Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → LANDESPARLAMENTE


NORDRHEIN-WESTFALEN/2276: Demokratie - "Eine Haltung, die im Alltag beginnt" (Li)


Landtag intern 9/2016
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Demokratie: "Eine Haltung, die im Alltag beginnt"

Das Interview führte Dr. Stephan Malessa


Seit 70 Jahren fördert die Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen das demokratische Bewusstsein und die politische Teilhabe. Sie ist damit so alt wie das Land und der Landtag NRW. Anlässlich des runden Geburtstags sprach Landtag Intern mit der Leiterin Maria Springenberg-Eich.


Frau Springenberg-Eich, das Motto der Landeszentrale für politische Bildung ist "Demokratie leben". Wie lebt man Demokratie?

Demokratie ist eine Haltung, die im Alltag beginnt. Wir alle können Demokratie täglich leben. Anlässlich des NRW-Tages haben wir Menschen im Landtag gefragt, was "Demokratie leben" für sie bedeutet. Für die meisten Menschen ist demnach ein respektvolles Handeln wichtig. Aber auch die "Freiheit zu leben" und die Fähigkeit, "Konflikte friedlich zu lösen" spielten für die Befragten eine wichtige Rolle. Wir dürfen nicht vergessen, dass Demokratie ein dynamischer Prozess ist. Auch wenn das Feld abgesteckt ist, werden einzelne Aspekte in unserer Staatsform regelmäßig neu vermessen. Hier kann sich jede und jeder beteiligen. Carolin Emcke hat in ihrer Rede bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels erst kürzlich gesagt: "Demokratische Geschichte wird von allen gemacht." Genauso ist es. Jeder und jede Einzelne ist Teil unserer Demokratie.


Neue Angebote im Internet
Es gibt die Landeszentrale für politische Bildung in NRW jetzt seit 70 Jahren. Wie hat sich die politische Bildung verändert?

Politische Bildung muss immer auf der Höhe der Zeit sein. Wenn man unsere Arbeit heute mit der aus der Gründungszeit vergleicht, sieht man natürlich große Unterschiede. 1946 haben wir zunächst nur mit Publikationen über unsere Arbeit informiert. Später gehörten - parallel zur inhaltlichen Ausdifferenzierung unserer Arbeit - auch Tagungen, Fortbildungen, Filme, Dia-Reihen oder Tonträger zu unserem Angebot. Heute nutzen wir einen eigenen Youtube-Kanal mit über 330 Web-Videos und sind in den sozialen Netzwerken aktiv. Daneben bieten wir Beratungsstrukturen im Bereich Rechtsextremismus und Rassismus an und organisieren Veranstaltungen, die vom Demokratie-Training über Europa-Seminare bis hin zur Prävention im Bereich des gewaltbereiten Salafismus gehen.

Was sind die Herausforderungen der Landeszentrale für die kommenden Jahre?

Tiefgreifende gesellschaftliche Umbrüche stellen vermeintliche Selbstverständlichkeiten und Selbstgewissheiten der Demokratie infrage und erhöhen damit den Bedarf an Orientierung und Vergewisserung des demokratischen Standorts. Rechtspopulisten und Extremisten machen Stimmung gegen Geflüchtete und Minderheiten. Das sehen wir nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Wir erleben in vielen Fällen eine Abkehr von einem respektvollen und friedlichen politischen Diskurs. Wir erleben eine feindselige Rhetorik, die längst nicht mehr nur in den sozialen Netzwerken zu finden ist. Das senkt meines Erachtens auch die Hemmschwelle für Gewalttaten. Gerade vor diesem Hintergrund muss die politische Bildung noch stärker für eine demokratische Kultur eintreten. Wir wollen mit unserer Arbeit die Fundamente der Demokratie festigen, die Zivilgesellschaft stärken und die Bürgerinnen und Bürger zu reflektiertem demokratisch- politischen Handeln befähigen.

Es scheint, als würde die politische Auseinandersetzung härter. Politikerinnen und Politiker werden oft im Internet beschimpft. Hat sich die gesellschaftliche Wahrnehmung von Politik verändert?

Die Auseinandersetzung mit Politik ist heute viel direkter und mitunter auch aggressiver. Es werden nicht nur Politikerinnen und Politiker beschimpft, sondern auch diejenigen, die einfach nur anderer Meinung sind. Vor allem in den sozialen Netzwerken beobachten wir einen raueren und respektlosen Umgang mit Andersdenkenden. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass die sozialen Netzwerke als Echokammern der eigenen Wahrnehmung funktionieren, in denen man Zustimmung und Verstärkung von Gleichgesinnten erhält. Der Vorwurf der Lügenpresse, der von den Rechtspopulisten immer wieder erhoben wird, sorgt bei einigen Menschen dafür, dass sie die Rolle bislang anerkannter Leitmedien nicht mehr akzeptieren. Dies hat natürlich unmittelbare Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Politik, die zunehmend Gegenstand populistischer Polemik in virtuellen Filterblasen wird.

Sind die sozialen Medien ein Fluch oder Segen für die Demokratie?

Beides. Ein Fluch, weil sie durch die Phänomene Hatespeech und Echokammern den offenen und fairen politischen Diskurs gefährden. Ein Segen, weil es noch nie so leicht war, an politischen Prozessen zu partizipieren, sich einzubringen, mit zu diskutieren - auch mit Politikerinnen und Politikern.


Erfolgsgeschichte Wahl-O-Mat
Viele kennen die Landeszentrale durch ihre Publikationsreihe. Wie verändert sich die Mediennutzung und wie reagieren Sie darauf?

Die Bürgerinnen und Bürger nutzen das Publikationsangebot weiterhin in starkem Maße. Die Bücher sind nach wie vor eine Qualitätsmarke der Landeszentrale, aber unser Angebot hat sich im Vergleich zu früher deutlich diversifiziert. Wir bieten Hörbücher, Graphic Novels, Kinder- und Jugendbücher, aber auch E-Books zu den zentralen Themen der politischen Bildung an. Dadurch entstehen zusätzliche Anknüpfungspunkte zum Internet. Zudem werden durch crossmediale Angebote komplementäre Inhalte in analoger und digitaler Form präsentiert.

Die Landeszentrale bietet einen Wahl-O-Mat zur Landtagswahl an. Wie stark wird er genutzt und wie wichtig ist er für die politische Bildung und die Wahlentscheidung der Nutzerinnen und Nutzer?

Als eine der ersten Landeszentralen haben wir 2004 den Wahl-O-Mat angeboten und damit ein etabliertes Format geschaffen, das millionenfach bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag und zum Landtag von Nordrhein-Westfalen genutzt wird. Die Nutzerzahlen sind im Lauf der Jahre kontinuierlich gestiegen und lagen bei der letzten Landtagswahl bei über eine Million Nutzern. Dieser Erfolg freut uns sehr. Für die politische Bildung ist der Wahl-O-Mat auch deswegen von Bedeutung, weil dieses Tool die Menschen an das Thema Wahlen heranführt. Die Wahlentscheidungen beeinflusst er wohl eher zu einem geringen Grad, weil etwa 90 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer sich durch ihre ausgewählten Präferenzen hinsichtlich der Parteien bestätigt sehen.


Die Aufgaben der Landeszentrale für politische Bildung NRW

Die Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen bietet Medien, Veranstaltungen und Informationen zu Demokratie, Geschichte und politischer Kultur an. Sie ist die älteste Einrichtung dieser Art in Deutschland.

Die Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen ist eine überparteiliche Bildungseinrichtung. Sie hat die Aufgabe, demokratisches Bewusstsein und politische Partizipation in NRW zu fördern.

Sie wurde am 2. Oktober 1946 als "Staatsbürgerliche Bildungsstelle" vom ersten Ministerpräsidenten des Landes NRW, Rudolf Amelunxen, gegründet und erhielt 1967 ihren heutigen Namen. Sie gehört seit 2010 zum Geschäftsbereich des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen. NRW war das erste Bundesland mit einer Landeseinrichtung für politische Bildung.

Ihren 70. Geburtstag feierte die Einrichtung am 24. Oktober 2016 mit einer Festveranstaltung im Landtag. Abgeordnete des Landtags, Mitglieder des Landtagspräsidiums und der Landesregierung, Autorinnen und Autoren, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kamen zum Fest und diskutierten über aktuelle Herausforderungen der politischen Bildung. Landtagspräsidentin Carina Gödecke gratulierte der Landeszentrale zum Geburtstag: "Politische Bildung ist unerlässlicher Bestandteil einer lebendigen Demokratie. Die Landeszentrale für politische Bildung leistet hier seit 70 Jahren einen vorbildlichen Beitrag. Dafür danke ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Namen des gesamten Landtags und wünsche zum Jubiläum alles Gute."


"Demokratie leben"

Unter dem Leitmotiv "Demokratie leben" soll die Landeszentrale für politische Bildung die demokratische Kultur in Nordrhein-Westfalen fördern. Mit Publikationen, Veranstaltungen, Online-Angeboten und der Förderung von Bildungsträgern soll sie Interesse an politischen Prozessen wecken, Teilhabe ermöglichen und das politische und bürgerschaftliche Engagement stärken.

Die Landeszentrale verfügt über ein großes Angebot an Publikationen und Medien, von Spielen über Unterrichtsmaterial bis hin zu wissenschaftlichen Werken.

Auch im Internet ist die Landeszentrale aktiv. Neben der Internetseite www.politische-bildung.nrw.de betreibt sie Profile in sozialen Medien. In ihrem Youtube-Kanal gibt es ein breites Spektrum von Videos.

In regelmäßigen Veranstaltungen geht es vor Ort um die vielen Themen der Landeszentrale für politische Bildung: Projekte in Schulen gegen Antisemitismus, Planspiele zu Europathemen oder Lesungen für Kinder zur Geschichte von Nordrhein-Westfalen.

Einen Bericht zur Festveranstaltung im Landtag finden Sie unter:
www.landtag.nrw.de.

*

Quelle:
Landtag intern 9 - 47. Jahrgang, 15.11.2016, S. 16
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
Postfach 10 11 43, 40002 Düsseldorf
Telefon (0211) 884-2472, -2850, -2442, -2304, -2107, -2309
Telefax (0211) 884-2250
email@landtag.nrw.de
Internet: www.landtag.nrw.de, www.landtagintern.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Februar 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang