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PRESSEKONFERENZ/1901: Regierungspressekonferenz vom 16. August 2019 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Freitag, 16. August 2019
Regierungspressekonferenz vom 16. August 2019

Themen: 21. Tag der offenen Tür der Bundesregierung, Termine der Bundeskanzlerin (Reise nach Ungarn und Island, Kabinettssitzung, Nationale Luftfahrtkonferenz, Empfang der Präsidentin der Slowakei, deutsch-niederländisches Klimakabinett, G7-Gipfeltreffen in Frankreich), möglicher Besuch des Premierministers Großbritanniens, Konzept des Bundesfinanzministeriums zur vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlages, Brexit, Seenotrettung, Kandidatur des Bundesfinanzministers für das Amt des SPD-Vorsitzenden, Eingabe der AfD an den Wehrbeauftragten, Lage in Hongkong, Klimakabinett, Einfrieren der deutschen finanziellen Förderung von Waldschutz- und Biodiversitätsprojekten in Brasilien, Entwurf eines Gesetzes für faire Verbraucherverträge, Vorschlag der Öffnung der Busspuren für E-Tretroller, Entschädigungszahlungen für Wolfsrisse, Freigabe eines vor dem britischen Überseegebiet Gibraltar festgesetzten iranischen Tankers, Beteiligung Polens an der US-Militärmission zum Schutz von Handelsschiffen im Persischen Golf

Sprecher: StS Seibert, Einhorn (BMWi), Bechtle (BMF), Breul (AA), Fähnrich (BMVg), Kall (BMJV), Strater (BMVI), Bürgelt (BMEL)


Vors. Szent-Iványi eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Einen schönen guten Tag auch von mir! Wir hatten Sie schon darauf hingewiesen, was an diesem Wochenende los ist, nämlich der 21. Tag der offenen Tür am Samstag und am Sonntag. Ich glaube, wir alle in der Bundesregierung freuen uns darauf, auf die Begegnung mit den Bürgern und auch auf den Auftritt in der Bundespressekonferenz, den viele Ministerinnen und Minister haben werden.

Vors. Szent-Iványi: Genau. Die Bundespressekonferenz wird sich wie immer an dem Tag der offenen Tür beteiligen.

StS Seibert: Einen Überblick über das ganze Programm finden Sie entweder unter bundesregierung.de oder auf unserer neuen App "Hallo, Politik" im Appstore.

Montag und Dienstag wird die Bundeskanzlerin nach Ungarn und Island reisen. Zunächst nimmt sie in Ungarn, und zwar in Sopron, an den Feierlichkeiten anlässlich der ungarischen Grenzöffnung vor 30 Jahren teil. Ungarn hat damals einen großen Beitrag zur Vollendung unserer deutschen Einheit in Freiheit und Frieden geleistet. Die Bundeskanzlerin will mit dieser Reise ihre Wertschätzung und Anerkennung dafür zum Ausdruck bringen.

Sie wird mit ihrem ungarischen Kollegen Viktor Orbán an einem ökumenischen Gottesdienst in der evangelischen Kirche in Sopron teilnehmen und dort eine Ansprache halten. Dann gibt es ein Mittagessen und dabei ein bilaterales Gespräch mit Ministerpräsident Orbán, anschließend eine gemeinsame Pressekonferenz.

Danach reist die Kanzlerin weiter nach Island. Sie wird dort am frühen Montagabend durch die isländische Ministerpräsidentin Katrín Jakobsdóttir empfangen, und zwar im Þingvellir-Nationalpark. Eine gemeinsame Pressebegegnung ist vor dem Abendessen geplant. Auf isländischer Seite werden auch weitere Ministerinnen und Minister der isländischen Regierung teilnehmen.

Am Tag darauf, also am Dienstag, den 20. August, besichtigt die Bundeskanzlerin ein Geothermiekraftwerk. Dann gibt es ein Arbeitsmittagessen mit den Regierungschefs der nordischen Länder, also von Island, Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden. Das Ganze ist ja das jährliche Treffen des Nordischen Rates. Einmal im Jahr kommen diese fünf Länder auf Chefebene zusammen. Dieses Mal haben sie die Bundeskanzlerin dazu eingeladen, die der Einladung sehr gern gefolgt ist. Im Anschluss an diesen Veranstaltungspunkt gibt es eine Pressekonferenz.

Am Mittwoch, wieder zurück in Berlin, tagt um 9.30 Uhr das Kabinett.

Um 13.20 Uhr nimmt die Kanzlerin am Flughafen Leipzig/Halle an der ersten Nationalen Konferenz "Luftfahrtstandort Deutschland" teil. Sie hält dort eine Rede. Schwerpunkte dieser Konferenz sind die Themen Klimaschutz, digitaler Wandel, neue Technologien im Luftverkehr, also die zentrale Frage: Wie kann der Luftverkehr nachhaltiger gestaltet werden und besser im Einklang mit dem Klimaschutz stehen?

Außer der Bundeskanzlerin werden noch der Wirtschaftsminister, der Verkehrsminister und der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer an dieser Veranstaltung am Flughafen Leipzig/Halle teilnehmen.

Am Mittwoch gegen 16 Uhr findet der Besuch der slowakischen Präsidentin Zuzana Caputová im Kanzleramt statt.

Am Donnerstag geht es nach Den Haag. Dort wird ein gemeinsames deutsch-niederländisches Klimakabinett tagen. Das Treffen in Den Haag beginnt um 11.45 Uhr. Es geht um den klimapolitischen Austausch der Regierungen der beiden Länder, auch um Möglichkeiten der Zusammenarbeit in den Bereichen der CO2-Bepreisung und der Energietechnologien. Auf deutscher Seite werden neben der Bundeskanzlerin Minister Altmaier, Ministerin Schulze und Minister Scholz teilnehmen. Um 14.40 Uhr wird es eine gemeinsame Pressekonferenz der Bundeskanzlerin mit ihrem niederländischen Amtskollegen Mark Rutte geben.

Am Samstag wird die Bundeskanzlerin zum G7-Gipfel nach Biarritz in Frankreich reisen. Die Staats- und Regierungschefs der G7 werden durch die Vertreter einiger zusätzlich eingeladener Staaten ergänzt. Die Staats- und Regierungschefs von Burkina Faso, Ägypten, Ruanda, dem Senegal, Südafrika, Australien, Chile und Indien kommen jeweils zu ausgewählten Sitzungen dieses Gipfels. Auch Vertreter der Zivilgesellschaft werden teilnehmen, unter anderem der G7-Beirat für Gleichstellungfragen, Gender Equality Advisory Council.

Wir werden zu dem ganzen Komplex des G7-Gipfels in Biarritz das übliche Briefing anbieten, und zwar am Freitag, den 23. August um 13 Uhr im Bundespresseamt.

Frage: Ich habe keine Frage zu einem der aufgeführten Termine, sondern dazu, ob noch ein Termin hinzukommen könnte. In Großbritannien wurde diese Woche sehr intensiv darüber spekuliert, dass Boris Johnson noch nach Berlin und Paris kommen könnte.

Für wie sinnvoll würde die Bundesregierung das erachten? Gibt es dazu im Augenblick Gespräche?

StS Seibert: Tatsächlich ist ein Treffen in allernächster Zeit geplant, und ich denke, dass ich Ihnen demnächst Details nennen kann.

Natürlich ist das sinnvoll. Die Bundeskanzlerin und der neue Premierminister Boris Johnson haben bereits einmal miteinander telefoniert. Aber sich gemeinsam hinzusetzen, um über das Thema des Brexits und über andere europäische Themen, die uns verbinden, zu sprechen, ist natürlich sinnvoll.

Frage: Herr Seibert, wie beurteilt die Kanzlerin momentan das Verhältnis zu Viktor Orbán, insbesondere was die Themen der Flüchtlingspolitik und der Rechtsstaatlichkeit angeht?

Können Sie etwas dazu sagen, inwiefern die Neubesetzung der europäischen Spitzenposten, insbesondere die Wahl von Frau von der Leyen, das Verhältnis beeinflusst, verbessert oder verschlechtert hat?

StS Seibert: Ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen, was ich gerade gesagt habe. Der Besuch in Sopron dient in allererster Linie der Anerkennung für die historische Leistung Ungarns im Jahre 1989, als es nämlich die Grenze öffnete, als das noch keineswegs selbstverständlich war, und damit Hunderten von DDR-Bürgern, die ihr Land verlassen wollten, die Möglichkeit gab, dies zu tun. Ungarn hat mit dieser frühen Grenzöffnung einen wirklich wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass wir hier in Deutschland im November 1989 die Öffnung der Mauer und im Oktober 1990 die Wiedervereinigung unseres Landes erleben durften. Es war zwar nicht nur Ungarn, auch die Menschen in Polen und in der Tschechoslowakei haben eine große Rolle gespielt. Aber Ungarns Rolle dabei darf nie vergessen werden. Das ist das Wesentliche, was die Kanzlerin mit ihrer Reise nach Sopron ausdrückt.

Ansonsten ist Ungarn ein europäischer Partnerstaat, ein Land, mit dem wir sehr intensive wirtschaftliche Verbindungen haben. Mit der ungarischen Regierung haben wir gerade auch in Fragen der Migrationspolitik Meinungsverschiedenheiten. Das ist bekannt. Sie bestehen derzeit auch fort.

Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Es gibt den historischen Grund, dorthin zu fahren - und es ist wichtig, auch für die Gegenwart, dass wir uns daran erinnern, was andere Länder zu unserem historischen Glück, wiedervereinigt zu leben, beigetragen haben -, und es gibt die aktuelle europäische Politik, die mit Sicherheit auch angesprochen werden wird.

Frage: Ich habe zwei Fragen zu den Reisen nach Ungarn und Island.

Meine erste Frage: Die Kanzlerin hat jetzt schon eine ganze Reihe von Vertretern Kleinerer EU-Staaten getroffen und wird das mit diesen Reisen ja fortsetzen. Ist es Teil einer größeren Strategie, dass man sich in dieser Phase auch wieder verstärkt um die Kleineren EU-Partner bemüht?

Meine zweite Frage: Welche Themen stehen bei dem Treffen des Nordischen Rates auf der Agenda? Wird es zum Beispiel auch um den Umgang mit Russland gehen? Einige nordische Staaten beklagen sich ja über Annäherungen russischer Kampfflieger und ähnliche Dinge.

StS Seibert: So, wie Sie die Frage gestellt haben, müsste man vermuten, dass es in der Vergangenheit nicht wichtig gewesen wäre, sich mit den Kleineren europäischen Mitgliedstaaten zu beschäftigen, eng abzustimmen und auszutauschen. Das war aber für die Bundeskanzlerin und auch für die gesamte Bundesregierung immer wichtig. Das war immer ein wichtiger Teil unserer europäischen Politik. Es gibt in Europa keine vernachlässigbaren Mitgliedstaaten. Im Europäischen Rat müssen alle Entscheidungen einstimmig getroffen werden. Schon deswegen, aber nicht nur deswegen, ist es wichtig, die Erfahrungen und die Blickweisen aller europäischen Mitgliedstaaten einzubeziehen und mit ihnen in gutem Kontakt zu sein.

Ich weiß nicht, ob ich Ihnen die Themen des Nordischen Rates jetzt nennen kann oder ob ich Sie vielleicht nachreichen muss. - Wenn ich etwas nachreichen kann, werde ich es nachreichen.

Frage: Eine Frage an das Wirtschaftsministerium und dann an das Finanzministerium: Herr Altmaier hat zur Gegenfinanzierung einer endgültigen vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlages unter anderem gesagt, man könnte Subventionen überprüfen und Bundesbeteiligungen reduzieren. An welche konkreten Subventionen und Beteiligungen ist dabei gedacht?

An das Finanzministerium: Wie bewertet Herr Scholz den Vorstoß von Herrn Altmaier?

Einhorn: Vielen Dank für die Frage. - Zunächst generell zu dem Thema: Herr Altmaier hat heute sein Konzept für die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlages vorgestellt und sich dazu heute Morgen auch schon geäußert. Er hat betont, dass es sich hierbei nicht um einen Gegenvorschlag, sondern um einen weiterführenden Vorschlag handelt mit dem Ziel, den Solidaritätszuschlag komplett und für alle abzuschaffen, und zwar in einem verfassungsrechtlich sicheren Rahmen. Mit dem Konzept sollen alle Steuerzahler entlastet werden. Dahinter steht die Überzeugung von Herrn Altmaier, dass der Solidaritätszuschlag, der vor etlichen Jahren für alle befristet eingeführt wurde, jetzt auch mit einem konkreten Pfad für alle abgeschafft werden muss.

Die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags wäre auch ein wichtiger Schritt, um Unternehmen in Deutschland zu entlasten und ihnen im internationalen Vergleich mit Blick auf die Steuer und auf die Wettbewerbsfähigkeit entgegenzukommen und dafür zu sorgen, dass sie sich im internationalen Umfeld wettbewerbsfähiger positionieren können.

Das heißt, insgesamt wäre das ein Paket für Bürger und Unternehmen gleichermaßen, auch um sie im Zuge der aktuellen wirtschaftlichen Abkühlung zu entlasten.

