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PRESSEKONFERENZ/1694: Statements von Kanzlerin Merkel und Ministerpräsident Conte, 18.06.2018 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz im Bundeskanzleramt - Montag, 18. Juni 2018
Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Conte

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, heute den italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte hier in Berlin begrüßen zu können. Wir haben uns jüngst bei dem G7-Gipfel in Kanada schon kennengelernt. Wir hatten auch schon ein kurzes bilaterales Gespräch. Aber heute gibt es eine breitere Gelegenheit zum Austausch, die wir auch gern nutzen wollen.

Wir wollen an die enge traditionsreiche Zusammenarbeit anknüpfen, die wir mit Italien immer hatten. Ich denke, wir können auf sehr gute bilaterale Beziehungen zurückblicken. Wir möchten auch gern gerade im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit enge Beziehungen knüpfen. Wir wissen, dass Millionen Menschen jedes Jahr auch als Urlauber Italien besuchen. Insofern gibt es zwischen den Gesellschaften sehr, sehr enge Kontakte.

Wir wollen natürlich die Probleme, die wir haben, beim Schopfe packen. Hier geht es auch um die europäische Zusammenarbeit. Italien ist eines der Länder, das sehr viele Flüchtlinge als Ankunftsland aufnimmt. Gerade das Thema beschäftigt uns: Wie kommen wir zu einer stabilen Regierung in Libyen? Wie können wir die Küstenwache Libyens besser ausbilden? Wie können wir mit der libyschen Regierung dafür Sorge tragen, dass die dort anwesenden Flüchtlinge besser untergebracht werden und vor allen Dingen auch durch den UNHCR oder die Internationale Organisation für Migration betreut werden? Wie können wir gegebenenfalls schon dort asylrechtliche Verfahren durchführen? - All das sind Fragen, die wir in den nächsten Monaten miteinander beraten werden und wo wir sehr eng zusammenarbeiten wollen.

Auch Deutschland ist sehr von der Migration betroffen. Deshalb werden wir heute auch darüber sprechen: Wie können wir unsere bilaterale Arbeit in diesem Bereich gegebenenfalls noch verstärken?

Wir wollen den Wunsch Italiens nach Solidarität unterstützen und hoffen, dass auch Deutschland auf Verständnis trifft, wenn es um Solidarität in Europa mit den Fragen der Migration geht.

Völlig einig sind wir uns im Bereich des Schutzes der Außengrenze, dass Frontex hier weiter verstärkt werden muss und natürlich auch, dass in der zukünftigen mittelfristigen finanziellen Vorausschau für die Europäische Union die Themen Bekämpfung der illegalen Migration und Bekämpfung der Schleuserkriminalität große Aufgaben sind. Einigkeit besteht genauso darin, dass wir die Entwicklung in Afrika befördern und zum Beispiel den afrikanischen Trust Fund besser mit Mitteln ausstatten müssen.

Wir wissen, dass Italien aber auch eine ganze Reihe von Problemen im Zusammenhang mit der Jugendarbeitslosigkeit hat. Hier möchten wir sehr gern mit Italien zusammenarbeiten. Ich hatte das dem Ministerpräsidenten bereits in Kanada gesagt. Inzwischen haben sich auch die Arbeitsminister getroffen. Ich kann nur volle Unterstützung zusagen, wenn es darum geht, unsere Erfahrungen auch gerade aus der Zeit der Deutschen Einheit, wo wir sehr viele Arbeitslose hatten weiterzugeben und sie den italienischen Bedingungen anzupassen. Deutschland möchte hier gern hilfreich sein.

In diesem Sinne werden wir heute eine Vielzahl von Themen haben. Ich freue mich, dass sich der Ministerpräsident auf den Weg nach Berlin gemacht hat und wir die Zeit zu Gesprächen haben. Herzlich Willkommen, Giuseppe Conte!

MP Conte: Ich möchte zuallererst Frau Kanzlerin Merkel für die Gelegenheit danken, dieses bilaterale Gespräch am Vorabend wichtiger Treffen zu führen. Ich denke natürlich an den Europäischen Rat Ende Juni. Ein Treffen hatten wir bereits während des G7-Gipfels in Kanada. Wir hatten auch ein bilaterales Gespräch.

Der Einsatz für Europa ist sehr hoch. Die Themen der Migration und vor allem der wirtschaftlichen Governance der Europäischen Union, über die ich mich in diesem bilateralen Gespräch heute mit ihr auseinandersetzen werde, müssen angegangen werden, um ein stärkeres und gerechteres Europa zu bilden, das den Grundbedürfnissen seiner Bürger gerecht werden kann.

Schon auf dem G7-Gipfel und beim Treffen mit Präsident Macron am letzten Freitag habe ich einen neuen Ansatz vertreten, was die Migration betrifft. Die Europäische Union muss ihre Perspektive ändern. Ich glaube, dass sich Deutschland genauso wie wir darüber bewusst ist, dass das Migrationsphänomen sehr viele Auswirkungen hat und es politische, soziale, juristische und wirtschaftliche Folgen haben kann.

Ohne eine Verstärkung der europäischen Verwaltung kann das Migrationsphänomen nicht gelöst werden. Ohne eine europäische Verwaltung wird das Migrationsphänomen unkontrolliert bleiben. Italien kann weiterhin nicht allein handeln. Ich habe in der Vergangenheit die Worte der Frau Kanzlerin geschätzt. (Sie sprach von) angemessenen Solidaritätsmechanismen, die eine gerechtere Aufteilung bewirken. Deshalb halten wir den Vorschlag für die Neufassung der Dubliner Verordnung de facto für überholt. Es ist eindeutig, dass dies nicht die Richtung sein kann.

Die italienischen Grenzen sind europäische Grenzen. Anstatt Spaltungen in Europa bezüglich Verantwortung und Solidarität zu akzeptieren, müssen wir alle zusammen mit einem Ansatz auf mehreren Ebenen handeln. Auf dem Weg, der zum Europäischen Rat führt, möchten wir einige Aktionslinien vorschlagen, die ich teilweise bereits unterbreitet habe. Wir wollen das aktuelle Dubliner System zugunsten eines neuen solidarischen Ansatzes überwinden. Am besten und schneller soll in den Übergangsländern gehandelt werden. Dort sollen die Menschen identifiziert und ihre Asylanträge angenommen werden. Diese Verfahren sollen so schnell wie möglich sein. Auf diese Art können wir den Risiken und den Gefahren vorbeugen, die die Migranten vor sich haben, noch lange vor ihrer Ankunft an den europäischen Grenzen und Küsten.

Die Europäische Union muss den Menschenhandel bekämpfen. Wir müssen wirksamer die Außengrenzen kontrollieren und auch die Probleme verwalten, die mit der Sekundärmigration der Asylbewerber verbunden sind. Wir wollen weiterhin das Völkerrecht achten und nach europäischen Lösungen suchen, ohne bilaterale oder zwischenstaatliche Dynamiken zu entfachen, die das Risiko in sich haben, zum Schengen-Ende zu führen.

Wir haben dann ein Kernthema. Das ist die Bekämpfung der Armut. Dazu gehören auch das Mindesteinkommen und die Reform der Arbeitsvermittlungsstellen. Es sind Reformen, die die soziale Inklusion und die Wettbewerbsfähigkeit unseres wirtschaftlichen Systems begünstigen wollen. Es gibt einige Daten, die Italien betreffen und zu denen ich mich als Ministerpräsident verpflichtet fühle, eine Antwort zu geben.

Letztes Jahr waren 2,7 Millionen Italiener gezwungen, um Hilfe für Mahlzeiten zu bitten. Sie haben ein kostenloses Essen oder Nahrungsmittelhilfe beantragt. Diese Lebensmittelarmut betrifft 55 000 Kinder unter 15 Jahren, nahezu 200.000 ältere Menschen über 65 Jahren und beinahe 100.000 obdachlose Menschen. Meine Regierung hat als primäres Ziel die Bekämpfung der Armut. Tatsächlich wollen wir den Arbeitslosen helfen und die soziale Inklusion fördern. An dieser Stelle spielt Europa auf finanzieller Ebene, aber auch was die Methode betrifft, eine wesentliche Rolle. Was Deutschland betrifft, können wir natürlich nützliche Vorbilder haben, was die Bekämpfung der Armut und der Arbeitslosigkeit betrifft. Beim nächsten Europäischen Rat wird Italien bei der Verhandlung über den mehrjährigen Finanzrahmen seine Stimme deutlich zum Ausdruck bringen, um die europäischen Gelder auf Maßnahmen zu lenken, die die soziale Inklusion befördern.

Was die wirtschaftliche Governance der Europäischen Union angeht, so ist das Ziel ein gemeinsames Ziel. Es ist allerdings notwendig, auch die technischen Instrumente mit denen zu teilen, mit denen wir dieses Ziel erzielen wollen. Es ist nicht nur wichtig, sich ein Ziel zu setzen, sondern es ist auch von wesentlicher Bedeutung, wie wir zu diesem Ziel gelangen. Wenn die Instrumente, die Mittel, nicht angemessen sind, ist das Ergebnis wohl gefährdet. So werde ich der Frau Kanzlerin die italienische Erwartung zum Ausdruck bringen, dass die europäische Wirtschafts- und Währungsunion reformiert wird, wobei die Risiken geteilt werden unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Konvergenz im Eurogebiet noch nicht ausreichend ist. Außerdem ist es von wesentlicher Bedeutung, dass die Instrumente nicht mit einem zwischenstaatlichen Ansatz die Aufgaben ersetzen, die bis jetzt der Europäischen Union sowie den europäischen Einrichtungen zustehen.

Ich werde außerdem die ausgezeichneten Handelsbeziehungen zwischen unseren beiden Ländern (ansprechen). Unsere Handelsbeziehungen sind sehr fest. Der Handelsaustausch hat immer sehr hohe Werte erzielt. Deutschland ist Italiens erster Handelspartner.

Wir werden auch die internationalen Themen behandeln unter besonderer Berücksichtigung Libyens, wo wir weiterhin konstruktiv zusammenarbeiten müssen, um die Stabilisierung des Landes zu fördern. Unter diesem Gesichtspunkt es ist von wesentlicher Bedeutung, die libyschen Behörden bei der Bekämpfung der kriminellen Netzwerke zu unterstützen, die mit Menschen handeln und die Migrationsrouten ausnutzen.

Wir schätzen auch sehr die finanzielle Hilfe Deutschlands. In diesem Bereich ist es aber entscheidend, dass das gesamte Europa eine erneute und konkrete Solidarität zeigt.

Montag, 18. Juni 2018

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Quelle:
Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Conte, 18.06.2018
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2018/06/2018-06-18-pk-merkel-conte.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2018

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