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NORDRHEIN-WESTFALEN/1903: Große Meinungsunterschiede über Landeshaushalt 2012 (Li)


Landtag intern 1/2012
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

"Dann fällt eben die Bundesliga aus"
Fachleute: Große Meinungsunterschiede über Landeshaushalt 2012

Von Christoph Weißkirchen


19. Januar 2012 - Kritik am vorliegenden Landeshaushalt gab es mit Blick auf Verfassungsmäßigkeit und allgemeine Finanzpolitik bei der Anhörung im Haushalts- und Finanzausschuss (Vorsitz Manfred Palmen, CDU). Die Mehrzahl der Fachleute sah angesichts guter Wirtschaftslage und sprudelnder Steuereinnahmen die Regierung in der Pflicht, mehr zu sparen.


Wenngleich er das finanzielle Plus für die Städte und Gemeinden begrüße, so sehe er doch große Probleme für den Landeshaushalt insgesamt, erklärte Dr. Christian von Kraack für die kommunalen Spitzenverbände. Diese resultierten wesentlich aus Ausgaben, die bislang nicht in den Haushalt aufgenommen worden seien. So sprach von Kraack von "Riesenkosten" bei der Integration von behinderten Menschen in das Regelschulsystem (Inklusion). Nicht ausreichend berücksichtigte Kosten kämen seiner Meinung nach auch durch die geplanten Klimaschutzmaßnahmen auf die Kommunen und damit letztendlich auf das Land zu.

Das Land müsse die Ausgaben an die Einnahmen anpassen, forderte Elmar Clouth vom Landesrechnungshof mit Blick auf die kommende Schuldenbremse. Diese untersagt ab dem Jahr 2020 die Aufnahme neuer Kredite in konjunkturellen Normalzeiten. Vor diesem Hintergrund kritisierte Clouth, dass im Vergleich zum vergangenen Haushalt die prognostizierten Steuereinnahmen zwar um rund 4 Milliarden Euro anstiegen, die Nettoneuverschuldung aber nur um rund 850 Millionen Euro zurückgehe. Die Mehreinnahmen dienten also nicht im vollen Umfang zur Rückführung der Verschuldung.

Wie vorbeugen?

Als "finanzpolitisch leichtsinnig" wertete Prof. Gisela Färber von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften den vorliegenden Haushaltsentwurf. Er beinhalte weder Vorkehrungen für die Schuldenbremse noch für einen möglichen Rückgang der Konjunktur oder steigende Zinssätze, die die Schuldenlast verteuerten. Färber hielt überdies die angenommenen Steuereinnahmen für zu optimistisch. Sollten sie aber stimmen, dann sei es nicht richtig, gleichzeitig höhere Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich zu veranschlagen. Angesichts der jüngsten Entwicklungen in Frankreich und beim Europäischen Rettungsfonds warnte sie auch vor einer möglichen Herabstufung der Bonität deutscher Gebietskörperschaften mit den daraus folgenden Konsequenzen für die weitere Kreditaufnahme.

Als "schwierigen Einstieg in die Schuldengrenze" sah Ralph Brügelmann vom Institut der Deutschen Wirtschaft das Ausmaß der vorgesehenen Nettokreditaufnahme. Notwendig sei ein ambitionierter Konsolidierungskurs. Hierzu gehöre, die großen Ausgabenposten zu beschneiden oder kleinere Ausgaben- und damit Politikbereiche ganz aufzugeben. Letzteres könne er sich aber nur schwer vorstellen. "Das strukturelle Defizit ist durch konjunkturbedingte Mehreinnahmen nicht vollständig abzubauen", betonte Dr. Rainer Kambeck vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung. Das strukturelle Defizit liege angesichts der guten Konjunkturlage in Höhe der heute veranschlagten Nettoneuverschuldung von rund 4 Milliarden Euro. Positiv sei, dass sich die Landesregierung zum Abbau dieses strukturellen Defizits verpflichtet habe, so Kambeck. Aber auch er monierte, man erkenne im Haushaltsplan noch nicht die konkreten Schritte des Abbaupfads. Dazu verwies er auf die Personalausgaben als größten Posten aller Ausgaben. Einsparmöglichkeiten in diesem Ausgabenbereich sah auch Heiner Cloesges vom Bund der Steuerzahler. Wenn weniger Personal, dann auch weniger Aufgaben, forderte Meinolf Guntermann vom Beamtenbund und von der Tarifunion NRW als Konsequenz aus der Debatte. Dieser Auffassung des Finanzministers könne er sich anschließen.

Die Schuldenbremse sei über Ausgabensenkungen nicht erreichbar, meinte Professor Heinz-Josef Bontrup: "Wir haben ein Rieseneinnahmeproblem." Dies sei durch die völlig falsche Steuerpolitik in den letzten 20 Jahren im Bund ausgelöst worden. Angesichts der Tatsache, dass der Anteil der Gewinnsteuern am gesamten Steueraufkommen zwischen 1960 und 2010 von 34,7 auf 19,2 Prozent gesunken sei, müssten die Steuern vor allem für Reiche und Vermögende erhöht werden.

Einnahmeerhöhungen solcherart täten aber der Konjunktur gar nicht gut, entgegnete Dr. Stephan Wimmers von der Industrie- und Handelskammer. Er wandte sich denn auch eher gegen die vorgesehene Neuverschuldung und warnte, die Risiken von Seiten der WestLB, des Stärkungspakts Stadtfinanzen sowie der Pensionskosten seien im Haushalt noch nicht berücksichtigt.

Wer Einsparungen, zumal beim Personal, fordere, müsse auch sagen, wo denn gespart werden solle, forderte Andreas Meyer-Lauber vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Etwa bei den Lehrkräften - dann hätte man schlechtere Schulabgängerinnen und -abgänger. Oder in der Finanzverwaltung - dann hätte man geringere Steuereinnahmen. Oder bei der Polizei - dann falle eben die Bundesliga aus.


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Quelle:
Landtag intern 1 - 43. Jahrgang, 25.01.2012, S. 13
Herausgeber: Der Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Februar 2012