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NORDRHEIN-WESTFALEN/2029: Über die Vor- und Nachteile von Wirtschaft als Realschulfach (Li)


Landtag intern 8/2013
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Neben Mathe und Bio: Ökonomie
Über die Vor- und Nachteile von Wirtschaft als Realschulfach
Plenarbericht

Von Sonja Wand



10. Juli 2013 - "Non scholae, sed vitae discimus": Schon die alten Lateiner wussten, dass wir nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen. Diesen Grundsatz verfolgt die FDP-Fraktion mit ihrer Initiative, Wirtschaft als reguläres Lehrfach in Realschulen auf den Stundenplan zu schreiben (Drs. 16/3448), und zwar ab dem Schuljahr 2014/2015 von der siebten Klasse an. Entsprechendes soll auch für den Realschulbildungsgang an Sekundarschulen gelten. Ein erfolgreicher Modellversuch gebe dafür Rückenwind. Erzielt das Schulfach Wirtschaft die erwünschte Wirkung? CDU und PIRATEN sagen ja, SPD und GRÜNE haben Zweifel.


"Wirtschaftliches Verständnis ist die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben", begründete Yvonne Gebauer (FDP) den Antrag. Zu diesem Verständnis gehörten Verbraucherbildung wie etwa zur Kontoführung oder zu Vertragsabschlüssen ebenso wie ein systematisches Verständnis von Wirtschaft. Den erfolgreich laufenden Modellversuch eines Schulfachs Wirtschaft lobten Lehrer- wie Schülerschaft und Eltern gleichermaßen. Wenn man daran nahtlos anknüpfen wolle, gelte es, jetzt zu handeln. Der Modellversuch laufe im nächsten Jahr aus, und notwendige Vorbereitungen für ein reguläres Schulfach bräuchten Zeit.

"Wir brauchen keine kleinen Volkswirte oder Betriebswirte, wir brauchen junge Menschen, die Wirtschafts- und Finanzkompetenzen erlernen und in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext einordnen können", entgegnete Ina Spanier-Oppermann (SPD). Die Finanzkrise habe gezeigt, dass Wirtschaft nicht von Politik, Geschichte, Recht oder Sozialwissenschaften abgekoppelt werden könne. Am Ende des Modellversuchs müsse deshalb entschieden werden, ob es ein Pflicht-, ein Wahlpflicht- oder ein integriertes Fach werden solle. Den Modellversuch abzubrechen und ohne Evaluation Entscheidungen zu treffen, sei keine Alternative.

Petra Vogt (CDU) unterstützte den Antrag. Schon Jugendliche bräuchten ein Verständnis für Grundregeln des Wirtschaftens, was ganze Schülergenerationen mit Handyschulden zeigten. Selbst Berufsanfängern, die nach der Realschule Kaufleute werden wollten, fehle es an grundlegenden Kenntnissen. Sie seien dann nach wenigen Monaten ernüchtert, dass sie ihr Leben mit Rechnungswesen, Volks- und Betriebswirtschaftslehre gestalten sollten. Die Realschule mit ihrem besonderen Profil der Berufsvorbereitung könne jungen Menschen helfen, ihre Interessen zu finden, und so spätere Enttäuschungen vermeiden helfen.

Sigrid Beer (GRÜNE) kritisierte, dass im Modellversuch das Fach Wirtschaft zulasten der Unterrichtszeit für politische Bildung gehe. Sie wandte sich außerdem gegen eine Ausrichtung rein auf Rationalität und Effizienz. Vielmehr gehe es darum, ökonomische Bildung in einen gesellschaftlichen Diskurs einzubetten. Überhaupt sei die Frage: Warum Wirtschaft und nicht etwa Gesundheit oder Verbraucherbildung als Fach? In Kürze erfolge eine Expertenanhörung zum Themenkomplex Gesundheit, Verbraucherbildung und Nachhaltigkeit als Schulfach. "Packen Sie Ihren Antrag doch mit dazu", schlug Beer der FDP-Fraktion vor.

Von ihren Erfahrungen als Lehrerin an einem Berufskolleg berichtete Birgit Rydlewski (PIRATEN). Schülerinnen und Schüler brächten oft erschreckend wenige Grundkenntnisse über wirtschaftliche Zusammenhänge mit. "Wie soll ein junger Mensch, der schon im privaten Umfeld Probleme mit dem Bereich Wirtschaft hat, als Bürger ein solch komplexes System wie unser Wirtschaftssystem verstehen oder gar kritisch hinterfragen können?", wollte sie wissen. Die Abgeordnete unterstützte den Antrag, auch weil es derzeit an Kernlehrplänen fehle. Nur Lobbyverbände lieferten eine Flut von inhaltlich fragwürdigen Materialien.

"Für nachhaltige Bildung ist es wichtig, ökonomische Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu stärken, und zwar unabhängig von der Schulform. Hierzu gehören sowohl ökonomische Kenntnisse im engeren Sinne, aber auch soziale und ökologische Fragen", erklärte Schulministerin Sylvia Löhrmann (GRÜNE). Allerdings umfasse bereits heute der Politikunterricht "Grundlagen des Wirtschaftens und des Wirtschaftsgeschehens" mit Inhalten wie der sozialen Marktwirtschaft, Verschuldung, Verträgen und Verbraucherbildung. Die bisherigen Rückmeldungen zum Modellversuch bildeten noch keine verlässliche Grundlage für eine Entscheidung.

FACHBERATUNG:
Das Plenum hat den Antrag (Drs. 16/3448) zur federführenden Fachberatung in den Schulausschuss überwiesen. Mitberaten soll der Wirtschaftsausschuss.

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Quelle:
Landtag intern 8 - 44. Jahrgang, 25.9.2013, S. 4
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2013