Zu den Details: Sie hatten Finanzierungsdetails angesprochen. Wir haben das Konzept jetzt in die Ressortabstimmung gegeben, in der auch der Vorschlag von Herrn Scholz schon thematisiert wird. Dort werden die Details diskutiert. Dabei geht es natürlich auch um die Finanzierungsmöglichkeiten. Herrn Altmaier war es wichtig, ein Konzept vorzulegen, in dem bereits Möglichkeiten der Finanzierung genannt werden. Dabei handelt es sich um die, die Sie eben genannt haben. Aber zum aktuellen Zeitpunkt kann ich dazu nicht weiter in die Tiefe gehen.

Zusatzfrage: Steht also auch in der Vorlage für die Ressortabstimmung nichts an konkreteren Vorschlägen, was zum Beispiel Bundesbeteiligungen angeht?

Einhorn: In der Ressortabstimmung werden natürlich Details besprochen, aber nicht hier.

Bechtle: Wie Sie wissen, hat der zuständige Bundesfinanzminister einen Vorschlag zum Abbau des Solidaritätszuschlages vorgelegt, der den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages entspricht. Wie die Kollegin schon sagte, ist die Ressortabstimmung eingeleitet. Die internen Abstimmungen laufen. - Vielleicht möchte der Regierungssprecher noch ergänzen.

Zusatzfrage: Ich möchte Sie noch kurz fragen, wie Herr Scholz es denn findet, dass Herr Altmaier jetzt mit einem eigenen ergänzenden Konzept vorgeprescht ist.

Bechtle: Wie gesagt, die internen Abstimmungen dazu laufen.

StS Seibert: Wie die Kolleginnen sagen, ist die Ressortabstimmung noch nicht abgeschlossen. Die Gespräche laufen.

Grundsätzlich gilt es, an den Koalitionsvertrag zu erinnern, der eine schrittweise Abschaffung des Solidaritätszuschlages vorsieht. Der Finanzminister hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der dazu schon einen guten und großen ersten Schritt vorsieht und zu dem jetzt die Ressortabstimmung läuft.

Natürlich bleibt es bei der Aufgabe, den Solidaritätszuschlag vollständig abzuschaffen. Die vollständige Abschaffung ist aber eine Aufgabe für die nächste Legislaturperiode.

Ansonsten führen wir jetzt die Gespräche weiter. Es bleibt das Ziel einer möglichst baldigen Kabinettsbefassung.

Frage: Ich habe den zeitlichen Ablauf nicht ganz verstanden. Es gibt das Papier von Herrn Scholz, das dann in das Kabinett kommt. Und jetzt kommt der Bundeswirtschaftsminister mit einem Vorschlag, der viel weitergeht. Wird denn dieser auch in die Ressortabstimmung gegeben? Steht er demnächst auf der Tagesordnung? Das betrifft ja die Legislaturperiode, die auf die gegenwärtige folgt.

Geht der Bundeswirtschaftsminister, auch wenn Sie die genauen Zahlen nicht sagen können, im Zuge der völligen Abschaffung des Solidaritätszuschlages von Mindereinnahmen in Milliardenhöhe aus?

Einhorn: Zu Ihrer ersten Frage: Wir haben den Vorschlag jetzt mit in die Ressortabstimmung gegeben. Dieser Vorschlag baut auf dem Vorschlag des Finanzministeriums auf. Auch nach diesem Vorschlag würden im ersten Schritt 90 Prozent der Solidaritätszuschlagszahler dadurch entlastet würden, dass sie den Solidaritätszuschlag nicht mehr bezahlen müssten. In dem Sinne baut der Vorschlag auf dem Vorschlag des Finanzministeriums auf und ist mit dem ersten Schritt des Finanzministers, wie Herr Seibert gerade gesagt hat, kompatibel.

Zu den Zahlen, wie gesagt, kann ich mich jetzt noch nicht äußern. Sie können davon ausgehen, dass natürlich bei dem Konzept des Finanzministers wie auch bei unserem und dem gemeinsamen mitbedacht würde, wie das finanziert wird.

Zusatzfrage: Es fällt mir wirklich schwer zu verstehen, dass man jetzt erst einmal beschließt, für 90 Prozent den Soli abzuschaffen und dann so ein Reservebeschluss fasst - oder wie auch immer -, der bis 2026 gelten soll. Rechnet der Minister damit, dass das auch in dieser Legislaturperiode Gesetzeskraft erhält?

Einhorn: Der Minister rechnet damit, dass das jetzt im Rahmen der Ressortabstimmung besprochen wird und dann ein gutes Ergebnis gefunden wird.

Frage: Eine Frage an das Wirtschaftsministerium. Sie sagten eben, dass er einen Vorschlag vorlegt, der in einem verfassungsrechtlich sicheren Rahmen sei. Hat Ihr Minister Zweifel, dass das Konzept, das das Finanzministerium vorgelegt hat, in einem verfassungsrechtlich sicheren Rahmen ist?

Einhorn: Wie gesagt: Dem steht ja die Überlegung zugrunde, dass der Soli damals, als er vor vielen Jahren beziehungsweise Jahrzehnten für alle eingeführt wurde, befristet wurde. Natürlich muss etwas, was befristet für alle eingeführt wurde, dann auch wieder für alle abgeschafft werden. Er ist der Meinung, dass man dafür, um einen verfassungsrechtlich sicheren Rahmen zu schaffen, schon jetzt den Fahrplan vorlegen müsste.

StS Seibert: Die Bundesregierung wird selbstverständlich einen verfassungskonformen Vorschlag vorlegen, und diese Verfassungskonformität ist auch Gegenstand der laufenden Ressortabstimmung und der Gespräche.

Frage: Frau Einhorn, den Eindruck, dass der Vorschlag von Herrn Altmaier eine Konfrontation gegen Herrn Scholz sei, nimmt der Wirtschaftsminister billigend in Kauf?

Einhorn: Er hat sich heute dazu geäußert und gesagt, dass das ein ergänzender Vorschlag ist. Es ist ja seine Aufgabe, sich in die aktuellen Diskussionen aus seiner Sicht, der Sicht des Wirtschaftsministers, einzubringen. Das hat er hiermit getan.

StS Seibert: Die netten Kollegen haben mich noch einmal auf die zu erwartenden Themen - jedenfalls grob ausgedrückt - der Gespräche mit dem Nordischen Rat hingewiesen. Angekündigt ist, dass es dabei um die Themen der Klimapolitik, des Klimawandels und um die Arktis gehen soll.

Wie wichtig uns die Entwicklung in der Arktis ist, zeigt ja auch, dass sich der Außenminister gerade auf seiner Kanada-Reise im hohen Norden des Landes genau anschaut, wie der Klimawandel bereits spürbar messbar ist und er das Leben der Region und der Menschen dort verändert.

Frage: Noch einmal zurück zum Thema Brexit: Es gibt ein Papier aus dem Finanzministerium, wonach die Bundesregierung von der Wahrscheinlichkeit eines harten, ungeordneten Brexits ausgeht. Können Sie das bestätigen?

Auch die Frage an Herrn Seibert: Wie hoch ist jetzt die Wahrscheinlichkeit eines ungeordneten Ausstiegs?

StS Seibert: Ich kann Ihnen sagen, was unsere Überzeugung ist, nämlich dass ein geordneter Austritt Großbritanniens aus der EU in jeder Hinsicht vorzuziehen ist. Ein Austritt Großbritanniens ohne Abkommen wäre in niemandes Interesse. Das ist unsere Politik, und das bleibt unsere Politik.

Gleichzeitig haben wir immer gesagt: Wir bereiten uns auch auf den von uns nicht gewünschten und sehr negativ beurteilten Fall eines Austritts ohne Abkommen vor. Das tut die gesamte Europäische Union. Das haben wir sowohl in gesetzlicher Weise als auch unterhalb der Ebene von Gesetzen getan. Es geht um die Rechte der Briten, die hier leben. Es geht um Vorbereitungen bei Bundespolizei und Zoll. Diese Vorbereitungen treffen wir natürlich.

Aber unsere politische Haltung - wir werden sie in jedem Gespräch mit den britischen Partnern auch zum Ausdruck bringen - ist: Ein Austritt ohne Abkommen, ein No-Deal-Brexit, ist in niemandes Interesse.

Bechtle: Ich habe dem insofern nichts weiter hinzuzufügen, da wir, wie Sie wissen, zu angeblichen oder tatsächlichen internen Papieren generell nicht Stellung nehmen.

Frage: Da würde ich beim Brexit doch noch einmal bei Herrn Seibert nachfragen. Es gibt ja bei der britischen Regierung Überlegungen, dass man die Verhandlungen mit der EU oder die Nichtverhandlungen mit der EU im Moment über das Austrittsabkommen bis zur letzten Minute ausreizt und dann das Risiko eines No-Deals eingeht. Halten Sie diese Haltung für verantwortungsvoll oder beginnt bei Ihnen der Ärger darüber, wie sich die britische Regierung in diesem Verfahren verhält?

StS Seibert: Ich denke, es ist wirklich nicht die Aufgabe des deutschen Regierungssprechers, hier taktische Überlegungen, die es in Großbritannien geben mag oder auch nicht - das kann ich nicht beurteilen -, zu bewerten. Wir haben eine Haltung. Das ist die Haltung der EU-27. Das ist mehrfach bestätigt worden. Wir werden sie in allen bilateralen Gesprächen vertreten, aber natürlich auch, wenn man in Europa zusammenkommt.

Zusatzfrage: Würden Sie sagen, dass mit jedem Tag, an dem man nicht verhandelt, die Gefahr eines No-Deals größer wird?

StS Seibert: Wissen Sie, das sind Einschätzungen. Ich möchte sie nicht vornehmen. Einfacher wird es nicht.

Frage: Die Bundeskanzlerin hat sich in dieser Woche zweimal für die Seenotrettung ausgesprochen. Gestern wird sie mit dem Satz zitiert, dass es gut wäre, wir hätten auch heute wieder eine Mission "Sophia" und staatliche Schiffe, die retten würden. Herr Seibert, zunächst einmal möchte ich Sie bitten zu bestätigen, dass sie das so gesagt hat. Die Frage wäre, auf diesen Wunsch Bezug nehmend - das ist ja an sich keine komplett neue Position -, welche Taten der deutschen Bundesregierung sind denn darauf gefolgt? Vielleicht können Sie uns einen Stand geben, inwieweit sich die Bundesregierung bemüht, dass auch wieder staatliche Schiffe Menschen aus Seenot im Mittelmeer retten?

StS Seibert: Der Empfang beim Bundesverteidigungsministerium im Bendlerblock war nicht presseöffentlich. Deswegen kann und will ich Ihnen dazu keine Zitate liefern oder bestätigen. Aber in einem haben Sie Recht: Es gibt überhaupt keine neue Position der Bundesregierung. Die Position der Bundesregierung ist ganz klar - das ist auch die Position der Bundeskanzlerin -: Wir haben bedauert, dass die Mission "Sophia" eingestellt wurde, weil es in Europa einfach keine Einigkeit über die Frage der Ausschiffung und Verteilung von Geretteten gab.

Wir hätten es bevorzugt, wenn diese Mission hätte weitergeführt werden können - in beiden Aspekten, sowohl was die Unterstützung der libyschen Küstenwache betrifft als auch, was das Retten von Menschenleben betrifft, was die deutsche Marine ja in tausenden und abertausenden von Fällen getan hat. Wir haben mit Überzeugung an dieser Mission teilgenommen.

Aber wir müssen eben erkennen: Es gibt über die Fragen Ausschiffung und Verteilung von Geretteten im Moment keine europäische Einigung. Das sind keine Fragen, die nur die Mittelmeeranrainer und einige wenige andere europäische Staaten angehen. Das sind Fragen, die die europäische Solidarität insgesamt betreffen. Wir setzen uns weiter politisch für eine europäische solidarische Lösung ein. Das tut auch der Außenminister immer wieder. Dann wäre auch ein Einsatz von Schiffen wieder realistisch und Deutschland bereit, sich daran zu beteiligen. Wir würden ein neues Mandat, wenn es diese Einigung gäbe, begrüßen.

Zusatzfrage: Hier wurde ja ein aktiver Wunsch formuliert, also ohne Einigung keine staatlichen Schiffe. Aber welche konkreten Schritte unternimmt die Bundesregierung jenseits dessen, dass sie ihre Position weiter vorbringt und versucht, Überzeugungsarbeit zu leisten?

StS Seibert: Gut. Das ist natürlich der europäische Weg, dass man immer wieder mit den europäischen Partnern redet und versucht, seine Argumente zu bringen und seine Positionen klar zu machen. Es gibt ja einen Vorschlag des deutschen Außenministers, den er auch mit den Kollegen besprochen hat. Nach meinen Informationen soll das Thema demnächst wieder im europäischen Kreis besprochen werden. Das ist es, was wir tun.

