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NORDRHEIN-WESTFALEN/2197: Engagement und Hilfsbereitschaft (Li)


Landtag intern 6/2015
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Engagement und Hilfsbereitschaft

Von Wibke Busch und Michael Zabka


2. September 2015 - Bundesweit werden in diesem Jahr etwa 800.000 Flüchtlinge erwartet. Mindestens 170.000 von ihnen, so die offizielle Prognose, wird allein Nordrhein-Westfalen aufnehmen. NRW werde diese Herausforderungen bewältigen, erklärte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Die Opposition jedoch vermisste konkrete Vorschläge.


In einer Unterrichtung des Landtags sagte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD): "Ich bin dankbar dafür, dass in NRW so viele helfen, und ich bin stolz auf unser Land und die Welle der Hilfsbereitschaft, die es gibt." NRW werde die Herausforderungen, vor die es derzeit gestellt sei, bewältigen. Mit Blick auf rassistische Hetze und Gewalt betonte sie: "Diesen Brandstiftern in Wort und Tat sagen wir unmissverständlich: Ihr werdet diese Gesellschaft nicht vergiften mit Euren dumpfen und dummen Parolen." Den Bund forderte die Regierungschefin auf, noch im September verbindliche Zusagen zu machen, wie er sich dauerhaft und strukturell an der Flüchtlingshilfe beteiligen wolle. Kraft sprach sich zudem für ein Einwanderungsgesetz auf Bundesebene aus.

Auch CDU-Fraktionschef Armin Laschet würdigte das Engagement der vielen Helfer, ohne die das "Klima der Willkommenskultur" nicht möglich sei. Deutliche Kritik äußerte er an der Flüchtlingspolitik der rotgrünen Landesregierung. Die Kommunen seien enttäuscht, dass sie nicht mehr Hilfe vom Land erhielten. So werde ihnen derzeit nur ein Drittel der entstehenden Kosten erstattet. In anderen Bundesländern gebe es eine Vollerstattung. NRW brauche zudem Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern, von wo diese schneller zurückgeführt werden könnten, ehe sie die Kommunen erreichten. Auch versage das Land bei der Registrierung der Hilfesuchenden und brauche einen Krisenstab. Wie Kraft warb er für ein Einwanderungsgesetz.

Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Norbert Römer, wies die Kritik zurück. Laschets Auftreten sei "streckenweise populistisch" gewesen. Deutschland stehe vor einer großen nationalen Bewährungsprobe. NRW müsse improvisieren und die Landesregierung wisse, dass sie den Kommunen viel zumute. Es gehe aber derzeit nicht anders. Weil das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Asylanträge nicht schnell genug bearbeite, lasse der Unterbringungsdruck nicht nach. Dies wisse auch Laschet. Er versuche aber, aus dieser Situation landespolitisches Kapital zu schlagen. Römer appellierte zudem an Bundeskanzlerin Angela Merkel und die CDU, sich bei der Debatte um ein Einwanderungsgesetz zu bewegen.

"Wir bekennen uns uneingeschränkt zu der humanitären Verpflichtung, verfolgten Menschen Schutz zu gewähren", erklärte Dr. Joachim Stamp, der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion. Das Boot sei nicht voll, es werde aber sehr schlecht gesteuert. Leidtragende seien die Flüchtlinge in den Unterkünften, aber auch die Kommunen, die "Unterbringung auf Zuruf organisieren müssen". Von Ministerpräsidentin Kraft habe er erwartet, dass sie konzeptionell und konkret Stellung beziehe, sagte Stamp. Dies sei jedoch nicht geschehen. SPD und GRÜNE zeigten nur auf den Bund, die CDU nur aufs Land. Tatsächlich aber müssten beide in ein Gesamtkonzept eingebunden werden, der Bund als Gesetz geber die Verantwortung für die Kosten übernehmen.


"Scheindebatte"

GRÜNEN-Fraktionschef Mehrdad Mostofizadeh dankte der Ministerpräsidentin für ihre "klaren Worte". Man werde "ihren Kurs eins zu eins mit aller Kraft unterstützen". Ausführungen der CDU nannte er "widersprüchlich". Die Landesregierung habe nie den Flüchtlingsprognosen aus Berlin geglaubt, sondern sei stets von höheren Zahlen ausgegangen. Aus diesem Grund seien zusätzliche Lehrerstellen geschaffen worden. Die Diskussion über sichere Herkunftsländer nannte Mostofizadeh eine "Scheindebatte". Er kritisierte zudem "schleppende Asylverfahren" und den "bürokratischen Aufwand". Außerdem forderte der GRÜNENFraktionschef: "Die Zugangsschranken am Arbeitsmarkt müssen fallen. Wir brauchen Zuwanderung in die Arbeitsmärkte."

