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NORDRHEIN-WESTFALEN/1969: Kein Konsens über Kanalkontrolle (Li)


Landtag intern 1/2013
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Kein Konsens über Kanalkontrolle
Experten streiten über Prüfung der Abwasserleitungen

Von Christoph Weißkirchen



9. Januar 2013 - Auf großes Interesse bei Bürgerinnen und Bürgern traf die Anhörung über die Dichtheitsprüfung privater Abwasserleitungen. Der federführende Umweltausschuss (Vorsitz Friedhelm Ortgies, CDU) und der Kommunalausschuss (Vorsitz Christian Dahm, SPD) hörten Fachleute aus Verwaltung, Technik- und Umweltbereich. Schwerpunkte der Erörterung waren die Fragen nach Wirkung und Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Mittel.


Zwischen 70 und 80 Prozent der geprüften Leitungen seien undicht, 15 bis 20 Prozent stark beschädigt und damit sanierungsbedürftig, erläuterten Christoph Ontyd (Stadtentwässerung GmbH Herne), Manfred Müller (Entsorgungsbetriebe Solingen) und Claus Externbrink (Abwasserbeseitigung Lünen). Diese Zahlen wurden in der weiteren Anhörung grundsätzlich auch nicht in Zweifel gezogen. Vielmehr ging es um die Frage, ob und welche Gefahren von möglichen defekten Rohren ausgingen.

So verwies Prof. Dr. Martin Exner (Uni Bonn) auf mikrobiologische Risiken und neue, vergleichsweise resistente Krankheitserreger, die schon in sehr geringer Konzentration gefährlich sein könnten. Hinzu kämen chemisch-physikalische Risiken durch Stoffe, die die Natur nicht kenne.

Mit Blick auf die hohe Zahl an undichten Leitungen sei es nicht nachvollziehbar, dass es in NRW eine exzellente Trinkwasserqualität gebe, entgegnete Prof. Dr.-Ing. Hartmut Hepcke (Fachhochschule Münster). Außerdem sei die Restverschmutzung, die trotz 99-prozentiger Reinigung aus den Kläranlagen flöße, deutlich höher als die Schadstoffmenge aus undichten privaten Abwasserleitungen. Es seien auch keine Untersuchungen bekannt, die Verunreinigungen des Grundwassers durch undichte Abwasserkanäle nachgewiesen hätten, so Volker Steffen (Interessengemeinschaft Haus & Grund Oberberg).

Unterschiedliche Einschätzungen gab es auch bezüglich der zu veranschlagenden Kanal-TÜV-Kosten: So rechneten Steffen und Bernd Ahlers (Bürgerinitiative "Alles dicht in Nordwalde") bei der überwiegenden Zahl der betroffenen Häuser mit Überprüfungskosten von deutlich über 1.000 Euro und Sanierungskosten im fünfstelligen Bereich (durchschnittlich 12.000 Euro). Im ländlichen Raum könnten aufgrund gewachsener Grundstücksgrößen die Kosten sogar noch deutlich höher liegen, meinten Svenja Beckmann (Grundbesitzerverband NRW) und Dr. Bernd Lüttgens (Rheinischer Landwirtschaftsverband).

Detlef Raphael (Städtetag NRW) und Dr. Peter Queitsch (Städte- und Gemeindebund NRW) sahen hingegen bei der Kanalüberprüfung zwischen 300 und 500 Euro sowie bei der Sanierung 3.000 bis 5.000 Euro als realistische Kosten an. Dabei würden die Kommunen Grundstückseigentümer nicht alleine lassen, dafür gebe es Beratungs- und Förderprogramme. Ein funktionierender Abwasserkanal vermeide Folgekosten und stelle daher auch eine Werterhaltung der Immobilie dar, so Frank Diederich (Verband der unabhängigen Sachkundigen für Dichtheitsprüfungen von Abwasseranlagen).


Vorbeugend oder auf Verdacht?

Einen weiteren Schwerpunkt der Anhörung bildete die Frage, ob man gemäß dem Vorsorgegrundsatz vorbeugend oder erst bei begründetem Verdacht handeln solle. "Wenn man von einem Verdacht weiß, ist es in der Regel schon zu spät", meinte Queitsch. Prof. Dr. Peter Nisipeanu (Schwerte) ergänzte: "Betreiben ist aktives Tun." Die Bürgerinnen und Bürger müssten sich ihrer Verantwortung bewusst sein und ihre Kanäle regelmäßig überprüfen. Ansonsten bestehe im Schadensfall bei den heute geltenden Regelungen die Gefahr einer Haftung ohne Verschulden. Zudem verwies Queitsch darauf, dass in der einen Hälfte aller Kommunen die privaten Kanäle und damit die private Unterhaltspflicht an der Grundstücksgrenze endeten, in der anderen Hälfte der Kommunen allerdings erst am Anschluss an den Hauptkanal in der Straßenmitte. Hier sollte es eine einheitliche Lösung geben, forderte Müller.

Vor einer "Dichtheitsprüfung durch die Hintertür" warnte Erik Uwe Amaya (Haus & Grund NRW) mit Blick auf den vorliegenden Gesetzentwurf von SPD und GRÜNEN. Dieser wahre nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Am Ende müssten möglicherweise die Gerichte entscheiden.

Wenn eine Gefährdung gegeben sei, dürfe es weder eine Fristenlösung noch eine Unterteilung in Häuser innerhalb und außerhalb von Wasserschutzgebieten geben, meinte dagegen Dr. Manfred Dümmer (BUND NRW). So gesehen stimmten weder die von CDU und FDP noch die von SPD und GRÜNEN vorgesehenen Regelungen mit dem Besorgnisgrundsatz überein. Grundwasser kenne keine Grenzen, daher sei jeder zu Wasserschutz verpflichtet, unterstrich auch Dr. Michaela Schmitz (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft).

Für ein regelmäßiges Monitoring sprachen sich Dr. Olaf Kaufmann (Verband der Rohr- und Kanal-Technik-Unternehmen e.V.) sowie Roland W. Waniek (Institut für Unterirdische Infrastruktur gGmbH) aus. Es sei gut zu wissen, wie das öffentliche und private Kanalnetz aussehe und ob es funktionsfähig sei.

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Quelle:
Landtag intern 1 - 44. Jahrgang, 23.1.2013, S. 13
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2013