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PRESSEKONFERENZ/1407: Regierungspressekonferenz vom 1. März 2017 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut

Mitschrift der Pressekonferenz - Mittwoch, 1. März 2017
Regierungspressekonferenz vom 1. März 2017

Themen: Inhaftierung des deutschen Journalisten Deniz Yücel in der Türkei, Situation in Flüchtlingslagern in Libyen, Reise der Bundeskanzlerin nach Ägypten und Tunesien, Präventivhaft, mögliche Entschädigungen für Hinterbliebene der Opfer des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, gescheiterter Versuch der Verabschiedung einer Resolution im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien, Kündigungen der Girokonten von in Deutschland lebenden Jemeniten, innenpolitische Lage in Albanien, "Ehe für alle", mögliche weitere Amtszeit von Donald Tusk als EU-Ratspräsident, Vorschläge des SPD-Kanzlerkandidaten zum Arbeitslosengeld, Kampf gegen den IS in Mossul

Sprecher: StS Seibert, Schäfer (AA), Plate (BMI), Wagner (BMWi), Schneider (BMAS)


Vorsitzende Maier eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Frage: Zum Fall Yücel. Mich würde zunächst einmal interessieren: Wer in der Bundesregierung fordert die Freilassung von Herrn Yücel?

StS Seibert: Vielleicht sage ich einmal etwas Einleitendes. Auch das Auswärtige Amt wird sich dazu sicherlich äußern.

Ich möchte für die Bundeskanzlerin noch einmal ganz klar sagen: Wir bedauern sehr und halten es für eine unverständliche Entscheidung, dass gegen Deniz Yücel U-Haft verhängt wurde. Deniz Yücel ist Journalist. Was er in der Türkei getan hat, hat er als Journalist, als Korrespondent einer deutschen Zeitung in einem Land getan, das sich verpflichtet hat, die Pressefreiheit zu achten und das nun ihn und andere Journalisten wegen ihrer journalistischen Tätigkeit verfolgt.

Yücel hat sich der türkischen Justiz und ihren Ermittlungen aus freien Stücken gestellt. Schon deshalb ist es völlig unverhältnismäßig, ihn in U-Haft zu nehmen. Die Bundeskanzlerin und die gesamte Bundesregierung erwarten, dass Yücel so bald wie möglich wieder auf freien Fuß kommt.

Deniz Yücel soll wissen: Wir denken an ihn. Wir setzen uns für ihn, wie schon in den vergangenen Wochen, auf allen diplomatischen Kanälen ein. Wir dringen darauf, dass unsere Konsularbeamten ihn umfassend betreuen können.

Die Bundeskanzlerin hat über diesen Fall bereits ausführlich mit der türkischen Führung gesprochen. Im Auswärtigen Amt ist dem türkischen Botschafter gestern noch einmal die deutsche Position deutlich gemacht worden. Kanzleramt und Auswärtiges Amt setzen sich gemeinsam und eng abgestimmt für Deniz Yücel ein.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich den Blick auch darauf richten, dass noch andere deutsche Staatsbürger unter Vorwürfen, die oft unklar sind, in Haft gehalten werden. Auch für diese Landsleute gilt: Wir erwarten, dass sie fair und rechtsstaatlich behandelt werden und dass ihnen umfassende konsularische Betreuung zukommen kann. Jeder Fall muss so schnell wie möglich geklärt werden. Es darf nicht sein, dass Menschen einfach so auf längere Zeit in Gefängnissen verschwinden.

Zusatzfrage : Die Frage war ja: Wer in der Bundesregierung fordert seine Freilassung? Das höre ich von Ihnen nicht.

StS Seibert: Ich denke, dass Sie das gerade gehört haben.

Zusatzfrage : Herr Schäfer, das Auswärtige Amt hat gestern getwittert, dass der türkische Botschafter einbestellt wurde. Dann ist der Tweet sofort gelöscht und auf "Einladung" umgestellt worden. Warum ist das passiert? Hat man sich geirrt? War es vielleicht sogar eine Einbestellung, und man wollte es einfach nur nicht so nennen, oder warum hat man ihn nicht einbestellt?

Schäfer: Haben Sie jetzt die andere Frage sein lassen und stellen jetzt diese Frage?

Zusatz : Nein. Ich würde nur gerne wissen, wer die Freilassung fordert.

Schäfer: Ich stehe in vollem Umfang hinter dem, was Herr Seibert gesagt hat. Ich glaube, das kann man klarer gar nicht formulieren. Ich bin sicher: Wenn Sie sich wirklich für dieses Thema interessieren, haben Sie ganz bestimmt die Stellungnahme des deutschen Außenministers gestern wahrgenommen und sicherlich auch gelesen. Wenn Sie sie aufmerksam gelesen hätten, dann hätten Sie wohl jetzt nicht unbedingt diese Frage gestellt.

Es ist doch völlig selbstverständlich, dass das, was da geschehen ist - Herr Seibert hat es ausgeführt: 14 Tage nutzloses Polizeigewahrsam ohne jede Vernehmung, ein unverhältnismäßig langer Aufenthalt in der Polizei, jetzt auf unbestimmte Zeit Untersuchungshaft -, aus unserer Sicht nicht das richtige Vorgehen sein kann. Das hat Herr Seibert ganz klar gemacht, und das will ich ausdrücklich bekräftigen.

Zu dem Tweet kann ich nur sagen. Das ist ein Büroversehen, für das ich die volle Verantwortung übernehme. Das, was da getwittert wurde, war schlicht falsch. Das ist innerhalb von zehn Minuten richtiggestellt worden, und damit ist es auch erledigt. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Frage: Herr Schäfer, wenn Sie vielleicht zu dem Besuch noch etwas sagen könnten. Wie lange hat er gedauert? Wie ist er abgelaufen?

Noch eine andere Frage: Herr Seibert, die Fraktion Die Linke im Bundestag hat gestern gefordert, die Bundeskanzlerin möge ihren für April geplanten Besuch in der Türkei absagen. Gibt es diese Planungen, oder was steht dahinter?

StS Seibert: Wenn ich das kurz aus der Welt räumen darf. Am Sonntag wurde durch die "Bild am Sonntag" insinuiert, dass die Bundeskanzlerin plane, im April in die Türkei zu reisen. Das war am Sonntag falsch, und das ist auch heute falsch. Es gibt keine derzeitigen Türkei-Reisepläne der Bundeskanzlerin.

Schäfer: Vielleicht ist Ihre Frage ein guter Anlass, noch einmal auf die Gepflogenheiten im internationalen Staatenverkehr hinzuweisen. Es ist guter Brauch und seit Jahrhunderten üblich, dass, wenn eine Gastregierung - diesem Fall das Auswärtige Amt, das die deutsche Bundesregierung vertritt - in das Bedürfnis hat, einer anderen Regierung offiziell eine bestimmte Botschaft zu übermitteln, dafür der Botschafter in der Regel in das Außenministerium gebeten wird. Das haben wir gemacht.

Die Tonalitäten - ob "einbestellt", "zum Gespräch gebeten", "zum Kaffee geladen" oder "Kaffee und Kuchen gereicht" - sind letztlich eigentlich gar nicht so wichtig. Ich kann verstehen, dass für Sie die Tonlage wichtig ist; für uns ist es das vielleicht auch. Für uns ist aber das Entscheidende, dass vor dem Hintergrund einer für Herrn Yücel schwierigen Lage, einer schwierigen Lage für die deutsch-türkischen Beziehungen, einer Lage, in der wir die dringende Notwendigkeit gesehen haben, der türkischen Regierung zu sagen, was wir von den Entscheidungen in Istanbul halten, der türkische Botschafter gestern in das Auswärtige Amt gekommen ist.

Walter Lindner, unser neuer Staatssekretär, hat eine gute halbe Stunde mit dem türkischen Botschafter gesprochen. Es ist auch guter Brauch, dass ich als Sprecher des Auswärtigen Amtes und damit als Sprecher von Walter Lindner nicht über das spreche, was der türkische Botschafter gesagt hat. Das ist in der Verantwortungssphäre der türkischen Kollegen.

Was Staatssekretär Lindner dem türkischen Botschafter gesagt hat, hat Ihnen gestern lang und breit der deutsche Außenminister erläutert. Das kann ich gerne noch einmal ausführen, wenn Sie das wünschen. Aber ich glaube, das ist jetzt nicht unbedingt nötig.

Wir haben jetzt eine Situation - jetzt ist es Mittwochmittag -, in der der zweite Tag, bald der dritte Tag der Untersuchungshaft läuft. Die türkische Strafprozessordnung sieht vor, dass es die Möglichkeit einer relativ zügigen Haftprüfung gibt. Ich gehe sicher davon aus, dass die Anwälte von Herrn Yücel die Gelegenheit nicht verstreichen lassen werden, erneut zu beantragen, dass Herr Yücel im Rahmen des Ermittlungsverfahrens, für das er, wie Herr Seibert es gerade schon gesagt hat, in vollem Umfang weiter zur Verfügung steht, nicht seine Freiheit entzogen bekommen muss. Das sind ein Wunsch und eine Forderung des deutschen Journalisten, die wir nachvollziehen können und die wir unterstützen.

Frage: Herr Seibert, die Opposition hat gefordert, dass dieser Fall zum Anlass genommen werden sollte, auch andere Aktivitäten, Beziehungen oder Verabredungen mit der Türkei auf den Prüfstand zu stellen. Es geht um das Migrationsabkommen, aber auch um andere Themen. Plant die Bundesregierung, diesen Fall mit einer generellen Revision der Türkeipolitik zu verknüpfen?

Herr Schäfer, gibt es Abstimmungen mit anderen EU-Regierungen, dass auch die in Ankara Druck machen? Denn ich könnte mir vorstellen, dass auch deren Staatsangehörige im Moment zum Teil in türkischen Gefängnissen sitzen.

StS Seibert: Ich will vielleicht grundsätzlich sagen, dass durch diesen Fall das Verhältnis zur Türkei natürlich belastet ist - das hat auch der Außenminister gestern klargemacht -, auch nicht erst durch diesen Fall. Die fortlaufenden Einschränkungen demokratischer Freiheiten in der Türkei sind schon länger zu beobachten. Die Bundesregierung, auch die Bundeskanzlerin haben das schon länger öffentlich klar angesprochen.

Nun geht die Türkei, die türkische Justiz gegen Deniz Yücel, einen Landsmann von uns, einen Journalisten, vor. bedeutet schon eine Belastung unseres Verhältnisses. Wir wollen diese Belastung nicht. Sie schadet beiden Seiten. Wir hoffen, dass sich dieser Gedanke auch auf der türkischen Seite durchsetzt.

Konkret auf das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen angesprochen, muss man feststellen, dass es eine positive Wirkung entfaltet hat. Es hat den Schleppern und den Menschenhändlern das Geschäft entlang der türkischen Küste weitgehend entzogen. Das heißt, dass eben nicht mehr Tausende von Menschen auf untauglichen Booten in See stechen und Hunderte dabei ihr Leben verlieren. Das war die Situation vor dem Inkrafttreten des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens. Im Rahmen dieses Flüchtlingsabkommens hat die EU große Summen für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der vielen Flüchtlinge, die die Türkei aufgenommen hat, zur Verfügung gestellt. Wir haben im Übrigen immerhin den Anfang gemacht, illegale Migration durch legale Zugangswege zu ersetzen. All das ist im deutschen Interesse, im europäischen und im türkischen Interesse.

Wie es der Situation der Inhaftierten und der Pressefreiheit in der Türkei helfen sollte, dass man all dies nun aufkündigt und dass man die Schlepper zurück in ihr kriminelles Geschäft lässt, das konnte mir bisher niemand erklären.

Schäfer: Ich würde das für den deutschen Außenminister gerne ergänzen, vielleicht mit dem Versuch, das in einem Satz zu sagen. - Ich glaube, es ist angesichts der komplizierten, sehr umfassenden, sehr breit angelegten Beziehungen weder politisch vernünftig, noch ist es im Sinne von Deniz Yücel, dass wir da asymmetrische Verknüpfungen mit anderen Politikfeldern vornehmen. Das schadet, glaube ich, nur allen und würde uns vielleicht diejenigen auf den Leim gehen lassen, die ein Interesse daran haben, die deutsch-türkischen Beziehungen noch weiter zu beschädigen, als es ohnehin schon der Fall ist.

Zu Ihrer zweiten Frage: Der Außenminister hat es gestern Abend auch gesagt. Ich bin ziemlich sicher, dass die türkische Regierung ein Bild davon hat, welche Haltung in ganz Europa zu dem Fall Yücel herrscht. Dazu hat es auch in anderen Medien, in der Öffentlichkeit in Europa einige Berichterstattungen gegeben. Ich glaube, es ist auch aus diesem Grund nicht erforderlich, eine Art europäische konzertierte Aktion zusammenzubringen. Wir haben gestern sehr ermutigende und sehr unterstützende Äußerungen von der Kommission und der Europäischen Union in Brüssel erhalten, die ebenso wie wir um die Lage der Pressefreiheit und um den Fall Yücel in großer Sorge sind. Ich glaube, die Botschaft ist sehr klar in Ankara und in Istanbul angekommen. Da bin ich ziemlich sicher.

Ich nehme darüber hinaus noch etwas auf, was Herr Seibert gerade schon gesagt hat, und liefere vielleicht noch ein paar Zahlen nach. Hier und heute - ich habe gerade die Kollegen in der Rechtsabteilung gefragt - sind noch sechs deutsche Staatsangehörige, von denen die meisten auch türkische Staatsangehörige sind, im Zuge von strafrechtlichen Ermittlungen nach dem Putschversuch in der Nacht vom 15. Juli in türkischer Untersuchungshaft. Für die setzen wir uns, auch wenn das öffentliche Interesse an diesen Fällen nicht so groß ist wie am Fall Yücel, natürlich mit der gleichen Intensität für konsularische Betreuung und für einen möglichst zügigen Abschluss des Ermittlungsverfahrens mit einem guten Ende ein. Natürlich denken wir auch an viele andere Journalisten, die sich in der Türkei wegen ihrer journalistischen Arbeit - oder obwohl sie auch journalistische Arbeit gemacht haben - in Haftanstalten befinden und denen dort der strafrechtliche Prozess gemacht wird.

Wir haben an dieser Stelle schon sehr häufig darüber gesprochen, dass wohl kein Land in den letzten Jahren einen so tiefen Absturz auf den unterschiedlichen Tabellen der Pressefreiheit genommen hat wie die Türkei.h das sehen wir mit großer Sorge. Das wird selbstverständlich zu passender Gelegenheit und in Kürze mit den türkischen Vertretern aufgenommen und besprochen. Das wird nicht nur in der Öffentlichkeit besprochen. Deshalb war es Herrn Gabriel gestern auch so wichtig, mit dem türkischen Botschafter direkt das Gespräch zu führen.

Frage: Danke für die nachgereichte Zahl. Herr Schäfer, meine Frage bezieht sich genau darauf. Herr Seibert hatte gesagt, für diese Fälle werde eine volle konsularische Betreuung gefordert. Das kann man ja nur fordern, wenn sie derzeit nicht gegeben ist. Können Sie bitte einmal schildern, in welcher Weise die konsularische Betreuung derzeit eingeschränkt ist?

Die zweite Frage: Wäre Herr Erdogan im derzeitigen Status als Wahlkämpfer eine unerwünschte Person in Deutschland?

