 2,6 Millionen werden ambulant versorgt. Bei mehr als drei Viertel der Pflegebedürftigen geschieht dies zu Hause. Sie und ihre Familien entscheiden sich dafür meistens ganz bewusst. Rund 2,3 Mio. Menschen pflegen ihre Angehörigen; 70% davon sind Frauen. Diese Menschen sind häufig in schwierigen und aufreibenden Situationen zwischen Beruf, Familie und Pflege.

Aktuell sind gut 1,15 Mio. Personen bei ambulanten Pflegediensten und in Pflegeheimen beschäftigt. Mehr als 85 % davon sind Frauen, etwa 72%, sind teilzeitbeschäftigt. Rund 30.000 Stellen sind nicht besetzt. Wir haben gut 68.000 Schülerinnen und Schüler in der Altenpflegeausbildung.

In den vergangenen Jahren haben wir die Leistungen der Pflegeversicherung, insbesondere für Menschen mit Demenz und für ihre Angehörigen deutlich verbessert. Vor allem ist der Personenkreis größer geworden, der auf Leistungen der Pflegeversicherung vertrauen kann. Zugleich erhalten die Menschen früher Leistungen aus der Pflegeversicherung und können länger zu Hause bleiben. Wer in eine stationäre Einrichtung aufgenommen wird, bleibt dort im Durchschnitt kürzer, aber mit größerem Pflegebedarf.

In seiner jetzigen Struktur kann das Pflegewesen die Herausforderungen, die auf uns zukommen, nicht mehr ausreichend bewältigen, wenn die Zahl der Hochaltrigen und der Pflegebedürftigen steigt. Wir müssen deshalb neue Wege gehen, damit die Menschen die Hilfe bekommen, die sie brauchen. Die finanziellen Lasten müssen stärker gemeinsam getragen werden. Arbeit in der Pflege muss endlich Wert und Wertschätzung erfahren.

Unser Schwerpunkt: Wir wollen bessere Qualität, bessere
Arbeitsbedingungen und bessere Löhne in der Pflege

Die Bezahlung in der Pflege ist wirklich ungerecht. Nach wie vor ziehen private Anbieter starke Rendite aus den ambulanten und stationären Einrichtungen der Pflege. Beschäftigte in der Altenpflege sind durch eine mehrjährige, anspruchsvolle Ausbildung hoch qualifiziert; sie haben einen Beruf, der geistig und körperlich fordernd ist. Sie tragen viel Verantwortung für das Wohlergehen von Menschen. Aber ihr Einkommen liegt unter dem Durchschnittslohn für eine Vollzeitbeschäftigung in Deutschland.

Ein Grund für die großen Gehaltsunterschiede sind fehlende Tarifverträge. Besonders niedrig ist die Bezahlung im Bereich der ambulanten Altenpflege, wo besonders selten nach Tarif gezahlt wird.

Mit dem Sofortprogramm Pflege haben wir den ersten Schritt gemacht, in Alten- und Pflegeheimen mehr Zeit für die Bewohnerinnen und Bewohner zu gewinnen.

Wir werden künftig deutlich mehr Pflegepersonal und eine bedarfsgerechte Personalbemessung brauchen, wenn wir in Zukunft eine hochwertige und würdevolle pflegerische Versorgung sicherstellen wollen.

Wir wollen für die steigende Zahl von Hochaltrigen und Pflegebedürftigen gerüstet sein und zugleich die Berufe in der Pflege nachhaltig aufwerten. Dazu müssen wir für die Pflege vor allem bessere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen. Daran arbeiten Hubertus Heil und Franziska Giffey in der Konzertierten Aktion Pflege. Dort werden gemeinsam mit allen Akteuren der Pflege Maßnahmen verabredet, die Arbeitsbedingungen von beruflich Pflegenden spürbar zu verbessern, die Ausbildung in der Pflege attraktiver zu machen und vor allem bessere Wertschätzung und Bezahlung in der Pflege umzusetzen. Die Reform der Pflegeausbildung, mit der wir zum 1.1.2020 endlich bundesweit das Schulgeld abgeschafft und eine Ausbildungsvergütung eingeführt haben, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Mit der im Januar 2019 gestarteten "Ausbildungsoffensive Pflege" wollen wir mehr Ausbildungsplätze schaffen und mehr Menschen für die Pflegeberufe gewinnen.

Denn Pflegeberufe werden nur attraktiver, wenn sie besser bezahlt und die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Dazu zählt an erster Stelle, dass es für Arbeit in der Pflege einen Tarifvertrag gibt, der für alle gilt. Denn der aktuell gültige Pflegemindestlohn von 11,05 Euro (West) und 10,55 Euro (Ost) ist zu niedrig, differenziert nicht zwischen verschiedenen Qualifikationsstufen und kann daher nur als absolute Lohnuntergrenze gelten.

Wir unterstützen alle Anstrengungen, gemeinsam mit den Sozialpartnern tarifliche Mindestbedingungen für alle in der Pflege Beschäftigten zu erreichen. Es ist ein gutes Signal, dass freigemeinnützige Träger und kirchliche Träger der Altenpflege gemeinsam mit der Politik und den Gewerkschaften einen Weg zu angemessene Lohnbedingungen in der Pflege finden. Dafür soll im SGB XI eine Regelung geschaffen werden, die die Refinanzierung von Pflegeleistungen an die Geltung von Tarifverträgen bindet. Wer sich nicht an Tarifverträge hält, kann kein Geld aus der gesetzlichen Pflegeversicherung erwarten. Nur ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag sichert der Arbeit in der Pflege ihren angemessenen Wert. Zudem setzen wir uns für eine Angleichung der Löhne zwischen Ost und West ein. 30 Jahre nach der Deutschen Einheit wollen wir keine unterschiedlichen Löhne in Ost und West. Daher muss der Pflegemindestlohn schneller angeglichen und erhöht werden. Wir setzen darauf, dass die Konzertierte Aktion Pflege ein Erfolg wird.

Eigenanteile der Pflegebedürftigen begrenzen

Mehr Personal, bessere Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen in der Pflege bedeuten, dass wir mehr Geld für eine bessere Pflege brauchen. Die Pflege muss in Zukunft anders und stärker solidarisch finanziert werden. Wir brauchen mehr Pflegepersonal und bessere Leistungen. Aber höhere Kosten dürfen nicht zu Lasten der Pflegebedürftigen und ihrer Familien gehen, weil deren Eigenanteil ständig wächst.

Pflegebedürftige und ihre Angehörigen können ihren Eigenanteil für pflegebedingte Kosten nicht beeinflussen. Pflegebedürftigkeit ist mit einem hohen Risiko verbunden, am Ende des Lebens Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Derzeit beziehen in Deutschland rd. 37 % der Bewohnerinnen und Bewohner stationärer Pflegeeinrichtungen Hilfe zur Pflege als Leistung der Sozialhilfe.

Die Eigenanteile zu den eigentlichen Pflegekosten im Pflegeheim sind regional sehr unterschiedlich und liegen derzeit deutschlandweit durchschnittlich bei 618 Euro monatlich. Bisher gilt, dass die Höhe des Eigenanteils nach oben offen ist und der von der Pflegeversicherung finanzierte Anteil festgelegt ist. Betroffene müssten befürchten, bedürftig zu werden, wenn ihre Ersparnisse aufgebraucht sind.

Wir wollen einen grundlegenden Wechsel einleiten: Nicht die Leistungen der Pflegeversicherung werden begrenzt, sondern die Eigenanteile der Pflegebedürftigen. Zukünftige Kostensteigerungen werden solidarisch über einen Mix aus moderat steigenden Beiträgen und einem dynamischen Bundeszuschuss finanziert. Die Länderinitiative im Bundesrat setzt hier das richtige Signal.

Um die Begrenzung der Eigenanteile der Pflegebedürftigen zu finanzieren, wollen wir mit folgenden Maßnahmen die solidarische Finanzierung stärken:

Erstens: Pflege, die nur aus medizinischen Gründen erfolgt, soll künftig von der Krankenversicherung bezahlt werden. Im Gegenzug soll die Pflegeversicherung mehr tun, um Pflegebedürftigkeit überhaupt zu vermeiden.

Zweitens: Wir wollen, dass die Rücklagen der privaten Pflegeversicherung von rund 35 Mrd. Euro in dem Umfang für die solidarische Finanzierung einer besseren Pflege herangezogen werden, der verfassungsrechtlich möglich ist. Gesetzliche und private Pflegeversicherung decken den gleichen Leistungsumfang ab. Wir wollen das Nebeneinander beider Versicherungsformen überwinden. Ziel muss es sein, alle Menschen auf die gleiche Weise in einer Bürgerversicherung für die Pflege zu versichern und an der solidarischen Finanzierung zu beteiligen.

Drittens soll die Pflegeversicherung mit einem Steuerzuschuss an den Ausgleichsfonds zusätzlich finanziert werden, um etwa die beitragsfreie Mitversicherung von Familienangehörigen oder die Beitragsleistungen an die Rentenversicherung mitzufinanzieren.

Viertens sind auch moderate Erhöhungen des einkommensbezogenen Pflegeversicherungsbeitrags sinnvoll und gerechtfertigt, um das Mehr an besserer Pflege solidarisch zu finanzieren.

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Quelle:
SPD-Pressemitteilung vom 8. April 2019
Herausgeber: SPD Parteivorstand, Pressestelle
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Tel.: 030/25 991-300, Fax: 030/25 991-507
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Internet: www.spd.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2019

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