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NORDRHEIN-WESTFALEN/2236: Spuren der Gewalt - Anonyme Beweissicherung für Opfer (Li)


Landtag intern 3/2016
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Spuren der Gewalt
Ausschuss diskutiert anonyme Beweissicherung für Opfer

Von Sonja Wand


13. April 2016 - Nach einer Gewalterfahrung sind oftmals die seelischen und körperlichen Wunden zu schmerzhaft, um sich mit juristischen Verfahren auseinanderzusetzen. Dann lassen Opfer mögliche Spuren häufig nicht rechtzeitig sichern. Entschließt sich jemand nach einer Zeit zur Anzeige, können aber möglicherweise keine Spuren mehr gesichert werden. Mit diesem Dilemma hat sich der Frauenausschuss befasst, denn meistens sind es Frauen, die Opfer von häuslicher oder sexualisierter Gewalt werden.


In Nordrhein-Westfalen gibt es einige Anlaufstellen, bei denen Betroffene, beispielsweise nach Vergewaltigungen, anonym Spuren der Gewalt, die ihnen widerfahren ist, sichern lassen können. Damit liegen für spätere juristische Verfahren Beweise vor.

Oft hielten Angst und Scham, das Ausweichen vor dem erlebten Trauma oder Sprachlosigkeit diese Frauen, aber auch Männer von einer sofortigen Anzeige ab, erklärte Prof. Dr. Claudia Hornberg von der Universität Bielefeld, die im Auftrag des Frauenministeriums NRW regionale Projekte zur anonymen Spurensicherung analysiert hat. Es gibt sie in Bonn/Rhein- Sieg, Bochum/Herne, Bottrop/Gladbeck, Düren/ Jülich, Düsseldorf, im Ennepe-Ruhr-Kreis mit Schwelm und Witten, in Euskirchen, Köln, Wuppertal/Remscheid/Solingen, Leverkusen und Bielefeld. Weitere 13 sind in Planung.

Ländlicher Raum unterversorgt

Die Situation in Nordrhein-Westfalen stelle sich höchst unterschiedlich dar, erklärte die Expertin im Ausschuss. Manche ländlichen Regionen seien unterversorgt, was ein großes Problem bedeute: In der Belastungssituation eine Klinik aufzusuchen, sei schwer genug. Umso dringender brauche es eine Anlaufstelle in der Nähe. Alle Stellen müssten gemeinsame Standards bekommen, darüber hinaus aber an regionale Gegebenheiten angepasst sein, verwies die Expertin etwa auf die Altersstruktur der Region.

Eine weitere Erkenntnis: Vielen Ärztinnen und Ärzten fehle die Erfahrung, gerichtsfeste Beweise bei Gewaltopfern zu sichern. Vor diesem Hintergrund hielt Hornberg es für unerlässlich, das ärztliche Personal kontinuierlich fortzubilden. Gerade wegen der hohen Fluktuation in Krankenhäusern gelinge es sonst nicht, alle zu erreichen.

Beschaffung und Transport

Darüber hinaus forderte die Expertin eine verlässliche Regelung für die Beschaffung des Materials, die zur Beweissicherung gebraucht würden. Ebenso wichtig seien einheitliche Bestimmungen für den Transport der erhaltenen Beweise zu einer zuverlässigen Lagerstätte. Diese Erfordernisse seien ebenso kurzfristig umsetzbar wie die Entwicklung landeseinheitlicher Untersuchungsbögen.

Mittelfristig hielt Hornbach eine landesweite Öffentlichkeitskampagne für dringend erforderlich. Nur wenn die Angebote der anonymen Spurensicherung bekannt würden, könne sich etwas an der hohen Dunkelziffer ändern. Und langfristig schließlich plädierte sie dafür, den Komplex Gewalt und Gewaltopfer im Studium der angehenden Ärztinnen und Ärzte, in der Ausbildung von Physio- und Ergotherapeuten sowie Pflegekräften zu verankern. Auch in der schulischen Prävention sah sie einen wichtigen Baustein.

Im Ausschuss herrschte Einigkeit über den Handlungsbedarf. Regina Kopp-Herr (SPD) begrüßte, dass es mit dem Projekt "GOBSIS" bereits ein Dokumentationssystem für Ärztinnen und Ärzte gebe, Zeichen von Gewalt einheitlich und anonym zu erfassen. Regina van Dinther (CDU) fragte nach der geforderten Finanzierung für eine landesweite Versorgung mit Anlaufstellen. Josefine Paul (GRÜNE) wollte wissen, wie es gelingen könne, die Ärzteschaft mit den Verfahren vertraut zu machen. Ob ein von Hornbach für die weitere Entwicklung geforderter Fachbeirat wirklich nötig sei, fragte Susanne Schneider (FDP) und empfahl schlanke Strukturen.

Es gehe um spezifische Expertise bei Bedarf, nicht um turnusmäßige lange Sitzungen, erklärte die Professorin. Die Rekrutierung der Ärztinnen und Ärzte sei mit Blick auf die hohe Belastung in den Kliniken in der Tat schwierig.

Frauen- und Gesundheitsministerin Barbara Steffens (GRÜNE) plädierte deshalb dafür, das digitale Dokumentationssystem "GOBSIS" so zu gestalten, dass es auch ein unerfahrener Facharzt im Wochenenddienst problemlos bedienen könne. Zudem müsse er sich mit spezialisierten Kolleginnen und Kollegen telefonisch austauschen können. Eine solche Erreichbarkeit müsse Teil des Dokumentationssystems sein. Für zentral hielt Steffens die Frage der absolut gerichtsfesten Spurensicherung und der breiten Information der Öffentlichkeit über anonyme Spurensicherung.

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Quelle:
Landtag intern 3 - 47. Jahrgang, 26.04.2016, S. 18
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2016

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