Breul: Wenn ich darf, würde ich gern einen Punkt klarstellen, weil das aus meiner Sicht in den Fragen häufiger ein bisschen falsch herüberkommt. Ich denke, das sollte man fairerweise einmal erwähnen. Es ist nicht so, dass im Moment keine staatliche Seenotrettung stattfinden würde. Insbesondere die staatlichen Schiffe - sei es Küstenschutz oder auch Militär aus Malta und Italien -, die in den Gewässern unterwegs sind, leisten Seenotrettung. Das sollte man nicht unterschlagen. Wir haben es ja hier schon häufiger erwähnt. Seenotrettung ist ja kein "à la carte", sondern das ist eine Pflicht für jeden auf hoher See. Dieser Pflicht kommen auch staatliche Schiffe nach, nicht nur private. Das wollte ich einmal richtigstellen. Das betrifft vor allem maltesische und italienische Schiffe, die in Seenot retten.

StS Seibert: Was die Aufnahme und Verteilung von aus Seenot Geretteten betrifft, hat sich Deutschland in jedem einzelnen Fall daran beteiligt und ist bereit, dieses auch in aktuellen Fällen und in Zukunft zu tun. Wir glauben nur, dass es nicht bei diesem Ad-hoc-Verfahren bleiben kann. Wann immer ein Schiff irgendwo anlegt, beginnt ein europäischer Beratungsmechanismus, wer bereit wäre sich zu engagieren - wobei wir immer bereit waren. Wir glauben, dass das besser solidarischer und unter Beteiligung von mehr Staaten organisiert werden sollte.

Frage: Herr Breul, bei den Verhandlungen zwischen den europäischen Partnern spielt Frankreich eine entscheidende Rolle. Das war hier auch bereits mehrfach Thema. Da scheint es so zu sein, dass Frankreich zwar bei der Aufnahme eine Bereitschaft gezeigt hat, sich aber bei der Frage, welche Hilfen für die Ausschiffung genutzt werden - da kämen ja auch französische Häfen infrage -, eher hartleibig zeigt. Ist da in jüngerer Zeit ein Fortschritt erreicht worden? Sind die Franzosen bereit, gegebenenfalls auch wieder im Rahmen einer größeren Mission zu sagen: Ja, das geht auch über französische Häfen?

Breul: Wie immer berichten wir hier nicht aus internen EU-Verhandlungen. Sie haben erkannt, dass die Franzosen dieses Thema auch mit hohem Druck gemeinsam angehen. Es wurde eine Konferenz vor der Sommerpause ausgerichtet. Jetzt ist, glaube ich, als nächster Termin ein Treffen der EU-Innenminister anberaumt. Da arbeiten wir eng mit Frankreich zusammen. Also es besteht da aus unserer Sicht überhaupt keine Veranlassung, hier mit dem Finger auf irgendwen zu zeigen.

Frage: Herr Seibert, erstens eine kurze Bitte um eine Einschätzung: Wie optimistisch sind Sie, dass sich etwas in dieser Frage auf der europäischen Ebene bewegt? Die Kanzlerin hat es ja mehrfach in allerjüngster Zeit gesagt oder, was den gestrigen Abend angeht, offenbar gesagt.

Zweitens. Welchen Einfluss hat die momentane politische Entwicklung in Italien - vielleicht auch aus der Sicht des Auswärtigen Amts - auf diese Frage?

StS Seibert: Ich kann Ihnen hier keine Einschätzung in Sachen Optimismus/Pessimismus geben. Wir müssen realistisch sein, und wir müssen uns dennoch in Europa unseren Überzeugungen und Werten entsprechend engagieren. So halten wir es.

Breul: Zu der innenpolitischen Debatte bitte ich um Verständnis, dass wir - wie es unter europäischen Freunden üblich ist - das nicht von außen kommentieren. Sie sehen selbst, dass das Thema Migration und der Umgang damit heftig umstritten, auch innerhalb der Regierung in Italien, ist.

Frage : Entschuldigung, noch einmal eine Frage an das Finanzministerium. Der Finanzminister hat ja bisher immer gesagt, die Aufgabe als Finanzminister sei so zeitaufwendig, dass er nicht für das Amt des SPD-Vorsitzes kandidieren könne. Nun meldet der "Spiegel" gerade, dass er seinen Sinn gewandelt hat und jetzt offensichtlich doch Zeit findet. Wissen Sie schon, was zu dem Sinneswandel beigetragen hat? Müssen sich die Bürger jetzt sorgen, dass, falls er gewählt würde, dann das Finanzministerium nicht mehr ordentlich geführt würde?

Bechtle: Ich spreche hier für das Bundesfinanzministerium. Deshalb äußere ich mich hier, wie üblich, nicht dazu.

Zusatzfrage: Ich habe ja auch für das Bundesfinanzministerium nachgefragt, ob sich die Menschen da draußen jetzt sorgen müssen, sollte er SPD-Vorsitzender werden, dass dann Aufgaben des Finanzministers abgegeben werden. Bisher hat er gesagt, er könnte den SPD-Vorsitz nicht machen, weil die Tätigkeit des Finanzministers so zeitaufwendig sei.

Bechtle: Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe.

Frage: Die Frage würde ich an Herrn Seibert weitergeben. Sähen Sie irgendeine Beeinträchtigung der Arbeit des Finanzministers, wenn er zusätzlich noch die Rolle des SPD-Vorsitzenden übernehmen würde?

StS Seibert: Ich kenne noch nicht einmal den Bericht, auf den Sie beide sich offensichtlich beziehen und möchte dazu keine Stellung nehmen. Aber Sorgen muss sich keiner machen.

Frage: Ich möchte das noch einmal mit der Arbeitsbelastung ansprechen, weil er das damals ja so herausgestellt hatte. Wie schätzt denn der Finanzminister insbesondere mit Blick auf den wirtschaftlichen Abschwung das Arbeitsaufkommen in den nächsten Monaten ein? Wird das arbeitsintensiver oder eher weniger?

Bechtle: Ich habe dazu schon alles gesagt und habe dem nichts hinzuzufügen.

Zusatz: Zum Arbeitsaufkommen habe ich jetzt noch nichts gehört.

Bechtle: Das Arbeitsaufkommen?

Zusatz : Das Arbeitsaufkommen des Ministers!

Bechtle: Wie gesagt: Sie beziehen sich damit ja auf eine parteipolitische Frage.

Zuruf : Nein!

Bechtle: Deswegen bitte ich um Verständnis, dass ich mich dazu nicht äußern werde.

Zusatz: Ich beziehe mich auf den wirtschaftlichen Abschwung, den wir derzeit sehen, auch auf die eventuell vorhandene Notwendigkeit, dagegen Maßnahmen zu ergreifen, und das kommende Arbeitsaufkommen des Ministers. Wird das eher als mehr oder als weniger eingeschätzt?

Bechtle: Er wird weiterhin seinen Aufgaben gerecht werden, und keiner muss sich Sorgen machen.

