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NORDRHEIN-WESTFALEN/2187: Kopftuch im Unterricht sorgt für Kopfzerbrechen (Li)


Landtag intern 4/2015
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Kopptuch im Unterricht sorgt für Kopfzerbrechen
Fachleute diskutieren bei Anhörung Verbot des Verbots

Von Michael Zabka


13. Mai 2015 - Im Grunde ist die Sache klar: Lehrerinnen in Nordrhein-Westfalen dürfen im Unterricht künftig ein Kopftuch tragen. So hat es das Bundesverfassungsgericht entschieden und damit die bisherige Regelung in NRW gekippt. Das Tragen eines Kopftuchs dürfe nur dann untersagt werden, wenn der Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gefährdet seien, befand das Gericht. Nur: Wann ist der Schulfrieden gefährdet?


Bislang galt in NRW das Kopftuchverbot. Gestützt wurde es durch Paragraf 57 des Schulgesetzes. Dort heißt es u.a.: "Lehrerinnen und Lehrer dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören." Einen Zusatz, der die Privilegierung zugunsten der Darstellung christlich-abendländischer Bildungs- und Kulturwerte vorsieht, erklärte das Gericht für nichtig.

Der Schulausschuss hat sich in einer Anhörung mit dem Thema beschäftigt. Grundlage war ein Entwurf von SPD, CDU und GRÜNEN zum 12. Schulrechtsänderungsgesetz. Neben der Aufhebung des Kopftuchverbots werden darin auch die Einrichtung von Hauptschul- Bildungsgängen an Realschulen und die Besetzung von Schulleitungsstellen geregelt.

Die Landeselternschaft NRW fürchtete, dass Schulen künftig in jedem Einzelfall über eine mögliche Störung des Schulfriedens befinden müssen. Dies würde sie völlig überfordern, Rechtsunsicherheit festschreiben und ein landeseinheitliches Verfahren unterlaufen, so Eberhard Kwiatkowski. Ähnlich äußerte sich Udo Beckmann vom Verband Bildung und Erziehung. Die Landesregierung müsse eine landesweit einheitliche Regelung vorlegen, die den Schulleitungen rechtssicheres Handeln ermögliche Auch Maike Finnern, die den Deutschen Gewerkschaftsbund und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft vertrat, forderte eine "generelle Verfahrensregelung durch den Gesetzgeber".

Peter Silbernagel (Philologen-Verband NRW) kritisierte, dass im Entwurf die "Bedeutung der christlichen und abendländischen Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen nicht mehr angemessen zum Ausdruck kommt". Er schlug vor, den vom Verfassungsgericht bemängelten Hinweis im Gesetz zu belassen und einen Zusatz einzufügen, der auch andere Religionen und Weltanschauungen erfasse.


Klarstellung gefordert

Dr. Antonius Hamers (Katholisches Büro NRW) sah im Beschluss der Verfassungsrichter ein "starkes Signal für die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit", bedauerte jedoch, dass der Hinweis auf christlich-abendländische Werte gestrichen werde. Das Gericht bemühe sich um einen "Ausgleich zwischen der Glaubensfreiheit der einzelnen Lehrkraft und den legitimen Anliegen des Staates, den Schulfrieden und die staatliche Neutralität zu wahren". Um Störungen des Schulfriedens zu vermeiden, empfahl die Vertretung der Bischöfe "eine Formulierung, die es Lehrerinnen und Lehrern in der Schule verbietet, politische, religiöse, weltanschauliche oder ähnliche äußere Bekundungen abzugeben". Die Klarstellung, dass Religionsunterrricht und öffentliche Bekenntermögnisschulen nicht betroffen seien, müsse jedoch erhalten bleiben. Öffentliche Schulen seien kein religionsfreier Raum, sagte Kirchenrat Dr. Thomas Weckelmann (Evangelisches Büro NRW). Die Gerichtsentscheidung sei ein Beitrag zum Schutz der Religionsfreiheit. Mit der geplanten Gesetzesänderung würden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes umgesetzt: "Dies begrüßen wir." Lehrerinnen und Lehrer dürften das Neutralitätsgebot nicht verletzen, mögliche Konflikte jedoch "nicht auf die Schulen abgewälzt werden".

Nach Ansicht von Anne-Kathrin Kenkmann (Ruhr-Universität Bochum) hat das Bundesverfassungsgericht die Gestaltungsspielräume des Landesgesetzgebers verletzt. Außerdem: Begreife eine Lehrerin das Kopftuch als zwingendes Gebot, gehe von dem Kleidungsstück das Signal aus, dass auch andere muslimische Frauen das Kopftuch tragen müssten. Durch die Schulpflicht setze der Staat Schüler diesem Signal aus.

Der Gesetzesentwurf setze die vom Bundesverfassungsgericht formulierten Vorgaben loyal um und werfe keine verfassungsrechtlichen Probleme auf, so Prof. Dr. Fabian Wittreck (Westfälische Wilhelms-Universität Münster). Er sei "verfassungsrechtlich unauffällig". Um mögliche Konflikte an Schulen zu vermeiden, empfahl auch er entsprechende Verwaltungsvorschriften.

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Quelle:
Landtag intern 4 - 46. Jahrgang, 28.5.2015, S. 9
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2015

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