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SCHLESWIG-HOLSTEIN/2169: Wer hat wen gewählt und warum? Der 7. Mai in der Analyse (Der Landtag)


Der Landtag - Nr. 02 / Juli 2017
Die Parlamentszeitschrift für Schleswig-Holstein

Wer hat wen gewählt und warum?
Der 7. Mai in der Analyse


Eine verbreitete Zufriedenheit mit der Landesregierung aus SPD, Grünen und SSW, keine Wechselstimmung: So beschrieben Wahlforscher die Lage in Schleswig-Holstein in den Monaten vor der Landtagswahl. Am Abend des 7. Mai sah es jedoch ganz anders aus. Die SPD um Ministerpräsident Torsten Albig verbuchte Verluste, CDU und FDP legten zu. Wie kam das Ergebnis zustande? Aufgrund der Daten der Forschungsgruppe Wahlen, des Instituts Infratest Dimap, des Statistikamts Nord und des Landeswahlleiters versuchen wir eine Analyse. Zwei Trends dominieren: Es gehen wieder mehr Menschen zur Wahl. Und: Viele entscheiden sich erst spät.


CDU: Ältere und einstige Nichtwähler sorgen für das Plus

Die CDU legte gegenüber 2012 um 1,2 Prozent zu und konnte ihre Stimmenzahl von knapp 409.000 auf 471.460 steigern. Die 32,0 Prozent machen die Union erneut zur stärksten Partei. Von ihrem Rekordergebnis (51,9 Prozent im Jahr 1971) oder von den 40,2 Prozent aus dem Jahr 2005 ist sie aber weit entfernt.

Laut den Wahlforschern verdankt die Union ihre Gewinne vor allem früheren Nichtwählern. Sie konnte 51.000 Menschen überzeugen, die 2012 noch zuhause geblieben waren. 24.000 weitere Wähler kamen demnach von der SPD.

Den Wahlanalysen zufolge waren die Christdemokraten insbesondere bei älteren Wählern erfolgreich. Bei den Über-60-Jährigen errangen sie 40 Prozent. Erstwähler machten hingegen nur zu 22 Prozent ihr Kreuz bei der CDU. Auffällig: In ihren Hochburgen im ländlichen Raum blieben die CDU-Ergebnisse gegenüber 2012 vielerorts gleich. In klassischen SPD-Hochburgen konnte die Union hingegen überdurchschnittlich zulegen. So gab es ein Plus von 4,5 Prozent in Lübeck-Süd und von 4,3 Prozent in Kiel-Ost. In Kiel-Nord wurde die Union stärkste Kraft bei den Zweitstimmen. Das gab es in einem Wahlkreis der Landeshauptstadt seit Jahrzehnten nicht mehr.

Dass sich die CDU im Lande durchsetzen konnte, hat nach Auffassung der Wahlforscher mehrere Gründe: Der erst im November nominierte Spitzenkandidat Daniel Günther konnte rasch an Profil gewinnen. Der Partei wurde in den Schlüsselfeldern Wirtschaft, Bildung und Innere Sicherheit eine hohe Kompetenz zugemessen. Und der Bundestrend mit guten Noten für die CDU-Bundeskanzlerin wirkte sich aus. Die Folge: Günther wurde deutschlandweit der erste CDU-Bewerber bei einer Landtagswahl seit 2005, dem es gelang, einen amtierenden SPD-Ministerpräsidenten aus dem Amt zu drängen.

Grundsätzlich gilt: Viele Wähler legen sich spät fest. 53 Prozent haben sich erst in den letzten Wochen vor der Wahl entschieden. Darunter sind 14 Prozent, deren Entschluss am Wahltag selbst fiel.

STIMMENANTEIL: 32,0 Prozent

HOCHBURG: Dithmarschen-Schleswig 37,7 Prozent

TIEFPUKT: Kiel-West, 22,6 Prozent


SPD: Verluste in den Städten

Die SPD erreichte mit 27,3 Prozent das zweitschlechteste Ergebnis im Lande seit dem Krieg. Nur 2009 gab es mit 25,4 Prozent ein noch schwächeres Resultat. Zwischen 1962 und 2005 hatte die SPD stets stabil bei etwa 40 Prozent gelegen. Höhepunkt war die von der Kieler Affäre geprägte Wahl 1988 (54,8 Prozent). Insgesamt 401.806 Schleswig-Holsteiner machten ihr Kreuz bei der SPD. Zwar konnten auch die Sozialdemokraten einstige Nichtwähler mobilisieren, rund 30.000, aber dafür liefen 24.000 SPD-Anhänger zur CDU über, und 15.000 stimmten jetzt für die FDP. Immerhin bei den Erstwählern war die SPD stärkste Partei - allerdings mit nur 26 Prozent der Stimmen.

