Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → LANDESPARLAMENTE


NORDRHEIN-WESTFALEN/2206: Weil ich ein Mädchen bin (Li)


Landtag intern 7/2015
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Weil ich ein Mädchen bin


Der große kleine Unterschied

Diskriminiert vom ersten Atemzug an: So ergeht es Millionen Mädchen auf der ganzen Welt. Zum Internationalen Mädchentag der Vereinten Nationen macht die Hilfsorganisation "Plan International Deutschland" gemeinsam mit dem Landtag auf die Missstände aufmerksam.


Es sind Probleme, die in erster Linie die Entwicklungsländer betreffen: 62 Millionen Mädchen weltweit gehen nicht zur Schule. 14 Millionen unter 18 Jahren werden jedes Jahr zwangsverheiratet. 29 Prozent zwischen 15 und 19 Jahren werden Opfer von Gewalt durch ihre Partner. In vielen Ländern der Erde werden weibliche Föten sogar abgetrieben, weil die Eltern Jungen bevorzugen. Das Risiko, an Mangel- oder Unterernährung zu sterben, ist für Mädchen weitaus größer als für ihre Brüder.

Mit der weltweiten Kampagne "Because I am a Girl" (Weil ich ein Mädchen bin) kämpft "Plan" seit 2012 für die Rechte von Mädchen und für Chancengleichheit auf der ganzen Welt. Unterstützung erhält die Kinderhilfsorganisation vom Landtag: Am 20. Oktober 2015 findet im Landesparlament eine Veranstaltung zum Internationalen Mädchentag statt. Dort wird "Plan"-Geschäftsführerin Maike Röttger den diesjährigen Report der Organisation zur Lage der Mädchen in der Welt vorstellen. An einer Diskussionsrunde nehmen neben Röttger die Obfrauen aller Fraktionen des Ausschusses für Frauenpolitik sowie die Schauspielerin Marion Kracht teil.

Ziel der Kampagne "Because I am a Girl" ist es, die Lebenssituation von benachteiligten Mädchen nachhaltig zu verbessern - insbesondere durch ein Recht auf Bildung. Jedes Mädchen soll mindestens neun Jahre zur Schule gehen oder eine vergleichbare Bildung erhalten. Dies mache eine Heirat zu einem späteren Zeitpunkt wahrscheinlicher und führe dazu, dass sie weniger Kinder bekommen. Ein zusätzliches Jahr Schulbildung kann zudem nach Angaben der Hilfsorganisation das spätere Einkommen eines Mädchens um 10 Prozent erhöhen.

Laut "Plan" ist die Verbesserung der Lebenssituation von Mädchen zugleich der Schlüssel für eine Reduzierung der Armut in den Entwicklungsländern. Mit der Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, werde sich eine junge Frau samt ihrer Familie aus der Armut befreien können. Ihr eigenes Lebensmodell übertrage sie auf ihre Töchter - investiere in deren Ausbildung und deren Gesundheit.


Gegründet 1937

"Plan International" ist eines der weltweit ältesten Kinderhilfswerke und engagiert sich in 51 Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Sitz der deutschen Sektion ist Hamburg. Gegründet wurde die Organisation 1937 durch den britischen Journalisten John Langdon-Davies, den das Leid von Flüchtlings- und Waisenkindern im spanischen Bürgerkrieg aufgerüttelt hatte.

Ziel der Arbeit von "Plan" ist es, die Lebensbedingungen von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien zu verbessern, u.a. durch Projekte in den Bereichen Bildung und Ausbildung, Hygiene, humanitäre Hilfe und Schutz vor HIV-Infektionen. Mehr über "Plan International Deutschland" und die Kampagne "Because I am a Girl" finden Sie unter www.plan-deutschland.de sowie www.biaag.de.


