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PRESSEKONFERENZ/1885: Regierungspressekonferenz vom 3. Juli 2019 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Mittwoch, 3. Juli 2019
Regierungspressekonferenz vom 3. Juli 2019

Themen: Waldbrandsituation, Kabinettssitzung (Gesetz zur Modernisierung der Strukturen des Besoldungsrechts, Wohngeld- und Mietenbericht 2018, Berufung der Mitglieder der Fachkommission "Fluchtursachen" der Bundesregierung), Nominierung von Bundesministerin von der Leyen für den Posten der Präsidentin der Europäischen Kommission, Luftangriff in Libyen, Mitspracherecht Jugendlicher in Politik und Schule, Mindestlohn, Freilassung der "Sea-Watch"-Kapitänin, Nominierung von Christine Lagarde als Präsidentin der Europäischen Zentralbank, innerafghanische Dialogkonferenz, Atomabkommen mit dem Iran, Treffen der Bundeskanzlerin mit dem saudischen Thronfolger im Rahmen des G20-Gipfels, Gespräch der Bundeskanzlerin mit dem ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Kurz, Westbalkangipfel, 80. Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf Polen

Sprecher: StS Seibert, Fähnrich (BMVg), Alter (BMI), Kalwey (BMF), Malachowski (BMJV), Breul (AA), Kempe (BMFSFJ), Ehrentraut (BMAS)


Vors. Mayntz eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Bevor wir zu den Themen der Kabinettssitzung kommen, würde ich gern ganz kurz ein paar Worte zu dem Thema der Waldbrände sagen, die insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern viele Menschen betreffen und noch viel mehr Menschen zu Recht besorgen.

Wir hören ja heute von einer leichten Entspannung im Waldbrandgebiet bei Lübtheen in Mecklenburg-Vorpommern. Ich möchte für die Bundeskanzlerin noch einmal den tiefen Dank an alle Helferinnen und Helfer, an Feuerwehren, Rettungskräfte, Behörden, Bundeswehr, Bundespolizei, Technisches Hilfswerk ausdrücken, die in diesem stark betroffenen Waldbrandgebiet unerschöpflich im Einsatz sind. Die Bundespolizei, THW und Bundeswehr unterstützen ja mit starken Kräften und mit Hubschraubern die Brandbekämpfung vor Ort. Es ist außerdem geplant, weitere Geräte der Bundeswehr zur Brandbekämpfung einzusetzen, vor allem Berge- und Räumpanzer, um weitere Brandschutzschneisen zu schaffen. Die Bundeswehr hat auf Ersuchen auch Tankfahrzeuge und Pioniergerät bereitgestellt, um solche Brandschutzschneisen zu schaffen. Das kann Ihnen bei Bedarf Kollege Fähnrich sicherlich alles noch viel besser erklären. Für das Technische Hilfswerk ist zu sagen, dass dort aktuell 106 Helferinnen und Helfer im Einsatz sind, die beispielsweise ein Feldlager aufgebaut haben und betreiben, die bei der Tanklogistik unterstützen, Fachberatung leisten und auch dafür sorgen, dass die Einsatzstelle nachts beleuchtet ist.

All diesen Menschen - ob sie nun kommunal vom betroffenen Bundesland oder eben von den Kräften des Bundes im Einsatz sind - möchte ich also im Namen der Bundeskanzlerin und im Namen der ganzen Bundesregierung unseren tiefen Dank ausdrücken.

Fähnrich: Ich habe dem eigentlich nicht viel hinzuzufügen, außer dass die Bundeswehr dort auf Amtshilfe reagiert, wie schon öfter betont. Was die exakten Zahlen betrifft, so würde ich einfach bitten, sich die vor Ort geben zu lassen, weil die Länder und die Kommunen dort sehr gut zusammenarbeiten. Im Einsatz sind zwei Hubschrauber vom Typ CH-53, Tankfahrzeuge, Räumpanzer, die zum einen - das hatte ich am Montag schon kurz geschildert - eine Schneise schlagen, damit der Brand sich nicht weiter ausbreiten kann, auf der anderen Seite aber auch einen Weg bereiten, damit die Löschfahrzeuge und Einsatzfahrzeuge gut vorankommen.

Was ich noch sagen kann: Es gibt zwar verschiedene Größen für die Ausbreitung dieses Brandes. Nach unserer Kenntnis herrscht der Brand auf einer Fläche von 550 Hektar - das ist eine ganze Menge. Die Zahl 1200, die in den Medien auch genannt wird, bezieht sich auf das komplette Einsatzgebiet. Das sage ich nur, damit es da nicht zu Verwechslungen kommt.

StS Seibert: Im Kabinett ging es zunächst um einen Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium, der sehr wichtig für den öffentlichen Dienst ist. Ich darf daran erinnern: Im Koalitionsvertrag steht, dass sich die Koalitionsparteien zu einem modernen und attraktiven öffentlichen Dienst mit bestens ausgebildeten und hochmotivierten Beschäftigten bekennen. Wichtig dafür ist das Gesetz zur Modernisierung der Strukturen des Besoldungsrechts, das der Bundesinnenminister heute eingebracht hat. Der demografische Wandel und die Digitalisierung haben die Anforderungen an den öffentlichen Dienst ja verändert. Um ihn auch für die Zukunft attraktiv und wettbewerbsfähig aufzustellen, wird also mit diesem Gesetzentwurf das Dienstrecht weiterentwickelt, weiter modernisiert. Der Bund als Dienstherr bekommt größere Flexibilität für zukunftsorientierte Lösungen, wenn es um Fachkräftegewinnung geht. Der Verwaltungsaufwand soll verringert werden. Das ist im Wesentlichen der Inhalt des heutigen Gesetzentwurfs.

Ich will hinzufügen: Besonders für die Bundeswehr und die Zollverwaltung sollen die Besoldungsstrukturen wettbewerbsgerecht gestaltet werden. Bei der Bundeswehr zum Beispiel, wo es ja hohe Mobilitätsanforderungen an die Soldatinnen und Soldaten gibt, sollen die damit verbundenen Belastungen besser ausgeglichen werden.

Zweites Thema im Bundeskabinett: Ebenfalls aus dem Bundesinnenministerium, das ja auch Bauministerium ist, wurde der Wohngeld- und Mietenbericht 2018 vorgelegt. Alle zwei Jahre ist auf diese Art und Weise dem Bundestag über die Durchführung des Wohngeldgesetzes und die Entwicklung der Mieten für Wohnraum sowie über die Höchstbeträge für Miete und Belastung, die Mietenstufen und die Höhe des Wohngelds zu berichten.

Ausreichend bezahlbarer Wohnraum ist eine der wesentlichen sozialen Fragen unserer Zeit. Die Bundesregierung hat deswegen seit März des vergangenen Jahres eine Vielzahl neuer Maßnahmen eingeleitet, um den Wohnungsneubau zu intensivieren und die Bezahlbarkeit des Wohnens zu sichern. Beim Wohngipfel am 21. September des vergangenen Jahres wurde zusammen mit Ländern und Kommunen eine Wohnraumoffensive mit dem Ziel von 1,5 Millionen neuen Wohnungen in dieser Legislaturperiode verabschiedet.

Wir sehen ja, wenn wir auf die Wohnungsmärkte schauen, regional sehr unterschiedliche Entwicklungen: in den Ballungsgebieten eine zunehmende Nachfrage, zum Teil auch Wohnungsengpässe, steigende Mieten und steigende Preise. In anderen Städten mit wirtschaftlichen Strukturproblemen und auch in einzelnen ländlichen Regionen zeigt sich ein ganz anderes Bild: Bevölkerungsverluste, Wohnungsleerstände, stagnierende Mieten und Immobilienpreise. Es gibt durchaus sehr unterschiedliche Situationen, wenn man auf Deutschland schaut.

