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PRESSEKONFERENZ/1931: Regierungspressekonferenz vom 11. Oktober 2019 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Freitag, 11. Oktober 2019
Regierungspressekonferenz vom 11. Oktober 2019

Themen: Termine der Bundeskanzlerin (Besuch des französischen Präsidenten, 11. Deutscher Maschinenbau-Gipfel, Empfang der Ministerpräsidentin Norwegens, Kabinettssitzung, deutsch-französischer Ministerrat, Europäischer Rat in Brüssel), 70-jähriges Bestehen der Bundespressekonferenz, Anschlag in Halle, Bundesprogramm "Demokratie leben!", Friedensnobelpreis, Rückruf von bakteriell verunreinigter Frischmilch, Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien, Grundsteuerreform

Sprecher: SRS'in Demmer, Alter (BMI), Audretsch (BMFSFJ), Kalwey (BMF), Zimmermann (BMJV), Lenz (BMEL), Breul (AA), Grave (BMWi)


Vorsitzende Wefers eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt SRS'in Demmer sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

SRS'in Demmer: Am kommenden Sonntag - das hatte Regierungssprecher Seibert schon angekündigt - gibt es ein Treffen der Bundeskanzlerin mit Präsident Macron in Paris im Vorfeld des Europäischen Rates, der am 17. und 18. Oktober stattfindet. Zu Beginn des Treffens - das stand am Mittwoch noch nicht fest - wird es ein kurzes Pressestatement geben.

Am Dienstag, den 15. Oktober, nimmt die Bundeskanzlerin am 11. Deutschen Maschinenbau-Gipfel des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V. in Berlin teil. Sie wird dort gegen 10.15 Uhr eine Rede zu aktuellen Themen der Wirtschafts- und Industriepolitik halten.

Ebenfalls am Dienstag um 11.30 Uhr wird die Bundeskanzlerin dann die norwegische Ministerpräsidentin Erna Solberg zu einem Gespräch im Bundeskanzleramt begrüßen. Inhalt des Gesprächs werden bilaterale und internationale Fragen, aber auch die Zusammenarbeit im Bereich der globalen Gesundheitsförderung, Klima- und Entwicklungspolitik sein. Eine gemeinsame Pressekonferenz ist für ca. 12.15 Uhr geplant.

Danach wird Erna Solberg weiter nach Frankfurt reisen und die Buchmesse besuchen. Norwegen ist in diesem Jahr dort Ehrengast.

Am Mittwoch tagt zunächst das Bundeskabinett unter der Leitung der Bundeskanzlerin, in dieser Woche schon um 9 Uhr.

Im Anschluss daran wird die Bundeskanzlerin nach Toulouse zum deutsch-französischen Ministerrat reisen. Auch diesen Termin hatte Herr Seibert schon angekündigt.

Am 17. und 18. Oktober treffen sich dann die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel zum Europäischen Rat. Die Bundeskanzlerin gibt vor Beginn des Europäischen Rats am Donnerstag, den 17. Oktober, um 9 Uhr vor dem Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung ab.

Der Europäische Rat startet wie üblich am Donnerstagnachmittag mit einem Zusammentreffen der Mitglieder des Europäischen Rates mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments. Erstmals ist das an diesem Tag David Maria Sassoli, der am 3. Juli zum Parlamentspräsidenten gewählt worden ist.

Der Europäische Rat wird sich - so wie es sich heute darstellt - natürlich mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union befassen. Der Europäische Rat wird zudem über den mehrjährigen Finanzrahmen beraten, also die Finanzausstattung des EU-Haushaltes und seiner einzelnen Politikfelder für die sieben Jahre ab 2021. Außerdem stehen internationale Aspekte des Klimawandels auf der Agenda nach dem UN-Klimagipfel und mit Blick auf die Klimakonferenz in Santiago de Chile im Dezember. Zudem werden die Beziehungen zur Türkei Gegenstand der Beratungen sein.

Die Staats- und Regierungschefs werden außerdem mit der gewählten Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, über ihre Prioritäten für die neue Kommission diskutieren.

Schließlich wird der Europäische Rat den förmlichen Beschluss zur Ernennung von Christine Lagarde als Präsidentin der Europäischen Zentralbank annehmen.

Sie sehen also: Es gibt ein umfangreiches Programm in Brüssel. Im Anschluss daran wird es wie immer eine Pressekonferenz der Bundeskanzlerin geben.

Um Sie vorab zu informieren, gibt es Dienstag hier ein Briefing von 13 Uhr bis 14 Uhr hier.

Dann habe ich noch etwas ganz Erfreuliches. Es gibt nämlich einen sehr schönen Anlass. Heute vor 70 Jahren, am 11. Oktober, hat sich die Bundespressekonferenz mit der Wahl eines geschäftsführenden Ausschusses offiziell konstituiert. Wie Sie auf Ihrer Webseite schreiben, ist das, denke ich, ein guter Tag, um Ihnen allen und vor allen Dingen natürlich dem Vorstand ganz herzlich zu gratulieren.

Ich finde, in Deutschland können wir auf diese Institution sehr stolz sein. Die Bundespressekonferenz wird ja sehr häufig als weltweit einzigartig beschrieben. Sie steht für Pressefreiheit und Demokratie, und das in einer Zeit, in der die Pressefreiheit in vielen Ländern unter Druck steht und vermehrt angegriffen wird.

Wir, die Sprecher - ich denke, das kann ich für uns alle hier auf der Bank sagen -, kommen gern als Gäste zu Ihnen. Sie bestimmen die Tagesordnung und die Themen. Das ist für uns im Tagesgeschäft natürlich nicht immer ganz leicht. Aber genau so soll es bleiben, ganz im Sinne unserer Demokratie.

Also noch einmal: Herzlichen Glückwunsch!

Vorsitzende Wefers: Vielen Dank, Frau Demmer, für Ihre guten Worte. Die Gratulation und die Glückwünsche nehme ich gern mit in den Vorstand. Wir geben sie auch gern an unsere Mitglieder weiter.

Wir freuen uns, dass die Mitgliedschaft die Einrichtung der Bundespressekonferenz trägt. Sie lebt davon, dass viele mitmachen, dass gute Fragen gestellt und gute Themen aufgerufen werden. Im Namen des Vorstands wünsche auch ich mir, dass das so bleibt. Wir verstehen auch, dass wir ein wichtiger Baustein in unserem Gesellschaftssystem und wichtig für die Pressefreiheit und die Demokratie sind.

Am Freitagabend wird in Bonn, am Gründungsort der Bundespressekonferenz, eine Feier stattfinden. Der Vorstand reist fast geschossen dorthin. Wahrscheinlich werden auch sehr viele Kollegen kommen, die vielleicht nicht mehr die Geburtsstunde, aber doch die frühen Anfänge miterlebt haben - ich kenne noch einige Kollegen, die sehr interessante Dinge aus diesen Anfangszeiten und der Bonner Zeit zu berichten hatten -, damit wir das feierlich begehen.

Frage: Eine Frage an das BMI im Nachgang zu den Anschlägen in Halle: Der Innenminister hat angekündigt, dass er über schärfere Sicherheitsmaßnahmen nachdenkt, um jüdische Einrichtungen und Juden in Deutschland besser zu schützen. Können Sie das schon etwas konkretisieren? Es gibt jetzt auch ein Treffen im Ministerium.

Alter: Ich will gern antworten. Sie wissen, dass sich der Bundesinnenminister gestern vor Ort ein Bild von der Situation gemacht hat. Er war sehr betroffen. Wenn man vor Ort ist, ist das noch etwas anderes, als wenn man das aus der Ferne beurteilt. Er hat dort mit den Verantwortlichen aus Sachsen-Anhalt, aber insbesondere auch mit Vertretern der jüdischen Gemeinde, in der im Moment verständlicherweise eine hohe Verunsicherung herrscht, über die Situation gesprochen. Alle sind übereingekommen, dass es für Synagogen und jüdische Einrichtungen in Deutschland einen nachhaltigen Schutz geben muss, sodass die Gläubigen die Gottesdienste und ihre Glaubensrituale in einer beruhigenden Atmosphäre und einem Gefühl der Sicherheit wahrnehmen können.

Ich will darauf hinweisen, dass der Bundesinnenminister die Gefahr durch den Rechtsextremismus, durch den Antisemitismus in Deutschland nicht erst seit gestern sehr ernst nimmt. Er hat in den vergangenen Monaten häufiger gesagt - jetzt zitiere ich ihn -, dass die Gefahr von rechts sehr, sehr, sehr hoch ist. Ein Bundesinnenminister wählt eine solche Formulierung nicht leichtfertig.

Nach dem Mord an Regierungspräsidenten Lübke ist die Gefahrenbewertung des Bundeskriminalamts angehoben worden. Die Gefahrenlage durch den Rechtsextremismus ist identisch mit der Gefahr durch den islamistischen Terrorismus. Insofern ist erkennbar, dass es für unsere Einschätzung der Situation nicht dieses zweiten Vorfalls bedurfte, sondern es ist ein Vorfall, der uns traurigerweise in unseren Überlegungen bestätigt hat.

Aktuell - das kann ich Ihnen sagen - laufen natürlich die Ermittlungen, auch die Rekonstruktion der Abläufe. Dazu warne ich vor voreiligen Schlüssen. Das muss sauber und intensiv analysiert werden. Das findet auch statt.

Der Bundesinnenminister hat, wie Sie schon gesagt haben, heute Morgen seine Sicherheitschefs, also die zuständigen Staatssekretäre in unserem Hause, aber auch die Chefs der Sicherheitsbehörden - Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz - sowie die zuständigen Abteilungsleiter im Hause und auch Vertreter der Koalitionsfraktionen ins Haus eingeladen. Soweit ich weiß, läuft diese Besprechung derzeit noch. Es geht darum, in die Gespräche, die wir seit einiger Zeit führen, mehr Tempo hineinzubekommen.

Sie wissen, dass es konzeptionelle Überlegungen und auch gesetzliche Überlegungen gibt, wie man noch stärker gegen Rechtsextremismus vorgehen kann. Dem Bundesinnenminister ist es ein wichtiges Anliegen, dass es nicht bei Worten bleibt, sondern dass jetzt schnell Taten folgen, das heißt also, konkrete Veränderungen gesetzlicher und konzeptioneller Art, damit die Sicherheitsbehörden dieses Phänomen besser bekämpfen können. Es wird in allen Facetten geprüft, wo Verbesserungen möglich sind. Das findet derzeit statt. Der Bundesinnenminister wird mit seinen Schlussfolgerungen sehr zeitnah auch an die Öffentlichkeit gehen. Das kann ich im Moment nicht tun, weil das Gespräch noch läuft. Aber Sie werden sehr zeitnah etwas von ihm dazu hören.

Audretsch: Aus der Perspektive unserer Verantwortung für die Förderung von Demokratie und der Arbeit gegen Rechtsextremismus, gegen Antisemitismus, gegen Menschenfeindlichkeit in Deutschland:

Die Anschläge, die in Halle passiert sind, haben einen rechtsradikalen, antisemitischen Hintergrund und sind wohl von einer Abscheulichkeit, die kaum noch zu übertreffen ist. Vor dem Hintergrund der Werte unseres Grundgesetzes und unserer liberalen Demokratie ist es eine Aufgabe für uns und ein Auftrag an uns, noch intensiver und als gesamte Gesellschaft gegen Antisemitismus, gegen rechtsradikale Ideologien, gegen Menschenfeindlichkeit einzutreten.

Sie wissen, dass wir das sehr intensiv mit unserem Programm "Demokratie leben!" tun, über das wir engagierte Menschen in Deutschland, die tagtäglich vor Ort die Arbeit machen und dabei Antisemitismus und rechtsradikalen Ideologien die Stirn bieten, unterstützen. Wir fühlen uns durch die Debatten und Ereignisse sehr darin bestätigt, sodass wir, sodass konkret Ministerin Giffey, 2018 die Entscheidung getroffen hat, dass dieses Programm nicht auslaufen darf. Es ist eine Daueraufgabe, in der Gesellschaft gegen menschenfeindliche Ideologien anzuarbeiten. Deswegen hat sie 2018 diese Entscheidung getroffen. Wir sind jetzt in der Vorbereitung der zweiten Förderphase.

In der zweiten Förderphase, die am dem 1. Januar 2020 starten soll, haben wir einen Schwerpunkt auf die Arbeit vor Ort gelegt, unter anderem auf die Partnerschaften für Demokratie. Das sind 300 lokale Partnerschaften in ganz Deutschland, die in den Kommunen arbeiten und die Kärrnerarbeit vor Ort machen. An der Stelle zum Beispiel haben wir uns dafür entschieden, dass statt bislang 100 000 Euro in Zukunft 125 000 Euro pro Partnerschaft für Demokratie vor Ort jährlich zur Verfügung stehen sollen. Diese Entscheidungen in der Gestaltung der zweiten Förderphase haben nichts mit den Ereignissen in Halle zu tun, aber wir fühlen uns dadurch sehr in der Ansicht bestätigt, wie notwendig es ist, die Arbeit vor Ort noch intensiver zu unterstützen.

Unter diesen 300 Partnerschaften für Demokratie ist auch die Demokratiearbeit in Halle; sie nennt sich HALLIANZ. Die HALLIANZ berät und unterstützt Vereine, Initiativen und engagierte Menschen, die sich vor Ort mit eigenen Projekten gegen Rechtsextremismus, gegen menschenfeindliche und antisemitische Tendenzen und Ideologien starkmachen. Die HALLIANZ führt zum Beispiel auch öffentlichkeitswirksame Aktionen durch und hat vor Ort Bildungswochen gegen Rassismus organisiert. Sie macht die Arbeit, die so notwendig ist, um auf einer breiteren gesamtgesellschaftlichen Basis solchen Ideologien den Boden zu entziehen.

In ganz Deutschland gibt es, wie gesagt, im Moment insgesamt 300 solcher Partnerschaften für Demokratie. Ministerin Giffey hat für den kommenden Dienstag eine Reihe von Vertreterinnen und Vertretern solcher Partnerschaften nach Berlin ins Bundesfamilienministerium eingeladen. Auch eine Vertreterin oder ein Vertreter der HALLIANZ wird am Dienstag dabei sein. Auch Sie werden dann informiert und sind herzlich willkommen, ins Bundesfamilienministerium zu kommen. Aber die Einladung haben wir breiter ausgesprochen, auch an andere Partnerschaften für Demokratie, um deutlich zu machen, dass es insgesamt in Deutschland relevant ist, sich diesen Fragen intensiv zu widmen.

Zweitens möchte ich Ihnen gern noch mitteilen, dass in der Anlage der zweiten Förderphase ab dem nächsten Jahr die Arbeit gegen Antisemitismus weiter finanziell aufgestockt wird. Auch das ist keine Entscheidung, die mit den Ereignissen in Halle zu tun hat. Über die Art, wie wir die zweite Förderphase aufgestellt haben, ist lange vorher entschieden worden. Aber auch dabei zeigt sich, dass die Entscheidung, genau so in die zweite Förderphase zu gehen und Antisemitismus stärker in den Blick zu nehmen, richtig und wichtig war.

