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RHEINLAND-PFALZ/2712: Appell für freien Journalismus in der Türkei (StZ)


StaatsZeitung, Nr. 36/2012 - Staatsanzeiger für Rheinland-Pfalz
Der Landtag - Nachrichten und Berichte, 1. Oktober 2012

Appell für freien Journalismus in der Türkei

Medien- und Netzpolitiker des Landtags führen Gespräche in Ankara und Istanbul



Während ihres fünftägigen Aufenthalts in der Türkei absolvierten die Mitglieder des Ausschusses für Medien und Netzpolitik unter der Leitung von Landtagsvizepräsidentin Hannelore Klamm und der Ausschussvorsitzenden Margit Mohr (SPD) ein ehrgeiziges Arbeitsprogramm. Die Delegation nahm die Gelegenheit wahr, sowohl in Ankara als auch in Istanbul eine Vielzahl von Fachgesprächen zu aktuellen medien- und netzpolitischen Themen zu führen.

Das umfangreiche Programm begann in der Hauptstadt Ankara mit einem Besuch des Presse- und Informationsamtes, das landesweit für die Erteilung von Presseausweisen und die Akkreditierung von Journalisten zuständig ist. Desweiteren fand ein Gespräch beim Hohen Rundfunk- und Fernsehrat statt, der seit dem Ende des Rundfunkmonopols 1994 die privaten Fernseh- und Radiosender beaufsichtigt. Einen Einblick in das Tätigkeitsfeld einer weiteren staatlichen Stelle konnten die Teilnehmer bei der Regulationsbehörde für Informationstechnik und Kommunikation erlangen. Besuche beim staatlichen TV- und Radiosender TRT sowie der Türksat Behörde, die in der Türkei für die Einführung von E-Government zuständig ist, rundeten den Aufenthalt in Ankara ab.

In der Medienmetropole Istanbul traf sich die Delegation mit Journalisten des Web-Magazins Hürriyet Online und des türkischen Nachrichtensenders ntv. Auf dem Campus der Bilgi-Universität tauschten sich die Ausschussmitglieder schließlich mit Prof. Dr. Yaman Akdeniz zur Medien- und Netzfreiheit und der Bedeutung der Social Media in der Türkei aus. Der Professor der Rechtswissenschaften, der Unternehmen und private Initiativen in gerichtlichen Verfahren beim Zugang zum Internet unterstützt, wies darauf hin, dass in der Türkei gegenwärtig schätzungsweise 20.000 Websites gesperrt seien. Er kritisierte, dass das geltende türkische Recht dem Staat weitreichende Möglichkeiten biete, um Journalisten grundlos bereits auf Verdacht strafrechtlich zu verfolgen und eine kritische Berichterstattung zu unterbinden.

Eine zunehmende Bedeutung erlangten daher soziale Internet-Plattformen wie Twitter, Facebook und YouTube, die gerade der jungen türkischen Generation einen unbeeinflussten Meinungsaustausch ermöglichten. Allerdings würden auch solche Webdienste der staatlichen Zensur unterliegen. Als Beispiel nannte Prof. Akdeniz die zweijährige Sperre von You Tube und eine große Anzahl von geblockten Facebook-Profilen. Es sei daher wichtig, dass im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen solche Umstände politisch thematisiert würden und der Druck auf die türkische Regierung aufrechterhalten bliebe, damit positive Veränderungen zu Gunsten einer freien und offenen Gesellschaft erreicht werden könnten.

Über die staatliche Beeinflussung der Medienberichterstattung erkundigten sich die Mitglieder des Medienausschusses auch bei einem Treffen mit der Journalistin Nadire Mater, der zwölf Jahre Haft drohten, weil sie in ihrer Interviewsammlung "Mehmets Buch" Wehrpflichtige über ihren Einsatz im kurdischen Südosten der Türkei berichten ließ. Nadire Mater wies die Delegation auf das Problem hin, dass mittlerweile alle großen Medienunternehmen Mischkonzerne darstellten, die überwiegend auf anderen wirtschaftlichen Feldern wie beispielsweise dem Energiesektor tätig seien. Bei der öffentlichen Vergabe von Aufträgen würden dann solche Unternehmen bevorzugt, deren Mediensparte regierungsfreundlich berichtet habe. Die Folge sei, dass in den türkischen Medien eine massive Selbstzensur existiere.

Vizepräsidentin Hannelore Klamm resümierte am Ende der Informationsfahrt: "Ich bin davon überzeugt, dass gerade die Gespräche mit Prof. Dr. Yaman Akdeniz und Nadire Mater ein authentisches Bild von der aktuellen Lage der türkischen Medienlandschaft aufgezeigt haben. Es bleibt zu hoffen, dass in diesem großartigen Land in Zukunft die Medien- und Netzfreiheit hinreichend geschützt werden und gesellschaftliche Werte wie Meinungsvielfalt auch einen höheren politischen Stellenwert erlangen".

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Quelle:
StaatsZeitung, Staatsanzeiger für Rheinland-Pfalz, Nr. 36/2012, Seite 4
Der Landtag - Nachrichten und Bericht
Redaktion: Walter Schumacher (verantwortlich)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2012