"Refugees welcome. Wir PIRATEN heißen Euch willkommen in Deutschland und Nordrhein- Westfalen", sagte Fraktionsvorsitzender Michele Marsching. Er habe von der Ministerpräsidentin keine klaren Worte gehört. Die "Untätigkeit der Landesregierung" in den vergangenen Jahren habe aus der Flüchtlingssituation erst ein Problem gemacht. Bis heute habe Rot-Grün "kein Konzept für moderne Asylpolitik vorgelegt". Die weltweiten Migrationsströme seien seit Jahren bekannt gewesen. Marsching forderte die Einrichtung eines Ministeriums für Integration, Flucht und Einwanderung. Dank des Einsatzes Ehrenamtlicher werde man die Herausforderungen bewältigen. Allerdings solle niemand hoffen, "dass die Zivilgesellschaft regelmäßig die Landesregierung rettet".

ANTRÄGE
Verbunden war die Debatte mit Anträgen von SPD und GRÜNEN (Drs. 16/9652), FDP (Drs. 16/9512), CDU (Drs. 16/9514 und Drs. 16/9583) sowie den PIRATEN (Drs. 16/9588 und Drs. 16/9653).


KASTEN
 
Steigende Flüchtlingszahl -
Herausforderung für Land und Kommunen

Die Bilder von Flucht, Not und Elend, die Herausforderungen für Bund, Länder und Kommunen, die alarmierenden Übergriffe auf Unterbringungseinrichtungen sowie rassistische Hetze, aber auch eine große Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft. Kein Zweifel: Die stetig steigende Zahl an Flüchtlingen ist derzeit das bestimmende politische Thema in Deutschland. Allein Nordrhein-Westfalen wird einer Prognose zufolge in diesem Jahr rund 170.000 Menschen aufnehmen - mehr als je zuvor.


Zahlen von Mitte August zufolge werden in diesem Jahr nach ganz Deutschland insgesamt 800.000 Menschen kommen, die eine neue Heimat suchen. Pro Woche erreichen mehr als 7.000 Flüchtlinge Nordrhein-Westfalen. Das Land nimmt damit mehr Hilfesuchende auf als ganz Frankreich.
Dies stellt das Land und die Kommunen an Rhein und Ruhr vor enorme Herausforderungen. So wurde die Erstaufnahmestelle in Dortmund mehrmals für kurze Zeit geschlossen, weil sie die ankommenden Flüchtlinge nicht alle unterbringen konnte.
Bis zum Jahresende wird die Zahl der Flüchtlingsplätze in Landeseinrichtungen nach Angaben der Landesregierung auf 60.000 verdoppelt. Weil es derzeit an dauerhaften Unterbringungsplätzen mangelt, leben Tausende Flüchtlinge in Turnhallen. Diese gelten als für die Unterbringung besonders geeignet, weil sie über sanitäre Einrichtungen verfügen. Das Landesinnenministerium will zur Erstaufnahme zudem künftig auch Jugendherbergen nutzen und bis zu zehn Zelthallen im ganzen Land errichten lassen.
Neben einer solchen Unterkunft in Köln-Chorweiler mit 1.000 Plätzen sollen Rheine, Selm-Borg und Schloss Holte-Stukenbrock Standorte werden. In der Prüfung sind zudem Düsseldorf, Duisburg, Bergkamen, Krefeld, Hopsten und Olfen. Sozialminister Guntram Schneider (SPD) fragte zudem bei den Schützenverbänden des Landes nach, ob sie kurzfristig Kapazitäten bereitstellen können.
In der Flüchtlingsarbeit sind viele Ehrenamtliche engagiert. Zudem meldeten sich bereits mehrere hundert Beamtinnen und Beamte im Ruhestand, um mitzuarbeiten - darunter ehemalige Polizeibeamte und pensionierte Lehrerinnen und Lehrer. Mitarbeiter aus den Landesministerien helfen zudem bei der Registrierung von Flüchtlingen in den Erstaufnahmeeinrichtungen.
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) kündigte im Landtag an, die Landesregierung werde zusätzlich mehr als 310 Millionen Euro für Flüchtlingseinrichtungen zur Verfügung stellen und zudem 50 Millionen Euro für zusätzliche Gebäude und Grundstücke. Geplant sei darüber hinaus, im Haushalt 2015 knapp 400 neue Stellen für die hauptamtliche Betreuung der Flüchtlinge zu schaffen, um ehrenamtliche Helfer zu entlasten. Ein entsprechender Nachtragshaushalt für diese und weitere Maßnahmen werde vom Kabinett noch im September beschlossen. Darüber hinaus werde Rot-Grün im Lauf des Jahres weitere Maßnahmen für den Haushalt 2016 auf den parlamentarischen Weg bringen.
Zur medizinischen Versorgung der Flüchtlinge wurde den Kommunen ermöglicht, eine Gesundheitskarte für Asylsuchende einzuführen. Eine entsprechende Vereinbarung wurde von Vertretern von neun Krankenkassen unterzeichnet. Die Landesregierung erwartet, dass diese Karten für rund 180.000 Flüchtlinge infrage kommen. Sie können dann direkt zum Arzt gehen, wenn sie krank sind.

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Quelle:
Landtag intern 6 - 46. Jahrgang, 8.9.2015, S. 4-5
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2015

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