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AUSSEN/1174: Laudatio von Egon Bahr zur Verleihung des Sonderpreises für besonderen politischen Mut


SPD-Pressemitteilung 035/13 vom 24. Januar 2013

Laudatio von Egon Bahr auf den Preisträger des Sonderpreises für besonderen politischen Mut im Rahmen des 2. Internationalen Willy-Brandt-Preises Nikolai Statkevich am Donnerstag, dem 24. Januar 2013, in Berlin



- Es gilt das gesprochene Wort -

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat bewusst den Sonderpreis für besonderen politischen Mut 2012 an Nikolai Statkevich verliehen. Sigmar Gabriel hat mich gebeten, für ihn und in seinem Namen zu sprechen. Nikolai Statkevich ist als Präsidentschaftskandidat gegen Alexander Lukaschenko angetreten und nach Wahlen, die weder frei noch fair waren, 2010 verhaftet und zu 6 Jahren Gefängnis unter erschwerten Bedingungen verurteilt worden.

Er sitzt in einem Hochsicherheitsgefängnis in der Stadt Mogilew im Osten des Landes. Der Sozialdemokrat ist ein politischer Gefangener. Amnesty International erklärte ihn zum "Prisoner of Conscience".

Nikolai Statkevich ist ein überzeugter sozialer Demokrat. Er hat an unserer Veranstaltung "40 Jahre Ostverträge" teilgenommen. Sigmar Gabriel und ich hatten die Freude, ihn zu treffen. Unser Preis soll ihn und Andere ermutigen.

Im Herbst 2010 war er bereits Präsidentschaftskandidat und erklärte, dass ein Demokrat in Weißrussland jede Chance nutzen müsste, die er bekäme. Natürlich rechnete er sich keine faire Chance gegen den amtierenden Präsidenten aus, der auch als "letzter Diktator Europas" bezeichnet wird. Er wusste, dass er das autoritäre Regime in Minsk herausfordert. Dennoch konnte er nicht anders.

Am Abend der Präsidentschaftswahl, am 19. Dezember 2010, versammelten sich Zehntausende Menschen auf den Straßen der weißrussischen Hauptstadt. Nikolai Statkevich kam gerade vom Unabhängigkeitsplatz im Zentrum, wo er eine Rede an die protestierenden Menschen richtete, als maskierte Einheiten einer Spezialeinheit ihn anhielten, aus dem Auto zerrten, schlugen und fort schleppten.

Über viele Wochen und Monate war nicht klar, wo sie ihn hingebracht hatten, wie es ihm geht und was ihm vorgeworfen wird. Weder Anwälte noch Ärzte oder Familienmitglieder bekamen Auskunft.

Aus Protest gegen seine und die Festnahme hunderter Demonstranten trat er in einen Hungerstreik. Nach 24 Tagen wurde er zwangsernährt. Gerüchte über Folter und unmenschliche Behandlung der politischen Gefangenen vom 19. Dezember machten die Runde. Die Vereinten Nationen fordern von der Regierung in Minsk noch heute Aufklärung darüber.

Im Mai 2011 wurde Nikolai Statkevich vor Gericht gebracht. Er war gezeichnet von den schlechten Bedingungen im Gefängnis und der Isolationshaft. Für seine Familie und seine Freunde war dies dennoch ein erstes hoffnungsvolles Lebenszeichen nach Monaten der Ungewissheit. Zusammen mit fünf weiteren Angeklagten saß der ehemalige Präsidentschaftskandidat wie ein Schwerverbrecher in einem Käfig im Gerichtssaal. Sein einziges "Verbrechen", dessen er sich schuldig gemacht hatte, war sein Eintreten für freie demokratische Wahlen.

Seit über zwei Jahren ist Nikolai Statkevich nun bereits inhaftiert. Ein Gnadengesuch und ein Schuldeingeständnis an Präsident Lukaschenko lehnt er dennoch ab. Auch als er nach einem Unfall schwere Verletzungen und Knochenbrüche davon trug, wollte er dem großen Druck des Regimes nicht nachgeben. Wenig später wurde er wegen einer Lappalie zu einer dreijährigen Haftverschärfung in das Hochsicherheitsgefängnis Mogilew verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, Taschentücher, die er bei sich trug, nicht angegeben zu haben.

Verehrte Anwesende,
der Preis, der heute verliehen wird, trägt auch den Namen Willy Brandt. Von ihm stammt der Satz:
"Wo die Freiheit nicht beizeiten verteidigt wird, ist sie nur um den Preis schrecklich großer Opfer zurückzugewinnen!"

Der spätere Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger wusste aus eigener Erfahrung, dass Demokratie und Freiheit zusammen gehören. Wir werden in diesem Jahr noch daran erinnern, dass die SPD seit 150 Jahren für mehr Freiheit und mehr Demokratie wirkt. Für mich ist es ein ehrfurchtgebietendes Datum. Wir wissen, dass viele Menschen für diese Partei gekämpft und gelitten haben, trotz ihrer Fehler und Schwächen. Das Wort Demokratie enthält für uns einen magischen verpflichtenden Klang. Demokratie ist die Seele unserer Partei. Nächst dem Frieden enthält es die Solidarität auch mit Menschen jenseits unserer Grenzen.

Vor wenigen Tagen wurde Präsident Alexander Lukaschenko gefragt, was denn die Beziehungen seines Landes zur Europäischen Union störe. Er antwortete: Nikolai Statkevich. Wir sagen: Lassen Sie Nikolai Statkevich und die anderen politischen Gefangenen endlich frei.

Es ist für uns eine große Freude, seine Ehefrau Marina und seine beiden Töchter Katja und Hanna heute in unserer Mitte begrüßen zu können, insbesondere nach der Ungewissheit, ob Marina aus Weißrussland ausreisen durfte. Ich freue mich sehr, sie heute gesund und wohlauf wiederzusehen, und bitte sie, den Preis entgegen zu nehmen.

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Quelle:
SPD-Pressemitteilung 035/13 vom 24. Januar 2013
Herausgeber: SPD Parteivorstand, Pressestelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2013