Frage: Ein Segment der Arbeitsbelastung von Herrn Scholz ist ja auch das Amt des Vizekanzlers, Herr Seibert. Gibt es Gespräche zwischen der Bundeskanzlerin und Herrn Scholz darüber, ob er das Amt zur Arbeitsreduzierung zur Verfügung stellt?

StS Seibert: Ich werde an der Debatte über dieses Thema, dass Sie jetzt so erregt, wirklich nicht weiter teilnehmen, und über Gespräche, die die Bundeskanzlerin tagtäglich mit ihren Ministerkollegen und -kolleginnen führt, berichte ich hier ohnehin nicht.

Frage: Ich will doch noch einmal auf die Arbeitsbelastung zu sprechen kommen - die Frage geht an das Finanzministerium -, und zwar mit Blick auf die Kandidatur. Die SPD hat ja nun - deswegen, glaube ich, ist die Frage vollkommen berechtigt - ein Verfahren mit 23 Regionalkonferenzen gewählt. Das heißt, der Minister wird durch seine Kandidatur an 23 Tagen stundenlang gebunden sein. Deswegen stelle ich noch einmal die Frage, ob Sie darin keine Beeinträchtigung für seine Arbeit als Finanzminister sehen.

Bechtle: Ich habe dem, was ich zuvor gesagt habe, nichts hinzuzufügen.

Frage: Ich hätte eine Frage an das Verteidigungsministerium. Sie sind ja von so einer Eingabe an den Wehrbeauftragten und auch an Sie direkt bezüglich eines Vorfalls im Zentrum Innere Führung und des Vorwurfs gegen den dortigen Kommandeur, er habe gegen das Mäßigungsgebot verstoßen, in Kenntnis gesetzt worden. Es wird ja jetzt vom Obmann der AfD gefordert, dass der General suspendiert werden soll. Die Frage wäre, weil das Zentrum Innere Führung den Sachverhalt ja anders darstellt: Wird dieser Vorgang in Ihrem Haus geprüft? Werden möglicherweise Zeugen, die auch an diesem Abend zugegen waren, befragt? Wie ist dazu die Position Ihres Hauses?

Fähnrich: Das war eine sehr lange Frage. Ich habe aber darauf eine relativ kurze Antwort, nämlich dass ich das Schreiben, dass Sie zitieren, bestätigen kann. Des Weiteren wird alles Weitere dazu geprüft. Darüber hinaus möchte ich von dieser Stelle aus Spekulationen keinen Raum geben.

Frage: Offenbar hat der General gesagt, dass er gewisse Äußerungen als Privatperson und als Privatmeinung zur Kenntnis gegeben hat. Ist das möglich, Herr Fähnrich? Kann in einer dienstlichen Besprechung ein General sagen "Das, was ich Ihnen jetzt sage, ist aber nur meine Privatmeinung"? Ist das prinzipiell möglich?

Fähnrich: Ich bleibe grundsätzlich bei dem, was ich eben gesagt habe, nämlich dass es jetzt gilt, diesen Vorfall oder dieses Ereignis zu prüfen. Grundsätzlich ist jeder von uns in Uniform in der Lage, seine private Meinung darzulegen; klar.

Zusatzfrage: Auch im Rahmen einer dienstlichen Besprechung? Kann man also sozusagen eine logische Minute neben sich treten und sagen "Jetzt spricht nicht der General, sondern die Privatperson"? Das geht prinzipiell?

Fähnrich: Das ist der nächste Versuch. Ich habe Ihnen kurz erläutert, dass wir das prüfen werden. Alles, was ich hier darüber hinaus zu sagen habe, würde sich wieder in Spekulationen verirren. Ich habe gesagt, dass jeder von uns oder jeder Soldat, jede Soldatin, jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin (das Recht auf) eine freie Meinungsäußerung hat, und das hat er auch im Dienstbetrieb.

Frage: Zur Lage in Hongkong: Herr Seibert, nun hat einer der bekanntesten Aktivisten in Hongkong, Joshua Wong, gesagt, die Bundesregierung positioniere sich nicht deutlich genug gegen ein mögliches militärisches chinesisches Eingreifen. Er sagte, er erwarte eigentlich eher ein stärkeres Signal und Zeichen der Bundesregierung in Richtung Peking. Wird es ein solches Zeichen geben? Wie bewerten Sie diese Aussage?

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin hat sich vorgestern ja zu dem Thema geäußert, und ich will sie gerne noch einmal zitieren. Sie hat gesagt:

"Deshalb muss alles darangesetzt werden, Gewalt zu vermeiden und die Möglichkeiten einer Lösung im Rahmen des Dialogs zu finden. Wir setzen uns also entschieden für diesen Dialog ein, aber auf der Basis der in Hongkong geltenden Gesetze, die bestimmte Freiheiten für die Menschen in Hongkong gewährleisten."

Es gibt dieses "Basic Law" aus dem Jahr 1997, das Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit dort gesetzlich verankert. Das ist ein chinesisches Gesetz. Insofern gehen wir selbstverständlich davon aus, dass die Volksrepublik China die friedliche Ausübung dieser Freiheiten auch nicht infrage stellt. Wir kennen China als verantwortungsbewussten Akteur auf der Weltbühne, mit dem wir auf vielen Gebieten gut zusammenarbeiten. Die Bundeskanzlerin hat sich in dieser Hinsicht also deutlich für eine friedliche, gewaltfreie, auf Dialog basierende Lösung ausgesprochen. Wir verfolgen die Vorgänge in der Sonderverwaltungszone Hongkong natürlich mit größter Aufmerksamkeit und durchaus auch mit Sorge.

Zusatzfrage: Würde sich die Kanzlerin denn dem Vorstoß von Herrn Trump anschließen, der gesagt hat, Herr Xi solle sich doch einfach einmal mit den Hauptprotestlern zusammensetzen?

StS Seibert: Ich kenne die Äußerungen des amerikanischen Präsidenten nicht genau und möchte mich jetzt hier auch nicht dazu äußern. Wir haben die Haltung der Bundesregierung klargemacht, und das ist das, was ich Ihnen sagen kann.

Frage: Herr Seibert, Herr Breul, gibt es im Hintergrund Gespräche mit der chinesischen Führung - entweder der Kanzlerin oder der Mitarbeiter im Kanzleramt oder im Auswärtigen Amt -, um der chinesischen Führung die Bedenken, die man hinsichtlich der Hongkong-Agenda hat, deutlich zu machen?

Breul: Ich kann gerne etwas dazu sagen. Ich möchte dem, was Herr Seibert gesagt hat, hinzufügen, dass sich auch der Außenminister in dieser Woche schon zweimal ganz auf dieser Linie zu diesem Thema geäußert hat. Selbstverständlich ist China für uns ein enger Partner, mit dem wir auf vielfältigste Weise in Kontakt stehen und Gespräche führen. Sie können sich sicher sein, dass wir die Botschaften, die wir in der Öffentlichkeit äußern, so auch in den Gesprächen gegenüber der chinesischen Seite vortragen.