Was die Bautätigkeit betrifft, so haben sich die Baufertigstellungen seit ihrem Tiefpunkt im Jahre 2009 deutlich vermehrt. Das Niveau konnte 2017 auf 285 000 Wohnungen erhöht werden, also rund 80 Prozent mehr als zu dem Tiefpunkt in 2009, den ich genannt habe. Ich will noch hinzufügen: Es gibt 700 000 - das ist der jetzige Stand - fertige Baugenehmigungen, die auf Umsetzung warten - der sogenannte Bauüberhang.

Was das Wohngeld betrifft, so profitierten 4,4 Millionen Haushalte im Berichtszeitraum 2017 von Entlastungen bei den Wohnkosten durch Wohngeld oder durch die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Grundsicherung. Die öffentliche Hand hat dafür 17,5 Milliarden Euro investiert. 11 Prozent aller Haushalte haben damit von einer vollständigen oder teilweisen Entlastung bei den Wohnkosten profitiert. Ich darf Sie daran erinnern, dass wir bei dem Wohngipfel im September des vergangenen Jahres für eine noch stärkere Entlastung vereinbart haben, das Wohngeld zum 1. Januar 2020 zu verbessern. Das haben wir hier ja schon ausführlich vorgestellt.

Dann will ich Sie noch kurz darüber informieren - obwohl das ein Punkt war, der ohne Aussprache beschlossen wurde -, dass heute die Mitglieder der Fachkommission "Fluchtursachen" der Bundesregierung beschlossen wurden. Das ist die Umsetzung eines Auftrages aus dem Koalitionsvertrag. Der Vorschlag zur Besetzung des 24-köpfigen Gremiums wurde von BMZ, AA und BMI gemeinsam erarbeitet. Eingerichtet wird diese Fachkommission "Fluchtursachen" beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Das Ziel ihrer Arbeit ist es, die wesentlichen Ursachen von Flucht und irregulärer Migration zu identifizieren und Ansätze für eine wirksame Minderung dieser Ursachen zu erarbeiten. Sie soll bis Ende 2020 einen Bericht mit konkreten Handlungsempfehlungen verfassen und dann der Bundesregierung und dem Bundestag vorlegen.

Die Mitglieder wurden anhand ihrer Kompetenz, ihrer Expertise, ihres Fachwissens ausgewählt. Die beiden Vorsitzenden sind Gerda Hasselfeldt, Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, und Frau Bärbel Dieckmann, ehemalige Präsidentin der Welthungerhilfe. Beide bringen umfangreiche Erfahrungen und umfangreiches Praxiswissen aus Entwicklungspolitik und humanitärer Hilfe mit. Die Kommission wird unabhängig arbeiten. Insgesamt ist sie ein Kreis renommierter Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Praxis, Nichtregierungsorganisationen, Kirchen, Wirtschaft und internationalen Organisationen.

Soweit der Bericht aus dem Kabinett.

Frage: Zum Mietenbericht: Gab es eine Aussprache darüber, und gab es auch eine Debatte darüber, ob weitere Maßnahmen notwendig sind, um Mieten bezahlbar zu gestalten? Gibt es vor allen Dingen eine einheitliche Auffassung der Bundesregierung zum Thema Mietendeckel?

StS Seibert: Im Kabinett gab es darüber heute keine Debatte.

Zusatzfrage: Das heißt, eine Position zum Mietendeckel gibt es nicht?

StS Seibert: Dazu müsste sich vielleicht das Fachministerium äußern.

Alter: Das will ich gern tun. Der Bundesinnenminister hat sich zu dieser Frage ja mehrfach geäußert. Er hat sinngemäß zum Ausdruck gebracht, dass man eine Knappheitssituation in einem Markt am besten dadurch behebt, dass man das Angebot erweitert. Seine Devise lautet: Bauen, bauen, bauen. Er ist nicht davon überzeugt, dass man durch planwirtschaftliche Eingriffe in den Markt das Problem langfristig und tragfähig beheben kann.

Frage: Bis zum Ende der Legislaturperiode sollen ja 1,5 Millionen neue Wohnungen entstehen. Wie weit ist man da vorangekommen? Herr Seibert hat eben nur vom Tiefpunkt gesprochen.

Alter: Nach den Informationen, die ich hier habe, ist es so, dass im Jahr 2018 die Zahl der Fertigstellungen um rund 1 Prozent auf 287 000 Wohnungen gestiegen ist. Die Zahl der für den Mietwohnungsbau besonders wichtigen Fertigstellungen von Wohnungen in Mehrfamilienhäusern steigt dagegen weiter deutlich an. 2018 waren es fast 10 Prozent mehr als 2017. Im Vergleich zum Jahr 2009 beträgt die Steigerung sogar über 160 Prozent. Das führt zu einem erheblichen Zusatzangebot auf den Wohnungsmärkten. Allerdings ist richtig: Es gibt nach wie vor den bereits von Herrn Seibert angesprochenen Bauüberhang von fast 700 000 Genehmigungen.

Zusatzfrage: Geringverdiener müssen ja fast jeden zweiten Euro für die Miete ausgeben. Wie bewertet die Bundesregierung diesen Zustand? Der Bericht selbst spricht ja von Wohnen als sozialer Frage.

Alter: In der Tat, Wohnen ist eine soziale Frage, die einerseits sozusagen über die Angebotserweiterung geregelt werden muss, sodass am Markt die Preisentwicklung in irgendeiner Weise gedämpft werden kann. Andererseits besteht aber auch die Absicht, über das Wohngeld Geringverdiener zu entlasten, damit sozusagen auch diese mit den strukturellen Mietsteigerungen mithalten können und sich Wohnraum leisten können. Das ist anerkannt ein Thema, um das wir uns kümmern.

Zusatzfrage: Sie sehen also durchaus, dass Wohnen in der Bundesrepublik eine soziale Frage ist?

Alter: Der Minister hat an verschiedenen Stellen ganz deutlich gesagt, dass er das für eine soziale Frage, wenn nicht sogar für die soziale Frage der aktuellen Zeit hält.

Frage: Herr Seibert, war die Nominierung von Frau von der Leyen für den Posten der Präsidentin der Europäischen Kommission heute auch ein Thema? Hat es darüber möglicherweise auch eine Aussprache mit SPD-Ministern gegeben? Denn da ist die Personalie ja auf wenig Gegenliebe gestoßen.

StS Seibert: Diese Nominierung durch den Europäischen Rat war im Kabinett kein Thema der Aussprache, nein.

Zusatzfrage: Frau Kalwey, können Sie noch etwas zu dem Thema beitragen? In Osaka war ja Herr Scholz mit dabei, der von der Personalie Timmermans eigentlich sehr angetan und jetzt möglicherweise doch ein bisschen enttäuscht sein könnte, wenn es am Ende doch kein Sozialdemokrat wird. Gibt es da Reaktionen seinerseits?

Kalwey: Vielleicht noch einmal zur Klarstellung: Das ist ja eine Diskussion oder eine Debatte, die jetzt vor allem im politischen Raum geführt wird, die wir natürlich zur Kenntnis nehmen und auch verfolgen, zu der ich hier aber als Sprecherin des Bundesfinanzministeriums nichts beitragen kann.

Frage: Herr Seibert, Sie sagten gerade, dass das nur eine Nominierung des Europäischen Rats sei. Frau von der Leyen ist also nicht von der Bundesregierung in irgendeiner Weise nominiert worden und es gibt auch keinen Kabinettsbeschluss, dass sie quasi als Kommissarin beziehungsweise Kommissionspräsidentin nach Brüssel geschickt wird. Braucht es da überhaupt irgendeine Zustimmung, wenn der ominöse Europäische Rat sie nominiert? Irgendeiner im Rat muss ja auf diese Idee gekommen sein.

StS Seibert: Der Europäische Rat hat nicht nur die Aufgabe, sondern auch die Pflicht, dem Europäischen Parlament einen Kandidaten beziehungsweise eine Kandidatin für das Amt des Kommissionspräsidenten vorzuschlagen. Dieser Pflicht ist er gestern nach intensivsten Beratungen nachgekommen. Das ist eine Sache, die im Europäischen Rat stattfindet; das ist die Aufgabe des Europäischen Rates nach den europäischen Verträgen. Die anderen Kommissionsmitglieder müssen nun von den nationalen Regierungen ernannt werden, auch das sehen die europäischen Verträge vor. Aber beim Kommissionspräsidenten ist das gerade nicht so.

Zusatzfrage: Das heißt, da ist eine Lücke im Koalitionsvertrag, die jetzt quasi ausgenutzt werden konnte?

StS Seibert: Nein, da ist keine Lücke im Koalitionsvertrag; vielmehr ist da eine ganz klare Aufgabenverteilung zwischen den europäischen Institutionen. Der Europäische Rat hat die Aufgabe und die Pflicht, einen Kandidaten vorzuschlagen. Das Europäische Parlament hat die Entscheidung über diesen Kandidaten per Wahl zu fällen.

Zusatzfrage: Das Interessante ist jetzt ja, dass quasi eine deutsche Regierungsvertreterin Kommissionspräsidentin werden soll, aber die deutsche Regierung sie gar nicht nominiert hat beziehungsweise sich gar nicht einig ist, dass sie es werden soll, weil ein Koalitionspartner dagegen ist. Wie kann das sein?

StS Seibert: Ich habe versucht, Ihnen klarzumachen, dass es nicht die Aufgabe einer nationalen Regierung ist, dem Europäischen Parlament einen Vorschlag zu machen, sondern die Aufgabe des Europäischen Rates, und das hat er gestern getan - mit der überwältigenden Mehrheit, nämlich der Zustimmung von 27 Mitgliedstaaten. Die Bundeskanzlerin hat sich für Deutschland enthalten, weil wir die geübte Praxis haben - die sich aus unserer Geschäftsordnung implizit ergibt -, dass, wenn es einen Dissens gibt, wenn es keine einheitliche Haltung der Bundesregierung gibt, der deutsche Vertreter sich dann zu enthalten hat. Aber 27 Mitgliedstaaten - und das ist ja doch auch ein Beweis für das große internationale Ansehen, das Frau von der Leyen genießt - haben sich für diese Kandidatin ausgesprochen. Entsprechend ist sie per schriftlichem Beschluss des Europäischen Rates dem Europäischen Parlament vorgeschlagen worden.

Frage: Herr Gabriel sagt ja, es müsse einen Zwischenschritt geben, das heißt, sie müsse erst von Deutschland als Kommissarin benannt werden, bevor dann die Frage der Kommissionspräsidentschaft ins Spiel kommt. Die Frage an Herrn Seibert, an das Justizministerium und - wenn Sie sich auch als Sprecherin des Vizekanzlers verstehen - auch an Frau Kalwey wäre also: Ist das falsch?

StS Seibert: Ich kann es nur wiederholen: Es ist die Aufgabe des Europäischen Rates, einen Vorschlag zu machen. Bei den sonstigen Kommissaren, die dann die Kommission ausmachen, ist es die Aufgabe der nationalen Regierungen, sie zu nominieren. Das ist ein Unterschied. Der Rat hat die Aufgabe, sich mit qualifizierter Mehrheit für einen Kandidaten beziehungsweise eine Kandidatin auszusprechen, und das ist gestern so geschehen.

Zusatzfrage: Und die Frage war: Diesen Zwischenschritt braucht es also nicht?

StS Seibert: Nein.

Malachowski: Ich kann dazu leider nichts beitragen.

Kalwey: Ich glaube, Herr Seibert hat es jetzt erläutert. Ich kann da jetzt auch nichts ergänzen.

Zusatzfrage: In welcher Form hat eigentlich eine Abstimmung innerhalb der Koalition oder innerhalb der Bundesregierung stattgefunden?

StS Seibert: Darüber ist natürlich innerhalb der Koalition gesprochen worden, und zwar an dem Tag, als dieses Thema aufkam. Die Bundeskanzlerin hat das gestern ja noch einmal deutlich nachvollzogen: Die Nominierung von Frau von der Leyen für die Kommissionspräsidentenaufgabe kam gestern auf den Tisch, und dann ist das auch entsprechend besprochen worden. Ich will hier jetzt nicht über interne Abläufe sprechen, aber natürlich hat es Kontakt zwischen der Bundeskanzlerin und den anderen Koalitionsvertretern gegeben - mit dem Ergebnis, dass sie sich enthalten hat, weil die SPD sich nicht in der Lage sah, dieser Entscheidung des Rates gestern zuzustimmen.

Frage: Herr Seibert, können Sie uns noch einmal kurz verraten, ob es jenseits der ganzen politischen Ebene schon irgendwelche Glückwünsche in Richtung von Frau von der Leyen gegeben hat? Oder hat man im Kabinett jetzt wirklich so getan, als ob gestern gar nichts passiert wäre?

StS Seibert: Ich kann Ihnen nicht sagen, wer sich wie gegenüber Frau von der Leyen vor oder nach dem Kabinett oder am Rande des Kabinetts geäußert hat. Im Kabinett gab es keine Aussprache zu diesem Thema.

Vors. Mayntz: Verfügt das Verteidigungsministerium da über nähere Erkenntnisse?

Fähnrich: Ich war auch nicht dabei.

Frage: Herr Seibert, ist die Kommissionspräsidentin oder der Kommissionspräsident Mitglied der Kommission?

StS Seibert: Ich bin kein Europarechtler, aber ich würde das einmal annehmen, genauso wie ja die Bundeskanzlerin Mitglied der Bundesregierung ist. Da mögen mir jetzt aber die Europarechtler helfen, wie das genau rechtlich organisiert ist.

Zusatzfrage: Wenn wir davon ausgehen, dass der Präsident beziehungsweise die Präsidentin Mitglied der Kommission ist, dann wäre es ja möglich, Mitglied der Kommission zu werden, ohne von der nationalen Regierung als Kommissionsmitglied benannt zu werden. Das ist die Auffassung der Bundesregierung, ist das richtig?

StS Seibert: Das habe ich Ihnen so dargestellt, ja.

Zusatzfrage: Das bedeutet, ein ehemaliger Vizekanzler, der der Auffassung ist, da es sich um eine Doppelfunktion handelt, müsste die auch doppelt beschlossen werden, liegt rechtlich falsch?

StS Seibert: Ich werde gerne noch eine weitere rechtliche Beurteilung nachreichen. Ich habe es so dargestellt, wie es sich für uns sehr klar darstellt.

Breul: Ich kann, wenn Sie wollen, den europarechtlichen Teil bewerten. Ihre letzte Frage ist allerdings nicht europarechtlich zu bewerten. Deshalb kann ich dazu nichts sagen.

Aber in Artikel 17 Abs. 7 des Vertrags über die Europäische Union ist klar festgelegt, wie die unterschiedlichen Ämter besetzt werden. Ja, die Präsidentin oder der Präsident der Kommission ist Mitglied der Kommission. Es gibt drei unterschiedliche Verfahren für die Benennung der Mitglieder der Kommission, erstens das Verfahren, wie es Herr Seibert gerade völlig richtig dargestellt hat, für den Präsidenten oder die Präsidenten, zweitens ein Verfahren für die übrigen Mitglieder und drittens noch ein gesondertes Verfahren für den Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, der gleichzeitig Mitglied und Vizepräsident der Kommission ist.

Frage: Kann die Personalie denn innerhalb der Bundesregierung noch verhindert werden, Herr Seibert? Gibt es dazu irgendwelche rechtliche Möglichkeiten?

StS Seibert: Frau von der Leyen ist jetzt per Beschluss des Europäischen Rates als die Nominierte durch den Europäischen Rat beim Europäischen Parlament sozusagen präsentiert. Der Beschluss des Europäischen Rates ist mit 27 Zustimmungen und einer Enthaltung zustande gekommen. Nun liegt die Sache beim Europäischen Parlament, das seine Aufgabe bei diesem Findungsprozess auszuüben hat.

