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PRESSEKONFERENZ/1304: Kanzlerin Merkel und der französische Präsident Hollande, 17.09.2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Bratislava - Samstag, 17. September 2016
Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten Hollande

(Hinweis: Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung.)


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass wir Ihnen heute gemeinsam nach dieser Sitzung in Bratislava berichten können, was wir diskutiert und auch vereinbart haben. Ich möchte mich zuerst ganz herzlich bei der slowakischen Präsidentschaft, bei Robert Fico, bedanken, dass er uns Bratislava von der besten Seite gezeigt hat, dass dadurch die Atmosphäre unserer Beratungen gut und auch sehr konstruktiv war und wir gleichzeitig ein gutes Stück Europa sehen konnten. Wir konnten die Diskussion heute auf der Basis der vielen Vorbereitungen führen, die wir getroffen haben. Es haben im Vorfeld dieses Treffens fast alle mit allen gesprochen.

Wir haben miteinander vereinbart, dass Europa in der kritischen Situation, in der es sich nach dem Referendum von Großbritannien befindet, aber auch angesichts von anderen Schwierigkeiten, die wir haben, eine Agenda vereinbaren muss. Wir müssen einen Arbeitsplan haben, um bis zu dem 60. Jahrestag der Verträge von Rom die entsprechenden Themen abzuarbeiten.

Jean-Claude Juncker hat in seiner Rede an das Europäische Parlament aus meiner Sicht die richtigen Schwerpunkte gesetzt. Deshalb hat das auch ein großes Maß an Übereinstimmung mit dem, was François Hollande und ich Ihnen gestern in Paris vorgestellt haben, was aus unserer Sicht die Schwerpunkte unserer Arbeit sind.

Wir haben vereinbart, dass wir die Rede des Präsidenten der Europäischen Kommission begrüßen - auf dieser Basis haben wir heute auch die Diskussion geführt - und wir in den nächsten Monaten entlang der Bratislava-Agenda arbeiten werden, die uns die Präsidenten des Europäischen Rates, der Europäischen Kommission und die Präsidentschaft vorgeschlagen haben. Deutschland und Frankreich unterstützen das aus voller Kraft. Wir werden uns hier auch einbringen, so wie wir uns schon in den Vorbereitungsarbeiten mit den Vorschlägen unserer Außenminister, Innenminister und auch Verteidigungsminister eingebracht haben. Diese Vorschläge sind auch auf fruchtbaren Boden gefallen.

Wir haben verschiedene Themen. Das eine sind Themen der Sicherheit, der Migration und des Schutzes der Außengrenzen. Hier haben wir das Ziel, dass die illegale Migration - wenn möglich gestoppt oder reduziert werden soll; auf der anderen Seite wollen wir Fluchtursachen bekämpfen. Dem dient das EU-Türkei-Abkommen. Dem dient aber natürlich auch das, was wir in Valletta vereinbart haben. Also wir müssen mit weit mehr Drittstaaten solche Abkommen schließen und dabei unsere Entwicklungshilfe, unsere Bereitschaft, Menschen vor Ort zu helfen, erhöhen.

Wir haben den gesamten Bereich der inneren und äußeren Sicherheit. Die Sorgen vor Terror treiben die Menschen in Europa um. Wir haben hier wesentlich übereingestimmt, dass die Vorschläge, die auch von deutscher und französischer Seite gemacht wurden, von den 27 Mitgliedsstaaten in den nächsten Wochen und Monaten beraten werden.

Wir haben dann gesagt, dass wir mehr Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigung brauchen. Das trifft auf sehr breite Zustimmung aller. Hier können wir noch vieles erreichen.

Wir haben uns natürlich mit dem gesamten Thema des Wohlstandsversprechens der Europäischen Union befasst, das zurzeit nicht ausreichend eingelöst wird angesichts der Arbeitslosigkeit, gerade von jungen Menschen, angesichts der Tatsache, dass außerhalb der Europäischen Union viele technische und innovative Entwicklungen stattfinden, wo wir nicht immer an der Spitze der Bewegung stehen. Deshalb ist unser Anspruch, besser zu werden. Jean-Claude Juncker hat in seiner Rede zur Union deutlich gemacht, dass dies insbesondere im digitalen Bereich der Fall ist. Frankreich und Deutschland haben ja auch eine sehr lebendige Start-up-Szene. Wir sind darauf angewiesen, dass wir bei uns die Arbeitsplätze der Zukunft haben.

Wir werden also in den nächsten Monaten hart entlang dieser von mir genannten Themen arbeiten. Der Geist von Bratislava war ein Geist der Zusammenarbeit. Alle waren davon überzeugt, dass wir ohne die europäische Einigung diese Ziele nicht werden erreichen können, jedenfalls bei weitem nicht so gut, wie wir das jetzt gemeinsam können. Wir waren auch der Überzeugung, dass wir Kompromisse brauchen, dass wir das Gefühl der Solidarität und der Zusammenarbeit brauchen und wir auf einer Basis gemeinsamer Werte arbeiten. Dieses Wertefundament zeichnet uns aus. Es zeichnet die Art des Lebens in Europa aus, die einzigartig ist. Es zeichnet die Art des Wirtschaftens aus ein soziales Modell, das sich mit wirtschaftlicher Effizienz verbindet , und es zeichnet unseren Anspruch aus, dass wir Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger dieses Kontinents bieten wollen. Insofern, glaube ich, war Bratislava ein Ausgangspunkt für eine intensive weitere Arbeit.

Alle waren sich einig, dass es jetzt weder um große Erklärungen noch um Vertragsänderungen geht, sondern dass es vorrangig darum geht, mit Taten zu zeigen, dass wir unseren Anspruch auch für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar umsetzen. So kann ich davon ausgehen, dass Monate intensiver Arbeit vor uns liegen. Deutschland und Frankreich das symbolisiert auch unser gemeinsamer Auftritt hier - werden sich auch in den kommenden Monaten sehr intensiv einbringen, um das alles zum Erfolg zu führen.

P Hollande: Meine Damen und Herren, als die Briten sich entschlossen haben, die Europäische Union zu verlassen, mussten die 27 eine neue Perspektive für Europa eröffnen. Es wurde die Frage gestellt - eine Frage, die in den Köpfen aller war : Was wollen wir gemeinsam tun? Wie können wir auf die Erwartungen unserer Bevölkerung eingehen? Worin liegt unsere historische Verantwortung gegenüber dem, was wir als Europa tun wollten, was wir von unseren Vorgängern geerbt haben und was wir heute für die Zukunft Europas tun müssen?

Angela und ich wollten also ein Gipfeltreffen haben, das nunmehr hier in Bratislava stattgefunden hat. Wie Angela gesagt hat, hat Robert Fico alles getan, damit es ein Erfolg wird. Wir wollten aber auch gemeinsam dieses Gipfeltreffen vorbereiten. Es ist ein wichtiges Gipfeltreffen. Denn zum ersten Mal sind wir nun zu 27 zusammengekommen. Wir wollten eine Linie, eine Agenda, für die nächsten Monate vorgeben, die vor uns liegen.

Durch diese Vorbereitung und die Anstrengungen aller Beteiligten - aufgrund all der Gespräche, die vorangegangen sind, also dank dieser Kontakte haben wir die Prioritäten festlegen und ein Arbeitsprogramm auflegen können auf der Grundlage der Vorschläge, die Frankreich, Deutschland und andere Länder gemacht haben, auch auf der Grundlage der Rede von Jean-Claude Juncker, dem Präsidenten der Europäischen Kommission, vor dem Europäischen Parlament.

