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FINANZEN/1416: Braunschweiger Erklärung für mehr Steuergerechtigkeit


SPD-Pressemitteilung 014/13 vom 14. Januar 2013

Braunschweiger Erklärung für mehr Steuergerechtigkeit



Die SPD-Spitze und das Präsidium der niedersächsischen SPD haben heute in Braunschweig folgende gemeinsam von Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel und Stephan Weil vorgelegte Erklärung verabschiedet:

Eine gerechte und faire Finanzierung des Gemeinwesens ist eine wesentliche Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit, gleiche Teilhabechancen und einen handlungsfähigen Staat. Steuergerechtigkeit heißt, dass die Besteuerung nach Leistungsfähigkeit erfolgt und dass starke Schultern mehr tragen als schwache. Steuerehrlichkeit stellt sicher, dass dieses Prinzip für alle gilt. Deshalb ist Steuerbetrug kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat, die das Vertrauen in den Rechtsstaat untergräbt und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gefährdet.

Vom Staat geduldeter Steuerbetrug verletzt das Gerechtigkeitsgefühl vieler Menschen, weil sie den Eindruck haben, dass der Ehrliche der Dumme ist. Wer Steuern hinterzieht, lebt auf Kosten seiner Mitbürger. Denn sie sind es, die mit ihren Steuern die öffentlichen Aufgaben finanzieren, von denen alle profitieren. Können wichtige öffentliche Leistungen wie Bildung, Infrastruktur oder die sozialen Sicherungssysteme nicht mehr solide finanziert werden, müssen alle Bürgerinnen und Bürger die Folgen tragen. Steuerbetrug schwächt das Ordnungsmodell der sozialen Marktwirtschaft.

Nach seriösen Schätzungen entgehen den öffentlichen Haushalten in Deutschland jährlich bis zu 150 Milliarden Euro durch Steuerbetrug. Das sind 16 Prozent der gesamten Steuereinnahmen. In ganz Europa belaufen sich die Steuerausfälle durch illegale Praktiken auf bis zu 850 Milliarden Euro. Das entspricht sogar annähernd einem Viertel der Steuereinnahmen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Finanznot einiger europäischer Staaten und der damit verbundenen sozialen Spaltung Europas wirken diese Zahlen geradezu grotesk.


Bilanz der Regierung Merkel: Lobby- und Klientelpolitik statt Steuergerechtigkeit

Die Regierung Merkel hat beim Kampf gegen Steuerbetrug versagt. Die schwarz-gelbe Koalition folgt dem Muster der Klientelpolitik. Ungerechte Steuerprivilegien, teure Begünstigungen und windelweiche Regelungen bei Steuervergehen prägen das Handeln dieser Regierung:

- Die Regierung Merkel hat gleich nach ihrem Amtsantritt die von der SPD im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 durchgesetzten Maßnahmen gegen missbräuchliche Verlustverrechnungsmodelle und Gewinnverlagerungen ins Ausland wieder aufgeweicht.

- Die Regierung Merkel hat ein Steuerabkommen mit der Schweiz ohne Beteiligung der Bundesländer ausgehandelt, das im Ergebnis Steuerhinterzieher begünstigt hätte: Die Täter wären straffrei und anonym geblieben. Gleichzeitig hätte das Abkommen nicht sicher gestellt, dass Steuerbetrug über Schweizer Banken zukünftig nicht mehr möglich gewesen wäre. Es ist gut für den Zusammenhalt in unserem Land, dass dieses Abkommen, das zahlreiche Schlupflöcher offen ließ, von den von SPD und Grünen geführten Ländern im Bundesrat gestoppt wurde.

- Die Regierung Merkel stemmt sich dagegen, Steuerhinterzieher zu überführen und dabei die Mittel zur Strafverfolgung zu nutzen. Führende Mitglieder der Bundesregierung diffamieren den Ankauf von Steuer-CDs zur Strafaufklärung und wollen ihn gar gesetzlich verbieten. Damit wird der Rechtsstaat auf den Kopf gestellt: Beamte der Steuerverwaltung werden kriminalisiert, während die Täter ungeschoren davonkommen. Ein unwürdiger Vorgang, zumal die Steuerfahnder der Länder auch mit Hilfe von gekauften Daten im Jahr 2011 der öffentlichen Hand zu Mehreinnahmen von 2,2 Milliarden Euro verholfen haben.

- Die Regierung Merkel wollte die Aufbewahrungsfristen für Geschäftsunterlagen verkürzen. Wenn die von SPD und Grünen geführten Länder dies im Bundesrat nicht verhindert hätten, hätte die Verkürzung von Aufbewahrungsfristen zu Mindereinnahmen im Staatshaushalt von 200 Millionen Euro ab 2013 und 1 Milliarde Euro ab 2015 geführt. Darüber hinaus wären künftige Betriebs- und Steuerfahndungsprüfungen erschwert worden.

