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NORDRHEIN-WESTFALEN/2240: Integration - Sieben Anträge und viele Fachleute (Li)


Landtag intern 4/2016
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Integration: Sieben Anträge und viele Fachleute
Gemeinsame Anhörung zweier Fachausschüsse im Plenarsaal

Von Michael Zabka


27. April 2016 - Mehr als 30 Sachverständige, umfangreiche und detaillierte Stellungnahmen, viele Zuhörerinnen und Zuhörer im Plenarsaal: In einer gemeinsamen Anhörung des Integrationsausschusses und des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales ging es erneut um die Integration von Flüchtlingen. Allein im vergangenen Jahr waren nach Angaben der Landesregierung rund 330.000 Schutzsuchende nach Nordrhein-Westfalen gekommen.


Sieben Anträge der Fraktionen lagen den Beratungen zugrunde, darunter der von Rot-Grün vorgelegte "Integrationsplan für NRW" (siehe Eckpunkte unten). Zuvor hatten sich bereits 16 Fachausschüsse mit den sie betreffenden Themen befasst. Im Mittelpunkt der fünfstündigen Anhörung standen nun u. a. die Integration vor Ort als Aufgabe für Kommunen, Bund und Land, die Sprach- und Wertevermittlung sowie Ausbildung und Arbeit. Landtag Intern stellt Auszüge aus den schriftlichen Stellungnahmen vor.

Grundvoraussetzung von Integration sei das Erlernen der deutschen Sprache, heißt es in der Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände NRW (Städtetag, Landkreistag, Städte- und Gemeindebund): "Gerade Migranten, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie einen Aufenthaltstitel bekommen, sollten noch während des Asylverfahrens an entsprechenden Sprachkursen teilnehmen können." Wichtig seien zudem Betreuungsangebote für Kinder, um sie früh mit der deutschen Sprache und Kultur vertraut zu machen. Ein weiteres Ziel müsse sein, "Begegnungen zwischen Flüchtlingen, Asylbewerbern und sonstigen Personen mit Migrationshintergrund mit der ortsansässigen Bevölkerung zu organisieren". Dies sei eine "zentrale Kulturaufgabe". Die Arbeitsgemeinschaft geht davon aus, dass die Kommunen bundesweit etwa 10 Milliarden Euro jährlich für die Integration aufbringen müssen. Dies könnten sie alleine nicht schultern. Erforderlich sei ein "Gesamtfinanzierungspaket, das Planungssicherheit schafft".

Von großer Bedeutung sei die Integration der Flüchtlinge in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, so die Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit. Sie berichtet in ihrer Stellungnahme u. a. über das Modellprojekt "Early Intervention". Dabei seien Asylbewerberinnen und -bewerber "bereits während des laufenden Asylverfahrens und vor Ablauf der dreimonatigen Arbeitsverbotsfrist in Prozesse und Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration einbezogen" worden. Durch eine frühzeitige Ansprache "erreichen die Agenturen für Arbeit und Jobcenter Flüchtlinge mit einer hohen Bleibewahrscheinlichkeit und stellen die Weichen für einen erfolgreichen Berufseinstieg".

Die Landesarbeitsgemeinschaft der Jobcenter vermisst in den Anträgen der Fraktionen von SPD und GRÜNEN Hinweise auf die "Schlüsselrolle der Jobcenter". Sie seien "häufig die ersten Institutionen, die anerkannten Geflüchteten konkrete Angebote für Sprachkurse, Arbeitsgelegenheiten und Aktivierungsmaßnahmen in Kombination mit Sprachmodulen machen". Die Jobcenter seien für diese Aufgaben jedoch unzureichend ausgestattet.

Fehlende Sprachkenntnisse seien das größte Hemmnis, Flüchtlinge einzustellen, heißt es in der Stellungnahme des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Erste Erhebungen deuteten darauf hin, dass bei den Deutschkenntnissen "noch erheblicher Qualifizierungsbedarf besteht". Deshalb sei es wichtig, "sprachliche und fachliche Qualifikationen verpflichtend in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu erfassen". Sinnvoll sei außerdem, das Angebot berufsbezogener Sprachkurse weiter auszubauen.

Parlamentarischer Prozess

In der Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW heißt es: "Besonders begrüßenswert ist die Tatsache, dass die aktuellen Herausforderungen bei Integration und Teilhabe von Zugewanderten vom Landtag in einem parlamentarischen Prozess aufgenommen werden, um diese Aufgabe in einem von allen Parteien getragenen Konzept umzusetzen". Bedauerlich sei jedoch, dass die Angebote der Freien Wohlfahrtspflege nicht erwähnt würden. Die Arbeitsgemeinschaft kritisierte darüber hinaus "die Betonung der Förderung von Flüchtlingen mit einer guten Bleibeperspektive". Dies sei eine Ungleichbehandlung.

