Schattenblick →INFOPOOL →PARLAMENT → LANDESPARLAMENTE

SCHLESWIG-HOLSTEIN/2064: Innenausschuss diskutiert mit Experten über Hürden im Wahlrecht (Landtag)


Der Landtag - Nr. 02 / Juli 2014
Die Parlamentszeitschrift für Schleswig-Holstein

Fünf Prozent? Drei Prozent? Ersatzstimme?
Innenausschuss diskutiert mit Experten über Hürden im Wahlrecht



Die Europawahl Ende Mai ist in Deutschland erstmals ohne Sperrklausel über die Bühne gegangen. Ein Modell auch für Landtagswahlen?


Die Piraten schlagen vor, die Fünf-Prozent-Regel in Schleswig-Holstein zu streichen oder zu senken. Denn: Die Hürde entwerte die Stimmen für kleinere Parteien und verhindere, dass "neue Ideen" und "politischer Wettbewerb" in den Landtag einziehen. Außerdem bringen die Piraten die "Ersatzstimme" ins Spiel. Wähler, deren Lieblingspartei an der Hürde scheitert, wären dann über ihre Auswahl Nummer zwei im Parlament vertreten. Über die verschiedenen Modelle diskutierte der Innen- und Rechtsausschuss Anfang Mai mit Experten.


Pro fünf Prozent:

Ein klares Ja zur bisherigen Fünf-Prozent-Regel kam vom ehemaligen SPD-Innenminister und Jura-Professor Hans-Peter Bull. Es habe sich bewährt, bemerkte Bull in der dreistündigen Anhörung, eine Eintrittsschwelle zu errichten und damit die "Funktionsfähigkeit" des Parlaments zu gewährleisten. Bull warnte vor einer "überproportionalen Macht der Kleinsten": Niemand habe "einen Anspruch darauf, mit seinen originellen Ideen im Parlament vertreten zu sein".

Das sah Prof. Joachim Krause, Politikwissenschaftler von der Uni Kiel, genauso: Es gebe in der modernen Gesellschaft so viele verschiedene Interessen, Meinungen und Weltanschauungen, "dass Wege gefunden werden müssen, diese Vielfalt zu reduzieren beziehungsweise zu bündeln". Ansonsten sei das deutsche Regierungssystem, "eines der stabilsten und erfolgreichsten in Europa", gefährdet. Krause warnte den Landtag davor, "aus dem Konvoi auszuscheren" und als erstes Bundesland die Sperrklausel abzuschaffen. Auch Nico Lange von der Konrad-Adenauer-Stiftung brach eine Lanze für die derzeitige Regelung: Es gebe keine "wertlosen Stimmen". Auch wer an der Hürde scheitere, erhalte öffentliche Aufmerksamkeit und profitiere von der staatlichen Parteienfinanzierung.


Pro drei Prozent:

Tim Weber vom Verein "Mehr Demokratie" aus Bremen mahnte, die Fünf-Prozent-Hürde schränke die Gleichheit der Wählerstimmen stark ein. Die jetzige Schwelle liege "am Rande dessen, was verfassungsrechtlich noch geht". Sein Vorschlag: eine Drei-Prozent-Hürde. Dafür erhielt er Unterstützung von Prof. Friedrich Pukelsheim: "Die Fünf-Prozent-Hürde ist zulässig, aber offensichtlich unbegründet", urteilte der Mathematiker aus Augsburg. Nach seiner Berechnung hätte es bei den letzten vier Urnengängen im Lande keinen Unterschied gemacht, ob eine Fünf- oder eine Drei-Prozent-Hürde gegolten hätte. Es wären jeweils dieselben Mehrheitsverhältnisse im Landtag herausgekommen.


Pro Ersatzstimme:

Falls die Sperrklausel bleiben sollte, dann mit "Ersatzstimme", warb Björn Benken von der "Aktion Wahlreform". Die Idee: Wer sich nicht sicher ist, ob seine Partei den Sprung ins Parlament schafft, schreibt eine "2" oder ein "E" neben die Liste einer anderen Partei. Sollte Partei Nummer eins scheitern, würde das Zweitvotum gezählt werden. "Das mildert den Grundrechtseingriff ab", unterstrich Benken, und "wertet die parlamentarische Demokratie als ganzes auf". Die Wahlhelfer würden dadurch nicht überlastet, meinte Benken: "Das Nachzählen dauert maximal 60 Minuten pro Wahllokal".


Die Vorschläge der Experten werden nun im Ausschuss und in den Fraktionen weiter diskutiert. Genug Zeit für eine gründliche Debatte hat der Landtag: Die schleswig-holsteinischen Wähler werden voraussichtlich erst im Frühjahr 2017 wieder zu den Urnen gerufen.

*

Quelle:
Der Landtag, Nr. 02 / Juli 2014, S. 24
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers:
Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages
Referat für Öffentlichkeitsarbeit, L143,
Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel
Tobias Rischer (verantwortlich)
Telefon: 0431/988 1120
E-Mail: tobias.rischer@landtag.ltsh.de
Internet: www.sh-landtag.de
 
Abonnement und Versand sind kostenfrei.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2014