- Die Regierung Merkel tut auch auf europäischer Ebene fast nichts, um die Initiativen der Europäischen Kommission zur Eindämmung des grenzüberschreitenden Steuerbetrugs zu unterstützen. Stattdessen blockiert sie mit ihren Verhandlungen über ein Steuerabkommen mit der Schweiz die dringend notwendige Ausdehnung der Zinssteuerrichtlinie zur Anpassung der Zinsbesteuerungsabkommen der Europäischen Union mit europäischen Drittstaaten.


Wir wollen mehr Steuerehrlichkeit

Die SPD ist die Partei der Steuerehrlichkeit. Die SPD-geführte Bundesregierung hat seit 1998 das nationale Instrumentarium zur Bekämpfung der Steuerkriminalität deutlich verbessert. Wir haben die Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten der Finanzverwaltung verbessert, damit der Umsatzsteuerbetrug eingedämmt werden konnte. Wir haben die Telekommunikationsüberwachung bei Verdacht der bandenmäßigen Umsatz- und Verbrauchsteuerhinterziehung ermöglicht und die Anpassung der Verjährungsfrist für die Verfolgung besonders schwerer Steuerhinterziehungsfälle an die Verjährungsfrist für die Steuerfestsetzung durchgesetzt.

Ohne den Einsatz der rot-grünen Bundesregierung wäre die europäische Zinsrichtlinie nicht zustande gekommen.

Wir haben in der Großen Koalition gegen den Widerstand der CDU/CSU das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz durchgesetzt. Wir haben die hohen Standards der OECD zur Transparenz und zum Auskunftsaustausch in Deutschland umgesetzt und die Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzämter gestärkt.

Mit der Unternehmenssteuerreform 2008 haben wir zahlreiche Steuerschlupflöcher für Unternehmen geschlossen und die Möglichkeiten der so genannten "Steuergestaltung", der Verlagerung von steuerpflichtigen Gewinnen ins Ausland, eingeschränkt. Im Zuge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ist uns zu Beginn des Jahres 2009 auch der Einstieg in ein transparenteres internationales Steuerumfeld gelungen. Auf deutsch-französische Initiative hin haben die G20-Staaten mit der Androhung von Abwehrmaßnahmen gegen nicht kooperierende Rechtssysteme binnen weniger Monate die weltweite Anerkennung des Standards der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für den Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten durchgesetzt.


Steuerbetrug wirksam bekämpfen

Seit Amtsantritt der Regierung Merkel herrscht faktisch Stillstand beim Kampf gegen Steuerbetrug. Wir brauchen jetzt neue tatkräftige Schritte, um den Kampf gegen Steuerbetrug wieder aufzunehmen:

1. Entzug der Banklizenz bei fortgesetzter Beihilfe zum Steuerbetrug

Wir wollen nicht hinnehmen, dass dem Gemeinwesen Milliarden Euro an Steuergeldern entgehen, weil einige Finanzinstitute nicht ausreichend mit den Finanzämtern kooperieren, Steuerbetrug dulden oder sogar im Rahmen ihrer Geschäftsmodelle durch das Angebot entsprechender Bankprodukte billigend unterstützen. Zuletzt hat das öffentliche Schuldeingeständnis der Schweizer Wegelin Bank offenbart, wie systematisch Steuerhinterziehung zum Geschäftsmodell gemacht wurde. Alle in Deutschland tätigen Finanzinstitute müssen deshalb verpflichtet werden, keine Bankprodukte und -dienstleistungen anzubieten, mit denen ihre Kunden Steuern hinterziehen können, und mit den Finanzämtern zu kooperieren. Leistet ein Finanzinstitut mit Sitz in Deutschland oder eine Zweigniederlassung eines ausländischen Instituts nachweislich Beihilfe zum Steuerbetrug oder verweigert sich der Kooperation mit den Steuerbehörden, soll dies bei zukünftigen Fällen stärker zur Rechenschaft gezogen werden können: Wir wollen eine sich steigernde Strafbewehrung, die mit Strafzahlungen beginnt und über die Möglichkeiten der Abberufung der Geschäftsführung und Berufsverboten bis zur Einschränkung der Banklizenz und als ultima ratio zum Entzug der Banklizenz führen kann.

2. Aufbau einer bundesweiten Steuerfahndung

Wir wollen eine bundesweite Steuerfahndung aufbauen, die für die Ermittlungen in Fällen grenzüberschreitender Steuerkriminalität von erheblicher bzw. grundsätzlicher Bedeutung zuständig ist. Sie soll einen einheitlichen Umgang mit Informationsangeboten privater Dritter über mutmaßliche Steuerhinterzieher sicherstellen. Die Bundessteuerfahndung soll die Finanzbehörden durch die Analyse typischer Betrugsgestaltungen und Hinterziehungsstrategien bei der Aufdeckung und Verhinderung von Steuerstraftaten unterstützen. Darüber hinaus wollen wir die Befugnisse der bestehenden Schwerpunktstaatsanwaltschaften in Fragen des Steuerbetrugs stärken.