Das Kinderhilfswerk "Plan" (Bericht oben) wird am 20. Oktober 2015 im Landtag über seine Arbeit informieren. Im Mittelpunkt soll dabei die Situation von Mädchen stehen. Geschäftsführerin Maike Röttger berichtet im Interview, warum sie in vielen Ländern noch immer benachteiligt sind.


Landtag Intern: Frau Röttger, können Sie sich an das Lied "Mädchen" von Lucilectric erinnern? 1994 war der Song ein Hit.

Maike Röttger: Ehrlich gesagt, nein.


Landtag Intern: In dem Lied heißt es "Mir geht's so gut, weil ich ein Mädchen bin". Was empfinden Sie, wenn Sie einen solchen Satz hören?

Maike Röttger: Wenn ich das auf die Entwicklungsländer beziehe und dabei auch unsere Kampagne "Because I am a Girl" im Kopf habe, dann stellen sich mir alle Nackenhaare hoch. Den Mädchen auf dieser Welt geht es nicht gut. Ganz im Gegenteil, sie sind - eben nur, weil sie Mädchen sind - im großen Teil dieser Erde nicht nur benachteiligt, sondern ihre Rechte als Menschen und als Frauen werden klar missachtet.


Kreislauf der Armut


Landtag Intern: Wo genau sind Mädchen benachteiligt? Wir reden wahrscheinlich in erster Linie über Entwicklungsländer...

Maike Röttger: Ja, unser Fokus liegt auf der Arbeit in 51 Entwicklungsländern... Dort ist die Benachteiligung besonders gravierend und führt letztlich auch dazu, dass sich diese Gesellschaften nicht aus dem Kreislauf der Armut herausbewegen können. Wir wissen aus unserer Erfahrung als eines der ältesten Kinderhilfswerke weltweit um die Situation der Mädchen auf dieser Welt, und wir wissen auch, welche Auswirkungen es hätte, wenn diese Mädchen gebildet wären. Jedes Jahr, das ein Mädchen nach der Grundschule länger zur Schule geht, würde mindestens 20 Prozent mehr Einkommen in die Familie quasi zurückinvestieren. Das Mädchen würde später weniger Kinder haben und diese würden gesünder aufwachsen. Mädchen zu bilden heißt, den Kreislauf der Armut zu durchbrechen.


Landtag Intern: Welche konkreten Benachteiligungen gibt es neben fehlender Bildung?

Maike Röttger: Für uns ist tatsächlich Bildung der Schlüssel. Wir haben uns angeschaut, warum Mädchen nicht zur Schule gehen. Es gibt unterschiedliche Gründe. Einer ist ganz klar Armut. Wenn die Kinder auf dem Feld mitarbeiten müssen, wenn das Geld für ein Schulheft fehlt, dann gehen sie nicht zur Schule. Potenzielle Gewalt ist ebenfalls eine ganz große Barriere. Wenn Mädchen ein oder zwei Stunden zur Schule laufen müssen, haben die Eltern einfach Angst, sie loszuschicken, weil sie dann möglicherweise vergewaltigt werden könnten. Auch die Gesundheit der Mädchen wird in der Regel hintangestellt. Wenn eine Familie viele Kinder hat, dann werden es zuerst die Jungen sein, die versorgt werden.


Landtag Intern: Warum werden Jungen bevorzugt?

Maike Röttger: Zum einen hat das traditionelle Gründe. Die Rolle des Mädchens ist einfach festgeschrieben und Eltern, die nicht gebildet sind und den Wert von Bildung nicht ermessen können, werden an dieser Tradition festhalten. Hinzu kommt, dass ein Mädchen die Familie in der Regel als junge Frau verlässt und in eine andere Familie einheiratet. Es gibt ein Sprichwort aus Nepal: Ein Mädchen großzuziehen bedeutet, den Garten des Nachbarn zu wässern.


Landtag Intern: Ihre Kampagne heißt "Because I am a Girl", übersetzt: Weil ich ein Mädchen bin. Welche Ziele verfolgen Sie?