Zusatzfrage: Bis wann soll die Ministerin noch im Amt sein? Wird das wie bei Frau Barley sein, bis zum letzten Tag, bis sie gewählt wurde? Hat sie quasi ein Sicherheitsnetz für den Fall, dass sie doch nicht vom EU-Parlament bestätigt wird, also quasi durchfällt, sodass sie weiterhin Verteidigungsministerin bleiben wird, oder geht sie jetzt "all in", tritt zurück und verliert dann vielleicht alles?

StS Seibert: Das kann ich Ihnen heute nicht sagen. Das liefern wir zum gegebenen Zeitpunkt nach.

Zusatzfrage: Herr Fähnrich, gibt es schon einen Terminplan?

Fähnrich: Ich habe dem auch nichts hinzuzufügen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir jetzt eine Vorbereitungszeit von, glaube ich, 24 oder 36 Stunden hatten. Es gibt eine Menge zu regeln. Wie Herr Seibert gerade sagte, werden wir das nachliefern. Entscheidungen gibt es zu der Zeit, wenn wir sie treffen. Dann werden wir darüber auch informieren.

Zusatzfrage : Haben Sie Reaktionen aus der Truppe? Wenn man mit der Truppe spricht, dann hört man, dass sie ja froh zu sein scheint, dass sie jetzt weggeht.

Fähnrich: Ich hatte heute keine Reaktion aus der Truppe, weil wir uns der Arbeit vor Ort gewidmet haben. Aber Sie können sich sicher sein, dass die Ministerin jederzeit, auch auf den Reisen, immer sehr viel und gut mit den Männern und Frauen zusammengearbeitet hat und dass sie auch stolz waren, weil sie viele Besuche gehabt hat. Dafür, jetzt ein Resümee zu ziehen, ist es, so würde ich sagen, viel zu früh.

Frage: Herr Seibert, befürchtet die Bundesregierung, dass die, sagen wir einmal, europäische Idee Schaden nimmt, weil das in dem Demokratisierungsprozess wesentliche Spitzenkandidatenprinzip nicht eingehalten wurde? Man kann sagen, es habe nicht können; dennoch hatten sich alle Seiten eigentlich darauf verständigt, dass man so vorgehen soll. Wie groß ist das Risiko, dass diese Reformidee Schaden nimmt?

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin hat sich auch gestern noch einmal zu diesem Spitzenkandidatenmodell bekannt. Sie hat aber auch dargestellt, dass das in einer schwierigen Situation zu entscheiden war. Einerseits hat der Europäische Rat das Ergebnis der Wahlen zum Parlament zu berücksichtigen. Andererseits gibt es Schwierigkeiten dieses Spitzenkandidatenmodells, weil es nicht mehr nur zwei Fraktionen im Europäischen Parlament gibt, die eine Mehrheit gemeinsam stellen können, sondern weil es in diesem Parlament zumindest derzeit keine so klaren Mehrheiten gibt. Die Situation war und ist nicht eindeutig. Wie Sie wissen, hat sich das Europäische Parlament eben nicht auf einen der Spitzenkandidaten einer der beiden großen Fraktionen einigen können. Die Bundeskanzlerin hatte sich in diesen insgesamt drei Verhandlungstagen sehr dafür eingesetzt, für Frans Timmermans und vor allem auch für Manfred Weber eine faire Lösung zu finden. Aber dafür gab es weder im Europäischen Rat noch im Europäischen Parlament genügend Unterstützung. So war es dann notwendig, dass die Staats- und Regierungschefs eine andere Lösung gesucht haben. Denn - ich sage es noch einmal - sie haben nicht nur das Recht, einen Vorschlag zu machen, sondern sie haben auch die Pflicht, einen Vorschlag zu machen. Denn sonst kommt der Prozess gar nicht in Gang.

Die Bundeskanzlerin hat gestern auch gesagt, dass der Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk und Herr Verhofstadt von den Liberalen im Europäischen Parlament, um eine Wiederholung dieser schwierigen - man kann auch sagen: misslichen - Lage in der Zukunft zu verhindern, gemeinsam überlegen sollen, wie man dafür sorgen kann, dass man nach einer künftigen Europawahl bei der künftigen Bestellung eines Kommissionspräsidenten nicht wieder in diese Lage kommt.

Zusatz: Mit anderen Worten: An der derzeitigen Situation ist das Parlament selbst schuld, weil es sich nicht einigen konnte.

StS Seibert: Nein. Ich habe Ihnen beschrieben, welches die Schwierigkeiten waren, die dazu geführt haben, dass die Mitglieder des Europäischen Rates es gestern nötig fanden, einen anderen Vorschlag auf den Tisch zu bringen.

Frage: Herr Breul, eine Frage zu Libyen: Gestern kamen bei einem Luftangriff durch Truppen von General Haftar Dutzende Menschen ums Leben. Gibt es schon eine Reaktion dazu?

Breul: Ja. Die Bundesregierung verurteilt den Luftangriff auf ein Lager für Flüchtlinge und Migranten am gestrigen Dienstag in Tripolis, bei dem mehr als 40 Menschen getötet wurden, auf das Schärfste. Der libysche Präsidialrat spricht von einem Kriegsverbrechen. Aus Sicht der Bundesregierung muss schnellstmöglich aufgeklärt werden, wer für diesen Angriff verantwortlich ist. Die Täter müssen zur Verantwortung gezogen werden.

Weiterhin rufen wir beide Seiten des Konflikts dazu auf, Gespräche unter Leitung der Vereinten Nationen wiederaufzunehmen. Das war unsere klare Botschaft an General Haftar beim Besuch des Nahostbeauftragten in Bengasi am 23. Juni und auch bei den Gesprächen der Bundeskanzlerin und des Bundesaußenministers mit Herrn Sarradsch Anfang Mai. Auch mit dem Vermittler und Sondergesandten der Vereinten Nationen Ghassan Salamé steht die Bundesregierung dazu im engsten Kontakt.

Zusatzfrage: Sehen Sie Haftar als den Verantwortlichen für diesen Angriff an?

Breul: Jetzt ist, wie gesagt, Aufklärung notwendig. Wie Sie wissen, sind wir in Tripolis nicht dauerhaft präsent. Von daher haben wir auch keine eigenen Erkenntnisse zu dem Vorfall. Jetzt sind alle Parteien aufgefordert, dazu beizutragen, dass schnellstmöglich Klarheit darüber herrscht, wie es zu diesem Vorfall kommen konnte.

Zusatzfrage: Die "New York Times" berichtet, dass Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate die Rebellen in Libyen massiv unterstützten. Wie sehen Sie diese militärische Intervention?

Breul: Dieser Bericht liegt mir jetzt nicht vor. Von daher kann ich dazu keine Stellung nehmen. Grundsätzlich gilt - das ist auch dem VN-Sicherheitsrat vorgetragen worden -, dass das gegenüber Libyen bestehende Waffenembargo nicht eingehalten wird. Wir pochen darauf und setzen uns dafür ein, dass dieser Zustand schnellstmöglich beendet wird.

Frage: Herr Seibert, eine Frage zu einer aktuellen Jugendstudie, die besagt, dass Kinder und Jugendliche darüber frustriert seien, zu wenig Mitspracherecht in der Politik und auch in der Schule zu haben. Befragt wurden 8- bis 14-Jährige.

Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung, um Kinder und Jugendliche in bestimmte Prozesse mehr zu integrieren?

StS Seibert: Ich muss gestehen, dass ich diese Umfrage nicht kenne und sie mir gern erst einmal anschauen würde, bevor ich dazu Stellung nehme.