Schäfer: Wir haben es, was die konsularische Betreuung von deutschen Staatsangehörigen in Haft angeht, eigentlich mit einer sehr kooperativen Türkei zu tun. Wir machen ganz gute Erfahrungen mit dem völkerrechtlichen Anspruch, den wir gegenüber der Türkei haben, dass, wenn deutsche Staatsangehörige in Polizeigewahrsam, Untersuchungshaft oder Haft geraten, deutsche Konsulate davon in Kenntnis gesetzt werden, damit sie die Möglichkeit erhalten, mit den deutschen Staatsangehörigen Kontakt aufzunehmen und zu fragen, ob sie konsularisch betreut werden wollen. So ist die Regelung in dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen.

Bei Doppelstaatlern ist das komplizierter, weil da das völkerrechtliche Prinzip der sogenannten effektiven Staatsangehörigkeit gilt. Das bedeutet, dass man aus Sicht der Türken im Falle eines deutsch-türkischen Doppelstaatlers guten Gewissens und in vollem Einklang mit dem Völkerrecht die Position und Haltung vertreten kann: Der ist für uns ein Türke und kein Deutscher. Deshalb notifizieren wird das nicht den deutschen Konsulaten.

Wir haben gerade wegen der öffentlichen Aufmerksamkeit des Falles Yücel im Auswärtigen Amt Kontakt mit den zuständigen Behörden der Bundesländer in Deutschland aufgenommen, um zu schauen, wie unsere Verwaltungspraxis in dieser Frage ist. Die Antwort lautet: In den allermeisten Fällen unterrichten - das sind die Behörden der Bundesländer, die für den Strafvollzug und auch für die Strafverfolgung zuständig sind - die zuständigen deutschen Länderbehörden die türkischen Konsulate über die Inhaftierung oder Inhaftnahme von einem deutsch-türkischen Staatsangehörigen, einem türkischen Staatsangehörigen, auch dann, wenn er auch Deutscher ist. Das heißt, wir gehen bei der Notifizierung von so etwas über unsere völkerrechtlichen Pflichten hinaus. Wir wünschen uns, ohne dass darauf ein völkerrechtlicher Anspruch bestünde, dass die Türken das in ähnlicher Weise machen.

Ein Punkt, den Außenminister Gabriel gestern zu den Gesprächen mit dem türkischen Botschafter besonders herausgehoben hat, war: Wir wünschen - und erwarten eigentlich auch -, dass für deutsche Konsularbeamte die Gelegenheit besteht, bei Herrn Yücel und auch bei den vier deutsch-türkischen Doppelstaatlern eine konsularische Betreuung vorzunehmen. Ehrlich gesagt - auch einmal politisch gesprochen -, glaube ich, ist es im Interesse der Türkei, dass das Auswärtige Amt die Gelegenheit bekommt, sich über ordnungsgemäße Haftbedingungen zu informieren, damit in der deutschen Öffentlichkeit keine unrichtigen Vorstellungen über die Art und Weise der Inhaftierung von Herrn Yücel und anderen aufkommen können. Wir haben aber auf diese Anfrage - das ist auch kein Wunder; das ist gerade erst 18 Stunden her - noch keine positive, aber auch keine negative Antwort der Türken und sind deshalb zuversichtlich, dass uns dieser Wunsch nicht abgeschlagen wird.

Zusatz: Die zweite Frage ist noch offen.

StS Seibert: Uns liegt weiterhin keine Ankündigung des türkischen Staatspräsidenten vor, zu einer Veranstaltung nach Deutschland kommen zu wollen. Deswegen ist das zunächst einmal eine theoretische Diskussion.

Ich will grundsätzlich dazu sagen: Wir als Bundesregierung beklagen aus Überzeugung, dass die Meinungs- und die Pressefreiheit in der Türkei derzeit in einer nicht hinzunehmenden Weise eingeschränkt werden. Wenn wir das in einem anderen Land aber beklagen, dann sollten wir in unserem eigenen Land besonders darauf achten, dass wir die Presse-, die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit hochhalten - immer im Rahmen von Recht und Gesetz; das versteht sich von selbst -, dass wir also das leben, was wir von anderen fordern.

Frage: Ich habe noch eine Verständnisfrage. Herr Seibert hat gerade schon von einer Belastung gesprochen. Herr Schäfer, der Außenminister hat gestern noch davon gesprochen, dass wir vor einer Belastungsprobe stehen könnten. Gibt es da einen Unterschied zwischen den Auffassungen des Kanzleramtes und des Außenministeriums?

Herr Schäfer, noch eine Lernfrage: Was wird den weiteren sechs Deutschen in der Türkei denn vorgeworfen? Warum sitzen sie in Haft? Können Sie vielleicht auch sagen, für wie viele Deutsch-Türken von türkischer Seite Ausreisesperren verhängt wurden?

Schäfer: Ich glaube, Sie wollen mit Ihrer Frage jetzt eigentlich nur den Beweis antreten, dass Sie tatsächlich gelesen haben, was Herr Gabriel gestern gesagt hat. Ich schaue das gerade einmal nach.

Zusatz : Ganz zum Schluss.

Schäfer: Genau.

StS Seibert: Da hat er aber nicht von "könnte" gesprochen, sondern er hat gesagt: "Denn es" - das deutsch-türkische Verhältnis - "steht gerade vor einer der größten Belastungsproben in der Gegenwart." Ich glaube, alle Versuche, uns mit Worten und Kommas hier auseinanderzutreiben, werden scheitern, weil das Kanzleramt, die Bundeskanzlerin, das Auswärtige Amt und der Außenminister gerade in dieser Frage sehr eng, sehr abgestimmt und sehr einig vorgehen.

Schäfer: Dass Herr Seibert sogar schneller den O-Ton des Außenministers parat hat als ich, ist wohl der letzte Beweis dafür.

Was war Ihre zweite Frage?

Zusatzfrage : Was wird den sechs Deutschen vorgeworfen? Warum sitzen die in Haft? Gibt es Ausreisesperren für Deutsch-Türken in der Türkei?

Schäfer: Ich bin grundsätzlich bereit, sofern man das machen kann, ohne die Persönlichkeitsrechte und Datenschutzsachen zu verletzen, das zu sagen. Das habe ich aber nicht dabei. In allen Fällen geht es, glaube ich, um Straftaten, die in einem irgendwie gearteten Kontext mit dem Putschversuch stehen und dem daraus resultierenden Vorgehen der türkischen Strafverfolgungsbehörden gegen Personen, die daran präsumtiv in irgendeiner Weise beteiligt gewesen seien.

Zusatzfrage : Das andere Thema war noch die Ausreisesperren.

Schäfer: Ich glaube, auch so etwas gibt es. Die Zahl habe ich nicht parat. Das kann ich gerne nachreichen.

Frage: Herr Seibert, all das, was Sie in Ihren Eingangsworten vorgetragen haben, wird die Kanzlerin dem türkischen Ministerpräsidenten Yildirim ja schon persönlich vor zwei Wochen als Besorgnis geschildert haben. Ist ihr in diesem Gespräch der Eindruck vermittelt worden, dass man diese Besorgnis versteht und möglicherweise eine schnelle Lösung finden wird? Ist ihr umgekehrt vermittelt worden, dass man sich für diese Besorgnis nicht interessiert? Was ist also eigentlich in der direkten Begegnung zwischen Frau Merkel und Herrn Yildirim an Signalen gesendet worden, die jetzt entweder enttäuscht wurden oder die verstanden wurden?

StS Seibert: Ich möchte es mit diesem Gespräch zwischen der Bundeskanzlerin und Ministerpräsident Yildirim nicht anders als mit anderen Gesprächen der Bundeskanzlerin halten. Sie sind vertraulich. Wir haben über die Themen Auskunft gegeben. Wir haben gesagt, dass dieses Thema intensiv und ausführlich besprochen wurde. Unsere Haltung ist Ihnen, glaube ich, damals und erst recht heute klargemacht worden. Ich kann hier und möchte hier nicht für den türkischen Ministerpräsidenten sprechen.

Zusatzfrage: Dann würde ich gerne noch einmal nach der Kanzlerin fragen: Konnte die Kanzlerin nach dem Gespräch den Eindruck haben, dass dieser Konflikt anders gelöst werden würde, als jetzt mit Gefängnis und Untersuchungshaft entschieden wurde?

StS Seibert: Die Bundesregierung hat sich über viele Wochen hinweg dafür eingesetzt - und zwar das Kanzleramt und das Auswärtige Amt unisono -, dass der Fall Yücel eine andere Lösung findet als die, auf die er gerade zutreibt. Wir werden nicht nachlassen, das zu tun.

Zusatzfrage: Das war nicht meine Frage. Meine Frage war: Hat sie aus dem Gespräch den Eindruck mitnehmen können, dass es eine schnellere Lösung gibt?

StS Seibert: Es geht doch nicht um Eindrücke. Es geht doch um Realitäten und um Fakten. Die Fakten sind nun leider so, dass gegen Deniz Yücel, der sich freiwillig gestellt hat, in völlig unverhältnismäßiger Weise U-Haft verhängt worden ist. Daraus ergeben sich die Forderungen und Erwartungen, die wir hier für die Bundesregierung ausgedrückt haben. Wir werden weiter auf allen möglichen diplomatischen Kanälen an diesem Fall dranbleiben.

Frage : Herr Schäfer, ich habe noch eine Frage zu dem österreichischen Außenminister. Der hat ja klar und deutlich gesagt, dass ein Wahlkampfauftritt von Herrn Erdogan in Österreich unerwünscht ist. Darauf gab es eine Reaktion des türkischen Außenministeriums, das Kurz eine rassistische Haltung und Islamophobie vorgeworfen hat. Wie bewerten Sie diese Reaktion der türkischen Seite? Haben Sie davor Angst und sagen halt nicht dasselbe wie Herr Kurz?

Schäfer: Ich persönlich habe vor so etwas nicht Angst. Ich kenne auch keinen, der Angst vor einer Reaktion des türkischen Außenministeriums hätte.

Die Haltung des österreichischen Außenministers habe ich selbst in Agenturmeldungen gelesen beziehungsweise ich habe die Haltung in den Gesprächen, die der deutsche Außenminister vorgestern mit dem österreichischen Außenminister geführt hat, verfolgt. Ich glaube, dabei ist das im Delegationsgespräch auch zur Sprache gekommen. Ich war in Wien allerdings nicht mit dabei. Wie sich die österreichische Bundesregierung dazu positioniert, weiß ich nicht genau. Ich kenne die Äußerungen des österreichischen Außenministers.

Wie sich die Bundesregierung zu einem gegebenenfalls irgendwann aufkommenden Besuchswunsch des türkischen Präsidenten stellt, hat damit grundsätzlich erst einmal gar nichts zu tun.

Zusatzfrage : Ich habe noch eine Nachfrage zu dem zweiten Punkt von Herrn Gabriel in seiner Stellungnahme. Darin hat er von "Gutwilligen auf beiden Seiten" gesprochen. Meint er damit Gutwillige aufseiten der türkischen Regierung oder aufseiten der türkischen Gesellschaft?

Schäfer: "Auf beiden Seiten" meint in diesem Fall, dass es ganz viele - wahrscheinlich Millionen - Deutsche gibt, die gute, gutnachbarliche, menschliche, freundschaftliche, familiäre Beziehungen mit Türken pflegen, und umgekehrt. Es gibt vielleicht nur zwei Länder oder ein Land, mit dem Deutschland so enge, intensive Beziehungen unterhält wie mit der Türkei. Die Existenz dieser sehr engen und guten zwischengesellschaftlichen Beziehungen schließt überhaupt nicht aus, dass es auf beiden Seiten auch politisch Verantwortliche, auch Abgeordnete und auch Regierungsmitglieder gibt, die Interesse an allerbesten Beziehungen mit der Türkei haben. Für die Bundesregierung kann ich in Anspruch nehmen - für den Außenminister erst recht -, dass das auf jeden Fall gilt. Ich bin sicher, dass es auch in der türkischen Regierung Vertreter gibt, die ein Interesse an guten, gedeihlichen, freundschaftlichen, gutnachbarschaftlichen und intensiven politischen, menschlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen mit der Türkei haben.

Frage: Es geht um die Flüchtlingslager in Libyen. Außenminister Gabriel sprach jüngst von KZ-ähnlichen Zuständen in etlichen der Flüchtlingslager. Ähnliche Worte haben vor Kurzem auch Diplomaten des Auswärtigen Amtes im Mund geführt. In Libyen existiert ja tatsächlich seit der Nato-Intervention keine Staatlichkeit mehr. Wie will die Bundesregierung denn jetzt tatsächlich die menschenwürdige Unterbringung garantieren?

Schäfer: Ich kenne keine Äußerung - weder des amtierenden noch des vorhergehenden Außenministers -, die so ist, wie Sie sie zitieren.

Zuruf: KZ-ähnliche Zustände!

Schäfer: Ich habe verstanden, was Sie gesagt haben. Auch wenn Sie das wiederholen, sage ich Ihnen noch einmal: Ich kann mich nicht erinnern, dass so etwas vom deutschen Außenminister gesagt worden wäre. Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren. Es ist aber auch egal. Der Außenminister hat sich in der letzten Zeit mehrfach zur Frage von möglichen Auffanglagern in Nordafrika geäußert.

Zum Thema Libyen - das kann ich jetzt nicht zitieren, aber ich kann es Ihnen inhaltlich wiedergeben - hat er gesagt: In Libyen haben wir verdammt viel Mühe, dabei zu helfen, wieder irgendwie geordnete staatliche Strukturen zu schaffen. Der deutsche Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, Martin Kobler, müht sich wie seine Vorgänger redlich, die Vereinbarungen, die es da zwischen den verschiedenen Gruppen der libyschen Gesellschaft gibt, in die Tat umzusetzen und die politische Vereinbarung in einer Weise in die Realität umzusetzen, die in Libyen eine echte Staatlichkeit entstehen lässt. Die libysche Regierung sitzt in einer Marinebasis in Tripolis und hat schon Mühe, sich überhaupt in Tripolis, der Hauptstadt, frei zu bewegen, ohne dass Milizen sie daran hindern oder es zu Gefechten kommt. In einer solchen Situation sind die durch Libyen durchreisenden Flüchtlinge und Migranten die Allerärmsten und die, die am meisten darunter leiden, weil niemand in Libyen ein Interesse daran hat oder die Überzeugung hat, die wir haben, dass man alle Menschen menschenwürdig behandeln muss und sie eben nicht missbraucht, misshandelt oder andere schreckliche Dinge mit ihnen tut.

Die Auffassung des Außenministers ist relativ einfach: Wir müssen, wenn wir durch Libyen gehende Migrationsströme wirklich stoppen wollen, auch mit allen Kräften dafür sorgen, dass es Staatlichkeit in Libyen gibt, und zwar effektive Staatlichkeit. Das ist ein verdammt dickes Brett, das die internationale Gemeinschaft seit der militärischen Auseinandersetzungen des Frühjahrs 2011 bohrt, seit Gaddafi nicht mehr das Land regiert. Das kostet viel Mühe. Das hat bisher leider nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Das ist aber gar kein Grund, davon abzulassen. Das ist, glaube ich, das Allerwichtigste und das Allererste, das jetzt getan werden muss.

Natürlich müssen wir darüber hinaus auch Konzepte dafür entwickeln - das tut die Europäische Union unter Beteiligung der Bundesregierung; angesichts der Lage in Libyen können wir die Hände ja nicht einfach in den Schoß legen -, wie wir Schlepperkriminalität eindämmen können und wie wir Migrationsströme durch Libyen kontrollieren und begrenzen können. Dafür gibt es eine ganze Menge Konzepte, die auf dem Tisch liegen, von denen einige wie zum Beispiel die EU-Mission Sophia ja auch schon längst und seit Jahren in die Tat umgesetzt worden sind.

StS Seibert: Ich will ganz kurz noch etwas zu den Bedingungen in den Flüchtlingseinrichtungen in Libyen hinzufügen. Dass diese Bedingungen oft sehr schlecht sind, ist uns und ist auch der Bundeskanzlerin sehr bewusst - nicht nur, weil wir die Berichte kennen, sondern auch, weil sie bei ihrer Reise nach Niger mit Rückkehrern aus Libyen gesprochen hat. In einer Einrichtung der Internationalen Migrationsorganisation in der nigrischen Hauptstadt hat sie mit diesen Libyen-Rückkehrern gesprochen, und die haben sehr eindrücklich von dem berichtet, was sie in Libyen erlebt und erlitten haben.

Als erster Schritt wäre es jetzt wichtig - das ist die deutsche Forderung, das ist die europäische Forderung -, dass UNHCR-Personal Zugang zu solchen Einrichtungen hat, um zu überprüfen, wie Menschen dort behandelt werden, und um eine bessere Behandlung herbeiführen zu können. Das ist eine ganz klare Forderung, die wir haben.

Zusatz: Es war ja auch gerade der deutsche Botschafter in Niger, der von KZ-ähnlichen Zuständen in etlichen Lagern gesprochen hat.

Schäfer: Wer war es denn jetzt, der Botschafter oder der Minister?

Zusatzfrage: Beide! Es ist ja nach wie vor geplant, dass diese Auffanglager in Libyen für Flüchtlinge geplant werden sollen, und das war sozusagen meine Ausgangsfrage. Wie soll die Sicherheit für diese Menschen ob dieser Zustände garantiert werden?

StS Seibert: Sie surfen da gerade ziemlich bedenkenlos durch die Fakten, wenn ich das sagen darf.

Zusatzfrage: Inwieweit?

StS Seibert: In Libyen ist es uns doch gar nicht möglich, irgendwelche Einrichtungen zu planen. In Libyen - das haben wir hier nun so oft besprochen - fehlt es an der notwendigen Staatlichkeit. In Libyen sind wir bemüht, dazu beizutragen, dass das Land wieder eine einheitliche, das ganze Territorium umfassende staatliche Autorität haben kann. Das ist jetzt doch erst einmal der Ansatz.

Der zweite Ansatz ist, dass wir die Bedingungen in diesen Einrichtungen verbessern wollen, indem wir erst einmal das UNHCR dort hinlassen. Wir planen dort erst einmal gar keine Einrichtungen. Insofern ist das Faktum, das Sie hier behaupten, falsch.

Zuruf: Ich hatte nur Herrn de Maizière wiedergegeben. Aber vielen Dank für die Klarstellung!

Plate: Ich möchte dazu sagen: Da werden dauernd Zitate oder vermeintliche Zitate in den Raum geworfen. Jetzt sagten Sie, Sie hätten Herrn de Maizière wiedergegeben. Ich weiß, ehrlich gesagt, gar nicht, womit.

Ich möchte vielleicht einfach nur einmal Folgendes sagen, auch zur Position des BMI: Man muss den ersten Schritt vor dem zweiten machen. Jetzt ist es einfach so, dass die Arbeiten am europäischen Asylsystem, zu denen auch gehört, dass man sich intensiv Gedanken über einen möglichen Krisenmechanismus macht, Priorität haben. Das ist im Moment das, was Priorität hat. Erst danach - vorausgesetzt, es kommt zu einem erfolgreichen Abschluss - kann man sich über weitere Schritte Gedanken machen, über Auffanglager, wie Sie es nennen, oder was auch immer.

Es geht ja in den Überlegungen, die der Innenminister genannt hat, immer um das Prinzip, das, was zwischen der Türkei und der EU vereinbart worden ist, möglicherweise perspektivisch auf andere Staaten oder auf die Beziehungen zu anderen Staaten zu übertragen, die eine gemeinsame Grenze mit der EU haben. Im Rahmen all dieser Überlegungen hat er immer gesagt: Wie auch immer das aussieht, ist völlig klar, dass das ein sehr dickes Brett ist. Es ist auch ganz klar, dass die Bedingungen dort vor Ort, wo auch immer das sein mag - Libyen haben Sie jetzt zunächst einmal genannt -, jedenfalls mit der EMRK vereinbar sein müssen. Im Übrigen kann ich mich, ehrlich gesagt, nur meinen Vorrednern anschließen.

Frage: Herr Schäfer, ich hätte ganz gerne nach der von Ihnen erwähnten angestrebten Staatlichkeit gefragt. Russland hat ja die Beziehungen zu dem Rebellenführer Haftar im Osten des Landes - mit ein Grund dafür, dass dort keine Staatlichkeit hergestellt werden kann - in den letzten Wochen verstärkt. Sehen Sie den Einfluss Russlands eigentlich positiv oder negativ, weil versucht wird, jetzt alle Kräfte einzubinden?

Gibt es eigentlich Hinweise darauf, dass die Haftar-Miliz auch eigene Flüchtlingslager unterhält?

Schäfer: Ich habe solche Hinweise nicht. Auf die letzte Ihrer Fragen kann ich nicht gut antworten.

Ich kann bestätigen, dass es diplomatische Aktivitäten Russlands in Libyen gibt. Auch ist das richtig, was Sie mit Ihrer Frage angedeutet haben, nämlich dass es innerhalb der internationalen Gemeinschaft und insbesondere innerhalb der Staaten Nordafrikas und Europas, die sich um eine Stabilisierung Libyens bemühen, immer wieder auch sozusagen offene Debatten darüber gibt, wie man das am besten erreichen kann. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass General Haftar und die mit ihm verbündeten Milizen im Osten Libyens ein echter Machtfaktor sind. Insofern sind alle Beteiligten gut beraten, auch diese gesellschaftlichen, politischen und militärischen Kräfte in eine zukünftige politische Ordnung Libyens vernünftig einzubinden. Die Gespräche darüber laufen. Daran beteiligt sich auch Russland. Daran beteiligt sich auch das große und von der Lage in Libyen ja besonders betroffene Nachbarland Ägypten. Italien ist sehr engagiert, und die Bundesregierung ist es auch.

Wir müssen sehen, dass wir nach der Zeichnung des großen politischen Übereinkommens vor einiger Zeit leider nicht so schnell vorangekommen sind, wie wir es uns gewünscht hätten, weil Libyen auch zu Zeiten von Gaddafi, wenn man ehrlich ist, kein strukturierter institutioneller Staat gewesen ist, sondern das Zusammenwirken von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen, Clans und Völkern, die von Gaddafi mit harter Hand sozusagen unter ein staatliches Dach gedrängt werden konnten. Es gibt dort wenig Erfahrung mit staatlicher Ordnung. Es gibt dort auch wenig Erfahrung mit politischen Kompromissen, die man eingehen kann. Deshalb ist es für die internationale Gemeinschaft, für die Vereinten Nationen, für Martin Kobler und auch für uns eine ganz schön schwierige Aufgabe, das hinzubekommen.

Aber es gibt gar keinen Grund, aufzugeben. Nicht nur die Flüchtlingskrise, sondern auch die Sicherheitslage in Nordafrika insgesamt, die auch auf Europa ausstrahlt, dürfen uns dabei nicht ermüden oder gar aufgeben lassen. Wir werden unsere Bemühungen für eine Stabilisierung Libyens sehr intensiv fortsetzen.

Frage: Herr Seibert, da Herr Schäfer gerade Ägypten angesprochen hat und weil das folgende Briefing als Hintergrund-Briefing stattfinden wird, wollte ich fragen, ob Sie ganz kurz die Eckpunkte der kommenden Reise nach Nordafrika umreißen könnten, speziell im Hinblick auf Migration und Stabilität.

StS Seibert: Wie gesagt: Wir werden dazu gleich ein ausführliches Briefing "unter zwei" machen, also nicht so, dass Sie davon gar nicht berichten könnten.

Ich will ein paar Stichworte nennen. Das ist, glaube ich, hier und beispielsweise auch im Podcast der Bundeskanzlerin am Wochenende schon sehr deutlich gemacht worden: Wir haben ein großes Interesse an einer stabilen Entwicklung in Ägypten. Das betrifft eine wirtschaftliche Entwicklung, aber auch die gesellschaftliche Entwicklung. Das betrifft auch die Entwicklung im Zusammenleben der unterschiedlichen Glaubensrichtungen. Unter Präsident Al-Sisi sind einige Verbesserungen der Situation der koptischen Christen erreicht worden. Wie weit das geht und was noch getan werden muss, wird beispielsweise auch Gegenstand eines Gesprächs sein, das die Bundeskanzlerin mit dem Oberhaupt der koptischen Christen führen wird.

Es wird wirtschaftliche Aspekte dieses Besuchs geben.

Es wird auch eine migrationspolitische Zusammenarbeit geben. Wir haben ein Interesse daran, auch mit diesem bedeutenden Anrainerland des Mittelmeers in einen Migrationsdialog zu treten, um zum Beispiel die Küstenwache zu stärken und um Erfahrungen im Kampf gegen Schlepper und Schleuser auszutauschen. Das hat auch schon erste Wirkungen gezeigt. Sie wissen vielleicht, dass strenge Gesetze gegen Schleuser seit dem Herbst des vergangenen Jahres die Zahl der von Ägypten aus ablegenden Boote und Schiffe stark reduziert haben. Das heißt, das ist einer der Aspekte der Zusammenarbeit.

Frage: Plate, wie sehen denn die bundesweiten Vorschriften für Präventivhaft aus? Die müssten ja im BKA-Gesetz festgeschrieben sein.

Plate: Ich vermute, Sie meinen das polizeiliche Instrument des Unterbindungsgewahrsams. Das ist ein Instrument des Landespolizeirechts, im Bundesrecht gibt es so etwas überhaupt nicht. In der Tat ist es so, dass zahlreiche Bundesländer - die genaue Zahl habe ich jetzt nicht, aber es ist jedenfalls die deutliche Mehrheit - solche Vorschriften in ihren Landespolizeigesetzen haben. Beim Bund gibt es so etwas nicht.

Frage: Herr Seibert ich habe eine Frage im Zusammenhang mit dem Anschlag von Anis Amri hier in Berlin: Die Eltern von Fabrizia di Lorenzo, dem italienischen Opfer des Anschlags, haben gestern in der "Corriere della Sera" gesagt, die deutschen Behörden seien abwesend, schlecht organisiert, unsensibel und unfähig gewesen. Sie haben auch gesagt, sie würden keine Entschädigung bekommen, wenn nicht ein Gesetz geändert werde, das Entschädigungen für Fälle, in denen Menschen bei Autounfällen sterben, ausschließt. Kann die Bundesregierung etwas darüber sagen und dieser Familie eine Antwort geben?

StS Seibert: Ich möchte zuallererst dies sagen: Die Bundesregierung und viele, viele Menschen in Deutschland trauern zutiefst um diese junge italienische Frau, Fabrizia di Lorenzo, wie um die anderen Opfer des terroristischen Anschlags auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Wir trauern mit ihren Eltern und mit ihren Angehörigen. Deren Verlust und deren Schmerz können wir sicherlich kaum ermessen, aber sie sollen wissen, dass wir an sie denken.

Wenn in den ersten Tagen nach dem Anschlag Einiges nicht gut funktioniert haben sollte, wenn der Eindruck mangelnder Sensibilität entstanden sein sollte, wie es der Artikel nahelegt, dann ist das zutiefst zu bedauern, weil das die betroffenen Hinterbliebenen natürlich in einer ohnehin schon entsetzlichen Situation getroffen hat. Ich möchte aber darauf hinweisen: Es haben sich viele Menschen hier in Berlin, in mehreren Behörden, haupt- wie ehrenamtlich, lange und intensiv um die Hinterbliebenen gekümmert. Der Opferbeauftragte des Landes Berlin, Herr Weber, stand schon früh auch mit dieser italienischen Familie in engem Kontakt.

Wir nehmen den Artikel jetzt zum Anlass, um erneut auf die Familie zuzugehen. Seien Sie gewiss, dass die Bundesregierung alles in ihrer Kraft Stehende tun wird, damit die Hinterbliebenen die ihnen zustehenden Leistungen auch erhalten. Tatsächlich stehen für Betroffene und für Hinterbliebene des Berliner Anschlags Leistungen aus einem breiten Spektrum zur Verfügung. Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, dass ich das jetzt aufliste, aber das sind Leistungen aus einem Härtefallfonds für Opfer terroristischer Straftaten, es gibt eine pauschale Soforthilfe, es kann Leistungen der Verkehrsopferhilfe geben, es kann Leistungen aus dem Opferentschädigungsgesetz geben. Es gibt also ein breites Angebot von Leistungen, und es ist natürlich das Bemühen der deutschen Seite, gerade auch Hinterbliebenen im Ausland zu helfen und ihnen die notwendige Unterstützung zu geben, damit sie an das ihnen Zustehende gelangen. Das wird auch mit dieser italienischen Familie getan werden.

Vorsitzende Maier: Bevor wir mit den Fragen weitermachen, hat erst noch einmal das Auswärtige Amt das Wort. - Bitte schön.

Schäfer: Danke. Ich hatte das eingangs vergessen; ich bin ja auch zu spät gekommen. - Ich würde Ihnen gerne die Haltung der Bundesregierung zu dem gestern leider gescheiterten Versuch, eine Resolution im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien zu verabschieden, erläutern. Wir bedauern sehr, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in dieser wichtigen Frage erneut keine Einigkeit erreichen konnte, da Russland und China die Resolution mit ihrem Veto zu Fall gebracht haben. Damit verfehlt der Sicherheitsrat es, die mittlerweile von den Vereinten Nationen und von der Organisation für das Verbot chemischer Waffen bestätigten Chemiewaffeneinsätze in Syrien zu verurteilen und Sanktionen gegen syrische Personen und Entitäten zu verhängen, die dafür aus Sicht des Sicherheitsrates verantwortlich sind.

Deutschland hat diesen Resolutionsentwurf als Ko-Sponsor, also als Miteinbringer, eindeutig und nachdrücklich unterstützt. Wir waren und wir bleiben der Auffassung, dass der Sicherheitsrat in der Pflicht steht, eindeutig zu diesen wissenschaftlich bestätigten Chemiewaffeneinsätzen und den Verstößen gegen das Chemiewaffenübereinkommen in Syrien klar Stellung zu beziehen. Unsere Haltung dazu ist eindeutig: Der Einsatz chemischer Waffen ist zu ächten als Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht und alle Standards der internationalen Gemeinschaft. Wir werden jetzt gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Union prüfen, wie wir vielleicht andere chemiewaffenbezogene EU-Sanktionsmöglichkeiten gegen Syrien auf den Weg bringen können.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Frage: Ich habe eine Frage an Herrn Schäfer und Herrn Wagner: Jemeniten in Deutschland beklagen sich darüber, dass ihnen in großem Stil von verschiedenen Banken die Girokonten gekündigt werden. Ist dieser Vorgang der Bundesregierung bekannt? Wie steht die Bundesregierung dazu?

Die Commerzbank hat auf Nachfrage gesagt: "Due to changes in business policy, we will no longer support or transact business with Yemen". Ist das eine Linie, die offiziell vertreten oder anempfohlen wird?

Schäfer: Mir ist ein solcher Vorgang vor vielleicht zehn Tagen einmal untergekommen, als ich dazu Korrespondenz gesehen habe. Mir ist bekannt, dass es entsprechende Klagen von jemenitischen Staatsangehörigen gibt. Ich glaube, das sind auch Studenten, die in Deutschland studieren, und denen wird das Leben, dass sie kein Girokonto bei uns führen können, natürlich nicht leichter gemacht dadurch. Ich weiß von keiner - jedenfalls von keiner vom Auswärtigen Amt verantworteten oder mit verantworteten - Politik, die eine Bank dazu verleiten müsste, solche Entscheidungen zu treffen. Ich kenne auch die Hintergründe nicht. Ich kann höchstens Ihre Frage mitnehmen und im Auswärtigen Amt noch einmal schauen, ob es dazu vielleicht weitere Informationen gibt.

Wagner: Mir ist auch nichts Entsprechendes bekannt. Wir könnten also auch nur noch einmal schauen - vielleicht auch gemeinsam mit dem AA -, ob wir Ihnen dazu noch etwas sagen können.

Zusatz: Das wäre schön - zumal der jemenitische Botschafter gesagt hat, das Auswärtige Amt habe versprochen, sich des Sachverhalts anzunehmen.

Schäfer: Wenn wir das versprochen haben sollten und der jemenitische Botschafter das gesagt hat, dann wird das ganz bestimmt so sein.

Zusatz: Darauf vertraue ich auch.

Schäfer: Ich auch.

Vorsitzende Maier: Dann wäre das ja geklärt.

Frage: Es geht in eine andere Region: den Westbalkan, genauer gesagt nach Albanien. Seit zwei Wochen blockiert dort die Opposition das Parlament, und der Oppositionsführer Basha sagt, er habe die Unterstützung vieler ausländischer Vertreter dafür, dass die korrupte Regierung Edi Rama abgesetzt werde und stattdessen eine technische Regierung eingesetzt werde, die dort bis Juni im Amt bleiben solle. Gehört die Bundesregierung zu den vielen ausländischen Vertretern, die diese Oppositionsforderung unterstützen?

StS Seibert: Ich kenne die Aussage des Oppositionsführers nicht. Was ich Ihnen für die Bundesregierung sagen kann, ist, dass wir den Reformkurs der albanischen Regierung unterstützen. Wie Sie wissen, hat Albanien schon einige Schritte hin zu einer umfassenden Reform seines Justizwesens getan. Deutschland begleitet und unterstützt gerade diesen Prozess der Justizreform, beispielsweise durch Entsendung von deutschen Richtern in die Rechtsstaatmission EURALIUS. Es ist im Interesse der Menschen in Albanien - die im Übrigen diese Reformen mit großer Mehrheit einfordern -, auf diesem Weg voranzukommen. Dafür ist es wichtig, dass nun alle Kräfte im Parlament zusammenarbeiten. Insofern ruft die Bundesregierung die albanischen Parteien zur Mäßigung in der politischen Auseinandersetzung auf. Gewaltrhetorik, wie man sie zum Teil hört, kann und darf nicht Mittel zur Durchsetzung kontroverser politischer Positionen sein.

Frage: Ich möchte noch einmal zur "Ehe für alle" kommen: In Finnland können ab sofort homosexuelle Paare vor den Traualtar treten. Herr Seibert, Sie sagten am Montag, dass die Ehe laut Grundgesetz zwischen Mann und Frau vorgeschrieben sei. Wo steht denn das?

Frau Krüger, ist auch das BMJV der Auffassung, dass es für die "Ehe für alle" einer Grundgesetzänderung bedarf? Ist eine Grundgesetzänderung also erforderlich, und falls ja, warum?

StS Seibert: Das ist höchstrichterliche, also bundesverfassungsgerichtliche Auslegung des Grundgesetzes.

Zusatz: Das glaube ich nicht.

StS Seibert: Das glauben Sie nicht? Dann lesen Sie die einschlägigen Urteile. Ansonsten kann ich da jetzt auch nichts tun.

Vorsitzende Maier: Es ist jetzt wirklich nicht die Aufgabe des Regierungssprechers, das hier zu referieren.

StS Seibert: Das glaube ich auch.

Zusatz : Ich glaube, Herr Seibert meint etwas anderes.

Krüger: Und ich habe dem nichts hinzuzufügen.

Zusatz : Sie haben eine andere Frage gehabt. - Frau Krüger!

Krüger: Sie haben mir eine hypothetische Frage gestellt.

Zuruf : Nein!

Krüger: Ich habe mich am Montag schon dazu geäußert.

Zusatzfrage : Das werden Sie doch intern geprüft haben. Ist eine Grundgesetzänderung für die "Ehe für alle" notwendig beziehungsweise erforderlich?

Krüger: Ich werde Ihnen darauf keine konkrete Antwort geben.

Zusatzfrage : Warum?

Krüger: Weil das eine allgemeine Rechtsfrage ist, und es gehört hier nicht zu meinen Aufgaben, allgemeine Rechtsfragen zu beantworten.

Vorsitzende Maier: Herr Kollege, dies ist eine Pressekonferenz und kein Verhör, das muss ich wirklich einmal sagen.

Zusatz : Aber das sind doch Fragen, die man beantworten muss. Die haben Sie doch selbst im Ministerium schon beantwortet.

StS Seibert: Sie müssen ja überhaupt nicht der Meinung sein, die das Bundesverfassungsgericht ausgedrückt hat. Aber befassen Sie sich mit den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Oktober 2014, vom 19. Juni 2012 und vom 7. Mai 2013. Das sind nun einmal Fakten.

Zusatz : Ich schaue einmal rein.

StS Seibert: Das ist als Vorbereitung auf diese Veranstaltung immer gut.

Frage: Herr Seibert, es geht um die Zukunft von Herrn Tusk, der seine Amtszeit als EU-Ratspräsident ganz gerne fortsetzen würde. Gestern hat der polnische PiS-Vorsitzende Kaczyński gesagt, dass Polen eine Wiederwahl nicht unterstützen würde. Ich wüsste von Ihnen gerne: Möchte die Bundesregierung, dass Herr Tusk weitere zweieinhalb Jahre weitermacht. Können Sie sich vorstellen, dass es auf dem EU-Gipfel auch eine Kampfabstimmung zu diesem Thema geben könnte?

StS Seibert: In der Tat endet die erste Amtszeit des Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, am 31. Mai dieses Jahres. Der Präsident des Europäischen Rates kann einmal wiedergewählt werden. Der Generalsekretär des Rates hat nun vorgeschlagen, dass der Europäische Rat nächste Woche auch über die Wahl des europäischen Ratspräsidenten für den nächsten Zeitraum von Juni 2017 bis November 2019 berät. In diesem Zusammenhang führt die maltesische derzeitige Ratspräsidentschaft die notwendigen Gespräche. Diese Gespräche laufen an. Ich werde dem und kann dem nicht vorgreifen. Ich kann Ihnen sagen, dass die Bundeskanzlerin die bisherige Arbeit des Ratspräsidenten Donald Tusk sehr schätzt.

Zusatzfrage: Halten Sie es für vorstellbar, dass es eine Kampfabstimmung gibt, weil bei dieser Entscheidung ja keine Einstimmigkeit notwendig ist?

StS Seibert: Ich möchte den Beratungen und dann auch dem Ablauf der nächsten Ratssitzung nicht vorgreifen. Die Statuten sind sozusagen klar; denn in Art. 15 Abs. 5 des EU-Vertrags heißt es: "Der Europäische Rat wählt seinen Präsidenten mit qualifizierter Mehrheit für eine Amtszeit von zweieinhalb Jahren".

Frage: Der Chef der Bundesagentur für Arbeit hat sehr massiv den SPD-Kanzlerkandidaten beziehungsweise dessen Pläne, länger Geld zu zahlen für ältere Arbeitslose, kritisiert. Wie sieht man das denn in der übergeordneten Behörde, im Arbeitsministerium? Wie bewertet man die Äußerungen von Herrn Weise?

Schneider: Ich kann Sie an dieser Stelle eigentlich nur darauf verweisen, dass sich die Ministerin bereits mehrfach zu ähnlichen Fragen geäußert hat. Das sind ja Fragen, die eher auf parteipolitischer Ebene diskutiert werden, insofern kann ich dazu nicht Stellung nehmen. Die Ministerin hat aber bereits angekündigt, dass sie dazu Vorschläge machen wird - nicht als Ministerin, sondern in ihrer Funktion - - also sozusagen nicht in offizieller Parteifunktion, aber sie leitet ja die Arbeitsgruppe innerhalb der Partei, und in dieser Funktion wird sie demnächst Vorschläge machen.

Zusatzfrage: Und wie bewertet Sie die Äußerungen von Herrn Weise? Er ist ja im Prinzip ihr Untergebener.

Schneider: Noch kann man sagen, dass Herr Weise im Amt ist - er scheidet ja in Kürze aus. Aber wie gesagt, die Vorschläge, die hier gemacht worden sind, stehen im Zusammenhang mit anderen Diskussionen, die auf parteipolitischer Ebene diskutiert werden; insofern kann ich dazu nicht im Einzelnen Stellung nehmen.

Frage : Ich möchte noch ganz kurz zu Mossul kommen: Herr Seibert, die Eroberung von Mossul ist ja im Gang. Als die Russen und das Assad-Regime Aleppo bombardiert haben und dort Zivilisten getötet haben, haben Sie sich hier regelmäßig empört und von Grausamkeiten gesprochen. In Mossul geschehen ja ähnliche Fälle; auch auf Mossul wird mit Raketen und mit Bomben geschossen, und Hunderttausende Zivilisten sind im Westteil der Stadt eingeschlossen. Bisher haben wir von der Bundesregierung nichts dazu gehört. Können Sie ein Statement dazu abgeben? Wie bewerten Sie diese Angriffe?

Schäfer: Würden Sie auch eine Antwort von mir akzeptieren?

Zusatz : Ausnahmsweise.

Schäfer: Das ist ganz lieb von Ihnen. - Mossul und Aleppo miteinander zu vergleichen ist entweder unfair oder unredlich; jedenfalls ist es wenig sinnvoll.

Zusatz : Ich setze ja nicht gleich, ich vergleiche.

Schäfer: In Mossul sitzt ISIS beziehungsweise IS. Die gesamte internationale Staatengemeinschaft hat sich zusammengetan - jedenfalls ein ganz großer Teil davon -, und wir teilen das Interesse der Staatengemeinschaft, gegen IS vorzugehen, auch auf militärische Art und Weise. Was IS laut den wenigen Zeugenberichten, die wir haben, in Mossul und anderswo angerichtet hat, spottet, glaube ich, jeder Beschreibung; das ist so barbarisch, wie wir das von anderen Stellen auch kennen.

Ich kann nicht berichten und ich kann auch nicht beobachten, dass es die gleichen flächendeckenden Bombardierungen von Krankenhäusern und von anderen Örtlichkeiten und Räumlichkeiten, in denen Menschen in Aleppo Schutz gesucht haben, auch in Mossul gegeben hätte und hat. Krieg und Kampf sind immer grausam, und ich kann auch nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass in Mossul von den unterschiedlichen Kräften, die da im Einsatz sind, nicht auch Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Aber die Intensität und die Qualität der Grausamkeit des Umgangs in Ost-Aleppo, auch mit Angriffen aus Luft, mit der Lage in West-Mossul zu vergleichen, mache ich mir jedenfalls nicht zu eigen.

Zusatzfrage : Ich wollte ja nicht, dass Sie das vergleichen, sondern wollte erst einmal eine Bewertung in Bezug auf die Eroberung dieser Stadt haben. Fordern Sie auch unsere Alliierten auf, dort keine Zivilisten zu bombardieren?

Schäfer: Es ist eine stehende Aufforderung eigentlich an alle in der Welt, die miteinander Krieg führen, nicht Zivilisten zu bombardieren und das humanitäre Völkerrecht zu verletzen. Das ist eine feste Überzeugung der Bundesregierung für jeden kriegerischen Konflikt, den wir in der Welt erleben.

Vielleicht noch ein Wort zu den Flüchtlingen: Auch da - ganz anders in Aleppo und ganz anders, als das syrische Regime das getan hat, das ja mitgewirkt hat und Haupttäter war bei den grausamen, brutalen Angriffen auf diejenigen, die da in Ost-Aleppo ausgeharrt haben - beteiligt sich die irakische Regierung und auch die Zentralregierung in Bagdad daran, gemeinsam mit der internationalen Staatengemeinschaft den Flüchtlingen, die aus den Fängen und den Krallen von ISIS entkommen konnten oder die vor der kriegerischen Auseinandersetzungen fliehen, Unterschlupf zu gewähren, Hilfe zu gewähren, Wasser und Essen zu verschaffen. Das klappt nicht so gut, wie das vielleicht in einer deutschen Kleinstadt funktionieren würde, aber es klappt sehr viel besser, als es wegen der Obstruktion von ganz vielen, allen voran der syrischen Regierung, jemals in Syrien geklappt hat.

Auch da kann es passieren, dass Menschen in Not geraten und ihnen nicht hier und heute sofort geholfen werden kann. Aber auch die Bundesregierung beteiligt sich mit finanziellem, logistischem und sonstigem Engagement sehr engagiert daran, den Menschen, die unter den Auseinandersetzungen und dem Befreiungskampf von Mossul leiden, humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. Das lässt sich beim besten Willen nicht mit der Lage in Syrien und schon gar nicht mit der Lage in Ost-Aleppo vergleichen.

Frage: Herr Schäfer, Sie sagten gerade, in Mossul würde der IS sitzen. Kann man daraus schließen, dass im Gegensatz dazu in Aleppo der IS, Al-Nusra oder weitere Terrorgruppierungen nicht saßen?

Schäfer: Ich habe IS gesagt, oder? Ich habe nicht Al-Nusra gesagt. Al-Nusra gab es in Ost-Aleppo, absolut; da haben Sie völlig recht. Ich weiß gar nicht, was ich jetzt noch auf Ihre Frage sagen soll.

Zusatz: Nein, Sie sagten, der IS hätte in Mossul gesessen.

Schäfer: Das habe ich gesagt; das kann ich gerne bekräftigen, wenn Sie das möchten.

Zusatzfrage: Ja, genau, aber in Aleppo sozusagen im Umkehrschluss dann eben nicht?

Schäfer: Sie ziehen jetzt einen Umkehrschluss; ich habe einen solchen Umkehrschluss nicht gezogen. Ich bestreite überhaupt nicht, dass es in Ost-Aleppo auch bewaffnete Gruppierungen gab, die von der internationalen Gemeinschaft, von der Wiener Kontaktgruppe und auch von den Vereinten Nationen als terroristische Organisationen angesehen werden. Dazu zählt Al-Nusra. Der IS mag in Ost-Aleppo vertreten gewesen sein - jedenfalls war das kein relevanter Faktor. Das bestreite ich nicht. Irgendwelche Umkehrschlüsse habe ich nicht zu ziehen.

StS Seibert: Was es jedenfalls in Mossul gab - und schon viel zu lange gab - , ist eine umfassende terroristische, unmenschliche Herrschaft des sogenannten IS. Deswegen ist es im internationalen Interesse und im Interesse der Menschen, die dort leben, diese Herrschaft zu beenden.

Schäfer: Ich möchte noch eine Information nachtragen: Ich bin gebeten worden, in Erfahrung zu bringen, wie viele Fälle von deutschen Staatsangehörigen wir haben, die mit Ausreisesperren in die Türkei behaftet sind. Die Zahl ist ungefähr ein gutes Dutzend.

Mittwoch, 1. März 2017

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 1. März 2017
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2017/03/2017-03-01-regpk.html
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2017

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