Was man von Bratislava im Kopf behalten muss, ist dieser Wille, der Wille zu Europa. Europa kann und muss vorankommen, solange Europa klare Grundsätze und klare Prioritäten hat und diese Grundsätze und Ziele dem Willen der Europäer entsprechen. Das sind Wohlstand, Sicherheit, Schutz und natürlich die Zukunft unserer jungen Generation.

Auf der Grundlage dieser Grundsätze bzw. Hauptziele wurden ein Arbeitsprogramm, eine Arbeitsmethode, und eine Agenda, also ein Zeitplan, aufgestellt. Jetzt obliegt es den europäischen Institutionen - der Kommission, dem Rat, dem Parlament , diese Ziele umzusetzen. Wir haben einen Zeitplan. Dieser Zeitplan fängt jetzt in Bratislava an. Es geht dann weiter mit dem Oktober-Rat. Dann geht es weiter mit dem Dezember-Rat. Es wird außerdem im Februar einen informellen Gipfel auf Malta geben. Im März bei dem 60. Jahrestag der Römischen Verträge werden wir dann die Schlussfolgerungen ziehen können, die notwendig sind. Wir können dann zeigen, dass wir auf der Grundlage der Hauptschwerpunkte, die wir heute genannt haben, schon Konkretes umgesetzt haben.

Ich möchte diese Hauptschwerpunkte noch einmal nennen.

Da ist die Sicherheit. Sicherheit ist zunächst Grenzschutz. Europa muss seinen Pflichten nachkommen, wenn es darum geht, Asylrecht zu gewähren, aber auch seiner Verantwortung nachkommen, wenn es um irreguläre Einwanderung geht. Das bedeutet, dass wir unsere Kräfte an den Grenzen verstärken müssen. Dazu gehören Grenzschutz, Küstenschutz und die Unterstützung der Länder, die an erster Front stehen. Sie haben daran erinnert. Es sind Griechenland, Bulgarien und Italien. Wir müssen dafür sorgen, dass die Maßnahmen, die wir schon beschlossen haben, und andere, die noch beschlossen werden, tatsächlich umgesetzt werden.

Wir haben außerdem eine Verantwortung in Bezug auf den Kampf gegen den Terrorismus. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass wir auch dort die notwendigen Mechanismen einrichten, damit mehr Garantien und mehr Vertrauen entstehen.

In Bezug auf die europäische Verteidigung ist richtig, was Angela gesagt hat. Wir haben Initiativen ergriffen in Gestalt unserer Verteidigungsminister, die bereits Vorschläge gemacht haben. Diese Vorschläge stehen allen anderen Partnern in der Europäischen Union offen.

Der zweite Schwerpunkt ist das Wachstum Wachstum, Beschäftigung und Investitionen. Dabei geht es insbesondere um die Technologien von morgen, die digitale Wirtschaft und die Infrastrukturen. Die Bewertung, die Unterstützung und die Verstärkung des Juncker-Plans sind da an der richtigen Stelle. Im Dezember-Rat können wir darüber beschließen. Der Präsident der Europäischen Kommission hat schon bestimmte Vorschläge gemacht. Das läuft zusammen mit den deutschen und französischen Vorschlägen, die wir gemeinsam erarbeitet haben. Was wir brauchen, ist eine Strategie eine Energiestrategie, eine Digitalstrategie, außerdem eine Strategie im Bereich der Infrastruktur.

Letzter Schwerpunkt, den ich nennen möchte, ist die Jugend. Dazu gehören über die Jugend hinaus natürlich auch die Werte, für die Europa steht, unser Erbe, unsere Kultur, aber auch die Kreativität, die Kreativen, die Künstler. Deswegen müssen die jungen Menschen die Möglichkeiten erhalten, um sich einzugliedern. Das ist die Jugendgarantie. Aber sie müssen auch die Mittel an die Hand erhalten, um sich freiwillig einzusetzen, zum Beispiel bei der Weiterentwicklung der Entwicklungspolitik in Afrika mit den afrikanischen Ländern. All diese Schwerpunkte finden sich wieder in dem Programm, das ich und das wir die Bratislava-Agenda nennen.

Ich denke, uns hat der Geist geleitet, dass wir uns des Misstrauens bewusst werden, das in Europa regiert, aber auch der Hoffnung, die von Europa ausgehen kann. Das wollten Deutschland und Frankreich. Wir wollten gemeinsam diesen Gipfel vorbereiten. Wir wollten, dass es zu Schlussfolgerungen kommt, diesem Arbeitsprogramm. Frankreich und Deutschland, die Bundeskanzlerin und ich, unsere Minister, werden weiter dafür sorgen, dass wir konkrete Maßnahmen vorschlagen und umsetzen.

Ich möchte zum Schluss kommen. In dieser Sitzung von Bratislava kam auch ein Wille zum Ausdruck, dass wir uns in Bezug auf das Klima-Abkommen gemeinsam engagieren und es ratifizieren wollen - nicht nur die Abstimmung des Europäischen Parlaments, die im Oktober ansteht. In einigen Ländern ist schon ratifiziert worden, aber bei allen Mitgliedern der Europäischen Union ist es noch nicht der Fall. Aber es sind nun alle bereit, die Ratifizierung so schnell wie möglich umzusetzen, damit Europa in die Governance dieses Abkommens eingebunden werden kann. Das ist das, was wir machen wollten. Wir waren bei den ersten, die es unterschrieben haben und werden auch sicherlich nicht die Letzten sein, die es ratifizieren.

FRAGE: An die Bundeskanzlerin als auch an den französischen Präsidenten: Es ist ja für diesen Gipfel eine offene Aussprache angekündigt worden. Nun ist der Eindruck, dass kontroverse Themen eher ausgeklammert worden sind. Deshalb die Frage, ob Sie glauben, dass dieser Geist von Bratislava, den Sie beschwören, bestehen kann, wenn man diese Streitthemen ausklammert und sich nur auf das besinnt, wovon man glaubt und weiß, dass man sich einigen kann?

In diesem Zusammenhang würde ich gern nach Ungarn fragen. Es ist ja hier von vielen gefordert worden, dass die Staats- und Regierungschefs auch zuhause für die EU werben, die EU nicht schwarz malen. Wie verträgt sich dann mit dem Geist von Bratislava ein Referendum, wie es der ungarische Ministerpräsident angesetzt hat, in dem es eigentlich gegen eine Mehrheitsentscheidung der Europäischen Union zur Aufnahme von Flüchtlingen geht? Würden Sie da auf Ihren ungarischen Kollegen einwirken, diesen Geist von Bratislava zu beherzigen?

BK'in Merkel: Alle Diskussionen haben sich heute dahin bewegt, dass der Geist von Bratislava nicht nur in Bratislava da ist, sondern er uns bei der Lösung der Probleme leitet. Wir haben mitnichten nur über Themen gesprochen, wo die Lösung schon auf dem Tisch liegt, sondern wir haben sehr offen die Themen angesprochen. Das haben gerade auch die betroffenen Länder getan, zum Beispiel Bulgarien, das ja eine Grenze mit der Türkei hat, aber auch Griechenland, das noch auf mehr Umsiedlung oder Relokalisierung von Flüchtlingen wartet; es ging also um die Umsetzung des EU-Türkei-Abkommens. Alles ist zur Sprache gekommen.

In dieser Agenda von Bratislava ist auch darauf hingewiesen worden, dass wir weitere Anstrengungen unternehmen müssen, um Konsens über die langfristige Migrationspolitik zu bekommen. Da die Agenda darauf gerichtet ist, bis zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge Fortschritte zu machen, ist auch verständlich, dass wir an diesem Thema arbeiten werden.

Also es war nicht so, dass wir die ganze Zeit nur über die Geschichte der Europäischen Union und die Werte gesprochen haben, sondern es waren sehr konkrete Diskussionen. Es war auch ein Anspruch, dass Europa wieder eine Werkstatt der Zukunft wird. Es ist darauf hingewiesen worden, dass wir eine komplizierte geographische Lage haben, dass Afrika unser Nachbar ist, dass die afrikanische Agenda genauso wie die Zusammenarbeit mit der Türkei auf der Tagesordnung steht.

In diesem Geist haben wir auch die Diskussionen geführt. Wir haben jetzt nicht speziell ein bilaterales Gespräch mit Viktor Orbán geführt, aber Viktor Orbán hat sich in diese Diskussion eingebracht. Auch er teilt diese Aufgabenstellung. Dass die Lösung nicht ganz einfach wird, das wissen wir.

P Hollande: Sie kennen die Teilnehmer am Europäischen Rat ja gut genug, um zu wissen, dass es sehr schwierig ist, sie daran zu hindern, auch die schwierigsten aller Themen anzusprechen und genau das war der Fall. Das heißt, die Frage der Migration, die Frage der Flüchtlinge, die Frage der Grenzkontrolle, all das wurde angesprochen, natürlich in erster Linie von denen, die am stärksten betroffen sind. Nichts wurde ausgespart.

Wir haben gesagt, dass wir die Außengrenzen stärker kontrollieren müssen. Wir müssen den Ländern, die dieser Situation entgegenstehen, mehr Mittel geben. Wir müssen diese Last teilen. Gleichzeitig müssen wir Vorkehrungen treffen ich habe daran erinnert , dass Asylrecht gewährleistet wird. Wir müssen dafür sorgen, dass diejenigen, die kein Asylrecht beanspruchen können, aus der Europäischen Union zurückgeführt werden können. Kein Thema wurde ausgespart, auch zum Beispiel die Umsetzung des Türkei-EU-Abkommens. Wir haben in dem Text des Präsidenten des Europäischen Rates noch einmal daran erinnert. Darin steht das.

Wir haben unterstrichen - auch wenn das nicht die Hauptdebatte war , dass Krisen und Kriege natürlich Auswirkungen auf die Ankunft von Flüchtlingen haben und dass Europa natürlich auch bei der Lösung dieser Themen beteiligt sein muss. Ich denke da an Syrien und Afrika. Die Bundeskanzlerin und ich haben unterstrichen auch Matteo Renzi, denn er ist ja auch an erster Front, geographisch und politisch gesehen , dass der Hilfsplan für Afrika, den wir in Valletta auf Malta vor einigen Monaten unterschrieben haben, noch stärker und schneller umgesetzt werden muss. Also alle Themen wurden angesprochen.

Was wichtig war: Wir brauchten diese Agenda, dieses Programm, um Fortschritte zu erzielen und nicht nur, um hier und da die unterschiedlichen Positionen anzusprechen, die natürlich noch zu bestimmten Themen bestehen.

Ich denke, dass Viktor Orbán nicht die gleichen Vorstellungen wie ich von bestimmten Themen hat. Klar, das kann ich Ihnen bestätigen. Ich glaube, ich habe jetzt ausreichend auf Ihre Fragen geantwortet.

Frage: Seit dem Brexit haben Sie uns beide angekündigt, dass Europa einen neuen Impuls erhält und der Impuls hier von diesem Gipfel ausgeht. Sie sind jetzt hier in einer gemeinsamen Pressekonferenz, seit 2012 eine Seltenheit. Muss man das wie ein Bild verstehen, das Sie dem Europa der 27 geben wollen? Oder ist da mehr über dieses Bild hinaus, dass wir hier heute Frau Merkel und Herr Hollande gegenüber dem Europa der 27 gemeinsam vor uns stehen haben?

P Hollande: Ist es das erste Mal, dass Sie Frau Merkel und mich hier gemeinsam in einer Pressekonferenz sehen? Wir haben schon so viele Pressekonferenzen gemeinsam abgehalten. Wir haben so viele Initiativen gemeinsam getragen. Ich spreche nicht nur über die Ukraine. Wir haben so viele bilaterale Gespräche miteinander.

Natürlich war dies ein besonderer Rat nach dem Austritt Großbritanniens. Normalerweise machen wir unsere Pressekonferenzen immer allein. Aber wir können die Methode auch ändern. Wenn wir eine gemeinsame Botschaft haben - und meistens ist unsere Botschaft ja auch gemeinsam , dann können wir die Pressekonferenz durchaus gemeinsam organisieren.

Bei diesem Gipfel nach dem britischen Ausscheiden war es sehr wichtig zu zeigen, dass Deutschland und Frankreich zu dem Erfolg Europas beitragen wollen und sie sich gemeinsam für diese Umsetzung engagieren. Aus diesem Grunde haben die Bundeskanzlerin und ich gesagt, dass wir die Ergebnisse dieses Gipfels gemeinsam vortragen und wir zeigen, dass wir uns gemeinsam der Situation bewusst sind und wir gemeinsam die Verantwortung übernehmen.

BK'in Merkel: Ich habe es jetzt schon gesagt: Wir befinden uns in einer entscheidenden Phase der Europäischen Union. Deshalb haben wir gemeinsam zwei Arbeitsmethoden angewandt. Wir haben überlegt: Welche Impulse können Frankreich und Deutschland, Deutschland und Frankreich, geben? Und wir haben überlegt: Wie können wir mit möglichst vielen sprechen? Das hat François gemacht; das habe ich gemacht. Zum Teil haben wir es gemeinsam mit Matteo Renzi gemacht.

Daraus ist dann sozusagen eine auf breiter Grundlage fußende Agenda geworden, die wir uns gestern noch einmal im Lichte der Gespräche mit Jean-Claude Juncker angeschaut haben. Heute glauben wir auch, mit diesem Signal zeigen zu können, dass wir uns über Bratislava hinaus in besonderer Weise, ohne irgendjemanden anderen auszuschließen, dafür verantwortlich fühlen, dass aus dieser Agenda auch ein Erfolg wird und nicht nur Worte im Raum stehen bleiben.

Ich glaube, das ist der ernsthaften Situation, in der wir uns befinden, angemessen. Das soll auch durchaus ein Signal sein, dass wir Impulse geben wollen, dass wir gemeinsam agieren wollen. So ist das heute hier zu verstehen.

Frage: Ich habe eine Frage sowohl an die Bundeskanzlerin als auch an den Präsidenten. Die Visegrád-Staaten haben heute eine flexible Solidarität in der Migrationskrise vorgeschlagen. Mich würde interessieren, ob Sie beide einverstanden wären, dass man von diesem Streit über die Quoten wegkommt, indem man Ländern erlaubt, weniger Flüchtlinge aufzunehmen, dafür aber mehr bei Finanzen und beim Schutz der Außengrenzen zu tun.

Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie erlauben, noch eine Frage zur Deutschen Bank, weil das amerikanische Justizministerium jetzt mit einer Strafe von 14 Milliarden Dollar droht. Sehen Sie das als Retourkutsche für das EU-Vorgehen gegen Apple? Wäre die Bundesregierung bereit, der Deutschen Bank notfalls unter die Arme zu greifen?

BK'in Merkel: Ich glaube, es ist klug, diese Meldung jetzt von meiner Seite aus nicht zu kommentieren. Deshalb will ich mich auf die Frage der Visegrád-Staaten konzentrieren, die Sie gestellt haben.