Ich weiß nicht, ob der Vertreter des Jugendministeriums in der Lage ist, auf die zahlreichen Projekte hinzuweisen, die wir in diesem Bereich vonseiten der Bundesregierung betreiben, wobei ich schon einmal sagen würde, dass Mitsprache von 8- bis 14-Jährigen in der Schule natürlich kaum in den Bereich fällt, in dem die Bundesregierung Möglichkeiten hat. Ich glaube, alle in der Politik, und zwar in Regierung wie Opposition, sollten darüber nachdenken, wie politische Arbeit und Arbeit in Parteien so gestaltet werden kann, dass sie auch für junge Menschen attraktiv ist. Dabei ist mit der Digitalisierung sicherlich einiges in Bewegung gekommen. Trotzdem denke ich, dass es alle in der Politik Tätigen beschäftigen muss, wie sie auch diese für uns so wichtige Zukunftsgruppe erreichen.

Kempe: Ich kann das, was Herr Seibert gesagt hat, nur unterstreichen und vielleicht noch ergänzen, dass wir, gerade was das Thema der politischen Beteiligung betrifft, einiges vorzuweisen haben. Wir haben auch noch eine ganze Menge vor. Zum Beispiel arbeiten wir im Bundesfamilienministerium an einer Jugendstrategie der Bundesregierung, im Übrigen gemeinsam mit Jugendlichen. Wir wollen, dass sich das Kabinett dann auch verbindlich zur Verantwortung für die Jugend bekennt.

Die Ministerin hat sich dazu vor einer halben Stunde noch einmal geäußert. Wenn Sie erlauben, trage ich ein Zitat, das diesen Aspekt betrifft, kurz vor. Sie hat gesagt:

"Auch die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist mir ein wichtiges Anliegen. Darum arbeiten wir an einer Jugendstrategie der Bundesregierung Verantwortung für die Jugend bekennt. Die ganze Bundesregierung muss ihren Teil dazu beitragen, Jugend zu beteiligen, Politik mit und für Jugendliche zu machen. Beteiligung ernst zu nehmen, bedeutet auch, Jugendlichen früher eine Stimme bei Wahlen zu geben. Darum setze ich mich dafür ein, das Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken."

Soweit das Zitat von Ministerin Giffey.

Zusatzfrage: Herr Seibert, Wahlrecht ab 16: Finden Sie das auch sinnvoll?

StS Seibert: Das ist nach meinen Informationen nicht Teil des Koalitionsvertrags, und deswegen derzeit auch kein Ziel, an dem diese Bundesregierung arbeitet.

Frage : Herr Seibert, als ein großer Vertreter der Jugend hat Rezo Sie persönlich immer wieder dafür kritisiert, wie Sie hier zum Beispiel Auskunft geben, dass er Sie nicht verstehe, dass Sie künstlich redeten. Nehmen Sie diese Kritik an?

StS Seibert: Ich glaube, es geht nicht darum, wie Rezo mich findet oder wie ich Rezo finde. Wir alle haben doch die Notwendigkeit, uns so auszudrücken, so zu informieren, und zwar hier und auch anderswo, dass möglichst viele Menschen, auch jüngere Menschen, verstehen können, worum es geht. Das nehme ich auf jeden Fall an. Persönlich, als Regierungssprecher, als Chef des Presse- und Informationsamtes beschäftigt uns das tagtäglich.

Zusatzfrage: Werden Sie Ihre Sprache umstellen?

StS Seibert: Warten Sie es ab.

Frage: Heute vor fünf Jahren wurde der Mindestlohn in Deutschland eingeführt. Eine Frage an das Ministerium für Arbeit und Soziales: Glauben Sie, dass der jetzige Mindestlohn und der für 2020 in Höhe von 9,35 Euro geplante reichen, um eine Rente oberhalb der Grundsicherung abzusichern?

Ehrentraut: Die Frage richtet sich, denke ich, an mich. Danke für die Frage. - Zum einen ist zu sagen, dass die Einführung des Mindestlohns 2015 natürlich ein sozialpolitischer Meilenstein war, weil damals vier Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davon profitiert haben, die zuvor zu sehr niedrigen Löhnen gearbeitet haben.

Mit der Einführung des Mindestlohnes wurde aber auch festgelegt, dass über die zukünftigen Anpassungen eine Mindestlohnkommission aus Vertretern von Arbeitnehmern und Arbeitgebern entscheidet, diese Entscheidung also jenseits der Politik stattfindet. Dieser Aufgabe kommt die Kommission auch nach und hat, wie Sie richtig sagten, den Mindestlohn im Jahr 2020 auf 9,35 Euro festgelegt.

Klar war aber auch, dass der Mindestlohn immer nur eine absolute Lohnuntergrenze gegen Lohndumping sein kann. Der Mindestlohn ist nicht als politisch oder rentenrechtlich gesetzter Lohn zum Erreichen einer bestimmten Alterssicherung zu verstehen.

Zur Zukunft des Mindestlohns ist zu sagen: Der Minister hat immer wieder betont, dass sich der Mindestlohn weiterentwickeln müsse. Er hat auch gesagt, dass ein höherer Mindestlohn allein nicht ausreiche. Viel wichtiger ist eine stärkere Tarifbindung. Denn dort, wo es Tarifverträge gibt, sind die Löhne in der Regel höher und auch die Arbeitsbedingungen besser. Das Aushandeln von Tarifverträgen wie auch die Lohnfindung sind allerdings alleiniges Recht und Aufgabe der Sozialpartner, und dieses Recht respektieren wir natürlich.

Zusatzfrage: Gibt es Erkenntnisse darüber, ob es in der Wirtschaft dadurch zu Pleiten kam, dass Leute vermehrt entlassen werden mussten?

Ehrentraut: Alle empirischen Studien zeigen, dass es keine größeren Auswirkungen auf die Beschäftigung gegeben hat, ganz im Gegenteil: Wir hatten in den letzten Jahren vielmehr immer wieder neue Rekorde bei der Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse zu vermelden.

Frage: Ich hätte noch zwei Wissensfragen zum Fall Rackete. Es steht ja die Forderung im Raum, Frau Rackete aus Italien auszuweisen. Da wir ja in der EU leben und Freizügigkeit haben, wüsste ich gerne, vielleicht an das BMJV gerichtet, auf welcher Grundlage das tatsächlich geschehen könnte.

Die zweite Frage geht vielleicht an das BMI und das AA oder an den, der sie beantworten kann: Gab es so einen Fall schon einmal, entweder für einen deutschen Staatsbürger oder dafür, dass man in Deutschland einen EU-Bürger ausgewiesen hat?

Alter: Ich glaube, ich übernehme gleich beide Fragen. Ich kann Ihnen jetzt zu dem konkreten Einzelfall natürlich keine Bewertung abgeben. Ich kann Ihnen aber sagen, dass es im Freizügigkeitsrecht auch ganz grundsätzlich die Möglichkeit gibt, dass EU-Bürger von einem EU-Mitgliedstaat in den jeweiligen Heimatstaat ausgewiesen werden und auch ein Wiedereinreiseverbot bekommen. Solche Fälle kann es geben. Die Tatbestandsvoraussetzungen dafür sind sehr hoch. Ich weiß aber nicht, ob die im konkreten Fall vorliegen.

Könnten Sie die zweite Frage noch einmal wiederholen? Da war ich jetzt schon - - -

Zusatzfrage: Ist Ihnen ein Fall bekannt, in dem das schon einmal einen deutschen Staatsbürger betroffen hat oder die Bundesrepublik sich selbst für so eine Ausweisung eines EU-Bürgers entschieden hat?

Alter: Ich kenne keinen konkreten Fall, in dem ein deutscher Staatsangehöriger von einem EU-Mitgliedstaat ausgewiesen worden wäre. Ich kann das aber gerne prüfen und nachreichen.

Mir ist bekannt, wenn auch ohne konkrete Fallkenntnis, dass es schon vorkam, dass man EU-Bürger aus Deutschland ausgewiesen hat.

Frage: Herr Seibert, wie bewerten Sie denn grundsätzlich die Freilassung der Kapitänin?

StS Seibert: Wir begrüßen diese Freilassung von Frau Rackete sehr. Wenn nun noch weitere Vorwürfe der italienischen Behörden gegen sie im Raum stehen, dann müssen die auf rechtsstaatlichem Wege geklärt werden, und das werden wir weiterhin sehr aufmerksam verfolgen.

Frage: Herr Breul, wie bewerten Sie denn die Einlassung von Herrn Salvini, der Frau Rackete als Gefahr für die nationale Sicherheit Italiens bezeichnet?

Breul: Es wird Sie nicht wundern, wenn ich hier wiederhole, was wir in diesem Fall immer sagen, nämlich dass wir einzelne Aussagen ausländischer Minister nicht kommentieren.

Ich möchte Ihre Frage aber trotzdem zum Anlass nehmen, darauf hinzuweisen, dass wir entschieden gegen Hassreden und Bedrohungen von Seenotretterinnen und Seenotrettern sind, wie es sie jetzt teilweise auch gegen Frau Rackete gibt. Damit meine ich jetzt nicht Herrn Salvini, sondern das, was im Internet sonst noch geschieht und was auch dazu geführt hat, dass sie sich derzeit - so hat es ihre Nichtregierungsorganisation mitgeteilt - aus Sicherheitsgründen an einem geheimen Ort aufhält. Das ist natürlich vollkommen inakzeptabel, und dem stellen wir uns entgegen, diesen Hassbotschaften im Internet.

Zusatzfrage: Herr Seibert, Herr Alter, ist es eine Option, dass Frau Seehofer oder Frau Merkel die Frau Rackete trifft?

Mich würde interessieren, warum Deutschland, wenn man sich so sehr um die humanitäre Not im Mittelmeer kümmert, keine eigenen Bundeswehrschiffe schickt. Man braucht ja keine EU-Mission. Man braucht keine EU-Abstimmung. Man kann doch erst einmal selbst retten. War das heute ein Thema in der Kabinettssitzung, Herr Seibert?

StS Seibert: Nein, das war kein Thema in der Kabinettssitzung.

Zum ersten Teil Ihrer Frage: Von solchen Plänen kann ich Ihnen nicht berichten.

Alter: Ich habe auch keine Kenntnis von solchen Plänen.

Frage: Herr Seibert, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischoff Bedford-Strohm, hat erklärt, die evangelische Kirche werde ein eigenes Rettungsschiff ins Mittelmeer schicken. Er wolle das als Signal an die Politik verstanden wissen. Frage: Wie kommt dieses Signal bei Ihnen an? Unterstützen Sie die Idee eines solchen Kirchenschiffs?

StS Seibert: Das ist zunächst einmal eine Entscheidung der evangelischen Kirche Deutschlands. Die Haltung von Herrn Bedford-Strohm, der ja auch selbst vor Ort war, ist sehr bekannt. Er hat gerade in der vergangenen Woche bei einem Empfang der evangelischen Kirche hier in Berlin, bei dem auch die Bundeskanzlerin und andere Mitglieder des Kabinetts waren, eine Rede gehalten, in der er dieses Thema sehr stark aufgegriffen hat. Ich will mich zu diesem Plan der evangelischen Kirche nicht äußern. Das Wichtige ist: Auf See hat jeder die Pflicht, Menschen zu retten, die in Not sind, und humanitäres Engagement für die Rettung von Menschen auf hoher See verdient Respekt.

Zusatzfrage: Eine Unterstützung dieses Plans entnehme ich diesen Worten nicht, aber Sie nehmen den Plan zur Kenntnis.

Ich hätte eine zweite Frage: Weiß jemand, was mit dem in Gewahrsam genommenen Schiff ist? Ist es noch in einem anderen Hafen? Wird es wieder überstellt werden? Ist die Bundesregierung da in irgendeiner Weise aktiv?

Breul: Ich habe keine Erkenntnisse. Ich nehme an, es ist nach wie vor im Hafen. Es gibt ja auch Schritte der italienischen Behörden, die gegen das Schiff eingeleitet worden sind. Wie auch hinsichtlich der Überprüfung der Handlungsweise der Kapitänin vertrauen wir darauf, dass der italienische Rechtsstaat seinen Aufgaben dabei nachkommt und das überprüft. Fragen nach Einzelheiten müssen Sie dann an die NGO oder ihre Anwälte richten; darüber haben wir keine Informationen.

Frage: Das ist eine Frage an Herrn Seibert und Frau Kalwey. Es gibt ja auch noch eine andere Personalie, die gestern beschlossen wurde, nämlich Frau Lagarde. Herr Seibert, Frau Kalwey, können Sie beide einmal eine Bewertung der Tatsache abgeben, dass durch diese schon gestern getroffene Entscheidung über die EZB-Präsidentschaft doch eine sehr große Nähe auch zu politischen Entscheidungen geschaffen wurde und dass das möglicherweise auch die Unabhängigkeit der EZB infrage stellt? Ist das eine Sorge, die die Bundeskanzlerin umtreibt, oder sieht sie die Unabhängigkeit der EZB von diesem Verfahren in keiner Weise berührt?

StS Seibert: Der Bundesregierung ist und bleibt die politische Unabhängigkeit der EZB wichtig, und niemand macht den Versuch, daran etwas zu ändern. Die Bundeskanzlerin hat gestern in ihrer Pressekonferenz in Brüssel ja auch davon gesprochen, warum sie - in diesem Fall konnte sie ihre Unterstützung aussprechen und musste sich nicht enthalten - eben auch für diese Personalie eingetreten ist, nämlich weil Frau Lagarde nicht nur frühere Finanzministerin ist, sondern durch die langjährige Tätigkeit an der Spitze des Internationalen Währungsfonds, wo sie unbestritten eine Führungspersönlichkeit ist, die Qualifikation dafür mitbringt.

Frage: Die Kanzlerin hat sich also nur bei der Abstimmung über die Personalie von der Leyen enthalten, bei den anderen drei Personalien nicht?

StS Seibert: Richtig, weil es darüber eben keine Einigkeit innerhalb der Bundesregierung gab und sie sich dann entsprechend den Gepflogenheiten innerhalb der Koalition enthalten musste und enthalten hat; bei der anderen Frage war das nicht der Fall.

Zusatzfrage: Heißt das, dazu hat die SPD-Seite innerhalb der Regierung gesagt "Lagarde geht klar"?

StS Seibert: Die Kanzlerin hat dem zugestimmt.

Frage: Ich wollte ja auch von Frau Kalwey hören, wie Minister Scholz diese Personalie bewertet. Immerhin ist Frau Lagarde keinen Notenbankerin. Wenn ich mich recht entsinne, hatte er in der Vergangenheit immer wieder gesagt, dafür müsse man auf jeden Fall die richtige Qualifikation mitbringen. Sieht er sie als ausreichend qualifiziert für diesen Job an?

Dann würde mich noch interessieren, da der IWF-Posten ja jetzt frei wird und bislang immer die Europäer die Besetzung dieses Postens unter sich ausgemacht haben - der war sozusagen für Europa reserviert -, ob die Bundesregierung weiterhin auf diese Tradition beziehungsweise dieses Recht besteht. Es gibt ja auch Forderungen danach, dass jemand aus China oder aus Indien vielleicht einmal auf diesem Platz Platz nehmen könnte.

Kalwey: Zuerst einmal kann ich mich Herrn Seibert natürlich nur anschließen. Dann möchte ich erst einmal sagen, dass es natürlich ein Verfahren dafür gibt. Die Position wird also vom Europäischen Rat gewählt, und zwar auf Vorschlag oder auch auf Empfehlung des Finanzministerrats, der dafür das Europäische Parlament und auch den Rat der Europäischen Zentralbank anhört. Dann wählt der Europäische Rat diese Position, und er wird sie dann auch ernennen. Das ist jetzt erst einmal das Verfahren.

Ganz grundsätzlich kann ich zu Frau Lagarde sagen, dass uns mit Frau Lagarde, also der geschäftsführenden Direktorin des IWF, eine langjährige und konstruktive Zusammenarbeit verbindet. Sie stand Europa auch in schwierigen Zeiten als kompetente Akteurin bei der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise zur Seite. Dem Verfahren, das jetzt erst einmal bevorsteht, will ich hier auch gar nicht weiter vorgreifen.

In dem Zusammenhang steht auch meine Antwort auf Ihre zweite Frage, dass es jetzt erst einmal das Verfahren abzuwarten gilt. Alles Weitere - auch mit Blick auf den IWF - wird sich dann klären. Das ist auch keine Entscheidung, die ich Ihnen jetzt hier erläutern kann.

Zusatzfrage: Heißt das, Sie würden jetzt nicht von vornherein sagen, das solle auf jeden Fall - wie auch immer - im Ermessen Europas stehen, sondern sagen, dass das für Sie eine offene Frage ist, die sich dann klären wird, sobald Frau Lagarde hundertprozentig auf diesem Posten bestätigt sein wird?

Kalwey: Also, noch einmal: Ich habe das Verfahren jetzt erläutert, und es bleibt bei dem, was ich bisher gesagt habe.

StS Seibert: Ich will ganz kurz noch einmal etwas zu diesen Abstimmungsfragen sagen, weil ich, ehrlich gesagt, nachreichen muss, ob eine Abstimmung oder mehrere Abstimmungen gab. Was sicher ist, ist, dass sich die mangelnde Einigkeit innerhalb der Bundesregierung nur auf die Personalie Frau von der Leyen bezog und dass sich die Bundeskanzlerin deshalb enthalten hat. Ich werde herausfinden, ob es eine Gesamtabstimmung über das Gesamttableau gab oder ob es einzelne Abstimmungen waren. Das weiß ich im Moment nicht, weil man da auch nicht mit drinsitzt. Aber das liefern wir nach.

Frage: Herr Breul, ich habe eine Frage zu Afghanistan. Deutschland und Katar planen ein informelles Treffen in den nächsten Tagen zu Afghanistan. Was ist das Ziel dieses Treffens?

Die afghanische Regierung hat sich darüber beklagt, dass sie diesbezüglich nicht konsultiert und auch nicht eingeladen worden sei. Was können Sie dazu sagen?

Breul: Ich kann diese Meldung bestätigen. Dazu hat sich auch unsere Botschaft in Katar geäußert. Gemeinsam mit Katar hat Deutschland wichtige afghanische Akteure zu einer Veranstaltung - einer innerafghanischen Dialogkonferenz - eingeladen, die dazu beitragen soll, den Weg für innerafghanische Verhandlungen zu ebnen. Das kann aber nur gelingen, wenn alle Teilnehmer diesen Rahmen wünschen und gleiche Regeln akzeptieren.

Deutschland und Katar organisieren diese Veranstaltung. Sie sind keine Teilnehmer oder Verhandler bei der Veranstaltung, sondern sollen diesen Dialog ermöglichen. Die Gespräche können helfen, spätere Verhandlungen zwischen allen gesellschaftlichen Kräften Afghanistans über ein Ende des Konflikts und die künftige Verfasstheit des Landes zu ermöglichen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nehmen auf persönlicher Basis teil. Es wurden also keine Gruppen oder Institutionen eingeladen, sondern individuelle Teilnehmer. Sie bilden einen breiten Querschnitt der afghanischen Gesellschaft ab: Politik, Gesellschaft und Geographie. Jetzt geht es darum, bei diesem informellen Dialog - ich wiederhole es noch einmal: keine Verhandlung - den Weg dafür zu ebnen, irgendwann womöglich zu Verhandlungen zu kommen. Das ist ein Versuch dafür, auf diesem Weg Fortschritte zu erzielen. Wir sehen uns dabei als Dienstleister. Ich sage es noch einmal: Wir sind keine Verhandlungspartei, sondern versuchen, im Gespräch mit vielen internationalen Partnern und mit vielen Akteuren in Afghanistan einen positiven Beitrag zu leisten.

Zusatzfrage: Ich stelle noch einmal meine Frage, Herr Breul: Sind Vertreter der afghanischen Regierung dazu eingeladen oder nicht? Wenn nicht, warum nicht?

Breul: Wie gesagt: Es sind keine Vertreter von Institutionen dabei, sondern es sind Individuen eingeladen. Viele der Teilnehmer haben oder hatten Funktionen in der afghanischen Regierung inne.

Frage: Herr Breul, sind denn Individuen der Taliban dabei?

Breul: Ja.

Zusatzfrage : Wie viele?

Breul: Dazu liegen mir keine Zahlen vor. Es geht jetzt auch nicht, wenn ich das noch einmal betonen darf, um Gruppenzugehörigkeiten und Institutionen, sondern es geht darum, durch einen Dialog von Privatpersonen eine Basis zu schaffen. Das sind keine Verhandlungen - sie können nicht substituieren, was in einem zweiten Schritt erfolgen soll -, sondern es geht darum, Vertrauen zu schaffen, ins Gespräch zu kommen und den weiteren Prozess vorzubereiten.

StS Seibert: Meine Kollegen haben mich freundlicherweise an Aussagen der Bundeskanzlerin - es geht noch einmal um die Abstimmungsfrage im Europäischen Rat - aus der gestrigen Pressekonferenz erinnert. Sie hat zur Personalie von Frau Lagarde gesagt:

"Wir haben außerdem eine Entscheidung in Richtung der Empfehlung zur Wahl eines neuen Präsidenten der Europäischen Zentralbank gefällt - auch in diesem Fall zum ersten Mal einer Frau, nämlich Christine Lagarde. Diese Entscheidung ist einstimmig erfolgt. Hier konnte ich also zustimmen und habe auch zugestimmt."

Dann hat sie noch gesagt:

"Wir haben uns dann für Charles Michel als zukünftigen Ratspräsidenten entschieden; auch diese Entscheidung ist einstimmig gefällt worden."

Frage: Herr Breul, ich habe eine Frage zum Iran. Der Iran hat angekündigt, nach Sonntag Uran bis auf höhere Werte als im Atomabkommen zugelassen anzureichern. Wie bewerten Sie das?

Was bedeutet das für das Atomabkommen? Ist es damit tot?

Breul: Wir haben in der Vergangenheit gut daran getan - und werden das auch weiter so handhaben -, dass wir nicht auf Ankündigungen reagieren, sondern auf das, was tatsächlich geschieht, was überprüfbar ist. Es ist im Abkommen ja auch aufgeführt, wie die einzelnen Verfahrensschritte sind. Ganz entscheidend ist das, was die IAEO berichtet. Sie ist vor Ort und überwacht kontinuierlich die Lage im Iran mit Inspekteuren. Dementsprechend ist das für uns der Maßstab für die weiteren Schritte.

Frage: Herr Breul, der iranische Präsident hat heute angekündigt, dass er definitiv ab dem 7. Juli die Urananreicherung erhöhen will. Er hat damit gedroht, dass der Schwerwasserreaktor in Arak wieder reaktiviert wird. Nehmen Sie diese Äußerungen nicht ernst?

Breul: Das habe ich damit nicht gesagt. Ich habe nur gesagt: Das Entscheidende für uns ist, dass sich alle Akteure an das Abkommen halten. Es gibt konkrete Schritte, die getan werden, wenn man den Verdacht hat, dass jemand sich nicht daran hält. Ich habe es gerade schon erwähnt: Das Entscheidende sind die Berichte der IAEO. Das ist sozusagen der Maßstab für konkrete Schritte. Aber unsere Position ist vollkommen klar: Wir erwarten vom Iran, dass er sich an das Abkommen hält. Wir erwarten, dass der Iran die Schritte, die er bereits unternommen hat und die von der IAEO berichtet wurden, rückgängig macht. Das ist unsere Position.

Zusatzfrage: Ab wann wäre das Atomabkommen aus Ihrer Sicht null und nichtig?

Breul: Ich wiederhole es gerne noch einmal: In dem Abkommen sind konkrete Schritte festgelegt. Es gibt Benchmarks; es gibt auch bestimmte Verfahren. Das Abkommen ist als Teil einer VN-Sicherheitsratsresolution öffentlich einsehbar. Ich glaube, in den Paragrafen 36 und 37 sind diese Schritte festgelegt. An diese werden wir uns halten und mit den anderen Partnern in der Joint Commission beraten, welche Schritte wir wann wie unternehmen.

Frage: Herr Seibert, zum G20-Gipfel in Japan. Hat sich die Kanzlerin mit MBS getroffen, also mit Herrn bin Salman? Haben sie sich in irgendeiner Weise ausgetauscht? Haben sie Hände geschüttelt?

StS Seibert: Es gab kein bilaterales verabredetes Treffen. Aber es gab natürlich im Rahmen dieses zweitätigen Gipfels Begegnungen, wie sie mit den anderen 19 Teilnehmern eben auch stattfinden.

Zusatzfrage: Nun ist ja die Rolle von MBS eine besondere. Ihm wird vorgeworfen, den Tod von Herrn Khashoggi angeordnet zu haben, er ist im Jemen aktiv. Waren das Themen, die die Kanzlerin mit ihm besprochen hat?

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin und auch alle anderen Mitglieder der Bundesregierung haben sich zu dem Fall Khashoggi immer wieder geäußert. Unsere Haltung dazu ist ganz klar: Wir verurteilen diesen Mord in aller Schärfe. Es ist ein schrecklicher Mord gewesen. Wir rufen Saudi-Arabien auf, nicht nur eine totale Aufklärung bei diesem Fall zu leisten, sondern eben auch Journalisten zu schützen - im eigenen Land und sowieso auch außerhalb - und das Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit zu achten.

Gleichfalls ist unsere Haltung zum Jemen-Krieg bekannt und auch immer wieder gesagt worden. Die Bundeskanzlerin hat am Rande dieses Gipfels auch dem saudischen Thronfolger unsere Haltung zum Jemen-Krieg sehr klargemacht.

Zusatzfrage: Auch die Forderungen, die Sie gerade vorgetragen haben?

StS Seibert: Unsere Haltung zum Jemen-Krieg und das, was ich hier gesagt habe.

Frage: Herr Breul, Frau Callamard war letzte Woche in Genf. Es gab auch Gespräche mit Ihren Diplomaten. Können Sie sagen, was jetzt die nächsten Schritte sind? Wie wird man mit diesem Prozess weiter verfahren?

Breul: Ich fürchte, ich habe die aktuelle Einschätzung der letzten Woche jetzt gerade nicht vorliegen. Ich kann Ihnen aber kurz die Einschätzung sagen.

Punkt eins. An unserer Haltung, an unserer Aufforderung, an den internationalen Untersuchungen mitzuarbeiten und sowohl die türkischen als auch die saudi-arabischen Ermittlungen und Prozesse voranzutreiben, hat sich nichts verändert. Frau Callamard hat in ihrem Bericht eine Reihe von Empfehlungen gegeben, auch im VN-System Instrumente zu schärfen, um in solchen Fällen anders reagieren zu können. Wir denken, das ist eine sinnvolle Diskussion, die wir jetzt weiter verfolgen können. Das ist das, was ich dazu beitragen kann.

Wenn Sie Einzelfragen zu bestimmen Aspekten des Berichts haben, müssten wir gegebenenfalls am Freitag weiter darüber reden.

StS Seibert: Ich kann vielleicht noch ergänzen: Unsere Haltung ist ja immer gewesen - und bleibt es auch -, dass die Verantwortlichen inklusive der Auftraggeber für diesen grausamen Mord zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Nun haben wir den Bericht von Frau Callamard als UN-Sonderberichterstatterin und fordern Saudi-Arabien auf, auch mit ihr zusammenzuarbeiten, um eben die vollständige Wahrheit transparent und glaubwürdig auf diese Art und Weise zu Tage zu fördern.

Frage: Herr Seibert, der ÖVP-Obmann Sebastian Kurz, der ja vor Kurzem noch Bundeskanzler war, hat heute gesagt, dass er morgen die Kanzlerin und Frau Kramp-Karrenbauer hier in Berlin treffen wird. Können Sie zumindest das Treffen mit der Kanzlerin bestätigen?

StS Seibert: Das kann ich bestätigen. Das ist ein informeller und nicht öffentlicher Termin.

Zusatzfrage: Ist das mit Blick auf die anstehenden Wahlen nicht etwas problematisch? Das könnte ja durchaus auch als Einflussnahme oder Sympathiebekundung für einen der Kandidaten in diesem Wahlkampf angesehen werden.

StS Seibert: Es ist ein Meinungsaustausch, der nicht öffentlich ist.

Frage: Herr Seibert, am Freitag fährt die Kanzlerin zur Westbalkankonferenz nach Polen. Können Sie sagen, was für die Kanzlerin bei diesem Gipfel im Vordergrund steht? Können Sie vielleicht sagen, zu welchen konkreten Themen sie sich dort äußern wird?

StS Seibert: Ich nahm an, dass das möglicherweise am Freitag schon geschehen wäre, als meine Kollegin hier den Termin vorgetragen hat. Ich muss jetzt einmal kurz nachschauen.

Grundsätzlich ist diese Westbalkankonferenz - das wissen Sie; ich finde die Unterlagen jetzt natürlich nicht - die Folge eines Prozesses, den die Bundeskanzlerin hier in Berlin eingeleitet hat: Die Staaten des westlichen Balkans - ob sie nun EU-Mitglieder sind oder nicht; sie alle haben eine europäische Perspektive - an einen Tisch zu holen, um darüber zu beraten, wie man sehr konkret und praktisch die Zusammenarbeit dieser Staaten, die Verbindungen dieser Staaten untereinander verbessern kann.

Man muss dabei bedenken, dass das eine Region ist, in der vor nicht allzu langer Zeit noch blutige Kriege geführt wurden. Es ist eine Region, die eben noch nicht den Grad der Stabilität und der Friedlichkeit hat, den andere Teile Europas in den letzten 70 Jahren erlangt haben. Deswegen gibt es eine Verantwortung, die die Europäer gerade auch für den westlichen Balkan haben. Mit dieser Verantwortung versucht man mit diesem jährlich erneuerten Prozess heranzugehen.

Ich kann Ihnen jetzt - das können wir vielleicht noch nachreichen - keine konkreten Projekte aufzählen, die am Freitag in Posen besprochen werden. Es geht immer wieder um diese sehr praktische Zusammenarbeit. Es ist beispielsweise beim letzten Mal ein Jugendwerk ins Leben gerufen worden, das einfach dafür sorgt, dass serbische, albanische, bosnisch-herzegowinische Jugendliche Möglichkeiten des Austauschs und der Begegnung haben. Das ist etwas, was es vorher nicht gab. Es geht um Verkehrsverbindungen, um energiepolitische Zusammenarbeit. In diesem praktischen Sinne versucht man, im Interesse der Menschen den westlichen Balkan zu unterstützen.

Frage: Weil Polen gerade Thema ist: Herr Seibert, ich hatte letzte Woche gefragt, was die Bundesregierung anlässlich des 80. Jahrestags des Überfalls auf Polen am 1. September plant. Frau Fietz hatte versprochen, etwas nachzureichen.

StS Seibert: Ich kann Ihnen Termine der Bundeskanzlerin in dem Zusammenhang heute noch nicht nennen. Das tun wir wie immer rechtzeitig, aber etwas näher an das Ereignis.

Es gibt Pläne des Bundespräsidenten, denn Polen veranstaltet eine Veranstaltung auf Ebene der Staatschefs. Dazu müsste ich Sie aber bitten, das Bundespräsidialamt zu befragen.

Mittwoch, 3. Juli 2019

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 3. Juli 2019
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/regierungspressekonferenz-vom-3-juli-2019-1645066
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2019

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