Schattenblick →INFOPOOL →PARLAMENT → LANDESPARLAMENTE

NORDRHEIN-WESTFALEN/2023: Alle wollen einen wirksamen Verfassungsschutz - aber wie? (Li)


Landtag intern 7/2013
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

PLENUM
Frage des Vertrauens
Alle wollen einen wirksamen Verfassungsschutz - aber wie?

Von Sonja Wand



19. Juni 2013 - Der NRW-Verfassungsschutz bekommt neue Regeln. So muss er das parlamentarische Kontrollgremium über alle relevanten Vorgänge und Maßnahmen, quasi mit Bringschuld, unterrichten. Geregelt wird auch, unter welchen Voraussetzungen der Einsatz von V-Leuten erfolgen darf, ob er verhältnismäßig ist und und wann die Zusammenarbeit zu beenden ist. V-Leute dürfen beispielsweise nicht finanziell vom Verfassungsschutz abhängig sein, auch nicht erheblich straffällig werden. Der Verfassungsschutz darf Internet-Chats und -Foren unbemerkt beobachten, aber keine Daten erheben, die den Kernbereich des privaten Lebens betreffen. Nachrichtendienstliche Mittel sollen künftig schwerpunktmäßig bei gewaltorientierten Bestrebungen eingesetzt werden. Die Opposition ist unzufrieden.


Mit der Neuausrichtung des Verfassungsschutzes werde es gelingen, das freiheitliche Zusammenleben hierzulande ebenso wie individuelle Rechte zu schützen, erklärte Hans-Willi Körfges (SPD). Damit sei der Gesetzentwurf rechtspolitisch ausgewogen. Auch Experten hätten etwa die Neuregelung des Einsatzes von Vertrauensleuten als vorbildlich und klar gelobt. Wer geeignet sei, wie so jemand "geführt" werden müsse und wie die Zusammenarbeit erfolgen solle, all das werde geregelt. Für einen wirksamen Verfassungsschutz sei das Vertrauen der Menschen unabdingbar, sagte Körfges. Transparenz spiele dabei eine entscheidende Rolle.

Peter Biesenbach (CDU) zeigte sich enttäuscht. Zu den Herausforderungen der Zukunft werde im Gesetzentwurf nichts gesagt. Er nannte in diesem Zusammenhang den Komplex Datenschutz, Datenspeicherung und Datenlöschung. Wenn irgendwann jegliche Kommunikation gewaltbereiter Verdächtiger verschlüsselt werde, könne man nur noch an der Quelle an Informationen kommen. Aber Antworten darauf, was elektronische Endgeräte angehe, gebe es ebenso wenig wie eine Idee, was mit ausgetauschten Botschaften geschehen solle. Biesenbach regte die Onlinedurchsuchung, die Wohnraumüberwachung und ein Weiterdenken beim Thema Datenaustausch an.

Im Verfassungsschutzgesetz sah Verena Schäffer (GRÜNE) nur einen ersten, aber wichtigen Schritt in der Reform der Sicherheitsarchitektur. Über den bisherigen Verfassungsschutz könne man kaum reden, weil so vieles in Geheimakten liege. Das zeige, wie wichtig mehr Transparenz und Öffentlichkeit seien. Schäffer forderte einen Mentalitätswechsel bei der Behörde, aber auch bei den Abgeordneten, die den Verfassungsschutz kontrollierten. Dieser könne im Übrigen weder Bildungsinstitutionen noch die Zivilgesellschaft ersetzen. "Wir sind diejenigen, die die Demokratie mit Leben füllen müssen", appellierte sie ans Parlament, an die Bürgerinnen und Bürger.

Dr. Robert Orth (FDP) benannte drei für seine
Fraktion wesentliche Kritikpunkte. Erstens sah
er in der Konzentration nachrichtendienstlicher
Mittel auf gewaltbereite Extremisten eine
unnötige Beschneidung der Möglichkeiten des
Verfassungsschutzes. Bis jemand als gewaltbereit
erkennbar sei, könne es schon zu spät sein,
befürchtete Orth. Zweitens tue man weder dem
Verfassungsschutz noch der politischen Kultur
einen Gefallen, wenn alles im Parlamentarischen
Kontrollgremium diskutiert werde.
Debatten gehörten in den Innenausschuss.
Drittens habe die Landesregierung beim Thema
Datenschutz sehenden Auges eine Lücke
gelassen.

Diesen Faden nahm Dirk Schatz (PIRATEN) auf. Dass der Verfassungsschutz selbst entscheiden könne, ob er Menschen, deren Daten er erhoben habe, darüber informiere, hielt er für verfassungswidrig. Schatz wandte sich außerdem gegen Aktivitäten der Behörde in Schulen, wo dann die eigene Meinung darüber, was verfassungsgemäß sei, verbreitet werde. Kritisch sah er auch folgenden Gesetzesinhalt: Personen, die Strafen von nicht erheblicher Bedeutung begangen hätten, kämen als V-Leute infrage - wo aber sei da die Grenze zu ziehen, fragte der Abgeordnete. Auch dies dürfe jedenfalls nicht im Ermessen des Verfassungsschutzes liegen.

Innenminister Ralf Jäger (SPD) warb für den Gesetzentwurf: Der Verfassungsschutz müsse nicht nur modern und leistungsfähig, sondern auch rechtsstaatlich und transparenter sein, um Vertrauen zurückzugewinnen. Auf die Kritik der FDP antwortete er, nachrichtendienstliche Mittel stellten einen solch tiefen Grundrechtseingriff dar, dass sie nur bei tatsächlichen Anlässen, also gewaltbereiten Personen, verhältnismäßig seien. Auch auf die Kritik der CDU ging Jäger ein: Derzeit gebe es schlicht keine verfassungskonforme Quellen-Telekommunikationsüberwachung. Dies werde noch aufgenommen, sobald die Technik vorliege.


ANGENOMMEN
Mit den Stimmen von SPD und GRÜNEN gegen die Stimmen von CDU, FDP und PIRATEN hat der Landtag den Gesetzentwurf (Drs. 16/2148) angenommen.

*

Quelle:
Landtag intern 7 - 44. Jahrgang, 24.7.2013, S. 6
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
Postfach 10 11 43, 40002 Düsseldorf
Telefon (0211) 884-25 45, -23 04, -21 07, -23 09,
Telefax (0211) 884-35 51
email@landtag.nrw.de
Internet: www.landtag.nrw.de, www.landtagintern.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2013