Erstmalig wird ein eigenes Kompetenznetzwerk mit erfahrenen Trägern etabliert, das Informationen bundesweit bündeln kann, fachliche Beratung bereitstellt und einen Transfer von erfolgreichen Präventionsansätzen auch in Bundes- und Landesstrukturen sowie in kommunalen Strukturen sicherstellen kann.

Sie haben es sicherlich verfolgt; dennoch möchte ich es hier gern einmal erwähnen. Am Mittwoch haben sich Bundesfamilienministerin Giffey und Finanzminister Olaf Scholz darauf verständigt, die Mittel für das Programm "Demokratie leben!" um 8 Millionen Euro anzuheben. Damit ist gesichert, dass auch im Jahr 2020 115 Millionen Euro für die Arbeit gegen Extremismus und zur Förderung der Demokratie zur Verfügung stehen. Auch dazu will ich erwähnen, dass diese Entscheidung nicht vor dem Hintergrund der Ereignisse in Halle gefallen ist. Die Entscheidung ist davor gefallen. Aber auch daran wird, denke ich, deutlich, dass genau das ein wichtiger und richtiger Schritt ist, um mehr Unterstützung vor Ort möglich zu machen.

Bei dem Programm "Demokratie leben!" handelt es sich - auch das muss man in die Betrachtung mit einbeziehen - nach wie vor um ein Bundesprogramm. Das heißt, über dieses Bundesprogramm können nur befristete Modellprojekte gefördert werden. Es ist nicht möglich, Projekte, weil sie gut sind, dauerhaft weiter zu fördern. Wir würden das gern tun, aber das ist im Moment aus rechtlichen Gründen so nicht möglich.

Um dies möglich zu machen, bräuchte es ein Demokratiefördergesetz. Ein solches Demokratiefördergesetz fordert Ministerin Giffey schon seit längerer Zeit. Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die wir jetzt auch bei der Ausschreibung und der Vergabe der Mittel in der zweiten Förderperiode ab 2020 machen, ist für uns noch einmal klar geworden, wie wichtig es ist, dass wir in Deutschland dazu kommen, ein solches Demokratiefördergesetz zu haben, um künftig auch langfristig gute Projekte, die sich gegen Rechtsextremismus, gegen Antisemitismus, gegen menschenfeindliche Ideologien richten, dauerhaft fördern zu können.

Zusatzfrage: Ist man ein bisschen zu spät aufgewacht? Denn gerade die Vereine, die sich für Demokratie einsetzen, klagen ja seit Jahren darüber, dass sie zu wenig Unterstützung auch aus den Ländern erhalten. Muss man auch den Ländern mehr auf die Füße treten?

Audretsch: Ich kann natürlich nicht für die Länder sprechen. Aber ich kann gern für das Bundesfamilienministerium sprechen.

Wir haben 2015 mit diesem Programm begonnen. Es ist im Nachgang zu den NSU-Morden etabliert worden und wurde damals mit einem Mittelansatz in Höhe von 40 Millionen Euro gestartet. Seitdem, von 2015 bis heute, sind wir zu dem Punkt gekommen, dass wir mittlerweile seit mehreren Jahren stabil über 100 Millionen Euro haben. In diesem Jahr, 2019, haben wir 115,5 Millionen Euro. Wir werden auch im Jahr 2020 stabil bei über 115 Millionen Euro liegen.

Grundsätzlich ist es immer wünschenswert, dass wir es schaffen, die Zivilgesellschaft, die diese wichtige Arbeit macht, so gut wie möglich zu unterstützen. Natürlich hilft mehr Geld auch dabei, besser Unterstützung möglich machen zu können. Dennoch ist es vor dem Hintergrund dessen, dass wir einen so enormen Aufwuchs seit dem Jahr 2015 haben, ein Erfolg, dass wir es nun auch für 2020 geschafft haben, die zivilgesellschaftliche Arbeit auf einem so hohen Niveau weiter fördern zu können.

Frage: Herr Audretsch, das Interessante ist ja, dass Sie dieses Programm bis Mittwoch mit weniger Geld ausstatten wollten, nämlich mit 107,5 Millionen Euro für das nächste Jahr. Jetzt haben Sie sich ausgerechnet am Mittwoch entschieden, wieder acht Millionen Euro draufzupacken, was einfach nur die gleiche Summe wie in der ersten Förderperiode ist.

Jetzt wollen Sie den Kampf gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus verstärken. Wo ist denn dann das Geld dafür? Sie geben ja nicht mehr Geld, sondern einfach nur das Mindeste, nämlich genauso viel Geld wie in der ersten Förderperiode.

Warum wollten Sie das Budget überhaupt senken?

Audretsch: Es gab nie einen Moment, in dem es Ziel gewesen wäre, die Fördermittel zu senken. Wie ich beschrieben habe, kommen wir von einem Förderansatz, der 2015 bei 40 Millionen Euro lag. Jetzt liegen wir seit Längerem stabil über 100 Millionen Euro. In der mittelfristigen Finanzplanung war deutlich weniger Geld für das Haushaltsjahr 2020 angesetzt. Es war in den vergangenen Monaten viel Arbeit, die Prioritätensetzungen an der Stelle so zu gestalten, dass wir jetzt wieder stabil bei über 115 Millionen Euro liegen.

Es ist viel Geld, das wir an der Stelle investieren. Mehr Geld ist immer gut; das ist richtig. Aber ich denke, in den Verhältnissen, die ich Ihnen beschrieben habe - von wo kommen wir; wo sind wir jetzt -, ist es ein Erfolg auch der Arbeit der letzten Monate, dass wir wieder die Ausgangslage geschaffen haben, auf gleich hohem Niveau weiter zu fördern.

Zusatzfrage: Aber das passt ja nicht zu Ihren eigenen Ansprüchen. Sie sagen, Sie wollen mehr gegen Antisemitismus, gegen Rechtsextremismus tun. Jetzt setzen Sie nicht mehr Geld ein.

Noch einmal die Frage: Warum wollten Sie bis Mittwoch dieses Programm sogar kürzen?

Audretsch: Das Mehr an Förderung für die Arbeit gegen Antisemitismus, gegen Rechtsextremismus entsteht natürlich auch aus der Frage, wie ein solches Programm gestaltet ist. Zum Beispiel bringt der Fakt, dass wir stärker in die Partnerschaften für Demokratie vor Ort investieren, eine Verstärkung der Arbeit gegen Rechtsextremismus mit sich. In diesem Bereich haben wir in Zukunft 7,5 Millionen Euro mehr zur Verfügung. 60 Prozent der Partnerschaften für Demokratie vor Ort legen einen Fokus auf die Arbeit gegen Rechtsextremismus.

Wir werden auf Landesebene die Landesdemokratiezentren stärker fördern. Dort werden in Zukunft bis zu 19,5 Millionen Euro über die Länder abgerufen werden können. Darüber werden zum Beispiel die mobile Beratung, die Ausstiegsberatung und die Opferberatung im Bereich des Rechtsextremismus intensiv finanziert. Auch diese Arbeit richtet sich ganz dezidiert vor Ort gegen rechtsextreme Ideologien und stellt auf der anderen Seite sicher, dass die Menschen, die von den Auswirkungen rechtsextremer Ideologien betroffen sind, deutlich direkter, schneller und besser Unterstützung bekommen können.

Insofern sind die Strukturen des Programms, wie wir sie jetzt aufstellen, so ausgerichtet, dass wir die Arbeit gegen Rechtsextremismus in Deutschland verstärkt führen können.

