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PRESSEKONFERENZ/2026: Bundeskanzlerin Merkel nach der Videokonferenz des Europäischen Rates, 23.04.2020 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Donnerstag, 23. April 2020
Bundeskanzlerin Merkel nach der Videokonferenz des Europäischen Rates


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, wir hatten gerade, wie Sie wissen, die vierte Videokonferenz des Europäischen Rates seit dem massiven Ausbruch der Coronapandemie. Wie schon bei unserem letzten Treffen lag der Schwerpunkt ganz klar darauf, wie wir die Herausforderungen dieser Pandemie bewältigen können und wollen, und zwar gemeinsam.

Bevor ich über die Details berichte, will ich zwei Dinge vorausschicken. Wir haben heute sehr offen und trotzdem im Geist der Zusammenarbeit diesen Austausch miteinander gepflegt. Wir sind natürlich nicht in allen Punkten bereits einer Meinung, aber wir handeln in dem gemeinsamen Verständnis, dass wir nur dann erfolgreich sein werden, wenn wir es auch gemeinsam bewältigen; die Pandemie trifft uns alle. Das ist das, was wir als gemeinsames Grundverständnis haben.

Zum anderen will ich das Treffen noch einmal in den Gesamtzusammenhang einordnen. Anfang März, sozusagen bei unserem ersten Videotreffen, lag der Schwerpunkt noch vollkommen auf der medizinischen Seite, also der Bekämpfung der Pandemie. Aber spätestens seit der Videokonferenz Ende März stehen die wirtschaftlichen Folgen und die Frage unserer gemeinsamen europäischen Antwort darauf im Fokus. Wir hatten ja damals die Finanzminister beauftragt, umfangreiche Hilfsmaßnahmen vorzubereiten, und die Euro-Gruppe hat dann kurz vor Ostern auch einen Solidaritätspakt mit einem Volumen von mehr als 500 Milliarden Euro geschnürt. Der hat verschiedene Elemente. Noch einmal zur Erinnerung: Die Europäische Investitionsbank soll mittlere und kleinere Unternehmen unterstützen. Der ESM steht als Instrumentarium zur Verfügung, das jetzt, auf die Pandemiegegebenheiten zugeschnitten, zügig genutzt werden kann. Es wird auch eine neue Verordnung zur Unterstützung von Kurzarbeit geben, die hoffentlich in Kürze verabschiedet werden wird.

Unser Ziel - das haben wir heute alle gemeinsam zum Ausdruck gebracht - ist, dass das Ganze ab dem 1. Juni eingesetzt werden kann. Das heißt, im Mai müssen alle Elemente umgesetzt werden. Dazu muss zum Beispiel auch der Deutsche Bundestag noch beteiligt werden. Wir denken, dass wir damit ein wirklich wichtiges Instrumentarium haben, um schnell und effektiv helfen zu können.

Dann haben wir uns heute wesentlich damit beschäftigt, wie wir die akute wirtschaftliche Krise dann auch in der Phase der Erholung bekämpfen können und wieder zu einer guten Konjunktur zurückfinden können. Es ist ganz klar geworden, dass alle gesagt haben: Wir brauchen ein solches Konjunkturprogramm oder einen "recovery fund". Ich will ganz deutlich sagen: Eine solche gemeinsame Antwort ist auch im deutschen Interesse, denn auch uns wird es auf Dauer nur gut gehen, wenn es Europa gut geht. Wir sind durch Wertschöpfungsketten mit ganz Europa verbunden; wir haben das jetzt gesehen. Wenn diese Wertschöpfungsketten einmal unterbrochen sind, dann haben wir alle miteinander große Schwierigkeiten.

Es werden substanzielle Investitionen notwendig sein. Ich habe auch deutlich gemacht, dass es nicht nur darum gehen wird, einfach so weiterzumachen, wie wir es vor der Pandemie gemacht haben, sondern dass es ganz wesentlich auch darum gehen wird, in die Zukunft zu investieren. Das heißt, das steht auch in ganz unmittelbarem Zusammenhang mit dem, was an Klimaschutz gemacht werden muss, mit dem, was an innovativen Mobilitätskonzepten gemacht werden muss, und mit dem, was mit der Digitalisierung zu tun hat. Wir werden uns auch überlegen müssen: Was haben wir aus dieser Krise gelernt? Was müssen wir auch strategisch gemeinsam in Europa können?

Wir haben darüber gesprochen - dies durchaus nicht immer ganz einheitlich - , ob es um Zuschüsse oder um Kredite gehen soll. Wie soll die Finanzierung erfolgen? - Einig waren wir uns allerdings, dass dieser "recovery fund" in einem ganz engen Zusammenhang mit der nächsten mittelfristigen finanziellen Vorausschau - dann für die nächsten sieben Jahre - stehen muss. Das heißt also, am Anfang wird man sehr viel mehr investieren müssen. Aber die Dinge stehen nicht unabhängig voneinander, sondern sie hängen miteinander zusammen.

Das bedeutet für Deutschland natürlich auch, dass wir mit höheren Beiträgen für den nächsten Haushalt rechnen müssen, als wir es geplant hatten, als wir die letzten Haushaltsverhandlungen geführt haben. Aber das ist richtig, und das ist gut so. Diese Krise hat uns alle erwischt, aber die Staaten sind von ihr doch in ganz unterschiedlicher Weise betroffen.

Die Kommission ist heute noch einmal mit zwei Dingen beauftragt worden, erstens damit, zu analysieren, welche Wirtschaftssektoren vorrangig betroffen sein werden und was man daraus lernen kann, auch für die Ausgestaltung des "recovery fund". Zweitens ist sie beauftragt worden - das will die Kommission schon im Mai tun -, deutlich zu machen, wie die Architektur eines solchen "recovery fund" in Verbindung mit einer mittelfristigen finanziellen Vorausschau aussehen kann.

Ein weiterer und letzter Punkt: Wir haben darüber gesprochen, was aus dem Westbalkangipfel wird, den die kroatische Präsidentschaft ja im Mai veranstalten möchte. Wir haben uns dazu entschieden, dass das in Form einer Videokonferenz durchgeführt wird, also mit den 27 Mitgliedsstaaten, den Institutionen und den sechs Staaten des westlichen Balkans.

Das ist für Kroatien ein kleiner Trost. Eigentlich hatte sich Kroatien sehr gut auf seine Präsidentschaft vorbereitet und hätte uns alle gern persönlich zu Gast gehabt. Das wird sich jetzt nicht realisieren lassen. Aber wir werden das in dieser Form dann wirklich auch durchführen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, vielleicht können Sie angesichts der aufgeregten Debatte, die es vor dem Gipfel gab, sagen, wie die Fronten verliefen. War das ein Schlagabtausch Norden gegen Süden, um es einmal vereinfacht zu sagen, oder der Geberländer gegen die Nehmerländer? Musste sich Deutschland besonderer Angriffe zum Beispiel aus Italien, Spanien und Frankreich erwehren?

BK'in Merkel: Nein. Es war eine sehr gute Atmosphäre, getragen von dem gemeinsamen Bewusstsein, dass wir einstimmig entscheiden und gemeinsame Wege finden müssen. Natürlich hat jeder die Dinge auch aus seiner Perspektive dargestellt. Aber es war eine sehr, sehr freundschaftliche Unterhaltung. Vor diesem Gipfel hat es ja auch eine ganze Reihe von Vorkontakten gegeben. Ich würde also nicht mit solchen martialischen Begriffen arbeiten.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben das Datum genannt: Am 1. Juni soll das erste Hilfspaket in Kraft treten. Wo sehen Sie die Hürden in Deutschland - es muss durch den Bundestag -, und wo sehen Sie Hürden vielleicht auch in anderen Ländern wie zum Beispiel in den Niederlanden dafür, dass es rechtzeitig zum 1. Juni in Kraft treten könnte?

Eine zweite Frage, wenn ich mir das erlauben darf

BK'in Merkel: Es wäre eine Premiere, wenn Sie einmal nur eine Frage stellen würden.

Zusatzfrage: Es gibt Spekulationen über den nächsten Termin Ihrer Schalte mit den Bundesländern, die, so hatte ich es im Hinterkopf, am 30. April sein soll, die besagen, dass sie erst am Ende der ersten Maiwoche stattfinden solle, weil man dann mehr darüber wisse, wie sich die Öffnungen, die jetzt gerade stattfinden, auf die Infiziertenzahlen auswirkten. Ist an dieser Verschiebung etwas dran? Danke.

BK'in Merkel: Wir hatten uns für den 30. April verabredet. Da kann man auch einiges besprechen. Aber die Auswirkungen der Entscheidungen über die Öffnung der Geschäfte - das haben wir immer gesagt -, können wir erst 14 Tage danach sehen. Die ersten Geschäfte haben diesen Montag geöffnet. Die letzten werden nächsten Montag öffnen. Einige Bundesländer haben Mittwoch etwas gemacht; einige haben gestern, glaube ich, etwas gemacht. Das heißt, dass wir am 6. Mai über diese Frage sprechen können. Es wird aber auch noch andere Fragen geben, über die man diskutieren kann. Insofern gehe ich davon aus, dass es eine Schalte am 30. April geben wird, und dann gibt es auch in der Woche darauf etwas.

Wir haben uns vorgenommen, immer zu schauen: Wie wirken die Maßnahmen der Lockerung, der Öffnung, die wir tätigen? Wir sind uns alle einig, dass wir das erst nach 10 bis 14 Tagen sehen können. Dafür ist der 6. Mai ein sehr gutes Datum.

Was das andere Thema angeht, sehe ich eigentlich keine großen Hürden, wenn die Kommission jetzt sehr schnell die Verordnung "SURE" für das Kurzarbeitergeld vorlegt. Wir informieren das Parlament permanent über die einzelnen Schritte. Das heißt, man weiß, was beim ESM anliegt. Man muss sich mit dieser Verordnung insofern befassen, als die Bundesrepublik eine Garantie geben muss, die vom Deutschen Bundestag bestätigt werden muss.

Frage: Eine kurze Nachfrage: Sind für Sie nach dem heutigen Videotreffen die Eurobonds vom Tisch?

Wen haben Sie heute im Bundestag gemeint, als Sie sagten, es gehe Ihnen in den Bundesländern zu forsch? Mehrere Ministerpräsidenten, die von uns befragt wurden, haben gesagt: Uns kann die Frau Bundeskanzlerin nicht gemeint haben. Wen haben Sie denn gemeint?

BK'in Merkel: Ich habe meinen allgemeinen Eindruck dargestellt.

Was Ihr Schlagwort "Eurobonds" anbelangt: Es geht nicht, dass die Schulden vergemeinschaftet werden, wie ich es heute auch im Deutschen Bundestag gesagt habe. Das habe ich genauso auch in der Videokonferenz wiederholt.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich möchte auf Ihre Rede von heute Morgen zurückkommen. Sie haben noch einmal die internationale Kooperation bei der Bekämpfung angemahnt. Wie gut oder wie schlecht funktioniert Ihrer Meinung nach gerade die internationale Kooperation mit dem engen Bündnispartner USA, dessen Präsident ja die Zahlung an die WHO eingestellt hat? Wie groß ist Ihre Sorge, dass die Herausforderung die derzeitige Kooperationsbereitschaft übersteigt?

BK'in Merkel: Es gibt, glaube ich, schon eine Erkenntnis. Das zeigt sich ja auch in den Schaltungen, die wir im G7-Format - jetzt unter amerikanischer Präsidentschaft - oder auch im Rahmen der G20 haben, dass wir wissen, dass es eine Krankheit ist, die uns alle erreicht hat, eine Pandemie, vor der sich sozusagen keiner drücken kann, vor der keiner verschwinden kann. Sie erreicht uns alle. Deshalb gibt es viele gute Gründe, auch zusammenzuarbeiten, zum Beispiel bei der Entwicklung eines Impfstoffes, bei der Versorgung mit Beatmungsgeräten, bei der Frage der Medikamente. Dabei sind wir aufeinander angewiesen.

Die Einschätzung über die Leistungsstärke der WHO unterscheidet sich. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben sich hier sehr kritisch geäußert. Ich habe heute Vormittag noch einmal gesagt, dass wir die Weltgesundheitsorganisation brauchen, dass man natürlich dort, wo es Schwächen gibt, diese analysieren muss. Ich habe, wie viele andere auch, ein klares Bekenntnis zur Weltgesundheitsorganisation deutlich gemacht.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, zurück zu den EU-Finanzen. Angeblich sollen Sie heute in der Videoschalte von einer Billion gesprochen haben, die bereitgestellt werden müsste. Sie sagten wohl nach einem recht dramatischen Vortrag von Frau Lagarde, dass es am Ende ein sehr großes Paket sein müsse. Können Sie noch einmal ganz kurz erklären: Stammt diese eine Billion von diesen 500 Milliarden plus weitere 500 Milliarden aus dem "recovery programme" oder wäre das noch oben drauf?

BK'in Merkel: Ich weiß nicht, was Sie so aus den Konferenzen hören. Diese Billion ist des Öfteren von mir in dem Zusammenhang genannt worden, dass ich gesagt habe: Man muss sich natürlich überlegen: Wie kommt man darauf, dass man eine bestimmte Größenordnung eines Konjunkturprogramms braucht? Das ist doch ganz klar. Deswegen haben wir auch die Kommission gebeten, uns Vorschläge zu machen, wie wir die einzelnen Sektoren bewerten, also welchen Einfluss oder welchen Schaden diese Sektoren nehmen. Da wissen wir ja vieles noch nicht. Wir wissen nicht, wie sich die Tourismuswirtschaft in Europa entwickeln wird; wir wissen nicht, wie das Kaufverhalten für Autos nach der etwas abklingenden Pandemie sein wird. Es ist sehr schwierig, das jetzt vorauszusagen. Aber alle waren sich einig, dass es jetzt nicht um 50 Milliarden Euro geht. Ich habe einfach nur gesagt, dass es mich freuen würde, wenn man nicht einfach die Größenordnung nennt, sondern auch ableitet und unterfüttern kann, warum das so ist. Das war auch der Geist, in dem wir insgesamt miteinander gesprochen haben.

Danke schön und schönen Abend!

Donnerstag, 23. April 2020

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel nach der Videokonferenz des
Europäischen Rates, 23.04.2020
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pressekonferenz-von-bundeskanzlerin-merkel-nach-der-videokonferenz-des-europaeischen-rates-1746670
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2020

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