Vor allem in ihren Hochburgen in den Städten verzeichneten die Sozialdemokraten Einbußen. So gab es ein kräftiges Minus von 10,1 Prozent im Wahlkreis Kiel-Nord. In Kiel-Ost waren es 8,9 Prozent weniger als 2012 und in Lübeck-Süd 6,6 Prozent.

Die Wähler wiesen der SPD vor allem im Bereich der Sozialpolitik eine hohe Kompetenz zu. Ministerpräsident Torsten Albig lag zwar kurz vor der Wahl im direkten Umfrage-Vergleich acht bis 14 Prozent vor CDU-Mann Günther. Dieser Vorsprung sei aber für einen seit fünf Jahren regierenden Amtsinhaber "nur Mittelmaß" gewesen, schreibt die Forschungsgruppe Wahlen. Die These, Albigs Aussagen über das Verhältnis zu seiner Ex-Frau in der Zeitschrift "Bunte" hätten Frauen in großer Zahl abgeschreckt, können die Forscher nicht bestätigen. Das Minus bei den Wählerinnen lag mit vier Prozent nur geringfügig über dem SPD-Minus bei Männern (drei Prozent).

STIMMENANTEIL: 27,3 Prozent

HOCHBURG: Lübeck-West, 33,1 Prozent

TIEFPUKT: Nordfriesland-Nord, 23,0 Prozent


Grüne: stark gegen den Bundestrend

Die Grünen fielen zwar mit 12,9 Prozent knapp hinter ihr Rekordergebnis von 2012 (13,2 Prozent) zurück. Dennoch konnten sie Wähler hinzugewinnen und ihre Stimmenzahl von etwa 175.000 auf 190.181 steigern - ein Effekt der gestiegenen Wahlbeteiligung. 10.000 der etwa 15.000 Neu-Wähler waren den Untersuchungen zufolge ehemalige Nichtwähler.

Dass sich die Nord-Grünen auf hohem Niveau behaupten konnten, hebt sie vom Bundestrend ab. Denn positive Ergebnisse hatte die Partei bei den neun Landtagswahlen seit Anfang 2016 nur zwei Mal: im vergangenen März in Baden-Württemberg, als der beliebte grüne Regierungschef Winfried Kretschmann im Amt bestätigt wurde, und nun in Schleswig-Holstein. Bei allen anderen Urnengängen gab es zum Teil deftige Dämpfer, etwa ein Minus von 10,1 Prozent in Rheinland-Pfalz. In Mecklenburg-Vorpommern und im Saarland flogen die Grünen sogar aus den Landtagen.

Ein Grund für den Erfolg ist laut den Forschern der eigenständige Kurs der Grünen im Lande. So stimmten 53 Prozent der Befragten der These zu, die Nord-Partei vertrete "eine andere Politik als die Grünen im Bund". Hierfür stand insbesondere Umweltminister Robert Habeck, der hohe Bekanntheitswerte aufwies.

Die mit Abstand höchste Kompetenz aller Parteien wird ihnen in der Umwelt- und Energiepolitik bescheinigt. Vor allem Frauen wählen grün. Stark ist die Partei bei Erstwählern, aber auch bei den 45- bis 59-Jährigen. Und: 21 Prozent der Wähler mit Hochschulabschluss stimmten für die Partei - aber nur sieben Prozent der Wähler mit Hauptschulabschluss.

STIMMENANTEIL: 12,9 Prozent

HOCHBURG: Kiel-Nord, 21,1 Prozent

TIEFPUKT: Dithmarschen-Süd, 8,4 Prozent


FDP: Kubicki und Wirtschaftskompetenz bringen Erfolge

60.000 neue FDP-Anhänger gab es am 7. Mai, insgesamt stimmten 169.037 Menschen für die Liberalen. Die 11,5 Prozent bedeuten das zweitbeste Ergebnis der Partei in der Landesgeschichte nach den 14,9 Prozent von 2009. Die Freien Demokraten gewannen gegenüber 2012 etwa 3,3 Prozent dazu und sind damit zum siebten Mal in Folge im Landtag vertreten. Eine solch lange Erfolgsperiode gab es zuvor noch nie. Bis in die 90er-Jahre lagen die FDP-Ergebnisse oft knapp dies- oder jenseits der Fünf-Prozent-Hürde, vier Mal gelang der Sprung ins Parlament nicht (1947, 1971, 1983, 1988).

Zugewinne verbuchte die FDP aus allen Richtungen. So sind etwa 16.000 vorherige Nichtwähler für die Liberalen an die Urne gegangen, weitere 15.000 kamen von der SPD und 13.000 von der CDU. Männer, Ältere sowie Menschen mit hohem Bildungsabschluss und Selbständige haben den Forschern zufolge überdurchschnittlich häufig FDP gewählt. Der Partei wird beim Thema Wirtschaft eine hohe Kompetenz zugerechnet.