Gleichzeitig - das hatte ich Ihnen vorher auch schon erläutert - werden wir erstmalig ein eigenes Kompetenznetzwerk mit erfahrenen Trägern auf Bundesebene einrichten, um eine noch bessere fachliche Austauschplattform, um Beratungsmöglichkeiten und die Möglichkeit zu schaffen, dass erfolgreiche Präventionsansätze in Bundes- und Landesstrukturen sowie in kommunalen Strukturen ausgetauscht werden können.

All diese Strukturveränderungen haben wir unabhängig von Halle - die zweite Förderphase wird schon sehr viel länger vorbereitet - so auf den Weg gebracht. Auch vor dem Hintergrund dessen, was wir in Halle erleben mussten, sehen wir uns darin bestätigt, dass wir auf genau diese Art und Weise auch die Arbeit gegen Rechtsextremismus, gegen menschenfeindliche Ideologien verstärken.

Frage: Herr Audretsch, ich möchte auch noch einmal nachhaken. Sie haben ja gesagt, die Entscheidung, die am Mittwoch verkündet wurde, habe nichts mit den Ereignissen von Halle zu tun gehabt. Wie ist denn diese Entscheidung, diese 8 Millionen Euro nun doch nicht zu kürzen, sondern den ursprünglichen Fördermittelansatz zu nehmen, dann zustande gekommen? Ist das auf die Bemühungen von Frau Giffey zurückzuführen, oder hat sich vielleicht auch Finanzminister Scholz dafür eingesetzt? Vielleicht kann sich auch Frau Kalwey dazu äußern.

Audretsch: Wir haben in den letzten Monaten konstant immer wieder intensive Gespräche über Mittelansätze geführt und dabei Wert darauf gelegt, dass wir auf stabil hohem Niveau weiter fördern. Die Bundesfamilienministerin und der Bundesfinanzminister waren stetig im Gespräch über diese Frage und haben dann entschieden, dass es nötig ist und ein guter Schritt ist, diese 8 Millionen Euro noch einmal draufzulegen und damit stabil bei mehr als 115 Millionen Euro zu bleiben. Diese Entscheidung wurde, wie gesagt, schon getroffen, bevor in Halle die Ereignisse am Mittwoch stattgefunden haben.

Kalwey: Ich kann das nur bestätigen. Wichtig ist doch jetzt auch das Ergebnis! Herr Audretsch hat es ja jetzt auch ausgeführt. Es war eine gemeinsame Entscheidung. Ich denke, mehr habe ich dem auch nicht hinzuzufügen.

Zusatzfrage: Dann muss ich noch einmal nachfragen. Vielleicht habe ich es noch nicht verstanden. Frau Ministerin Giffey hat ja angekündigt, auch mehr Geld in den Kampf gegen Antisemitismus zu stecken. Sind diese Mittel in diesem 115-Millionen-Fördertopf enthalten, oder plant sie, noch ein zusätzliches Förderprogramm für den Kampf gegen Antisemitismus zu schaffen?

Audretsch: Das verhält sich so, wie ich gerade beschrieben habe: Im Rahmen der Mittel für das Programm "Demokratie leben!" - natürlich inklusive dieser 8 Millionen Euro, die jetzt noch einmal hinzugekommen sind - werden die Strukturen so geschaffen werden, dass wir die Arbeit gegen Antisemitismus verstärkt durchführen können.

Daneben - das möchte ich vielleicht auch noch erwähnen - ist es natürlich so, dass wir auch außerhalb des Programms "Demokratie leben!" über die verschiedensten Programme und Töpfe Demokratiearbeit und Arbeit gegen Rechtsextremismus im Bundesfamilienministerium fördern, zum Beispiel über den Kinder- und Jugendplan. Damit fördern wir zum Beispiel die Organisation Jugendschutz.net, die sich intensiv mit rechter beziehungsweise rechtsradikaler Propaganda im Internet auseinandersetzt und jährlich Berichte herausgibt, auch über Strategien von Rechtsradikalen, Jugendliche zu infiltrieren und Jugendliche an sich zu binden. Das sind dann Mittel, die nicht aus dem Programm "Demokratie leben!" kommen. Aus dem Kinder- und Jugendplan fließen noch einmal 1,5 Millionen Euro an diese Organisation.

Es gibt also diese gut 115 Millionen innerhalb des Programms "Demokratie leben!". Es gibt aber selbstverständlich darüber hinaus weitere Mittel, die ebenfalls in die Arbeit für Demokratie und gegen menschenfeindliche Ideologien fließen.

Frage: Ich werde noch nicht ganz schlau daraus. Wenn sich nämlich Frau Giffey wochenlang dafür eingesetzt hat, dass diese 8 Millionen Euro als Förderung dann doch hineinkommen, dann muss ja jemand in dieser Zeit dagegen gewesen sein, dass diese Förderung erteilt wird. Das kann, glaube ich, nur der Bundesfinanzminister gewesen sein. Was waren dann seine Beweggründe dafür, Frau Kalwey, oder war es nicht der Bundesfinanzminister? Dann müssten Sie mir aber sagen, mit wem Frau Giffey da so lange verhandeln musste!

Audretsch: Ich kann gerne noch einmal darauf antworten. Wie ich gerade beschrieben habe, hatten wir in der mittelfristigen Finanzplanung ursprünglich deutlich weniger Geld veranschlagt. In dem Prozess, einen Haushalt aufzustellen, sind das dann immer Abwägungen und Diskussionen über die bestmögliche Verwendung dieser Mittel, die geführt werden. In diesen Gesprächen hatte man dauerhaft das Ziel, das - ausgehend von der mittelfristigen Finanzplanung - anzuheben. Das ist auch schon passiert, als wir noch bei 107,5 Millionen Euro waren. Das ist schon ein deutlicher Aufwuchs in Millionenhöhe und damit eine stabile Finanzierung von weit mehr als 100 Millionen Euro gewesen.

Der letzte Schritt, dass wir jetzt noch diese 8 Millionen Euro draufgelegt haben, ist nur der letzte Kleine Punkt innerhalb einer längeren Debatte, in der immer klar war, dass das Ziel ist, so viel Geld wie möglich zu nutzen und auch Förderung für die Zivilgesellschaft in Deutschland so intensiv wie möglich möglich zu machen.

Zusatzfrage: Ist das das Ziel des Familienministeriums oder der gesamten Bundesregierung gewesen? Die Finanzplanung wird doch vom BMF aufgestellt, oder? Dann wundert es mich, dass diese Mittel da erst einmal nicht bewilligt wurden.

Kalwey: Die Finanzplanung des BMF spiegelt natürlich die Prioritäten der Bundesregierung wider. Herr Audretsch hat diesen Prozess jetzt doch, wie ich finde, sehr gut beschrieben. Das ist der normale Prozess, wie er in den haushalterischen Verhandlungen abläuft. Ich habe dem jetzt auch nichts hinzuzufügen. Wichtig ist doch, wie gesagt, das Ergebnis, wie es jetzt dasteht. Mehr als das, was Ihnen Herr Audretsch ja jetzt auch wirklich sehr ausführlich und gut beschrieben hat, kann ich nicht beisteuern.

Zusatzfrage: Wäre es falsch zu sagen, dass Herr Scholz anfangs dagegen war, diese 8 Millionen Euro an Förderung aufzunehmen?

Kalwey: Wie gesagt: Es gibt einen Prozess. Dieser Prozess ist jetzt abgeschlossen. Ich werde mich jetzt hier nicht zu einzelnen Positionierungen äußern. Die Finanzplanung, die das BMF als Finanzministerium aufstellt, spiegelt die Prioritäten der gesamten Bundesregierung wider.

Frage: Ich habe es auch noch nicht verstanden, obwohl ich schon zweimal gefragt habe: Warum wurde in der mittelfristigen Finanzplanung ursprünglich weniger Geld veranschlagt, wenn die Priorität der Bundesregierung doch der Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus ist?

Audretsch: Das kann ich nur sehr grundsätzlich beantworten. Das ist auch eine Sache, die die Kollegin aus dem Bundesfinanzministerium vielleicht noch einmal grundsätzlich untermauern könnte. Die Annahme, dass das, was in der mittelfristigen Finanzplanung steht, dann auch eins zu eins auf das umzulegen ist, was dann am Ende tatsächlich in einem Haushalt für eine bestimmte Aufgabe steht, ist falsch. Dieser Eins-zu-eins-Schluss funktioniert nicht, den kann man nicht ziehen. Deswegen ist auch die Frage, wie viel in der mittelfristigen Finanzplanung zukünftig zum Beispiel für dieses Programm vorgesehen ist, kein Indikator dafür, ob wir es nicht in den nächsten Jahren schaffen, auch auf weiterhin hohem Niveau die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Akteuren in Deutschland zu fördern. Wir setzen uns natürlich auch mit Blick auf die nächsten Jahre dafür ein. Aber genauso, wie es innerhalb der Gesamtgesellschaft eine Daueraufgabe ist, sich gegen diese Ideologien einzusetzen, ist es auch bei der Aufstellung des Haushaltes in jedem Jahr eine Daueraufgabe, wieder auszuhandeln, was die finanziellen Mittel sind, die dafür letztlich angesetzt werden. Wir gehen davon aus, dass wir auch in Zukunft eine gute und hohe Finanzierung für diese Arbeit erreichen können.

SRS'in Demmer: Ich würde Herrn Audretsch hier jetzt auch noch einmal unterstützen wollen. Darauf, dass die Beschaffenheit der mittelfristigen Finanzplanung vorläufig ist, weisen wir ja auch in anderen Themenzusammenhängen hin.

Bei dem Programm "Demokratie leben!" handelt es sich um das bundesweit größte und in Europa einzigartige Demokratieförderprogramm, das jetzt mit 115 Millionen Euro unterlegt ist. Damit signalisieren wir, welche Bedeutung das für die gesamte Bundesregierung hat.

Kalwey: Ich möchte das noch einmal hinsichtlich dieses Haushaltsaufstellungsprozesses ergänzen. Es ist ja so - so habe ich es gerade auch schon mehr oder weniger darzustellen versucht -, dass die Vorschläge für die Finanzplanung von den einzelnen Ressorts kommen, also von den Ministerien, und dann innerhalb der Bundesregierung abgestimmt werden. In diesem Rahmen werden dann immer wieder Gespräche über bestimmte Einzelpläne oder Programme - wie auch immer - geführt, und das ist der normale Prozess des haushalterischen Verfahrens. Darum geht es.

Zusatzfrage: Bisher gab es ja 400 geförderte Modellprojekte; das ist jedenfalls meine Zahl. Sie sprachen von weit mehr als 300. Jetzt sollen ja nur noch 100 fortgesetzt werden. Was ist da der Hintergrund?

Frau Kalwey, werden die Mittel nicht trotzdem real gekürzt, weil die Inflation ja jedes Jahr auch 1 Prozent bis 2 Prozent ausmacht? Das heißt, die haben ja jetzt real trotzdem weniger Geld. Warum wurde also noch nicht einmal die Inflation ausgeglichen?

Kalwey: Noch einmal: Die Vorschläge, die in die Finanzplanung eingebracht werden, und das betrifft auch die Mittel, kommen von den Ressorts und werden dann quasi in Abstimmung mit den Ministerien durchgesetzt. Es ist jetzt also nicht so, dass bestimmte Mittel für einzelne Maßnahmen im Ermessen des Finanzministeriums einzustellen sind. Sie kennen das Prozedere ja: Es werden, sage ich jetzt einmal, Wünsche formuliert, und dann wird versucht, die halt einfach im Prozess aufeinander abzustimmen. Das ist das normale Vorgehen.

Zusatzfrage: Das Familienministerium wollte also ursprünglich die Mittel für die zweite Förderphase gar nicht erhöhen. Habe ich das richtig verstanden?

Kalwey: Ich habe ihnen gesagt, wie der reguläre Prozess abläuft, und Herr Audretsch hat sich jetzt auch umfassend dazu geäußert, wie der Prozess abgelaufen ist.

SRS'in Demmer: Ich würde auch gerne noch einmal zusammenfassend sagen: Die Bundesregierung betrachtet die Bekämpfung von Extremismus als eine der grundlegenden Aufgaben von Staat und Gesellschaft. Deshalb haben wir eine ganze Strategie zu Extremismusprävention und Demokratieförderung aufgelegt. Dazu gehört unter anderem das Programm "Demokratie leben!". Da gibt es aber auch noch andere. Glauben Sie uns: Das meinen wir ernst und unterlegen es mit den entsprechenden notwendigen finanziellen Mitteln.

Audretsch: Das, was Sie mit "Modellprojekten" umschrieben haben, ist eine Förderlinie innerhalb der zweiten Förderperiode. Das war auch in der ersten Förderperiode eine Linie der Förderung neben anderen.

Wie ich Ihnen schon gesagt habe, haben wir im letzten Jahr einen langen Evaluationsprozess durchgeführt. Wir haben mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, mit Trägern, mit den Ländern und mit den Kommunen beraten, wie eine Aufstellung der zweiten Förderperiode im Bestfall aussehen könnte, und haben uns dabei dazu entschieden, zum Beispiel die Partnerschaften für Demokratie, die ich vorhin so ausführlich umrissen habe, stärker zu fördern. Das sind, wie gesagt, 125 000 Euro pro Jahr und pro Partnerschaft statt 100 000 Euro. Das sind 7,5 Millionen Euro mehr, die dorthin fließen. Es geht auch bei den Landesdemokratiezentren um deutlich mehr Geld, um zivilgesellschaftliche Arbeit zu fördern. Die bekommen zukünftig 900 000 Euro statt 700 000 Euro und zusätzlich auch noch einmal einen viel größeren Betrag, der dann bei Bedarf abgerufen werden kann. Es geht um 19,4 Millionen Euro, die dahin fließen. Es gibt die Kompetenzzentren und die Kompetenznetzwerke, die mit jeweils 500 000 Euro gefördert werden. Auch das ist ein Bereich, in dem sich Träger - in diesem Fall auf Bundesebene - bewerben können und auch beworben haben, um dann eine entsprechende Förderung zu bekommen.

Außerdem gibt es als letzten Punkt die Modellprojekte. Da haben Sie recht damit, dass wir nicht mehr 400 Modellprojekte fördern, sondern 100 Modellprojekte fördern können. Das ist aber vor dem Hintergrund dieser Strukturveränderungen in der zweiten Förderperiode zu betrachten, in der zum Beispiel deutlich mehr Geld in die Förderung vor Ort und in die Partnerschaften für Demokratie fließt. Auf Bundesebene etablieren wir jetzt zum Beispiel auch zum ersten Mal das, was ich beschrieben habe, in der Arbeit gegen Antisemitismus, nämlich ein Kompetenznetzwerk auf Bundesebene, in dem verschiedene Partner zusammenarbeiten und dann den Wissenstransfer herstellen können. In das fließt deutlich mehr Geld. Auf der anderen Seite ist es richtig, dass dann bei den Modellprojekten einige weniger finanziert werden können.

Vielleicht nenne ich noch eine Vergleichszahl: Im Jahr 2018 wurden auf der lokalen Ebene über die Partnerschaften für Demokratie 4400 Projekte in den Kommunen gefördert, die ganz konkret dort helfen, wo die Menschen vor Ort den rechtsradikalen Ideologien die Stirn bieten müssen. An dieser Stelle werden wir jetzt mehr Geld ausgeben. Auch dort gibt es die Möglichkeit eines deutlichen Aufwuchses an konkreten Projekten vor Ort.

Die alleinige Betrachtung der Modellprojekte wird also am Ende dieser zweiten Förderperiode nicht gerecht und auch nicht der Frage, wie wir bestmöglich die Zivilgesellschaft in Deutschland unterstützen können.

Frage: Die neuen Förderrichtlinien führen aber auch dazu, dass erfolgreiche Projekte möglicherweise nicht weitergeführt werden können. Zum Beispiel das Programm EXIT und Projekte der Amadeu Antonio Stiftung könnten bedroht sein. Wie ist da der Stand?

Audretsch: Konkret zu EXIT kann ich Ihnen sagen, dass wir die Arbeit von EXIT sehr schätzen. Es ist sehr gute Arbeit, die dort von der Organisation in der Ausstiegsberatung und in der Arbeit gegen Rechtsextremismus insgesamt gemacht wird. Wir sind mit den Verantwortlichen von EXIT im Gespräch und werden gemeinsam mit EXIT daran arbeiten, dass es eine gute Lösung gibt.

Frage: Herr Alter, Sie haben gesagt, dass die Gefahr des Rechtsterrorismus sehr, sehr hoch sei. Das hat auch der Minister gestern gesagt. Wie sieht es mit dem Schutz der Moscheen und muslimischen Einrichtungen aus? Wird der auch erhöht?

Alter: Wir müssen die Systematik verstehen, die hinter den Objektschutzmaßnahmen steht, die in den einzelnen Ländern vorzunehmen sind. Es gibt eine allgemeine Gefährdungseinschätzung, die sozusagen vom Bundeskriminalamt bereitgestellt wird. Die Gefährdungseinschätzung des BKA führte dazu, dass wir zu dem Schluss kamen, dass die Gefahr durch Rechtsextremismus und Antisemitismus als erhöht eingeschätzt werden muss. Auf dieser Grundlage müssen die Länder dann für die jeweiligen Objekte in ihrem Zuständigkeitsbereich eine konkrete Gefährdungseinschätzung vornehmen und daraus dann die Schlüsse ziehen. Denn die operativen Maßnahmen, die durchgeführt werden müssen, sind Maßnahmen der Landespolizeien.

Im Moment - das werden Sie verstehen - gibt es einen schwerwiegenden Vorfall, ein versuchtes Massaker, gerichtet gegen eine jüdische Synagoge. Das ist im Moment die Priorität. Selbstverständlich werden in diese Überlegungen auch andere Objekt wie etwa muslimische Gotteshäuser mit einbezogen. Aber ich bitte angesichts dessen, was wir vorgestern erlebt haben, um Verständnis dafür, dass es jetzt natürlich in erster Linie um jüdische Einrichtungen geht.

Zusatz: Der mutmaßliche Terrorist hat ja in seinem Manifest auch Moscheen erwähnt. Deswegen habe ich diese Frage gestellt.

Alter: Ja, das ist alles richtig. Sie wissen ja auch, dass der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland gestern in Halle vor Ort gewesen ist. Es gibt darüber Gespräche. Aber man muss jetzt auch aufpassen, dass man sich nicht verzettelt, indem man sozusagen alles gleichzeitig zu tun versucht.

Der Ansatz von Bundesinnenminister Seehofer ist der, dass wir nach den Vorfällen - nicht nur von vorgestern, sondern auch bereits von vorher - strukturelle Stärkungen vornehmen. Das heißt, es geht um gesetzliche Veränderungen. Es geht auch um konzeptionelle und personelle Veränderungen. Wir sind auch der Auffassung, dass man dabei mit den bisher zur Verfügung stehenden Mitteln nicht auskommen wird. Das heißt, der Bundesinnenminister wird sich für Erweiterungen auch finanzieller Art einsetzen. Daraus muss man dann sozusagen eine Struktur bilden, die dazu geeignet ist, dass unterschiedliche gefährdete Objekte nachhaltig gesichert werden können. Es geht unter anderem auch um die Frage, was man baulich tun kann. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass es in Halle letztlich die bauliche Sicherung der Eingangstür zu diesem Grundstück war, die Schlimmeres verhindert hat. Wäre der Täter durch diese Tür gekommen, hätten wir ein sehr viel schlimmeres Ergebnis zur Kenntnis nehmen müssen.

Frage: Sie sagten, der Minister schätze die Gefahr durch Rechtsextremismus und rechten Terror als sehr, sehr, sehr hoch ein. Gleichzeitig ist die Gefahr gleichrangig mit der durch islamistischen Terrorismus, wenn ich es richtig verstehe. Wie macht sich das denn in den Gefährderzahlen bemerkbar? Können Sie uns die mitbringen? Bisher war es ja immer so, dass es Ihrer Meinung nach zehnmal oder zwanzigmal mehr islamistische Gefährder als rechte gab.

Alter: Ja, das ist so. Es gibt dort unterschiedliche Ergebnisse des Status quo. Aber das ist genau der Grund dafür, dass der Bundesinnenminister sagt: Wir müssen uns auch strukturell in den Behörden exakt so aufstellen, wie wir es tun, wenn wir den islamistischen Terrorismus beobachten und bekämpfen. Genau deswegen wird es Forderungen nach mehr Personal geben. Es wird Veränderungen in der Struktur auch der Sicherheitsbehörden geben, weil das angeglichen werden muss. Diese Diskrepanz ist im Moment vorhanden. Die muss ausgeglichen werden.

Zusatzfrage: Haben Sie denn die aktuellen Gefährderzahlen dabei?

Alter: Ich kann Ihnen nur allgemein sagen, dass wir ca. 24 000 Rechtsextremisten kennen, von denen knapp die Hälfte gewaltbereit ist. Ich habe keine konkrete Zahl darüber vorliegen, wie viele als Gefährder geführt werden. Das kann ich aber gerne nachreichen.

Frage: Herr Alter, Sie haben ja gesagt, dass an dem Konzept zur Neustrukturierung der Dienste gearbeitet wird. Aber eigentlich wollte der Minister das ja schon im September vorstellen. Warum hakt das so? Warum dauert das so lange?

Alter: Man kann nicht sagen, dass das hakt. Die Konzepte liegen auf dem Tisch. Es ist nur richtig, dass man jetzt angesichts der Aktualität auch noch einmal schaut. Wir haben es hier mit einem spezifischen Fall zu tun. Auch der Täter ist ein spezifischer Fall. Die Konzepte müssen dafür geeignet sein, dass man auch solche Täter erkennen kann.

In Bezug auf die gesetzlichen Planungen kann ich nur sagen: Seit Monaten wirbt der Minister dafür, dass insbesondere der Bundesverfassungsschutz Befugnisse erhält, die die Sicherheitsbehörden, also die Polizeien, bereits haben. Man muss sagen: Wir sind dabei, bezogen auf ein Ergebnis, noch nicht viel weitergekommen. Es ist inzwischen, Gott sei Dank, so - das begrüßen wir sehr -, dass die Bundesjustizministerin unsere Überlegungen offenbar aufgegriffen hat. Sie hat ja vor Kurzem auch öffentlich dazu Stellung genommen. Das werden wir vorantreiben.

Nur eines ist auch klar: Wenn wir uns das Bild anschauen, das wir vorgestern gesehen haben und das wir immer noch nicht abschließend einordnen können, und wenn man die Diskussion sieht, wenn es um die Frage geht, ob die Sicherheitsbehörden verschlüsselte Kommunikation einsehen dürfen oder ob es die Möglichkeit geben soll, Online-Durchsuchungen durchzuführen, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass eine Regierung auch nicht alles alleine tun kann. Es bedarf auch einer gesellschaftlichen Bereitschaft, den Sicherheitsbehörden die Befugnisse einzuräumen, die sie brauchen, um diesen Schutz zu gewährleisten. Das ist die hohe Priorität, die der Bundesinnenminister jetzt verfolgt, und er hofft im Parlament auf Unterstützung von allen Seiten.

