Schattenblick →INFOPOOL →PARLAMENT → LANDESPARLAMENTE

NORDRHEIN-WESTFALEN/1909: Zwangsehen verhindern (Li)


Landtag intern 2/2012
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Zwangsehen verhindern
Einig im Ziel, uneinig beim Vorgehen

Von Anica Bömke


25. Januar 2012 - Gleich zwei Anträge von drei Fraktionen beschäftigen sich aktuell mit dem Thema "Zwangsheirat". Während sich im Ziel alle soweit einig sind, gibt es Differenzen mit Blick auf die Vorgehensweise. Die CDU-Fraktion stützt sich in ihrem Antrag (Drs. 15/3404) auf Ergebnisse einer Studie des Bundesfamilienministeriums und setzt sich für mehr Aufklärung ein. In der Debatte kritisierten SPD, Grüne und Linke die Studienergebnisse sowie deren Auslegung und sprachen sich zudem für Änderungen bestimmter bundesweiter Regelungen aus. In ihrem Antrag (Drs. 15/3768) fordern SPD und Grüne unter anderem einen Ausbau von Schutzeinrichtungen.


Das im März vergangenen Jahres im Bundestag verabschiedete Gesetz gegen Zwangsehen sei zwar ein Fortschritt, reiche jedoch nicht aus, um aufzuklären und für das Thema zu sensibilisieren, betonte Andrea Milz (CDU). Es brauche mehr Aufmerksamkeit und Aufklärung in den Schulen. Pädagoginnen und Pädagogen müssten in die Lage versetzt werden, Probleme frühzeitig zu erkennen, anzusprechen und Hilfsangebote aufzuzeigen. Wichtige Hinweise zur Bekämpfung des Problems liefere die im November vom Bundesfamilienministerium vorgestellte Studie "Zwangsverheiratung in Deutschland".

Gerda Kieninger (SPD) kritisierte die im Antrag der CDU zitierte Studie des Bundesfamilienministeriums. Viele Schlussfolgerungen würden nicht durch belastbare Zahlen gestützt und schürten Vorurteile. Zudem griff ihr der Antrag der CDU nicht weit genug. Auf Landesebene müssten ausreichende Plätze für von Zwangsheirat Betroffene in spezialisierten Einrichtungen geschaffen und die Präventionsarbeit gestärkt werden. Ebenso müsse die Jugendhilfe in die Maßnahmen eingebunden werden. Wichtig sei es auch, Hilfsangebote für möglicherweise betroffene junge Männer zu entwickeln.

Als weit hergeholt bemängelte Verena Schäffer (Grüne) die Angabe der von der CDU genannten Studie, 80 Prozent der Zwangsverheirateten seien muslimisch. Vielmehr sei die Religionszugehörigkeit in der zitierten Studie nicht empirisch erfasst worden. Schäfer sprach sich für einen Ausbau der Zufluchtsstätten für Betroffene aus. Hiervon gebe es in NRW derzeit nur eine einzige in Bielefeld. Besonders wichtig sei auch die Veränderung und Anpassung von Strukturen und Unterstützungsnetzwerken, von denen betroffene Frauen und Männer dann auch tatsächlich profitieren könnten.

Ingrid Pieper-von Heiden (FDP) wandte sich ebenfalls gegen das "fatale Vergehen" der Zwangsverheiratung und begrüßte es, ein entsprechendes Konzept um Angebote für junge Männer auszuweiten und diese in die Präventionsarbeit einzubinden. Ebenso positiv sei die Aufnahme des Themas in den "Aktionsplan gegen Gewalt". Sie warf SPD und Grünen jedoch vor, durch die Bemerkungen in Richtung Bundesregierung den Ton "wissentlich und unnötigerweise" zu verschärfen. Das Thema erfordere eine sachliche Auseinandersetzung und einen breiten Konsens, um zu einem Ergebnis zu kommen.

"Zwangsehen sind ein Verstoß gegen die Menschenwürde", stellte Hamide Akbayir (Linke) heraus. Der Antrag der CDU sei dennoch aus mehreren Gründen ärgerlich. So stütze sie sich bei der Zahl von 3.443 von Zwangsverheirateten im Jahr 2008 auf die "sehr eigenwilligen Schlüsse" der Bundesfamilienministerin. Der wissenschaftliche Beirat der Studie habe sich indes von diesen Schlussfolgerungen deutlich distanziert. Auch der Ansatz der "Kulturalisierung" der Problematik, der Rückschlüsse auf kulturelle oder religiöse Zusammenhänge beinhalte, sei nicht zielführend, so Akbayir.

Der Antrag der CDU-Fraktion sei an vielen Stellen ohne Zielvorgaben, greife zu kurz und setze sich vor allem nicht kritisch mit dem Zwangsheiratsbekämpfungsgesetz des Bundes auseinander, so die Ministerin für Emanzipation, Barbara Steffens (Grüne). Insbesondere die Erhöhung der Ehebestandszeit sei jedoch ein "massives Problem". NRW müsse hier ein klares Signal an den Bund senden, die Ehebestandszeit wieder von drei auf zwei Jahre zurückzusetzen. Wichtig sei auch der Abbau von Hürden beim Recht auf Wiederkehr und die Schaffung weiterer Schutzplätze an neuen Standorten in NRW.


ÜBERWEISUNG
Das Plenum überwies die Anträge einstimmig zur Fachberatung an den Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation - federführend - an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend, an den Rechtsausschuss sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit, Soziales und Integration.


*


Quelle:
Landtag intern 2 - 43. Jahrgang, 08.02.2012, S. 6
Herausgeber: Der Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Eckhard Uhlenberg, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
Postfach 10 11 43, 40002 Düsseldorf
Telefon (0211) 884-25 45, -23 04, -23 09
Telefax (0211) 884-35 51
email@landtag.nrw.de
Internet: www.landtag.nrw.de, www.landtagintern.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2012