Das gute Resultat schreiben die Wahlforscher auch dem Spitzenkandidaten Wolfgang Kubicki zu. Dieser habe ähnlich hohe Bekanntheits- und Beliebtheitswerte wie die Spitzenkräfte der beiden großen Parteien. Dies sei "ein in den Ländern seltenes Phänomen".

STIMMENANTEIL: 11,5 Prozent

HOCHBURG: Stormarn-Mitte, 13,8 Prozent

TIEFPUNKT: Flensburg, 8,9 Prozent


AfD: Anlaufpunkt für Unzufriedene

Die "Alternative für Deutschland" ist die zwölfte Partei seit 1947, die Sitze im Schleswig-Holsteinischen Landtag erringt. Sie trat zum ersten Mal im Lande an und kam aus dem Stand auf 86.711 Wählerstimmen. Laut den Wahlforschern konnte sie 11.000 ehemalige Nichtwähler mobilisieren. 45.000 Stimmen kamen aus dem Segment der "anderen Parteien". Es dürften überwiegend Protestwähler sein, die vor fünf Jahren die Piraten unterstützt hatten Laut Infratest Dimap hat nur ein Drittel der AfD-Wähler die Partei "aus Überzeugung" gewählt, 60 Prozent hingegen "aus Enttäuschung über andere Parteien". Damit ist die AfD eine Ausnahme. Alle anderen Parteien hatten eine Mehrzahl an Wählern, die sich "aus Überzeugung" für sie entschieden haben. Für 59 Prozent der AfD-Wähler war das Thema Flüchtlinge vordringlich. In der gesamten Wählerschaft galt dies nur für 14 Prozent.

Sieben Prozent der Männer haben AfD gewählt, aber nur vier Prozent der Frauen. Besonders erfolgreich war die Partei bei den 25- bis 34-Jährigen. 80 Prozent der AfD-Wähler stimmten der Auffassung zu, dass es in Deutschland ungerecht zugehe. In der gesamten Wählerschaft waren das nur 38 Prozent. Schleswig-Holstein war das zwölfte Bundesland in Folge, in dem die AfD den Sprung ins Parlament schaffte. Eine Woche später kam NRW als Nummer 13 hinzu. Mit 5,9 Prozent blieb die Nord-AfD aber weit hinter den Ergebnissen in Sachsen-Anhalt (24,3 Prozent) oder Baden-Württemberg (15,1 Prozent) zurück.

STIMMENANTEIL: 5,9 Prozent

HOCHBURG: Lauenburg-Süd, 8,0 Prozent

TIEFPUNKT: Nordfriesland-Nord, 3,8 Prozent


SSW: Einbußen im Norden

Einen heftigen Einbruch musste der SSW hinnehmen. Die Wählerzahl ging um 20 Prozent zurück, von etwa 61.000 auf nur noch 48.968. Der Stimmenanteil sank von 4,6 auf 3,3 Prozent - das schlechteste Abschneiden seit 21 Jahren für die von der Fünf-Prozent-Klausel befreite Partei der dänischen Minderheit. Aber dank der Ausgleichsmandate-Regel sitzen auch in dieser Wahlperiode drei SSW-Abgeordnete im Landtag.

Insbesondere in seinen traditionellen Hochburgen im Norden schnitt der SSW schwach ab. So sank der Stimmenanteil in Flensburg von mehr als 18 auf nur noch 12,8 Prozent. Im Wahlkreis Flensburg-Land gab es ein Minus von vier auf nur noch 11,9 Prozent. Verluste im Bereich von zwei bis drei Prozent musste der SSW in Schleswig, Nordfriesland und Eckernförde verkraften.

Die Wahlforscher haben die Regionalpartei SSW kaum untersucht, insofern ist die Suche nach den Gründen für den Abwärtstrend schwierig. Möglicherweise hat der Rückzug der langjährigen Frontfrau Anke Spoorendonk Stimmen gekostet. Oder die erstmalige Regierungsbeteiligung als Teil der "Nord Ampel" ist nicht bei allen Anhängern von 2012 auf Gegenliebe gestoßen. Zudem könnte sich die Politik der dänischen Regierung, die Grenzkontrollen wieder eingeführt hat, negativ ausgewirkt haben.

STIMMENANTEIL: 3,3 Prozent

HOCHBURG: Flensburg-Süd, 12,8 Prozent

TIEFPUNKT: Lauenburg-Nord, 3,8 Prozent

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Quelle:
Der Landtag, Nr. 02 / Juli 2017, S. 6-8
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers:
Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. August 2017

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