Ich sehe in der Mitteilung der Visegrád-Staaten, flexibel vorzugehen, aber immerhin nach Lösungen zu suchen, durchaus einen positiven Ansatz. Wir müssen ja zum Schluss alle zu Lösungen kommen. Deshalb wird es interessant sein, mit den Staaten darüber zu sprechen, was sie sich genau vorstellen. Diese Präzisierung konnten wir natürlich heute nicht im Detail ausloten. Aber da ja ein Teil unserer Agenda das Thema Migration, Außengrenzen und Fluchtursachen ist, werden wir sicherlich darüber sprechen müssen.

Europa ist immer darauf angewiesen, Kompromisse zu finden. Deshalb freue ich mich auf die Diskussion. Wir haben ja auch alle erlebt, dass bei einigen Mehrheitsbeschlüsse in einer so sensiblen Frage auf sehr großen Widerstand gestoßen sind. Daraus muss man dann sehen, ob wir auf anderem Wege vorankommen.

P Hollande: Die Priorität, die wir heute festgehalten haben, ist, dass wir die Außengrenzen der Europäischen Union sicherstellen wollen. Wenn es diese Garantie nicht gibt, dann können wir hinterher keinen Mechanismus anwenden, der dann gerecht und effizient umgesetzt wird. Wir wissen, dass da noch viel vor uns liegt. Es ist auch der Beweis dafür, dass wir in den kommenden Monaten dank einer Verstärkung der Mittel und der Umsetzung einer bestimmten Reihe von Mechanismen, Absprachen und Vereinbarungen in der Lage sind, das Migrationsphänomen zu beherrschen, aber auch in Würde weiterhin die Flüchtlinge aufzunehmen, die wir aufzunehmen haben.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Herr Präsident, hat die Tatsache, dass Großbritannien heute nicht da ist, es Ihnen heute ermöglicht, über bestimmte Blockaden hinwegzukommen, zum Beispiel im Verteidigungsbereich? Wenn es jetzt um Entscheidungen geht, wie können Sie denn diese Entscheidungen treffen? Denn Großbritannien muss ja eigentlich noch hinzugezogen oder eingebunden werden, obwohl sie weg wollen.

Dann noch eine politische Frage: Meinen Sie, dass die Initiativen, die Sie heute ansprechen, ihre Wähler in ihren beiden Ländern im nächsten Jahr überzeugen werden?

P Hollande: Der letzte Teil Ihrer Frage verdient einen globalen Ansatz. Ich glaube nicht, dass ein Europäischer Rat das Beziehungsgeflecht mit den Wählern ändern würde. Denn die Wähler werden natürlich auch andere Ergebnisse berücksichtigen. Aber es stimmt, was Sie sagen - nicht in Bezug auf die Wahltermine, sondern auf die Verantwortung, die wir tragen.

Es geht darum, das Band, das zwischen Europa und dem Bürger gelockert worden ist, wieder fester zu ziehen. Wenn Europa in Frage gestellt wird, dann werden auch die Werte und die Demokratie in Frage gestellt. Sie können darunter leiden. Diejenigen, die Europa zerstören wollen, wollen nicht die Demokratie stärken. Sie wollen auch nicht die Werte umsetzen, für die wir auf unserem Kontinent, in unseren beiden Nationen, stehen.

Die Populisten kämpfen gegen Europa, weil die Populisten sich gegen ein Wertesystem und gegen ein gesellschaftliches System richten. Wir haben also diese Verantwortung. Es stimmt: Wir werden uns vor unsere Wähler stellen und Ihnen das erklären müssen.

In Bezug auf Großbritannien: Ja. Großbritannien hat nach wie vor Verantwortung und will auch weiterhin Verantwortung im Verteidigungsbereich tragen. Wir haben Abkommen zwischen Frankreich und Großbritannien im Verteidigungsbereich. Sie wurden nicht nur beibehalten, sondern verstärkt, konsolidiert. Sogar nach dem Brexit habe ich mit der neuen Premierministerin darauf geachtet, dass wir in den Verteidigungsfragen gemeinsam weiter zusammenarbeiten können. Aber wir müssen natürlich auch in der Union der 27 in Bezug auf Verteidigung vorankommen, um Bedrohungen entgegenzutreten, um das umzusetzen, was wir wissen, um gegen den Terrorismus vorzugehen, gegen die Bedrohungen, die vom Terrorismus ausgehen. Auch da sind wir in der Verantwortung. Es wurden Initiativen ergriffen, und diese Initiativen sind neu zwischen Deutschland und Frankreich. Es sind jetzt nicht unbedingt die Fragen, die neu sind, die wir zwischen Deutschland und Frankreich angesprochen haben. Früher ging es eher um wirtschaftliche Fragen. Es ging um die Eurozone. Wir haben uns um die Annäherung unserer Gesellschaftsmodelle gekümmert. Jetzt wurden dank der Arbeit unserer Verteidigungsminister, die auf unsere Anregung hin gearbeitet haben, Vorschläge im Verteidigungsbereich gemacht. Es geht um eine Stärkung der militärischen Fähigkeiten. Es geht darum besser zu organisieren, wie unsere Truppen verlegt werden können, wie wir dazu beitragen, dass wir die Operationen der Streitkräfte besser finanzieren können, wenn sie außerhalb unserer Grenzen eingesetzt werden, und es geht um eine industrielle Basis für das Europa der Verteidigung.

Ich glaube, diese Initiative kann jetzt an andere Länder herangetragen werden. Denn es ist ein offener Vorschlag, ein inklusiver Vorschlag. Dieser Vorschlag kann dann morgen zu einer strukturierten Zusammenarbeit führen, die ja im Übrigen auch in den Verträgen vorgesehen ist.

Es war also sehr wichtig, dass Frankreich und Deutschland sich in Bezug auf die Verteidigungsfragen stärker annähern.

BK'in Merkel: Ich kann mich voll der Antwort auf die Frage nach der Verteidigung anschließen. Der Lissabon-Vertrag sieht solche Möglichkeiten vor. Natürlich ist Großbritannien weiter Teil des Europäischen Rates, solange der Austritt nicht vollzogen ist mit allen Rechten und mit allen Pflichten. Wir wissen natürlich auch, dass die Agenda eines Europäischen Rates immer gemeinsam besprochen werden muss. Das wird Donald Tusk als Ratspräsident sicherlich auch mit Theresa May tun. Aber wir müssen uns natürlich auch auf unsere Arbeit vorbereiten, die wir ohne Großbritannien leisten müssen.

Was die Frage der Überzeugung der Wählerinnen und Wähler anbelangt: Ich meine, die Wählerinnen und Wähler erwarten von uns Resultate. Das heißt, es ist ein erster Schritt, dass wir uns einigen, was wir tun wollen. Aber natürlich möchten die Menschen dann sehen: Was passiert mit den Roaming-Gebühren? Habe ich WLAN? Ist der 5G-Standard erzeugt? Kommen weniger Migranten illegal mit Schleusern und Schleppern? Tun wir etwas, um die Lebenslage der Flüchtlinge vor Ort zu verändern? Haben wir zum Beispiel geregelte Kontingente, wie wir das gesagt haben, auf freiwilliger Basis beim EU-Türkei-Abkommen? Den Wähler interessiert nur: Ist es in die Tat umgesetzt? Wie ist das Resultat? Wie ist mein persönliches Leben?

Aber wenn wir uns nicht einig sind, was wir machen wollen, dann haben wir gar keine Chance. Deshalb, glaube ich, war das heute ein wichtiger Schritt, aber eben nur ein Schritt auf einem längeren Weg.

Herzlichen Dank.

Samstag, 17. September 2016

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Quelle:
Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und dem
französischen Präsidenten Hollande vom 17.09.2016 in Bratislava
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/09/2016-09-16-statement-bkin-hollande.html;jsessionid=8EFF3C5ADC83FAD23209C648E537C6D8.s7t1
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2016

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