Zusatzfrage: Habe ich das jetzt so richtig verstanden, dass die Justizministerin und der Innenminister sich bisher noch nicht verständigen konnten?

Alter: Das kann ich so nicht bestätigen, denn die Überlegungen des BMI sind auch dem BMJV seit Längerem bekannt. Wir entnehmen den jüngsten Äußerungen der Bundesjustizministerin, dass sie an unserer Seite steht und das mit uns voranbringen will.

Zimmermann: Wir haben uns dazu auch mehrfach geäußert. Die Bundesjustizministerin hat sich immer gesprächsbereit und dafür bereit gezeigt, im Einzelfall zu entscheiden. Das muss sinnvoll sein, muss maßvoll sein und muss, wie es im Koalitionsvertrag vorgesehen ist, mit einer Stärkung der parlamentarischen Kontrolle einhergehen.

SRS'in Demmer: Nachdem der diesjährige Träger des Friedensnobelpreises bekannt geworden ist, möchte ich noch einen Glückwunsch loswerden: Wir beglückwünschen den Premierminister Äthiopiens, Abiy Ahmed Ali, und freuen uns mit ihm. Er ist ein sehr würdiger Preisträger und Vorbild auf der internationalen Bühne. Er hat insbesondere mit dem Friedensschluss mit Eritrea gezeigt, dass es möglich ist, einen jahrelangen Konflikt mit friedlichen Mitteln zu lösen, indem man den ersten Schritt der Versöhnung geht.

Äthiopien befindet sich in der Anfangsphase tiefgreifender politischer Wandlungs- und Transformationsprozesse, die einen starken Einfluss auf Stabilität und Sicherheit in der Region haben. Aber auch über Äthiopien hinaus hat der Premierminister Strahlkraft und einen positiven Einfluss. Zuletzt hatte er im Nachbarland Sudan vermittelt und maßgeblich dazu beigetragen, dass es zu einem friedlichen Machtwechsel kam. Die von Premierminister Abiy initiierte politische und wirtschaftliche Öffnung des Landes hat Deutschland von Anfang an unterstützt und wird das auch in Zukunft tun.

Frage: An das BMEL: Es gibt im Moment bei mehreren großen Handelsketten einen Rückruf von Frischmilch. Wie bewerten Sie das? Können Sie verstehen, wenn sich die Menschen in Deutschland Sorgen über die Sicherheit von Lebensmitteln machen? Das ist ja nicht der einzige Skandal in letzter Zeit gewesen.

Lenz: Im aktuellen Fall hat der Hersteller bei Eigenkontrollen Milch mit einer bakteriellen Verunreinigung entdeckt. Entsprechend den gesetzlichen Vorgaben hat der Hersteller einen Rückruf der betroffenen Produkte eingeleitet. Die entsprechende Warnung ist auch auf lebensmittelwarnung.de - das ist das Portal der Bundesländer und des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit - veröffentlicht worden.

Wir beobachten die Situation sehr genau. Es ist grundsätzlich so, dass in allererster Linie die Hersteller für die Sicherheit ihrer Produkte zuständig sind; in Form von Eigenkontrollen muss das sichergestellt werden, und Dokumentation und Kennzeichnung muss jederzeit nachvollziehbar sein. Die amtliche Lebensmittelüberwachung ist Aufgabe der Landesbehörden. Das liegt daran, dass diese vor Ort die entsprechenden Informationen haben und die entsprechenden Kontrollen auch durchführen können. Die Überwachungsbehörden kontrollieren also in Stichproben die Produkte. Wie gesagt, wir als Bundesministerium beobachten die Situation, sind selbst aber nicht für Kontrollen zuständig. Ich muss Sie für weitere Fragen daher an die entsprechenden Behörden der Länder vor Ort verweisen.

Frage (zur Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien): Mich würde die Meinung oder Haltung des Kanzleramts und des Auswärtigen Amtes zur Drohung von Herrn Erdogan interessieren, der sich ja verbittet, Kritik an seiner Invasion zu äußern. Wie bewertet die Bundesregierung, dass er damit droht, den Flüchtlingsdeal aufzukündigen und 3,6 Millionen Flüchtlinge nach Europa zu schicken?

SRS'in Demmer: Ich würde Sie bei diesem zunächst gern auf die im EU-Kreis abgestimmte Erklärung der Hohen Vertreterin Federica Mogherini von gestern und auch auf das Statement von sechs EU-Mitgliedstaaten gestern am Rande der UN-Sondersitzung in New York verweisen. Die türkische Regierung wird in beiden Erklärungen aufgefordert, das militärische Vorgehen zu beenden. Die Bundesregierung hat die türkische Regierung zuletzt nachdrücklich und wiederholt aufgefordert, von einer militärischen Intervention im Nordosten Syriens abzusehen. Der nun erfolgte militärische Einsatz erfüllt die Bundesregierung mit großer Sorge. Dieser Schritt droht die Region weiter zu destabilisieren, ein Wiedererstarken des IS zu befördern, den kurdisch-türkischen Gegensatz zu verschärfen und Bedingungen zu schaffen, die zu neuen Fluchtbewegungen führen können.

Zum EU-Türkei-Abkommen kann ich sagen: Dieses Abkommen dient dazu, illegale Migration zu verhindern. Die Schlepper und Schleuser dürfen da nicht die Oberhand die gewinnen. Wichtig ist, dass diese Anstrengungen fortgesetzt werden. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht weiter Probleme und Kritik ansprechen, so wie ich das gerade eben auch getan habe.

Zusatzfrage: Ich hatte ja gefragt, wie Sie die Drohung von Erdogan gefragt.

Ist in dem Statement von Mogherini, das Sie gerade referiert haben, von "Invasion" oder "Besatzung" die Rede oder haben Sie sich an die Wünsche von Herrn Erdogan gehalten?

SRS'in Demmer: Ich werde jetzt keine Textexegese betreiben.

Zusatzfrage: Sind die Wörter "Invasion" oder "Besatzung" enthalten?

SRS'in Demmer: Mir liegt das Statement jetzt wortwörtlich nicht vor, deswegen möchte ich keine Textexegese betreiben. Wir gehen davon aus, dass die Türkei sich an das EU-Türkei-Abkommen hält.

Zusatz: Sie sollten zur Drohung etwas sagen.

SRS'in Demmer: Ja, das ist meine Antwort darauf: Wir gehen davon aus, dass die Türkei sich an das EU-Türkei-Abkommen hält.

Frage: Die Türkei hat bei dieser Militäroffensive ja das Ziel, eine Sicherheitszone zu errichten. Wie steht die Bundesregierung dazu?

Breul: Ich glaube, die Antwort darauf finden Sie in den diversen öffentlichen Äußerungen, die wir seit Mittwoch getätigt haben. Frau Demmer hat auf das EU-Statement verwiesen. Gestern Abend haben sich auch die europäischen Mitglieder im VN-Sicherheitsrat noch einmal geäußert und deutlich gemacht, dass wir die Offensive ablehnen und die Türkei auffordern, sie einzustellen. Dementsprechend können Sie erkennen, dass wir die Ziele, die da von der Türkei benannt werden, so nicht nachvollziehen können.

Wir haben uns auch zur Frage der Flüchtlinge geäußert und noch einmal betont - das hatten wir, glaube ich, auch vor zwei Wochen hier in der Regierungspressekonferenz getan -, dass die Rechte der Flüchtlinge gewahrt sein müssen und dass diesbezüglich das Urteil der dafür zuständigen Behörden der Vereinten Nationen, also UNHCR, aber auch IOM, entscheidend ist. Da geht es darum, dass eine Rückkehr freiwillig erfolgen muss, da geht es darum, dass eine Rückkehr in ein Umfeld, das sicher ist, erfolgen muss, und da geht es auch darum, dass die Würde der Flüchtlinge gewahrt bleiben muss.

Zusatzfrage: Wie stehen Sie also zu der Sicherheitszone?

Breul: Ich habe versucht, Ihnen das gerade zu erläutern.

Zusatzfrage: Könnten Sie das noch ein bisschen genauer darstellen? Eher positiv, eher negativ?

Breul: Ich glaube, unsere Grundhaltung wird daraus deutlich, dass wir den Beginn der türkischen Offensive verurteilt haben und die Türkei auffordern, die Offensive zu beenden.

Zusatzfrage: Die Türkei beherbergt über 3 Millionen Flüchtlinge. Die EU will sie nicht haben. Eine Sicherheitszone wird kritisch gesehen. Was will die EU?

Breul: Das gibt mir Anlass, noch einmal das zu wiederholen, was Frau Demmer gerade schon angedeutet hat: Selbstverständlich erkennen wir die große Last, die die Türkei mit über 3,6 Millionen syrischen Flüchtlingen trägt, an und unterstützen die Türkei dabei. Das tun wir bereits jetzt über das mit 6 Milliarden Euro ausgestattete EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen. Wir sind auch bereit, uns über weitere Maßnahmen zu unterhalten, wenn wir erkennen, dass die dort getroffenen Maßnahmen nicht mehr ausreichend sind. Das ist keine neue Position, sondern das haben wir hier in den letzten Tagen schon vorgetragen.

Wir glauben nicht - und das ist aus unseren Erklärungen deutlich geworden - , dass sich die Flüchtlingsproblematik mit einer Militäroffensive beantworten lässt. Ganz im Gegenteil: Wir brauchen den politischen Dialog. Da haben wir mit der Benennung des Verfassungskomitees, das in naher Zukunft zusammentreten soll, zarte Knospen gesehen. Denen gilt es jetzt eine Chance zu geben, diesen Prozess einzuleiten. Wir sehen die Gefahr, dass die türkische Offensive in Nordostsyrien genau das Gegenteil bewirkt, nämlich dass wir uns vom politischen Prozess wegbewegen.

Frage: Bereiten Sie denn eine Resolution im UN-Sicherheitsrat vor, oder wie sehen Sie die Chancen dafür, dass eine solche zustande kommt?

Breul: Es gab gestern eine erste Befassung des VN-Sicherheitsrats, auch auf unseren Antrag im Namen der europäischen Mitgliedsländer im Sicherheitsrat hin. Das war - wie Sie wissen, ist das in New York verfahrenstechnisch nicht immer ganz einfach - erst einmal unter dem TOP "Verschiedenes", also noch kein formeller Tagesordnungspunkt. Da hat man sich darüber unterhalten und vereinbart, dass man an Elementen für eine gemeinsame Presseerklärung arbeitet. Diese Arbeiten gehen in New York heute fort, und dann wird man sehen, wo man steht, und wird schauen, wie man den Sicherheitsrat damit befasst. Wir sind der Meinung: Das ist ein Thema für den Sicherheitsrat, eine Frage von internationalem Frieden und Sicherheit, und werden dementsprechend in New York weiter wirken.

Frage: Ich habe noch einmal in die Erklärung von Mogherini geguckt: Das Wort "Invasion" oder "occupation", also "Besatzung", ist jeweils nicht enthalten. Da hat man sich also an die Wünsche von Herrn Erdogan gehalten, Herr Breul. Warum hat man das gemacht?

Breul: Ich glaube, schon der zeitliche Zusammenhang kann nicht stimmen. Wenn ich richtig informiert bin, sind die Äußerungen von Herrn Erdogan von gestern Abend; das Mogherini-Statement ist vom Tag davor. Von daher kann ich schon da keinen Zusammenhang erkennen. Die Worte in dem Statement sind sorgfältig gewählt. Klar ist aber - das habe ich hier gerade schon ein paar Mal gesagt -: Wir lehnen diese Offensive ab, wir verurteilen sie, und wir fordern die Türkei auf, die Offensive einzustellen. Deutlicher kann man es doch nicht sagen.

Zusatzfrage: Lernfrage: Ist das für Sie eine Invasion?

Breul: Ich möchte mich mit Ihnen nicht über Begrifflichkeiten streiten. Letztlich wird man erst dann bewerten können, was dort stattgefunden hat - auch rechtlich -, wenn man das Ausmaß kennt, wenn man die Dauer kennt, wenn man erkennen kann, ob Maßnahmen erforderlich und verhältnismäßig sind - Sie kennen die Diskussion. Dafür ist es noch zu früh.

Frage: An das AA und möglicherweise auch an Frau Demmer: Es gibt seitens Frankreichs gegenüber der Türkei die Drohung mit EU-Sanktionen. Das soll dann beim nächsten Treffen besprochen werden. Was ist die Position der Bundesregierung dazu?

An das BMWi: Deutschland liefert ja keine Waffen in Kriegsgebiete. Das, was gerade zwischen den Kurden und der Türkei passiert, kann man ja durchaus als Krieg bezeichnen. Werden weiterhin Waffen an die Türkei geliefert?

SRS'in Demmer: Wir haben die französischen Forderungen zur Kenntnis genommen. Ich kann Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts Weiteres dazu sagen. Ich habe aber eben schon angekündigt: Das ist ja auch Thema im Europäischen Rat, und es wird in den kommenden Tagen vielfältige Gelegenheiten geben, das zu besprechen.

Breul: Ich kann noch hinzufügen: Am Montag tagen schon die EU-Außenminister in Luxemburg. Auch da wird das Thema Syrien auf der Tagesordnung stehen.

Vorsitzende Wefers: Jetzt ist noch die Waffenfrage offen.

Grave: Die Bundesregierung verfolgt eine restriktive Rüstungsexportpolitik. Über die Erteilung von Genehmigungen für Rüstungsexporte entscheidet die Bundesregierung im Einzelfall und im Lichte der jeweiligen Situation nach sorgfältiger Prüfung und unter Einbeziehung außen- und sicherheitspolitischer Erwägungen. Einzelfallentscheidungen werden von der Bundesregierung immer unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnisse getroffen. Die Einschätzung der außen- und sicherheitspolitischen Lage obliegt in diesem Fall dem Auswärtigen Amt.

Breul: Sie kennen unsere Sprache und wissen: Wir können Einzelfallentscheidungen hier nicht präjudizieren. Ich kann Ihnen aber bestätigen, dass das, was derzeit in Nordostsyrien passiert, natürlich eine aktuelle Entwicklung ist, die wir berücksichtigen.

SRS'in Demmer: Außerdem weist die Bundesregierung fortlaufend und in geeigneter Weise darauf hin, dass Nato-Mitgliedstaaten natürlich eine besondere sicherheitspolitische Verantwortung zukommt.

Frage: An Frau Kalwey zur Grundsteuerreform: Es gibt Angaben, das BMF wolle angeblich von einer Öffnungsklausel Gebrauch machen, wonach Hausbesitzer künftig zwei Steuererklärungen abgeben können. Können Sie das aufklären?

Kalwey: Das kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Ich müsste einmal schauen, ob ich da noch Licht ins Dunkel bringen kann.

Freitag, 11. Oktober 2019

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 11. Oktober 2019
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/regierungspressekonferenz-vom-11-oktober-2019-1680902
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2019

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