3. Gleichmäßiger Steuervollzug in allen Bundesländern

Wir wollen die im Finanzverwaltungsgesetz geschaffenen Bundeskompetenzen nutzen, um ein bundesweit gleichmäßiges Vorgehen der Finanzbehörden gegen Steuerhinterziehung zu erreichen. Wir streben einen gleichmäßigen Steuervollzug zur Sicherung des Steueraufkommens an. Insbesondere die Betriebsprüfung, die Steuerfahndung, die Bußgeld- und Strafsachenstellen sowie die Staatsanwaltschaften müssen in den Ländern personell so gestärkt werden, dass einerseits das Entdeckungsrisiko bei Steuerbetrug und -hinterziehung signifikant steigt und andererseits eine zügige Strafverfolgung gewährleistet ist. Zur Schaffung einheitlicher Standards bei der Steuererhebung und Steuerprüfung wollen wir zusammen mit den Bundesländern bundesweite Standards festlegen.

4. Verschärfung der Verjährungsfrist für Steuerbetrug

Wir wollen die Verjährungsfristen für Steuerbetrug verschärfen. Verstöße gegen das Steuerrecht sollen künftig nicht mehr automatisch schon nach zehn Jahren verjähren, sondern zumindest die Laufzeit verdächtiger Finanzkonstrukte abdecken. Unsere Reform der Verjährungsfristen soll sich an der Praxis in den Vereinigten Staaten orientieren: Dort beginnt die Verjährungsfrist erst mit der Abgabe einer korrekten Steuererklärung.

5. Europaweiten automatischen Informationsaustausch einführen und den Umsatzsteuerbetrug europaweit eindämmen

Wir wollen Steueroasen mindestens europaweit trocken legen. Der zwischenstaatliche Auskunftsaustausch muss effektiver werden. Dazu wollen wir den Anwendungsbereich der EU-Zinsrichtlinie auf alle Kapitaleinkünfte und alle natürlichen und juristischen Personen ausdehnen und den automatischen Auskunftsaustausch zum Standard in Europa machen, auch im Verhältnis zu Drittstaaten wie der Schweiz. Wir wollen sicherstellen, dass Steuerhinterzieher jederzeit mit der Gefahr rechnen müssen, aufzufliegen.

Wir wollen uns auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass verdächtiges Auslandsvermögen eingefroren und registriert wird, um es auf ordnungsgemäße Versteuerung zu überprüfen und gegebenenfalls nachzuversteuern.

Wir wollen uns intensiv für die Bekämpfung des Betrugs bei der Umsatzsteuer auf nationaler wie auf europäischer Ebene einsetzen. Wir wollen, dass das "Reverse-Charge"-Verfahren, das sich als wirksames Instrument gegen den Umsatzsteuerbetrug erwiesen hat, weiter ausgebaut wird.

Die Bekämpfung von Steuerbetrug kann in einem gemeinsamen europäischen Markt nur europäisch gelingen. Wir werden uns in den europäischen Gremien für eine engere und koordinierte Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union einsetzen und die Initiativen der Europäischen Kommission auch gegenüber Drittstaaten unterstützen. Wir werden konsequent den Kampf gegen Steuerdumping und Steuerbetrug zur Bedingung für Finanzhilfen im Rahmen der Euro-Rettungspakete machen. Wir wollen, dass gerade auch in Ländern mit hoher Staatsverschuldung, die auf Hilfe angewiesen sind, Finanzkriminalität aufgedeckt und Steuerehrlichkeit durchgesetzt wird. Gerade auch Regierungen, die sich auf die Solidarität anderer stützen, dürfen Steuerflucht nicht mehr zum nationalen "Geschäftsmodell" machen.


Steuerehrlichkeit für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen Steuerbetrug zuallererst deswegen eindämmen, weil er den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gefährdet. Wir wollen durchsetzen, dass diejenigen, die in der Einkommens- und Vermögensverteilung ganz oben angesiedelt sind, sich genauso an die Steuergesetze halten müssen wie alle anderen. Alles andere führt zu einer Spaltung unserer Gesellschaft.

In zweiter Linie geht es uns darum, die Einnahmebasis des Staates auf die solide Grundlage zu stellen, die notwendig ist, um die Herausforderungen des demografischen Wandels ebenso bewältigen zu können wie für die Bildungsfinanzierung, die Finanzierung der Energiewende, die Finanzierung des europäischen Zusammenhalts und die Einhaltung der Schuldenbremse zu sorgen. Auf alle diese Herausforderungen hat die Merkel-Rösler Regierung keine Antwort. Ihr ganzes Handeln erschöpft sich darin, die hiermit verbundenen Finanzierungsprobleme auf die Zeit nach der Bundestagswahl zu verschieben. Das werden wir dieser schlechtesten Regierung seit über 60 Jahren nicht durchgehen lassen.

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Quelle:
SPD-Pressemitteilung 014/13 vom 14. Januar 2013
Herausgeber: SPD Parteivorstand, Pressestelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2013