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SCHLESWIG-HOLSTEIN/2146: Direkte Demokratie von Brüssel bis Brunsbüttel (Der Landtag)


Der Landtag - Nr. 03 / September 2016
Die Parlamentszeitschrift für Schleswig-Holstein

Mitreden - so geht das
Direkte Demokratie von Brüssel bis Brunsbüttel


Europa:

Seit dem Lissaboner Vertrag von 2009 gibt es das Instrument der europäischen Bürgerinitiative. Initiatoren benötigen innerhalb eines Jahres eine Million Unterstützer aus einem Viertel der Mitgliedsstaaten (also derzeit sieben). Es muss um EU-Themen gehen. Änderungen am Grundlagenvertrag oder die Aufnahme eines neuen Mitglieds per Volkswillen sind jedoch nicht möglich. Kommen die Unterschriften zusammen, muss die EU-Kommission binnen drei Monaten Stellung beziehen. Die erste erfolgreiche Initiative war "Wasser ist ein Menschenrecht - Right 2 Water" im Jahr 2013, die sich gegen eine Privatisierung der Trinkwasserversorgung wandte. Bei weiteren Vorstößen ging es um den Schutz von Embryonen und um Tierversuche.


Bund:

Das Grundgesetz sieht nur in zwei Fällen Volksabstimmungen vor: bei der Ablösung des Grundgesetzes durch eine neue Verfassung und bei der Neugliederung des Bundesgebiets, wie zuletzt 1996 bei der gescheiterten Fusion der Länder Berlin und Brandenburg. Seit den 1980er Jahren hat es rund ein Dutzend Versuche gegeben, die direkte Demokratie auf Bundesebene auszubauen - anfangs angestoßen von den Grünen und inzwischen auch unterstützt von SPD, FDP, Linken und CSU. Die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag zur Änderung des Grundgesetzes scheiterte jedoch stets am Veto der CDU.


Land:

Schleswig-Holstein hat die Volksgesetzgebung mit der Verfassungsreform 1990 eingeführt. Damit ist das Volk neben dem Landtag Gesetzgeber. Seit 1990 haben sich etwa 30 Volksinitiativen an den Landtag gewandt. Zweimal kam es zu einem Volksentscheid: 1997 gab es zwar eine Mehrheit für die Wiedereinführung des Buß- und Bettages als gesetzlicher Feiertag. Das Ansinnen scheiterte jedoch an der geringen Beteiligung. 1998 stimmte eine Mehrheit gegen die Rechtschreibreform. Die Landesverfassung sieht ein Drei-Stufen-Modell vor.

1. Volksinitiative
Die Antragsteller müssen mindestens 20.000 Unterstützer-Unterschriften sammeln. Der Landtag prüft dann die Zulässigkeit. So darf die Initiative nicht in die Haushaltshoheit des Parlaments eingreifen und nicht den Grundsätzen des demokratischen und sozialen Rechtsstaats widersprechen. Gibt das Plenum grünes Licht, hat das Parlament vier Monate Zeit, um über die Initiative zu beraten.

2. Volksbegehren
Lehnt das Parlament die Volksinitiative ab, können die Initiatoren ein Volksbegehren starten. Hierzu müssen sie innerhalb eines halben Jahres 80.000 Unterstützer hinter sich bringen.

3. Volksentscheid
Ist ein Volksbegehren erfolgreich, müssen die Bürger innerhalb von neun Monaten zu einem Volksentscheid gerufen werden. Der Gesetzesvorschlag gilt als angenommen, wenn die Mehrheit der Wähler zustimmt und wenn mindestens 15 Prozent aller Wahlberechtigten dafür sind. Bei einem Volksentscheid über eine Verfassungsänderung müssen zwei Drittel der Wahlteilnehmer zustimmen - mindestens jedoch die Hälfte aller Stimmberechtigten.


Kommunen:

Wenn Bürger in ihrer Gemeinde einen neuen Kindergarten oder einen Sportplatz einrichten wollen, dann können sie ein Bürgerbegehren starten und damit einen Bürgerentscheid erzwingen. Seit die Bürgermitbestimmung in den Kommunen im Jahr 1990 eingeführt wurde, gab es im Lande etwa 300 Bürgerbegehren. Etwa die Hälfte schaffte es zum Bürgerentscheid. Themen dürfen nur Selbstverwaltungsangelegenheiten der Gemeinde oder des Kreises sein. Anliegen, die in die Zuständigkeit des Landes oder des Bundes fallen, sind ausgeschlossen. Ebenfalls nicht möglich sind Entscheidungen über Haushalt und Gebühren. In den Kommunen gibt es ein Zwei-Stufen-Modell.

1. Bürgerbegehren
Hier muss eine bestimmte Anzahl der Bürger ihre Unterstützung signalisieren. Die Quote variiert nach Einwohnergröße. Bei Orten bis 10.000 Einwohnern liegt sie bei zehn Prozent, bei 50.000 bis 100.000 sind es sechs Prozent. In den Großstädten Kiel und Lübeck müssen nur vier Prozent zustimmen. Hintergrund: Je größer der Ort, desto schwieriger gestaltet sich die Suche nach Unterstützern.

2. Bürgerentscheid
Dieser ist erfolgreich, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten die gestellte Frage mit "Ja" beantwortet, sofern diese Mehrheit ein bestimmtes, nach Einwohnergröße gestaffeltes Quorum erreicht. So müssen in Gemeinden mit bis zu 10.000 Einwohnern 20 Prozent, in den großen Städten jedoch nur acht Prozent zustimmen.

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Quelle:
Der Landtag, Nr. 03 / September 2016, S. 3
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers:
Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages
Referat für Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungsmanagement
Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel
Tobias Rischer (verantwortlich)
Telefon: 0431/988 1120
E-Mail: tobias.rischer@landtag.ltsh.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2016

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