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NORDRHEIN-WESTFALEN/1956: "U3-Ausbau unbedingt forcieren" (Li)


Landtag intern 12/2012
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

"U3-Ausbau unbedingt forcieren"
Anhörung: U3-Rechtsanspruch erfüllen - aber Qualitätsstandards nicht unterschreiten

Von Ilja Zeidler



6. Dezember 2012 - Knapp acht Monate bevor der U3-Rechtsanspruch eintritt, fehlen in Nordrhein-Westfalen immer noch mehrere Tausend Kita-Plätze, um den prognostizierten Bedarf zu decken. Auf Antrag der CDU-Fraktion "U3-Rechtsanspruch erfüllen, Qualitätsstandards erhalten" (Drs. 16/820) standen im Familienausschuss sechs Sachverständige Rede und Antwort.


Einig waren sich die Fachleute aus Kommunen, Wohlfahrtsverbänden, Landeselternbeirat und des Kinderschutzbundes darüber, dass an dem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige unbedingt festgehalten werden solle. Falls einige Kommunen bis zum Stichtag nicht genügend Plätze zur Verfügung stellen könnten, müssten stattdessen befristete Übergangslösungen gefunden werden.

Heinz-Josef Kessmann, Vorsitzender des Arbeitsausschusses Tageseinrichtungen für Kinder der Freien Wohlfahrtspflege NRW, wies jedoch darauf hin, dass die Kapazitätsgrenzen schon jetzt vielerorts erreicht oder sogar überschritten seien. "Unzureichende Rahmenbedingungen stellen sowohl für die jungen Kinder als auch für die Erzieher und Erzieherinnen eine erhebliche Belastung dar", so Kessmann. Dieser Einschätzung schloss sich Maria Beckmann-Junge, Jugendhilfeausschussvorsitzende des Kreises Paderborn, an und belegte mit praktischen Beispielen aus ihrer Kommune, wie dort Maßnahmen zum U3-Ausbau am Wohle der Kinder ausgerichtet seien. In diesem Zusammenhang wies Anke Bohlander vom Landeselternbeirat der Kindertageseinrichtungen in NRW auf das sogenannte Platz-Sharing hin - die Möglichkeit, einen U3-Platz auf mehrere Kinder aufzuteilen. Solche flexiblen Lösungen trügen auch dazu bei, den Betreuungsbedarf zu decken.

Die Kommunen sollten den betroffenen Eltern Engpässe bei der Bereitstellung des Platzangebots keinesfalls verschweigen, gerade bei erkennbaren Versorgungslücken in Großstädten, kritisierte Bohlander die unzureichende Informationspolitik einiger Gemeinden. Dem pflichtete auch Jürgen Graef, erster Beigeordneter der Stadt Wermelskirchen, bei. Die Eltern seien aufgrund der Medienberichterstattung stark verunsichert und die Anfragen bei der Stadtverwaltung und den Betreuungseinrichtungen hätten merklich zugenommen.

Die Fachleute erklärten ihre grundsätzliche Bereitschaft, in einer Übergangszeit nach dem 1. August 2013 Kompromisse und provisorische Lösungen in der U3-Betreuung mitzutragen. Grundlegende Qualitätsstandards wie der Erzieherin-Kind-Schlüssel, die Gruppengröße und die Qualifikation des Personals dürften jedoch nur vorübergehend unterschritten werden und nicht zu einer geduldeten Dauerlösung werden. Die Gruppengrößen unter Beibehaltung des Personalschlüssels zu erhöhen, lehnte Bohlander ab, denn Kitas seien keine "Verwahranstalten", sondern Einrichtungen, in denen qualifizierte frühkindliche Bildung stattfinde. Eine Verschlechterung dieser Faktoren sei gleichbedeutend mit einer Verschlechterung des Bildungsstandards.

"Die ersten drei Lebensjahre sind die prägendsten Jahre", so Prof. Dr. Rainer Straetz, kommissarischer Leiter des Sozialpädagogischen Instituts der FH Köln. Deshalb müsse der Ausbau von Betreuungsplätzen quantitativ so stark forciert werden, dass die für das Wohl und die Entwicklung der Kinder notwendigen pädagogischen Voraussetzungen auf jeden Fall erhalten blieben. Diese Forderung unterstützte Dieter Greese, Ehrenvorsitzender des Deutschen Kinderschutzbundes Landesverband NRW. Eine Tageseinrichtung für Kinder müsse trotz Mehrbelastung immer noch in der Lage sein, die grundlegenden Bedürfnisse und Interessen in den Mittelpunkt ihrer pädagogischen Arbeit zu stellen. Für den Fall eines Versorgungsdefizits, plädierte Greese dafür, die Platzvergabe unter dem Gesichtspunkt der Chancengerechtigkeit vorzunehmen. Für ihn seien zuerst die Kinder aus sozial benachteiligten Elternhäusern und als nächstes die Kinder berufstätiger Eltern zu berücksichtigen.

Als weiteres ernst zu nehmendes Problemfeld wurde der Fachkräftemangel bei Erzieherinnen und Erziehern benannt. "3.400 fehlende Erzieher für NRW sind realistisch", so Greese. Außerdem seien die noch in der Ausbildung befindlichen Erzieher für den erweiterten pädagogischen Auftrag nicht ausreichend qualifiziert, deswegen sei dringend eine umfassende Ausbildungsreform erforderlich.

Regional unterschiedlich sei bereits ein Mangel an geeigneten Fachkräften spürbar, konstatierte Kessmann. Der erhöhte Bedarf an Fachkräften zeichne sich jetzt schon ab. Die Fachschulen und Berufskollegs seien kurzfristig nicht in der Lage, den zusätzlichen Bedarf aufzufangen. Deshalb müssten alternative Ausbildungsmöglichkeiten, zum Beispiel praxisintegrierte Modelle, entwickelt werden. Dazu würden von Land und Bund zusätzliche Mittel zur Finanzierung benötigt, so Kessmann. Der Antrag der CDU-Fraktion wird in der nächsten Ausschusssitzung am 10. Januar abschließend beraten.

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Quelle:
Landtag intern 12 - 43. Jahrgang, 12.12.2012, S. 18
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2013