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SCHLESWIG-HOLSTEIN/2196: Lob und Tadel für die Schulreform (Der Landtag)


Der Landtag - Nr. 04 / Dezember 2017
Die Parlamentszeitschrift für Schleswig-Holstein

Lob und Tadel für die Schulreform


Schleswig-Holsteins Gymnasien kehren großflächig zum Langsam-Abi G9 zurück. Das haben Jamaika-Koalition und AfD im Dezember beschlossen, gegen Proteste von SPD und SSW. Das Hauptargument für den Kursschwenk: Ein Jahr mehr Zeit zum Lernen entlaste die Schüler. G9-Gegner müssen bis Ende Februar eine Dreiviertelmehrheit in der Schulkonferenz zusammenbringen, wenn sie das Turbo-Abi G8 behalten wollen. Der neunjährige Bildungsgang soll zum Schuljahr 2019/20 mit den Jahrgangsstufen fünf und sechs starten. Um den Übergang abzufedern, soll jedes Gymnasium eine halbe Lehrerstelle extra bekommen. Ganztagsangebote in den Klassen 5 bis 7 sollen ausgebaut werden, und Schulen an sozialen Brennpunkten erhalten zusätzliches Geld.

Zuvor hat der Bildungsausschuss die Details der Schulreform intensiv beleuchtet. Ende November präsentierten die unmittelbar Betroffenen in einer mehrstündigen Anhörung ihre Sichtweise.


Das meinen die Schulträger:

Städte, Kreise und Gemeinden befürchten "erhebliche Mehrkosten" durch die Rückkehr zu G9, wie Sönke Schulz vom Landkreistag anmerkte. So würden an den Gymnasien zusätzliche Klassen- und Fachräume benötigt. Was das koste, sei unklar. Schulz forderte, dass das Land für die Mehrkosten geradesteht, so wie es bei der Einführung von G8 vor zehn Jahren der Fall war. Damals überwies die Landesregierung insgesamt 52 Millionen Euro an die Kommunen. Schulz pochte damit auf das sogenannte Konnexitätsprinzip in der Landesverfassung. Demnach muss das Land für die Extra-Kosten aufkommen, wenn es die kommunale Ebene mit neuen Aufgaben belastet.

Jette Waldinger-Thiering (SSW) unterstützte die Forderung: "Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen." Die Grünen-Abgeordnete Ines Strehlau kündigte an, dass Jamaika die Kommunen "nicht im Regen stehen lassen" werde. Kritischer gab sich Tim Brockmann (CDU). Er habe die "Befürchtung, dass das Land Dinge bezahlen soll, die die Kommunen gerne hätten". Klärung soll ein "Spitzengespräch" im Januar bringen.

Das meinen die Lehrer:

Bei den Pädagogen war die Meinung geteilt. Walter Tetzloff vom Philologenverband, der Vertretung der Gymnasiallehrer, begrüßte den Schwenk zu G9 "ausdrücklich". Er erhoffte sich eine "qualifizierte Allgemeinbildung" und eine bessere "Studierfähigkeit" durch die längere Schulzeit und zog das Fazit: "G8 war kein Erfolg." Das sah Astrid Henke von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) anders. Es gebe "keine wissenschaftlichen Erkenntnisse für ein Scheitern von G8". Zudem sei es für die Lehrer "nicht gerade motivationsfördernd, wenn nach jeder Landtagswahl das Schulsystem geändert wird".

Dem pflichtete der SPD-Abgeordnete Heiner Dunckel bei: Es gebe keinen feststellbaren Unterschied zwischen den schulischen Leistungen von G8- und G9-Schülern. Bei der anstehenden Reform gehe es ausschließlich darum, einen politischen Willen durchzusetzen. Der Schwenk zu G9 ergebe sich aus der Landtagswahl vom Mai dieses Jahres, entgegnete Anita Klahn (FDP). Die Koalition setze das um, "was die Menschen sich wünschen".

Das meinen die Eltern:

Thomas Wulff vom Landeselternbeirat der Gymnasien stellte eine verbreitete Pro-G9-Stimmung fest: Er habe "keine Signale, dass auch nur ein Gymnasium bei G8 bleiben will". Er hielt aber die vom Bildungsministerium vorgesehene Dreiviertelmehrheit in der Schulkonferenz, die nötig ist, um bei G8 zu bleiben, für zu hoch. Für die Elternvertretung der Gemeinschaftsschulen postierte sich Thorsten Muschinski "weiterhin gegen den Gesetzentwurf". Seine Befürchtung: Den Gemeinschaftsschulen drohe eine Abwanderungswelle. Auch Muschinski attackierte die vorgesehene Dreiviertelmehrheit bei geheimer Abstimmung als "Pseudo-Demokratie". Selbst für eine Verfassungsänderung reiche eine Zweidrittelmehrheit aus. Der SPD-Abgeordnete Martin Habersaat hielt es ebenfalls für "absolut unüblich", eine geheime Abstimmung mit einer so hohen Zustimmungshürde zu verlangen. Tobias Loose (CDU) verteidigte den Plan: Er trage dazu bei, dass jeder einzelne seine Entscheidung frei treffen könne - ohne Druck oder eventuelle Abhängigkeiten.

Das meinen die Schüler:

Den Dreiviertel-Paragrafen hielt auch Christin Godt, Landesschülervertreterin der Gymnasien, für "undemokratisch". Die Schwelle sei so hoch, dass G8-Anhänger im ganzen Land "bereits aufgehört haben zu kämpfen". Grundsätzlich begrüßte sie aber die Rückkehr zum neunjährigen Abi. Ein Jahr mehr Zeit zum Lernen sei "entscheidend für die Ausbildung der Persönlichkeit".

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Quelle:
Der Landtag, Nr. 04 / Dezember 2017, S. 26
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers:
Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2018

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