Schattenblick →INFOPOOL →PARLAMENT → LANDESPARLAMENTE

NORDRHEIN-WESTFALEN/2153: Flüchtlingsaufnahme - Fachleute erörtern Kosten und Mindeststandards (Li)


Landtag intern 9/2014
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

"Mehr als nur ein Schlafplatz"
Flüchtlingsaufnahme: Fachleute erörtern Kosten und Mindeststandards

Von Christoph Weißkirchen



23. Oktober 2014 - Für Menschen, die als Flüchtlinge nach Nordrhein-Westfalen kommen, soll eine Willkommenskultur geschaffen werden. Wie Unterbringung und Betreuung konkret aussehen sollen, regelt das Flüchtlingsaufnahmegesetz. Hierzu hat die Landesregierung am 3. September 2014 eine Novellierung vorgelegt. Im Innenausschuss nahmen externe Fachleute Stellung.


Es gehe um die Willkommenskultur, betonte Dr. Manfred Wichmann für die Kommunalen Spitzenverbände. Aber es müsse auch darum gehen, die Träger in die Lage zu versetzen, diese praktisch umzusetzen. Und daher müsse man bei der Erörterung der Gesetzesvorlage (Drs. 16/6689) auch über Kosten und Finanzierung sprechen. Vor diesem Hintergrund begrüßte Wichmann den Flüchtlingsgipfel, zu dem die Landesregierung am 20. Oktober 2014 eingeladen hatte. Dieser habe viele der drängenden Punkte aufgegriffen, aber nicht alle dauerhaft lösen können. Problematisch sei für die Kommunen vor allem die strukturelle Unterfinanzierung. Die aktuell vom Land gezahlten Pauschalen deckten im Durchschnitt nur rund 50 Prozent der Kosten, die den einzelnen Kommunen bei der Flüchtlingsaufnahme und -betreuung entstünden. Die verschärfe sich noch, wenn man auch die Leistungen für die Flüchtlinge einbeziehe, die derzeit nur geduldet würden. Von daher müssten in die kommende gesetzliche Regelung angepasste Pauschalen aufgenommen werden.

Angesichts steigender Flüchtlingszahlen müsse die Kostenerstattung durch das Land zeitnah erfolgen. Von daher unterstützte Wichmann einen Ansatz, diese Erstattungen quartalsweise vorzunehmen, ausgerichtet an den Flüchtlingszahlen des jeweils vorhergehenden Quartals. Ein besonderes Problem für die Städte und Gemeinden seien die Aufwendungen für die medizinische Versorgung von Asylbewerbern und Flüchtlingen. Diese könnten im Einzelfall bei mehr als 50.000 Euro liegen. Daher schlage man vor, dass das Land für die Fälle, in denen der Betrag für die medizinische Versorgung über 50.000 Euro liege, die vollen Kosten übernehme.

Rund 20 Millionen Euro wende seine Stadt dieses Jahr für die Unterbringung und die soziale Betreuung von Flüchtlingen auf, erläuterte Hans Jürgen Lemmer, Ressortleiter Zuwanderung und Integration der Stadt Wuppertal. Erstattet würden davon dieses Jahr rund 10 Prozent, nächstes Jahr rund 12 Prozent. Notwendig sei daher nicht nur eine deutliche Anhebung der Erstattung durch das Land, sondern auch eine stärkere Beteiligung des Bundes. Dringenden Handlungsbedarf sah auch Lemmer bei den Krankheitskosten, die teilweise 40 Prozent der Pauschale ausmachten. Mit Blick auf alleine reisende Minderjährige begrüßte er, dass Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren künftig auf die Aufnahmequote angerechnet werden sollen, um auch für diese eine Kostenerstattung zu erreichen. Er regte aber an, das Alter auf 18 Jahre heraufzusetzen.


Entlastung

Die Aufnahme einer Anrechnungsregelung für Kinder und Jugendliche begrüßte auch Helge Hohmann (Evangelische Kirche). Grundsätzlich trat er dafür ein, das Ergebnis des Flüchtlingsgipfels in die geplante Gesetzesänderung einzuarbeiten. Der vorliegende Entwurf diene unter anderem zur Fortschreibung der gesonderten pauschalen Landeszuweisung. Diese solle die Kommunen von den Kosten entlasten, die ihnen durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 entstanden seien. Hohmann regte an, diese Sonderpauschale durch eine reguläre Pauschale zu ersetzen. Allerdings dürfe es bei der gesetzlichen Neuregelung nicht nur um die Unterbringung der Flüchtlinge gehen. Notwendig sei eine Berücksichtigung der Bedürfnisse nach Schutz, sozialer Betreuung und Teilhabe.

Auch Brigitte Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW sah im Flüchtlingsgipfel einen wichtigen Schritt. Er habe insbesondere den Kommunen eine finanzielle Entlastung gebracht. Dies bedeute aber nicht automatisch eine strukturelle Verbesserung, erst recht nicht für die Flüchtlinge selbst. Auch die Überarbeitung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes konzentriere sich auf finanzielle Aspekte. Mit Blick auf die räumliche Enge, teils untragbare hygienische Verhältnisse und Überbelegung brauche man dagegen zumindest mittelfristig Mindeststandards für die Unterbringung. So müsse man eine Regelung darüber in Betracht ziehen, dass Flüchtlinge dezentral untergebracht würden, auch in Privatwohnungen. "Mit einem Schlafplatz allein ist es nicht getan", betonte Naujoks.

Der Forderung nach Mindeststandards widersprach Dr. Manfred Wichmann. "Lasst uns das bitte vor Ort entscheiden", appellierte er und verwies auf die kommunale Selbstverwaltung. Außerdem ersetzten Standards nicht die notwendige politische und gesellschaftspolitische Diskussion, ergänzte Hans Jürgen Lemmer.

*

Quelle:
Landtag intern 9 - 45. Jahrgang, 5.11.2014, S. 18
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
Postfach 10 11 43, 40002 Düsseldorf
Telefon (0211) 884-25 45, -23 04, -21 07, -23 09,
Telefax (0211) 884-35 51
email@landtag.nrw.de
Internet: www.landtag.nrw.de, www.landtagintern.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang