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NORDRHEIN-WESTFALEN/2027: Wie muss Kinderbetreuung heute sein? (Li)


Landtag intern 7/2013
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

PLENUM
In guten Händen
Zwischen Arbeitswelt und Kindeswohl: Wie muss Kinderbetreuung heute sein?

Von Sonja Wand



4. Juli 2013 - Im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend haben Sachverständige den Abgeordneten ihre Sicht auf die derzeitige Situation der Kinderbetreuung erläutert. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, ob das Betreuungsangebot den Bedarf seitens der Eltern decke. Dabei zeigte sich ein klares Bild: Mehr Flexibilisierung ist nötig.


Vertreterinnen und Vertreter der kommunalen Spitzenverbände und der Landschaftsverbände erklärten zwar, der quantitative Bedarf an Kinderbetreuung sei im Grunde mit den 25, 35 oder 45 Stunden wöchentlicher Betreuungszeit, zwischen denen Eltern generell wählen könnten, gedeckt. So gut wie alle Sachverständigen betonten aber, dass es wichtig sei, innerhalb der Kita-Öffnungszeiten die Betreuungszeit des Kindes flexibler gestalten zu können. Ein solcher Bedarf ergebe sich etwa aus flexiblen Arbeitszeiten, aus Schichtdiensten oder wechselnden Arbeitszeiten in Pflege- oder Einzelhandelsberufen.

Martin Künstler vom Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW wies allerdings darauf hin, dass die Einrichtungen nicht nur dafür da seien, um Beruf und Familie vereinbar zu machen, sondern auch und vor allem das Kindeswohl im Blick haben müssten. Dieses stoße bei zu viel Flexibilität an Grenzen. Zudem sei die Finanzierung der große Hemmschuh in dem Bestreben, die Betreuungszeiten flexibler zu gestalten. Wenn nur tatsächliche Betreuungszeiten abgerechnet werden könnten, sei es schwer, das nötige Personal für flexiblere Öffnungszeiten auch früh am Morgen und in den Abend hinein bereitzustellen. Zumal es wichtig sei, Kinder in Randzeiten nicht nur zu verwahren oder zu beaufsichtigen, sondern sie genauso qualifiziert wie zur Kernzeit zu betreuen, betonte Marlies Herterich vom Kinderschutzbund. Dem Kindeswohl sei es außerdem nicht dienlich, mehrmals am Tag die Gruppen zu wechseln. Kinder bräuchten eine Gruppe, in der sie zu Hause seien.

Diese Anforderung unterstrich der Psychologe Prof. Dr. Rainer Strätz. Er berichtete von einer Langzeitstudie in den USA, die gezeigt habe, dass eine zu umfangreiche Kinderbetreuung gerade der Kleinsten eine sichere Bindung zur Bezugsperson unterlaufen könne - mit gravierenden Auswirkungen für die Zukunft. "Die Studie zeigt, dass man nicht alles machen kann, was man sich wünscht", warnte er vor einem Hintanstellen der kindlichen Bedürfnisse hinter die Anforderungen der Arbeitswelt.


Wirtschaft gefordert

Vor diesem Hintergrund forderten fast alle Sachverständigen mehr Engagement von der Wirtschaft, um Beruf und Familie vereinbar zu machen. Der Elternvertreter Markus Quetting brachte beispielsweise Heimarbeitsplätze und Betriebskindergärten ins Spiel. Selbst die maximal buchbaren 45 Stunden Betreuungszeit pro Woche reichten bei einer Vollbeschäftigung nicht aus, wenn man im Berufsverkehr auch noch zur Arbeit und zurück pendeln müsse. Bettina Eickhoff, Initiatorin einer "Wimmelattacke" an die Politik für mehr Kinderbetreuung, forderte deshalb unter anderem ein Wahlrecht für Eltern, ob sie ihr Kind am Wohnort oder am Arbeitsort in die Betreuung geben wollten. Daneben müsse es den Eltern ermöglicht werden, auch während eines laufenden Kita-Jahres die Betreuungszeit zu erhöhen oder zu verringern.

Edeltraud Chrysanthou von der Gronauer Kindertagesstätte Pusteblume berichtete von einem Modellversuch einer flexibleren Kinderbetreuung: Gerade vollzeit-berufstätige Eltern "haben uns die Türen eingerannt". Die Pusteblume könne auch deshalb so flexibel betreuen, weil das Personal sich zu flexiblen Arbeitszeiten bereiterklärt habe. Chrysantou fand die Forderung nach Kontinuität bezüglich der Erzieherin überzogen; Kinder seien immer mit verschiedenen Bezugspersonen aufgewachsen. Die Praktikerin hielt ein flexibles Betreuungsangebot je nach Bedarf irgendwann innerhalb der Kita-Öffnungszeiten für flächendeckend machbar. Es sei zwar kompliziert, auf der Basis des Kinderbildungsgesetz (KiBiz) entsprechende Sonderregelungen zu treffen, aber möglich.

Auch die Siegener Universität biete ein höchst flexibles, für Spontanbedarfe und Notsituationen offenes pädagogisches Betreuungsangebot, das die Studierenden online buchen könnten, erläuterte Detlef Rujanski, Geschäftsführer des Studentenwerks Siegen. Mit den bisherigen, starren KiBiz-Regelungen komme man an der Hochschule nicht aus, erklärte er. Ein Studium beinhalte eben nicht so regelmäßige "Arbeitszeiten" wie eine Arbeitsstelle. Auch der Semesterrhythmus passe nicht zu der Vorgabe, die gebuchten Betreuungszeiten ein ganzes Kita-Jahr lang unverändert zu lassen.

Bei allem Verständnis für mehr Flexibilität gab Gabriele Maahn von der Gewerkschaft Verdi zu bedenken: Auch die Erzieherinnen und Erzieher seien Arbeitnehmer und hätten Familie. Ohne das Engagement der Arbeitgeber sei das Problem nicht zu lösen.

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Quelle:
Landtag intern 7 - 44. Jahrgang, 24.7.2013, S. 10
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2013