StS Seibert: Ich will nur, weil es auch um die Frage von Gesprächen geht, noch einmal daran erinnern, dass wir ja begrüßt haben, dass die Hongkonger Regierung dieses Gesetz zur Auslieferung an China ausgesetzt hat und dass Regierungschefin Lam damals angekündigt hat, auf den Willen der Demonstranten einzugehen und verschiedene Meinungen anzuhören. Das war aus unserer Sicht ein gutes Zeichen, ein guter erster Schritt. Jetzt auf diesem Weg weiterzugehen, könnte natürlich Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit und die Meinungsfreiheit in Hongkong stärken.

Frage: Vor der RegPK hat es hier eine Pressekonferenz von Umweltverbänden gegeben. Die haben eine Forderung nach einem integrierten Klimaschutzgesetz vorgelegt. Dabei wurde als ein Beispiel für Widersprüchlichkeit genannt, dass ein Kabinettsmitglied eine Abwrackprämie für Ölheizungen gefordert hat, wenn auch in anderer Funktion, und gleichzeitig vom Wirtschaftsministerium der Einbau von Ölheizungen gefördert wird. Sehen Sie einen solchen Widerspruch, Frau Einhorn? Wie geht man damit um, gerade im Vorgriff und im Hinblick auf die Sitzung des Klimakabinetts?

Einhorn: Hierzu, zu der Frage der Förderung von Ölheizungen und des Vorschlags einer Abwrackprämie, die im Raum steht, hat sich hier bei der letzten Regierungspressekonferenz, glaube ich, meine Kollegin, Frau Güttler, schon geäußert. Ich kann das noch einmal auf den Punkt bringen: Der jetzige Stand ist, dass wir zwar Ölheizungen fördern, aber nur besonders effiziente Modelle. Ob sich daran etwas ändert oder wie mit dem gesamten Thema umgegangen wird, wird dann gegebenenfalls auch Teil der Sitzung des Klimakabinetts am 20. September sein. Dabei stehen verschiedene Maßnahmen und Vorschläge im Raum, und einzeln äußern wir uns dazu jetzt noch nicht.

Frage: Meine Frage wäre, ob die Vorschläge der zehn Umweltverbände jetzt auch tatsächlich schon beim Koalitionsgipfel Eingang finden werden. Es war nämlich auch Teil der Forderungen, dass man vielleicht schon am Wochenende sozusagen einen Fahrplan für die Eckpunkte der Sitzung des Klimakabinetts festgelegt. Wird also zu erwarten sein, dass am Sonntag zumindest eine Voreinigung oder so etwas stattfindet?

StS Seibert: Wir können hier wie immer nicht sehr viel über bevorstehende Sitzungen des Koalitionsausschusses sagen, weil die natürlich Angelegenheiten der Parteien sind. Es ist richtig, dass die Klimapolitik auch auf dem Programm stehen wird, und zwar als ein Schritt in Richtung des 20. Septembers, also der Entscheidungssitzung des Klimakabinetts. Wir sind in diesem Prozess und halten uns auch an diesen Fahrplan. Insofern sollten Sie am Sonntag keine Vorentscheidungen oder Beschlüsse - zumindest nicht auf dem Gebiet der Klimapolitik - erwarten.

Frage: Es gibt einen indirekten Zusammenhang: Herr Seibert, der brasilianische Präsident Bolsonaro hat sich vor einigen Tagen geäußert. Er ist für einen Stopp deutscher Projekte zum Schutz des Regenwaldes und hat Angela Merkel empfohlen, sie solle lieber das Geld nehmen und den deutschen Wald aufforsten; denn das sei viel nötiger. Ich möchte Sie bitten, darauf zu antworten und zu sagen, was die Bundesregierung darauf antwortet.

StS Seibert: Die Äußerungen kommentiere ich nicht, und über die deutsche Waldpolitik kann Ihnen das zuständige Ministerium Auskunft geben. Die ist für uns sehr wichtig.

Vors. Szent-Iványi: Soll das Ministerium darüber Auskunft geben, Frau Küfner?

Zusatz: Nein. Ich wollte eigentlich eine Reaktion auf die Empfehlung des brasilianischen Präsidenten. Die deutsche Waldpolitik können wir vielleicht einmal an anderer Stelle erörtern.

Frage: An das Justizministerium: Es geht um die Verkürzung der Verträge für Handys, Gas- und Stromlieferungen. Ich hätte ganz gerne den europäischen Kontext dazu gewusst. Gibt es also eine EU-Richtlinie, die genau diese Vorschläge macht, oder prescht Deutschland bei diesem Thema vor, ist also weiter als die anderen? Vielleicht können Sie uns eine Einordnung geben.

Kall: Es gibt eine Vielzahl von verbraucherschützenden Vorschriften, die aus dem Europarecht kommen, die aus Richtlinien kommen, also beispielsweise das Widerspruchsrecht, das Recht, Waren zurückzusenden, usw. All das kommt meines Wissens aus dem Recht der Europäischen Union.

Das, worüber wir jetzt reden - sozusagen ganz konkret in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Grenze einzuziehen und zu sagen "Verträge dürfen sich nicht mehr um ein Jahr verlängern; wenn sie sich verlängern, dann nur um drei Monate" -, kommt meines Wissens nicht aus dem Europarecht, sondern ist eine Initiative, um die Verbraucherrechte zu stärken.

Zusatzfrage: Um es also noch einmal anders auszudrücken: Geht Deutschland hierbei weiter als das, was das EU-Recht fordert, oder setzt es nur EU-Recht um?

Kall: Meines Wissens setzen wir an dieser Stelle nicht Unionsrecht um. Sollte das anders sein, werde ich Ihnen das gleich noch einmal nachreichen. Ich kann Ihnen jetzt aber nicht sozusagen aus dem Stegreif sagen, wie es in den anderen 27 Staaten der Europäischen Union aussieht und was es dort für Regelungen über Vertragslaufzeiten gibt. Aber hier, bei uns, gibt es eben im Bereich von Handyverträgen, im Bereich von Fitnessstudioverträgen und zum Teil im Bereich von Abonnements die Erfahrung, dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher sehr häufig über unerwartete Vertragsverlängerungen ärgern, die alleine dadurch eintreten, dass sie nicht an die rechtzeitige Kündigung denken. Deswegen ziehen wir hier eine Grenze ein.

Frage: Eine Frage an das Verkehrsministerium. Herr Strater, was sagt denn Ihr Ministerium beziehungsweise Ihr Minister zu der breiten Kritik am Vorstoß, Busspuren für E-Tretroller und Fahrgemeinschaften zu öffnen?

Strater: Wir haben uns dazu schon gestern geäußert. Mit der Möglichkeit, diese Spuren zu öffnen, wollen wir mehr Möglichkeiten vor Ort für die Straßenverkehrsbehörden schaffen, umweltfreundliche Mobilität zu ermöglichen, so zum Beispiel Fahrgemeinschaften. Mit der Möglichkeit, die Fahrgemeinschaften für diese Spuren zuzulassen, schaffen wir einen Anreiz, Einzelfahrten zu reduzieren und damit einen Beitrag für saubere Luft zu leisten.

Aber ganz wichtig ist hierbei: Keine Stadt, die das nicht will, muss das umsetzen. Das ist eine Kann-Regelung. Ich werde nicht müde, hier an dieser Stelle die Vorzüge des Föderalismus immer wieder darzustellen. Vor Ort weiß man ganz genau, ob das Sinn macht, ob das möglich ist, ob die Straße dafür geeignet ist und welche Gefahren sich möglicherweise daraus ergeben. Insofern können die Behörden vor Ort selber entscheiden, ob sie das machen oder nicht. Es ist eine Kann-Regelung.

Zusatzfrage: War Herr Scheuer denn von der breiten Kritik überrascht?

Strater: Kritik gibt es immer viel, auch an manchem anderen. Aber wir wollen insgesamt die Möglichkeit schaffen, sicherer, klimafreundlicher und gerechter auf den Straßen unterwegs zu sein und auch die Schwachen zu schützen, nämlich die Radfahrer, wenn Sie einmal daran denken, was wir diesbezüglich alles in diese Regelung hineingepackt haben. Das ist ein Gesamtpaket. Das ist unser Vorschlag, mit dem wir in die Ressortabstimmung und dann in die Länder- und Verbändeanhörung gehen. Dort gibt es auch noch einmal die Möglichkeit, diese Dinge zu diskutieren. Am Ende muss der Bundesrat dem zustimmen.

Frage: Herr Strater, das heißt also, der Vorschlag ist nicht mit Verbänden, Nahverkehrsunternehmen, Kommunen usw. abgestimmt? Dann kann also ein Tretroller einen Bus mit beispielsweise 80 Fahrgästen verlangsamen?

Strater: Ich bleibe bei dem Beispiel Fahrgemeinschaften. Es ist ja auch so, dass zum Beispiel Düsseldorf schon vorangeschritten ist und diese Möglichkeit für Umweltspuren, wie sie dort heißen, schaffen möchte. Das heißt, es gibt das Interesse in den Städten, solch eine Regelung zu schaffen. Insofern kommen wir dem nach, diese zu öffnen und diese Möglichkeiten zu schaffen.

Noch einmal: Es ist eine Kann-Regelung. Die Städte müssen davon nicht Gebrauch machen, sie können es aber.

Vors. Szent-Iványi: Das Bundesjustizministerium hatte den Wunsch, etwas nachzuliefern.

Kall: Ich wollte nur ganz kurz ergänzen. Meine Kollegen haben mir gerade noch einmal bestätigt: Das Recht der fairen Verbraucherverträge - kürzere Vertragslaufzeiten - ist keine Umsetzung von europäischem Recht. Insofern gehen wir über das bestehende europäische Recht gerade auch im Telekommunikationsbereich hinaus.

Frage: Eine Frage an das Umwelt- und das Landwirtschaftsministerium. T-online berichtet, dass die Bundesländer mehr als eine Million Euro an Entschädigungen für Wolfsrisse gezahlt hätten. Ist Ihnen in der Angelegenheit der Überblick bekannt? Was sagen Sie zu der Größenordnung? Ist das erwartbar?

Bürgelt: Ich habe die Zahlen gerade nicht dabei. Ich kann sie gerne nachreichen. Ich habe gerade nicht den Überblick.

Zusatzfrage: Die Größenordnung ist für Sie jetzt nicht überraschend?

Bürgelt: Ich kann das jetzt nicht einschätzen. Ich habe die Zahlen nicht vor Augen und muss sie Ihnen nachreichen.

Frage: Frage an das Auswärtige Amt. Es geht um das Thema Iran und die Weiterfahrtmöglichkeit für den iranischen Tanker, der in Gibraltar festgehalten wurde. Wie beurteilt die Bundesregierung beziehungsweise das Auswärtige Amt diesen Vorfall? Ist man damit einverstanden, dass der iranische Tanker weiterfahren kann oder hat man ähnliche Bedenken wie die amerikanische Seite?

Breul: Wir haben die Pressemitteilung und Erklärung aus Gibraltar von offizieller Seite dazu gesehen. Wie Sie vielleicht heute Morgen gesehen haben, hat das Schiff den Hafen noch nicht verlassen. Darum würde ich vorschlagen, dass wir abwarten, was passiert und was dabei herumkommt.

Wir haben immer wieder betont, dass es um die Umsetzung von EU-Sanktionen geht. Die nationalen Behörden sind für deren Umsetzung zuständig, und die nationalen Gerichte sind zuständig, das zu überprüfen. Wir haben vollstes Vertrauen, dass der Rechtsstaat Gibraltar genau dies tut. Wie Sie wissen, ist das Schiff auf einen konkreten Verdacht hin festgehalten worden. Diesem Verdacht sind die Behörden nachgegangen, haben mit Sicherheit Gespräche geführt und sich eventuell Zusicherungen eingeholt usw. Von daher kann ich noch einmal betonen: Wir haben vollstes Vertrauen, dass die nationalen Behörden das EU-Sanktionsrecht voll umfänglich umsetzen.

Frage: Indirekt dazu: Polen hat gesagt, dass es sich der US-Mission in der Straße von Hormus anschließen will. Das hängt ja inhaltlich direkt damit zusammen. Wie bewertet die Bundesregierung diesen Schritt?

Breul: Wir haben die Äußerungen zur Kenntnis genommen. Ich glaube nicht, dass wir das bewerten müssen. Wir haben unsere Position hier mit Bezug auf eine mögliche Marinemission schon mehrfach dargestellt und vorgestellt. Daran hat sich nichts geändert.

Noch ein letzter Nachklapp: Der Bezug zur Straße von Hormus und dem, was in Gibraltar stattfindet, wird von uns so nicht gemacht. Auf der einen Seite reden wir über die Umsetzung von EU-Sanktionsrecht, auf der anderen Seite haben wir einen klaren Verstoß gegen völkerrechtliche Prinzipien.

Freitag, 16. August 2019

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 16. August 2019
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/regierungspressekonferenz-vom-16-august-2019-1660802
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2019

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