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NORDRHEIN-WESTFALEN/2221: Pro und Contra Sperrklausel (Li)


Landtag intern 1/2016
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Pro und Contra Sperrklausel
Anhörung zur geplanten Wiedereinführung

Von Michael Zabka


21. Januar 2016 - SPD, CDU und GRÜNE wollen eine Sperrklausel von 2,5 Prozent bei Kommunalwahlen einführen. Damit könne eine "Zersplitterung der Kommunalvertretungen", die die Handlungsfähigkeit der Räte und Kreistage beeinträchtige, verhindert werden. In einer Anhörung des Hauptausschusses und des Ausschusses für Kommunalpolitik äußerten sich zahlreiche Sachverständige dazu.


Grundlage der Anhörung war ein Gesetzentwurf von SPD, CDU und GRÜNEN (Drs. 16/9795). Nachdem der NRW-Verfassungsgerichtshof 1999 die bis dahin geltende 5-Prozent-Sperrklausel für verfassungswidrig erklärt und das Land die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen dazu gestrichen hatte, sei es zu einer "Zersplitterung der Kommunalvertretungen" gekommen, heißt es im Entwurf. Die Handlungsfähigkeit der Räte und Kreistage sei dadurch beeinträchtigt. U. a. könnten sich Tagesordnungen und Sitzungen "in einem unvertretbaren Maß in die Länge ziehen".

Dies bestätigte die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände NRW (Städtetag, Landkreistag, Städte- und Gemeindebund): "Ausschuss- und Rats- sowie Kreistagssitzungen dauern teilweise bis weit in die Nacht, weil mitunter gerade die Vertreter von Splitterparteien und Einzelmandatsträger durch das Stellen immer neuer Anträge oder von Nachfragen die Entscheidungsfindung verzögern."

Für die Verabschiedung des Haushalts 2016 sei in der Stadt Düsseldorf eine 15-stündige Ratssitzung erforderlich gewesen, so die Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik, die Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und die Grünen/Alternativen in den Räten NRW in einer gemeinsamen Stellungnahme. Sie wiesen auf den zeitlichen Mehraufwand hin, denen ein ehrenamtliches Ratsmitglied ausgesetzt sei: "Extrem lange und strapaziöse Sitzungen belasten unmittelbar die Vereinbarkeit des kommunalen Mandats mit Beruf und Familie."

Ulrich Roland, Bürgermeister in Gladbeck, kritisierte ebenfalls das Fehlen einer Sperrklausel. Folgen seien "mangelnde Effizienz kommunalpolitischer Arbeit" und eine "erhebliche Bündelung von Ressourcen in der Verwaltung". Das Fehlen einer Sperrklausel sei "letztlich keine Stärkung, sondern eine Schwächung der Demokratie". Die Mehrheitsbildung in den Räten werde schwieriger, befand auch Helmut Ludwig, Fraktionsgeschäftsführer der GRÜNEN im Rat der Stadt Aachen.

Man begrüße die Einführung einer Sperrklausel von 2,5 Prozent ausdrücklich, schrieb die SPD-Fraktion im Rat der Stadt Duisburg. Der Vorschlag sei vernünftig und sollte zur nächsten Kommunalwahl umgesetzt werden, so Stefan Weber, CDU-Fraktionsvorsitzender im Rat der Stadt Münster.

"Zersplitterung"

Die Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen sei mittlerweile erheblich gestört, erklärte Prof. Dr. Jörg Bogumil (Ruhr-Universität Bochum). Es zeige sich eine "erhebliche Zersplitterung und Fragmentierung insbesondere in den Groß-, aber auch in den Mittelstädten".

Eine Funktionsunfähigkeit der Räte und Kreistage sei nicht nachgewiesen, hieß es dagegen in einer Stellungnahme der Vereinigung Liberaler Kommunalpolitiker in Nordrhein-Westfalen. Der Gesetzentwurf sei nicht verfassungskonform. Die Piraten in der Kommunalpolitik in NRW sahen das ebenso. Die Einführung von Sperrklauseln sei demokratiefeindlich, widerspreche dem Wählerwillen und fördere Politikverdrossenheit.

"Der verfassungsändernde Gesetzgeber des Landes ist unter keinem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt gehindert, eine verfassungsunmittelbare 2,5-Prozent-Sperrklausel für Kommunalwahlen in die Verfassung NRW einzufügen", schrieb Prof. Dr. Lothar Michael (Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf) in seiner Stellungnahme.

Prof. Dr. Janbernd Oebbecke (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) hingegen warnte vor der Wiedereinführung einer Sperrklausel. Ihre Aufnahme in die Verfassung setze "die Kommunalwahlen 2020 einem nicht unerheblichen Risiko aus, weil eine rechtzeitige Klärung der Verfassungskonformität" bei der zu erwartenden Klage vor dem Bundesverfassungsgericht nicht sicher erwartet werden könne. Die Einführung der Klausel könne nicht mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit gerechtfertigt werden, die Funktionsfähigkeit der Selbstverwaltung zu sichern. Die kommunale Selbstverwaltung funktioniere in der großen Mehrzahl der Städte und Kreise. Der Gesetzentwurf genüge nicht "den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an die Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit in Bezug auf Kommunalvertretungen gestellt werden", meinte Prof. Dr. Hinnerk Wißmann (Westfälische Wilhelms-Universität Münster).

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Quelle:
Landtag intern 1 - 47. Jahrgang, 02.02.2016, S. 9
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2016

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