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NORDRHEIN-WESTFALEN/2032: Auf der Suche nach der modernen Pflege (Li)


Landtag intern 8/2013
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Ausschuss
Auf der Suche nach der modernen Pflege
Ziel: Selbstbestimmtes Leben, sei es zu Hause, in Wohngemeinschaften oder stationär

Von Christian Wolf



12. September 2013 - Die Zahl der Pflegebedürftigen wird in den kommenden Jahren stark steigen. Um trotz knapper Finanzmittel ein qualitativ hochwertiges Pflegeangebot zu ermöglichen, will die nordrhein-westfälische Landesregierung das Pflegerecht modernisieren. Sie legte dazu den Entwurf eines "Gesetzes zur Entwicklung und Stärkung einer demographiefesten, teilhabeorientierten Infrastruktur und zur Weiterentwicklung und Sicherung der Qualität von Wohn- und Betreuungsangeboten für ältere Menschen, Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen" vor (GEPA NRW, Drs. 16/3388). In einer Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales wurde der Gesetzentwurf einen ganzen Tag lang diskutiert. Neben Zustimmung gab es auch Verbesserungsvorschläge aus den Reihen der Experten.


Ziel der Pflegereform ist es, Älteren mit und ohne Pflegebedarf ein weitgehend selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Dazu sollen künftig vor allem Wohn- und Pflegeangebote unterstützt werden, die es Älteren ermöglichen, so lange wie möglich in ihrem vertrauten Quartier zu leben. Statt neuer Altenheime soll es Wohngemeinschaften und Quartiere für ein autonomes Leben geben.

Die Marschrichtung "ambulante vor stationärer Pflege" traf unter den Sachverständigen auf ein geteiltes Echo. Während Friederike Scholz vom Landkreistag Nordrhein-Westfalen diesen Ansatz begrüßte, warnte der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) davor. "Es darf nicht bei ambulant statt stationär enden und zu einer Ausradierung der Pflegeplätze kommen", sagte der NRW-Vorsitzende Christof Beckmann. Sein Verband rechnet damit, dass durch die steigenden Anforderungen an die Einrichtungen bis 2018 mindestens 20.000 von aktuell 170.000 vollstationären Pflegeplätzen wegfallen - weil bis 2018 eine Quote von 80 Prozent Einzelzimmern erfüllt werden muss. Auch die nun angedachte Koppelung der Förderung an eine Maximalgröße von 80 Plätzen pro Haus könne zu einer Reduzierung führen. Beckmann warnte davor, dass die "nachhaltige Versorgungssicherheit gefährdet" sei.

Markus Boecker vom Caritasverband Hagen forderte, dass es weiterhin ausreichend stationäre Angebote geben müsse. Auch in Zukunft gebe es einen entsprechenden Bedarf, sagte er. Den Vorrang der ambulanten Pflege bezeichnete die Landesseniorenvertretung NRW hingegen als "ganz vernünftig". "Die Menschen wollen weiter vor Ort miteinander leben", sagte der stellvertretende Vorsitzende Jürgen Jentsch. Der vorliegende Gesetzentwurf sei "ein richtiger Schritt in die richtige Richtung".


Steuerung

Gleich mehrere Redner bezeichneten die mangelnde Information als Problem. Angehörige wüssten oftmals gar nicht, dass es ambulante Wohngemeinschaften gebe, und griffen eher direkt zu den stationären Angeboten. "Wenn die Leute wissen, dass es diese Einrichtungen gibt, werden sie auch automatisch stärker genutzt", sagte Erika Rodekirchen vom Verein "Neues Wohnen im Alter". Laut dem Pflegewissenschaftler Prof. Dr. Wilfried Schnepp seien die Bedürfnisse der Angehörigen in dem Gesetzentwurf "völlig unzureichend" dargestellt und es gebe "dringenden Nachbesserungsbedarf".

Die Vertreter mehrerer Städte machten auf einen ganz anderen Aspekt aufmerksam. Sie beklagten, dass sie keinerlei Steuerungsmöglichkeiten besäßen, um das Pflegeangebot in ihren Gebieten zu beeinflussen. Selbst wenn die Planungen von Investoren offensichtlich falsch seien, könnten sie darauf keinen Einfluss nehmen. "Wir wünschen uns deutlich stärkere Steuerungsinstrumente als die, die uns im Moment zur Verfügung stehen", sagte Jörg Süshardt von der Stadt Dortmund. Bislang könnten die Kommunen nur beratend tätig sein. "Die Entscheidung muss letztlich bei der Kommune liegen, denn wir kennen die Lage vor Ort", merkte Jörg Schneider von der Stadt Leverkusen an.

Zu einem Reizthema unter den Experten entwickelte sich die Wohn- und Betreuungsqualität in den Heimen. Der Gesetzentwurf sehe eine Mindestquote von 80 Prozent an Einzelzimmern vor, aber nur wenn diese verfügbar seien. Der Sozialverband Deutschland forderte stattdessen ein verbindliches Recht auf ein Einzelzimmer. Mehrere Betroffenenverbände drängten zudem auf eine klare Fachkräftequote in den Einrichtungen. Bei dem angepeilten Wert von 50 Prozent dürfe es sich nur um eine Mindestquote handeln, die in der Realität höher ausfallen müsse, betonte Dr. Harry Fuchs von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Nachtwachen von einer Person auf mehreren Stationen, unzählige Überstunden und Dienste ohne Pausen seien oft die Regel, ergänzte sein Kollege Wolfgang Cremer. Der Gesetzentwurf sei hier kein Fortschritt.

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Quelle:
Landtag intern 8 - 44. Jahrgang, 25.9.2013, S. 15
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2013