Der Landesintegrationsrat begrüßt das Vorhaben der Regierungsfraktionen, einen Integrationsplan für Flüchtlinge aufzulegen. Allerdings stelle sich die Frage, ob ein solcher Plan nicht auch für die seit langem in NRW lebenden Migrantinnen und Migranten erforderlich sei. Für sie bestehe in vielen Bereichen nach wie vor keine Chancengleichheit: "Die nicht zufriedenstellende Situation dieser Menschen darf in Anbetracht des Kümmerns um Flüchtlinge nicht vergessen werden."

Das Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (Universität Duisburg-Essen) kritisiert in seiner Stellungnahme die Dauer der Anerkennungsverfahren. Sie könne sich "zu einer deutlichen Integrationsbremse auswachsen". Auch seien mit Blick auf die Berufsintegration mehr fachsprachliche Angebote nötig.

Die Ärztekammer Westfalen-Lippe hielt u. a. die sprachliche Unterstützung von Ärzten und Patienten für erforderlich. Der Zugang zu professionellen Dolmetscherdiensten sollte verbessert, die Finanzierung eindeutig geregelt sein.



Darum geht es

Gegenstand der Anhörung war ein "Integrationsplan für NRW", mit dem SPD und GRÜNE einen Rahmen für weitere Maßnahmen der kommenden Monate und Jahre abstecken wollen. Folgende Eckpunkte sind Teil des Konzepts:

  • Leitbild: NRW als Einwanderungsland mit unverhandelbaren Werten wie Menschenwürde, Respekt und Toleranz, Gleichstellung, Religions-, Presse- und Meinungsfreiheit
  • Erste Schritte: Integrationskurse zur Vermittlung von Sprache und Grundwerten; "Basispaket Verbraucherinformationen"
  • Gesundheit: flächendeckender Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte; besseres Dolmetscher-Angebot für die psychologische Betreuung und Traumabehandlung
  • "Null Toleranz bei Straftaten": Stärkung der Inneren Sicherheit; Rechtskundeunterricht für jugendliche Zugewanderte; verstärkte Einbindung von Migrantenselbstorganisationen bei der Integration
  • Schutzbedürftige Gruppen: Rückzugs- und Schutzräume sowie kultursensible Unterbringung für Frauen, Flüchtlinge mit Behinderungen sowie Menschen mit sexueller Orientierung, die im Heimatland nicht geduldet wird
  • Schule: Nach zusätzlichen 1.300 Willkommensklassen soll der Fokus auf dem gemeinsamen Lernen in der Regelschule liegen, um schulische und gesellschaftliche Integration zu forcieren. Fort- und Weiterbildung für Lehrkräfte mit dem Fokus heterogener Schülergruppen; interkulturelle Schul- und Unterrichtsentwicklung; Ausweitung von "Deutsch als Zweitsprache"; Maßnahmen, um auch nach Ende der Schulpflicht Abschlüsse zu ermöglichen
  • Weiterbildung: Ausbau der Bildungs- und Weiterbildungsangebote mit den Schwerpunkten Grundbildung, Alphabetisierung und Kulturbildung, um eine Anbindung an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu ermöglichen
  • Ausbildung: spezielle Einstiegsprogramme; Aufenthaltsrecht während der Ausbildung und der ersten zwei folgenden Berufsjahre; pragmatische Ansätze und Flexibilität bei der Bundesagentur für Arbeit
  • Arbeit: modulare Aus- und Weiterbildungen, die vorhandene Kenntnisse berücksichtigen; Ausweitung des sozialen Arbeitsmarkts
  • Wohnen: mehr sozialer Wohnungsbau; Integrationsmöglichkeiten von Flüchtlingen im Bauhandwerk
  • Sport als Integrationsmotor
  • Kultur und Medien: Ausbau der Breiten- und Laienkultur
  • Rassismus-Prävention
  • Bund, Land und Kommune sollen als gemeinsame Akteure an einem Strang ziehen. Gefordert werden auch Anstrengungen des Bundes:
  • Kindertagesstätten: Forderung einer "Integrationsoffensive Kita" des Bundes für mindestens 80.000 zusätzliche Kitaplätze und 20.000 zusätzliche Stellen
  • Hochschule: Forderung von finanziellen Mitteln, um studierfähige Flüchtlinge zu unterstützen und Studienabbrüche zu vermeiden; Lockerung von bisherigen Zugangsbeschränkungen; Ansprechpersonen an der Hochschule

Neben dem Antrag der Fraktionen von SPD und Grünen lagen weitere Anträge als Diskussionsgrundlage für die Anhörung vor, die jeweils einzelne Aspekte betreffen: ein Änderungsantrag der PIRATEN (Drs. 16/11318), ein Antrag der CDU (Drs. 16/11225), ein Entschließungsantrag der FDP (Drs. 16/11299), zwei Anträge der PIRATEN (Drs. 16/11218 und Drs. 16/9588) sowie ein weiterer Antrag der CDU (Drs. 16/11434).

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Quelle:
Landtag intern 4 - 47. Jahrgang, 18.05.2016, S. 12-13
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2016

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