Maike Röttger: Wir wollen die Bildungschancen von Mädchen verbessern. Die Kampagne sollte ursprünglich von 2012 bis 2015 laufen, wird aber noch einmal verlängert. Im ersten Teil dieser Kampagne haben wir uns das Ziel gesetzt, 4 Millionen Mädchen eine weiterführende Schulbildung zu ermöglichen. Wir wollen 40 Millionen Mädchen und Jungen über unsere Programme zur Gleichberechtigung erreichen und wir möchten, dass 400 Millionen Menschen insgesamt erreicht werden, indem wir Regierungen dahingehend beeinflussen, dass sie Gleichberechtigung auf ihre Agenda setzen.


Landtag Intern: Können Sie eine Zwischenbilanz ziehen?

Maike Röttger: Unsere Zwischenbilanz fällt sehr gut aus. Wir sind ganz sicher, dass wir diese Zahlen erreichen werden.


Bruder und Schwester


Landtag Intern: Woher stammt der Kampagnen-Titel "Because I am a Girl"?

Maike Röttger: Er geht zurück auf einen Besuch von Senta Berger, unserer Schirmfrau, und meiner Vorgängerin Marianne Raven in einem kleinen Dorf in Nepal. Ihnen fiel ein kleines Mädchen auf, das spärlich bekleidet und auch nicht gut ernährt war und seinen wesentlich besser genährten und gut angezogenen Bruder auf dem Arm trug. Sie haben die Mutter gefragt, warum die Tochter im Vergleich zu ihrem Sohn so ärmlich aussehe. Die Mutter antwortete: Weil sie ein Mädchen ist.


Landtag Intern: Sie werden am 20. Oktober im Landtag über ihre Projekte informieren. Welche Schwerpunkte setzen Sie?

Maike Röttger: Die Kampagne "Because I am a Girl" hat einen Höhepunkt am 11. Oktober, dem Internationalen Mädchentag, der auf Initiative von Plan International von den Vereinten Nationen eingerichtet wurde. Rund um diesen Tag veröffentlichen wir jedes Jahr einen Bericht, der sich mit der Situation der Mädchen weltweit befasst und der uns auch wichtige Daten liefert. Für uns ist es eine riesige Unterstützung, dass der Landtag gemeinsam mit uns diesen Bericht vorstellt und wir dazu noch eine große Veranstaltung mit Jugendlichen haben.


Landtag Intern: Am 11. Oktober wollen Sie auch optisch für Mädchenrechte sensibilisieren und bundesweit bekannte Gebäude pink anstrahlen.

Maike Röttger: Genau. Das machen wir seit einigen Jahren, es ist die sogenannte Pinkifizierung.


Landtag Intern: Welche Gebäude werden in NRW angestrahlt?

Maike Röttger: Zum Welt-Mädchentag werden das Grillo-Theater in Essen pink leuchten sowie das LVR-Landeshaus, die Kirche St. Pantaleon und das Denkmal Jan-von-Werth am Alten Markt in Köln.


Landtag Intern: Viele prominente Frauen unterstützen Ihre Kampagne, die Schauspielerin Senta Berger zum Beispiel ist Schirmfrau. Wie halten es die Männer?

Maike Röttger: In erster Linie haben uns immer Frauen unterstützt. Wir möchten aber zunehmend auch Männer einbinden. Es ist nicht so, dass Männer sich sperren würden. Ganz im Gegenteil. Die Situation der Mädchen auf der Welt können wir nur gemeinsam ändern.

Das Interview führten Wibke Busch und Michael Zabka

*

Quelle:
Landtag intern 7 - 46. Jahrgang, 6.10.2015, S. 14-15
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
Postfach 10 11 43, 40002 Düsseldorf
Telefon (0211) 884-2107, -2324, -2309
Telefax (0211) 884-35 51
email@landtag.nrw.de
Internet: www.landtag.nrw.de, www.landtagintern.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang