Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → FAKTEN


PRESSEKONFERENZ/1404: Kanzlerin Merkel und der litauische Ministerpräsident Skvernelis, 23.02.2017 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz im Bundeskanzleramt - Donnerstag, 23. Februar 2017
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem litauischen Ministerpräsidenten Saulius Skvernelis

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, heute den litauischen Ministerpräsidenten Saulius Skvernelis bei uns begrüßen zu können. Er ist seit wenigen Monaten im Amt und jetzt zum ersten Mal offiziell hier in Berlin.

Wir haben über die bilateralen Beziehungen gesprochen und können feststellen, dass wir uns freundschaftlich verbunden sind und dass es sehr enge Kontakte gibt, und zwar sowohl wirtschaftliche Kontakte als auch Kontakte zwischen unseren beiden Ländern. Es gibt eine große Zahl an Touristen, die aus Deutschland nach Litauen fahren und sich die Schönheiten Litauens bereits erobert haben. Wir haben außerdem im letzten Jahr das 25. Jubiläum der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen begangen, und in diesen 25 Jahren ist wirklich ein breites Fundament gemeinsamer Aktivitäten entstanden.

Die Bundesregierung stellt im Zusammenhang mit der Nato-Kooperation jetzt auch die Absicherung durch eine Brigade im Rahmen der "Enhanced Forward Presence" der Nato in Litauen. Wir sind dort sehr herzlich willkommen geheißen worden, und unsere Verteidigungsministerin war bereits dort. Ich freue mich, dass die litauische Bevölkerung unsere Truppen dort so offen empfangen hat. Dies zeigt, dass wir nicht nur im Rahmen der Europäischen Union eng zusammenarbeiten, sondern eben auch im Rahmen des Nato-Bündnisses.

Wir haben über die Situation in Litauen gesprochen, über die Frage: Wie kann man gerade auch für junge Menschen die litauische Realität verbessern? Hier ist neben der Universitätsausbildung vor allen Dingen auch die duale Ausbildung ein Thema gewesen, weil der Ministerpräsident auch sehr viel Wert darauf gelegt hat, dass eben nicht nur die Universitätsausbildung eine Zukunft darlegt, sondern auch das normale Erlernen eines Berufes. Ich habe ihn darin sehr bestärkt, und deutsche Investoren sollten auch ihre Fähigkeiten und Kenntnisse im Bereich der dualen Berufsausbildung deutlich machen.

Wir haben über die Situation in der Nachbarschaft gesprochen. Bestimmte Sorgen bereitet Litauen der Bau eines Kernkraftwerks in Weißrussland. Wir werden uns von deutscher Seite aus dafür einsetzen, dass dabei die möglichen technischen Standards möglichst hoch sind; denn egal, ob man in der direkten Nachbarschaft ist oder ob man weiter weg wohnt, wissen wir seit Tschernobyl natürlich, dass die Sicherheit von Atomkraftwerken von entscheidender Bedeutung ist.

Wir haben auch sehr viel über die Energiepolitik gesprochen. Litauen hat mit LNG-Terminals und mit Stromverbindungen Richtung Schweden inzwischen einen Teil an Unabhängigkeit erreicht, aber es gibt immer noch eine enge Verflechtung auch mit dem russischen Markt. Dennoch konnte hier vom Ministerpräsidenten gesagt werden, dass die Versorgung zum Beispiel mit russischem Öl stabil ist.

Insgesamt kann ich nur sagen: Wir stehen vor ähnlichen Herausforderungen, auch was das Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union anbelangt. Das bedauern wir natürlich gemeinsam, aber wir sind zwei Länder, die sich der Zukunft der Europäischen Union verpflichtet fühlen; das hat sich heute durch alle Gesprächsteile hindurchgezogen.

Deshalb noch einmal herzlich willkommen hier in Berlin, Herr Ministerpräsident!

MP Skvernelis: Guten Tag! Ich möchte mich bei der Frau Bundeskanzlerin ganz herzlich bedanken für die Gelegenheit, hier aufzutreten, für den warmen Empfang, für die Zusammenarbeit und für gemeinsame Gespräche über politische Themen, die wir angerissen haben.

Ich teile Ihre Meinung: Sowohl Litauen als auch Deutschland sind für die Aufrechterhaltung der Einigkeit der Europäischen Union und für die Sicherheit des transatlantischen Raumes. Unser Hauptanliegen sind unsere Bemühungen, zusammenzuführen. Es gibt keine Alternative für Litauen, nur die Europäische Union, und uns beunruhigt vor allem die Partnerschaft mit der Nato, die Sicherheit. Ich glaube, dass wir weiterhin unsere Prinzipien verfolgen werden und dass wir die Europäische Union und die transatlantische Zusammenarbeit stärken werden.

Deutschland ist ein wichtiger wirtschaftlicher und politischer Partner, und Litauen exportiert mehr nach Deutschland als in die USA, Japan und China zusammengenommen. Ich würde die deutschen Investoren einladen, mehr in Litauen zu investieren, denn Litauen ist eine der am schnellsten wachsenden Wirtschaften in der Europäischen Union, und unser Hauptanliegen ist, Litauen möglichst attraktiv für Investoren zu gestalten.

Wir haben unterschiedliche Themen angerissen, unter anderem die Sicherheit und die Prozesse in unseren Nachbarländern. Wir verstehen, dass die Sicherheit unsere gemeinsame Priorität ist. Ich habe mich bei der Bundeskanzlerin im Namen unserer Bürger für die Entscheidung auf dem Warschauer Gipfeltreffen bedankt, Truppen der Nato beziehungsweise von Deutschland als einer Rahmennation nach Litauen zu entsenden, und die deutschen Soldaten wurden freundlich empfangen.

Der Brexit ist unsere gemeinsame Herausforderung und eine gemeinsame Bedrohung, und wir müssen uns jetzt einig sind, damit der Sinn unserer Demokratie und unseres Zusammenseins weiterhin besteht. Die Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU müssen deshalb weiterhin gut entwickelt werden.

Des Weiteren wurde die Ukraine angesprochen. Wir unterstützen die Forderung nach der Umsetzung des Minsker Abkommens und wir betonen die Integrität der Ukraine.

Auch die Atomsicherheit wurde angesprochen. Für Litauen ist das eine Überlebensfrage, denn in der Nähe von Litauen wird ein unsicheres Atomkraftwerk gebaut. Dies ist nicht nur eine Frage, die nicht nur Litauen, sondern auch die Europäische Union beunruhigt, dies ist eine Frage der Region - wir haben ja schon eine schlechte Erfahrung in Bezug auf unsichere Atomkraftwerke, wo schwerwiegende Folgen zu tragen sind.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei der Frau Bundeskanzlerin. Ich schätze unsere Zusammenarbeit.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben vor einigen Tagen erwähnt, dass Sie von einer Provokation in Litauen wussten; dort wurden deutsche Soldaten der Vergewaltigung eines Mädchens beschuldigt. Werden Sie etwas unternehmen, damit sich solche Provokationen nicht wiederholen?

BK'in Merkel: Für uns war wichtig, dass wir sehr schnell aufklären konnten - gemeinsam und auch auf der deutschen Seite -, dass es sich hierbei um eine Falschmeldung gehandelt hat. Ich glaube, die Schnelligkeit dieser Aufklärung hat dann auch dazu geführt, dass das sehr schnell wieder verschwunden ist. Wir müssen an der Stelle aber sehr wachsam sein, was Falschmeldungen anbelangt.

Frage: Ich habe eine Frage an den Ministerpräsidenten und die Kanzlerin, was die Weiterentwicklung Europas angeht, von der Sie ja beide gesprochen haben. Herr Ministerpräsident, können Sie sagen, was die Integrationsschritte sind, die Sie jetzt aus litauischer Sicht als besonders wichtig ansehen?

Frau Bundeskanzlerin, würden Sie sagen, dass sich Deutschland bei der Weiterentwicklung der Eurozone nicht auch bewegen muss und Integrationsmaßnahmen oder Vergemeinschaftungsschritte - bis hin zu Eurobonds, die die Bundesregierung bisher noch nicht wollte - akzeptieren sollte, damit die Eurozone dauerhaft funktionieren kann?

MP Skvernelis: Die Schritte zur Integration der Europäischen Union sind einfach festzulegen. Das sind wirtschaftliche Beziehungen. Vor allem Grundprinzipien - das heißt, freie Bewegung von Dienstleistungen, Waren und Menschen innerhalb der Europäischen Union sowie der gemeinsame Markt - sollen gewahrt werden. Das sind die Instrumente, von denen unsere Bürger profitieren können. Das sind die Gründe dafür, dass wir uns einig werden müssen. Das gilt auch für die Sicherheit. Die Europäische Union, unsere Gemeinschaft, soll einig wie nie vorher sein, vor allem in Bezug auf Investitionen in die Sicherheit und in Bezug auf Maßnahmen, die zu unserer Sicherheit, zu unserer Wirtschaft und zur Wahrung der Interessen der Bürger beitragen können.

BK'in Merkel: Ich sehe keine Veränderung unserer Position, dass wie die Verantwortlichkeit dort, wo sie angesiedelt ist, immer im Blick haben müssen und nicht etwas vergemeinschaften können, ohne dass Kompetenzen dafür vorher in Europa angesiedelt sind. Aus meiner Sicht stehen Vertragsveränderungen in naher Zukunft nun wirklich nicht auf der Tagesordnung. Das heißt, man wird mit den Gegebenheiten weiterhin so umgehen müssen, wie es jetzt der Fall ist, und das heißt eben auch, dass Reformschritte durch die Nationalstaaten eigenverantwortlich unternommen werden müssen, damit, wenn die Stabilität der Eurozone als Ganzes in Gefahr ist, auch solidarische Möglichkeiten wie zum Beispiel der ESM genutzt werden können. Aber auf diesem Prinzip der Eigenverantwortung beharren wir, also einem Nein zu Eurobonds.

Ich glaube, dass wir jetzt auch Beispiele dafür haben - sowohl Irland als auch Spanien als im gewissen Umfang natürlich auch Portugal -, die zeigen, dass daraus auch eine verbesserte Situation entstanden ist. Andererseits gibt es natürlich auch Fortentwicklungen, wenn ich zum Beispiel an die Bankenunion denke. Aber auch hier bleibt dieses Thema - Eigenverantwortung dort, wo nationale Zuständigkeit besteht - natürlich erhalten.

Frage: Ich möchte noch eine Frage an Sie beide in Bezug auf das Atomkraftwerk in Weißrussland stellen. Frau Bundeskanzlerin, überzeugen Sie die Argumente der litauischen Seite, dass dieses Projekt nicht nur unsicher ist, sondern auch ein geopolitisches Projekt Russlands ist, das unsere Integration in die westlichen Stromnetze behindert? Gäbe es eine Idee auf der Ebene der Europäischen Union, diesen Bau zu blockieren?

Herr Ministerpräsident, was für eine Unterstützung erwarten Sie von der deutschen Seite?

BK'in Merkel: So wie ich die Sache sehe, muss man darauf achten, dass die Sicherheitsanforderungen gewährleistet sind. Wir können nur immer wieder dafür werben, dass es auch internationale Inspektoren gibt, die sich diesen Bau anschauen können und die die entsprechende Einsicht in die Daten bekommen. Kernenergie ist etwas Übergreifendes, und deshalb gilt, dass die Sicherheitsfrage hier eben eine ganz besondere Bedeutung hat.

Wir werden auch mit Russland immer wieder darüber sprechen, wie wichtig das für uns alle ist, wie wichtig es für Russland und die Menschen ist, die dort leben, genauso wie für die Menschen, die in der Europäischen Union leben. Selbst wenn wir an manchen Stellen unterschiedliche Meinungen haben, müssen solche Fragen natürlich zur Sprache gebracht werden.

MP Skvernelis: Ich möchte nur darauf hinweisen, dass das Hauptanliegen war, die reale Situation darzustellen. Das ist an sich kein Atomkraftwerk.

Dazu, was für Bedrohungen damit in Verbindung stehen: Das ist kein Problem, das zwischen Litauen und Weißrussland entstanden ist. Ich glaube, das ist ein Problem, das regional übergreifend ist, und wir sollten das auf einer anderen Ebene entscheiden. So können wir dieses Problem bewältigen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, angesichts der positiven Nachrichten über Haushaltsüberschüsse, die so hoch sind, wie sie es seit der Wiedervereinigung nicht mehr waren, und der Debatte um den Nato-Beitrag frage ich: Wo sollte das zusätzliche Geld, das in die Kassen sprudelt, eingesetzt werden, in Investitionen oder im Verteidigungshaushalt? Halten Sie es für unrealistisch, bis 2024 das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen?

Herr Ministerpräsident, würde es Sie mit Sorge erfüllen, wenn mit Deutschland bei einem Plus, das dann bei 2 Prozent im Jahr bei 20 Milliarden bis 25 Milliarden Euro liegen müsste, ein starker militärischer Staat mitten in Europa entstehen würde, oder bereitet Ihnen das keine Sorge?

BK'in Merkel: Ich habe mich ja in München zu dem Ziel von 2014 bekannt, das wir in Wales alle verabredet haben, und gesagt, dass das für uns natürlich weiterhin gilt.

Zweitens: Die Überschüsse sind gesamtstaatliche Überschüsse. Da muss man sich genau anschauen, was zur Arbeitslosenversicherung und was zur Rentenversicherung gehört, und sich dann die Situation der Bundesländer und der Kommunen anschauen. Wenn man dann auf den Bund zu sprechen kommt, ist der Überschuss schon sehr überschaubar.

Jetzt rate ich uns allen auch dazu, dass wir jetzt nicht verschiedene Bereiche gegeneinander ausspielen. Wir wollen vielmehr die Sicherheitslage insgesamt verbessern - das heißt, die innere und äußere Sicherheit der Menschen, aber auch die soziale Sicherheit der Menschen und auch der Investitionen in die Zukunft - und gleichzeitig nicht neue Schulden machen. Insofern sind die Spielräume, die wir haben, überschaubar.

Sie haben einen Etat angesprochen, den Verteidigungsetat. Ich kann genauso über den entwicklungspolitischen Etat sprechen. Wir sind von der Erfüllung des Ziels der 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts leider auch noch entfernt. Das war im letzten Jahr eine Ausnahme; die Anrechnung der Mittel für Flüchtlinge im Land kann nur für ein Jahr erfolgen. Das heißt, wir werden dann auch wieder unsere äußeren Aktivitäten erhöhen müssen. Wenn ich jetzt an die Hungersnöte denke, die wir überall auf der Welt erleben, haben wir hier auch große Herausforderungen. Wir wissen auch, dass wir investieren müssen, und zwar in unsere gesamte Infrastruktur, ob es die digitale oder auch die Verkehrsinfrastruktur ist.

Ich mache mir also keine Sorge, dass wir nicht wüssten, was wir Sinnvolles mit dem Geld tun können, das vielleicht vorhanden ist.

MP Skvernelis: Ich habe schon darauf hingewiesen, dass sich Europa mehr um seine Sicherheit sorgen muss. Litauen wird im nächsten Jahr etwa 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung bereitstellen.

Kein Bürger spricht dagegen, dass die Verteidigungskapazitäten in Deutschland gestärkt werden. Wir sprechen vor allem über die ganze Allianz, und es freut uns eigentlich, dass sie stärker wird.

Donnerstag, 23. Februar 2017

*

Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem litauischen
Ministerpräsidenten Saulius Skvernelis, 23.02.2017
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2017/02/2017-02-23-merkel-litauen.html
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-25 55
E-Mail: internetpost@bpa.bund.de
Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang