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PRESSEKONFERENZ/1271: Regierungspressekonferenz vom 20. Juli 2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut Mitschrift der Pressekonferenz - Mittwoch, 20. Juli 2016 Regierungspressekonferenz vom 20. Juli 2016

Themen: Personalie, Kabinettssitzung (Übergabe eines Blumenstraußes an die Bundeskanzlerin anlässlich ihres Geburtstages, Gesetzentwurf zur Neuordnung der Aufgaben der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung, Gesetzentwurf zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften über das Schulprogramm für Obst, Gemüse und Milch, ehrenamtliches Engagement bei der Integration von Flüchtlingen, Stand der Ermittlungen zum Attentat in Würzburg), Einsatz der Bundeswehr im Irak, Berichte über zivilen Opfer bei einem Luftangriff in Syrien, Maßnahmen des türkischen Staats nach dem gescheiterten Umsturzversuch, Antrittsbesuch der neuen Premierministerin Großbritanniens, iranisches Nuklearabkommen, Vorwahlkampf in den USA, Übernahme des Roboterherstellers KUKA durch einen chinesischen Konzern, Besuch des US-amerikanischen Vizepräsidenten in Moskau, Veranstaltung mit dem Bundespräsidenten und Opfern der Colonia Dignidad in Chile

Sprecher: StS Seibert, Moiteaux (BMWi), Dimroth (BMI), Nannt (BMVg), Fischer (AA),


Vors. Detjen: Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen. Herzlich willkommen in der Bundespressekonferenz. Wir begrüßen den Regierungssprecher, Herrn Seibert, und die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien an diesem Mittwoch, an dem Tag, an dem die Kabinettssitzung stattgefunden hat. Dazu wird Herr Seibert uns gleich einiges sagen. Vorab aber würde sich, muss sich, darf sich - das wird sie jetzt aufklären - Frau Moiteaux aus dem Bundeswirtschaftsministerium von uns jedenfalls an dieser Stelle verabschieden.

Moiteaux: Ich möchte mich heute hier von Ihnen allen verabschieden, weil ich zum 1. August für eine gewisse Zeit in das britische Wirtschaftsministerium gehen werde. Ich freue mich schon sehr auf die spannenden neuen Aufgaben. Ich schaue natürlich auch mit einem weinenden Auge auf die Zeit hier zurück. Mir werden nicht unbedingt die Wochenenddienste fehlen. Aber ansonsten ist die Arbeit in der Pressestelle etwas ganz Besonderes. Ich glaube, ich muss hier niemandem erzählen, welch wichtiges Instrument auch gerade die Regierungspressekonferenz ist.

Ich wollte Ihnen allen für die gute Zusammenarbeit danken, und zwar auf beiden Seiten des Tisches hier. Ich habe sehr, sehr viel gelernt und werde das immer in sehr guter Erinnerung behalten. - Vielen Dank!

Vors. Detjen: Frau Moiteaux, auch Ihnen herzlichen Dank für die Zusammenarbeit, für die Mitwirkung an dieser Stelle. Für das, was Sie da vorhaben, alles Gute. Das klingt wirklich sehr spannend. Das ist wahrscheinlich eine EU-Kooperation. Wir laden Sie, wenn Sie zurückkommen, dann einmal ein, hier gerne "unter drei" zu erklären, was man gerade in der britischen Regierung alles so erlebt. Viel Spaß dort, alles Gute für Sie und auf Wiedersehen.

Dann haben wir, wie jeden Mittwoch, den Bericht aus dem Bundeskabinett von Herrn Seibert.

StS Seibert: Guten Tag, die Sitzung des Kabinetts begann damit, dass Bundesfinanzminister Schäuble namens seiner Kolleginnen und Kollegen der Bundeskanzlerin mit einigen Sätzen und einem Blumenstrauß zum Geburtstag gratuliert hat, den sie am Sonntag gefeiert hat.

Das erste Gesetz, das die Runde besprochen und beschlossen hat, kommt dann auch gleich aus seinem Hause. Es handelt sich um den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Aufgaben der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA). Die Bundesregierung will damit die Reaktionsfähigkeit der deutschen Aufsicht bei Bankenschieflagen verbessern und ordnet also die Aufgaben dieser FMSA neu. Wir haben neue Rahmenbedingungen. Wir haben Ende 2015 den von der FMSA verwalten Finanzmarktstabilisierungsfonds - früher SoFFin genannt - endgültig geschlossen. Wir haben seit Anfang 2016 den einheitlich europäischen Abwicklungsmechanismus SRM, der in Kraft getreten ist. Das heißt, es ist jetzt die Zeit, diese nächsten Schritte zu machen.

Die FMSA wird entlang ihrer zwei wesentlichen Aufgabenbereiche aufgeteilt, und zwar mit den Mitarbeitern, die für diese Aufgabenbereiche zuständig sind. Der Teil, der bisher die Aufgabe der Nationalen Abwicklungsbehörde ausgeübt wird, wird in die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht integriert, also in die BaFin. Der andere Teil, der die Verwaltung des Finanzmarktstabilisierungsfonds umfasst hat, wird in die Finanzagentur eingegliedert. Das ist also gebündelte Sachkunde, die sowohl die BaFin als auch die Finanzagentur stärkt. Wir werden in Zukunft kürzere Entscheidungswege haben und werden vor allem für die Mitarbeiter der FMSA langfristige Perspektiven eröffnen können.

Die Nationale Abwicklungsbehörde bleibt jedoch innerhalb der BaFin als ein operativ eigenständiger Geschäftsbereich mit einem eigenen Exekutivdirektor oder einen eigenen Exekutivdirektorin erhalten. Damit ist eine angemessene Abwägung aller Aufsichtsmaßnahmen unter einem Dach von Prävention bis Abwicklung sichergestellt.

Dann hat sich das Bundeskabinett mit der gesunden Ernährung von Schulkindern befasst. Es gibt bis jetzt schon ein EU-Schulprogramm für Schulmilch, und es gibt eines für Schulobst und -gemüse. Diese beiden Programme werden nun zu einem einheitlichen Programm zusammengefasst. Dafür stellt die Europäische Union 250 Millionen Euro jährlich zur Verfügung. Die Bundesregierung unterstützt dieses Ziel, junge Menschen an eine ausgewogene Ernährung heranzuführen und hat deshalb den Gesetzentwurf zur Durchführung des neuen EU-Schulprogramms beschlossen.

Bei dem regelmäßigen Kabinettstagesordnungspunkt "ehrenamtliches Engagement bei der Integration von Flüchtlingen" haben heute sowohl der Bundesinnenminister als auch die Familien- und Jugendministerin, Frau Schwesig, gemeinsam vorgetragen. Sie haben einen Bericht über das vielseitige ehrenamtliche und zivilgesellschaftliche Engagement bei der Integration von Flüchtlingen und über die verschiedenen Maßnahmen vorgelegt, die eine aktive Teilhabe von Flüchtlingen ihrerseits an ehrenamtlicher Tätigkeit ermöglichen. Dieses freiwillige Engagement unzähliger Menschen in Deutschland hat im vergangenen und auch in diesem Jahr erheblich dazu beigetragen, die Herausforderungen der Flüchtlingsaufnahme zu bewältigen.

Zum Schluss hat der Bundesinnenminister dem Kabinett über den Stand der Ermittlungen im Falle des Würzburger Zug-Attentäters berichtet.

Frage : Herr Seibert, Herr Dimroth, haben Sie irgendwelche Hinweise darauf, dass das Attentat von Würzburg Terrorismus war?

StS Seibert: Der Bundesinnenminister hat sich, glaube ich, vor gerade einer Stunde sehr ausführlich zu dem Anschlag und vor allem auch zu den Hintergründen, soweit sie bisher ermittelt sind, jedenfalls zum Stand der Ermittlungen geäußert. Dem habe jetzt hier nichts hinzuzufügen.

Dimroth: Dem habe ich auch nichts hinzuzufügen, insbesondere weil der Minister sich auch ausdrücklich zu der von Ihnen gestellten Frage geäußert hat und vor allem in Bezug auf die Aufarbeitung des Sachverhalts darauf hingewiesen hat, dass diese noch nicht abgeschlossen ist und bei den bayerischen Sicherheitsbehörden in guten Händen ist, sodass es für eine abschließende Einordnung - in welche Richtung auch immer - heute sicher noch zu früh ist.

StS Seibert: Ich will für die Bundeskanzlerin noch sagen: Sie hat sich gestern laufend über diesen tragischen Fall und den Stand der Ermittlungen informieren lassen, insbesondere natürlich durch das Bundesinnenministerium, den Minister und die Staatssekretärin, aber auch durch Minister Altmaier. Die ganze Anteilnahme der Bundeskanzlerin gilt den Opfern dieses Anschlags: der Familie aus Hongkong genau wie den deutschen Verletzten. Wir denken an sie. Wir hoffen für sie und mit ihnen auf körperliche wie seelische Genesung.

Der Dank der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung insgesamt geht an die beteiligten Polizisten, die Ärzte, die Ersthelfer, die getan haben, was sie konnten, um die Bevölkerung vor weiterer Gefahr zu beschützen und um den Schwerverletzten so rasch wie möglich zu helfen.

Jetzt bleibt den Ermittlern noch viel Arbeit. Wir alle sollten sie in dieser Arbeit unterstützen, damit die richtigen Schlüsse aus diesem in jeder Hinsicht schockierenden Angriff mit so fürchterlichen Folgen gezogen werden können.

Frage : Herr Dimroth, wird eigentlich diese Attacke als erster Terroranschlag angesehen, an dem auch der IS in irgendeiner Form in Deutschland beteiligt war? Wie stufen Sie diesen Vorfall gerade in Bezug auf den IS eigentlich ein?

Dimroth: Dabei gilt weitgehend das, was ich gerade gesagt habe: Der Bundesinnenminister hat sich genau zu diesen Fragen vor wirklich wenigen Minuten geäußert. Ich kann auch gerne anbieten, dass wir im Nachgang zu dieser Veranstaltung den O-Ton seines Statements noch einmal in diesem Kreis verschicken. Er hat auch zu dieser Frage Stellung genommen.

Wie Sie wissen, gab es in Deutschland bereits Attentate, die in diesen Themenkomplex gehören: sowohl am Hauptbahnhof Hannover als auch der Angriff auf den Sikh-Tempel in Essen sowie vor geraumer Zeit der Angriff auf amerikanische Soldaten am Frankfurter Flughafen. All das waren Vorfälle, die wir in diesen Gesamtkomplex stellen. Insofern ist das sicher nicht ein erster Fall.

Noch einmal: Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Insofern ist es für eine abschließende Bewertung dieses Sachverhalts heute sicher noch zu früh.

Frage : Sehen Sie es mir nach, dass ich die Äußerungen des Ministers nicht mitbekommen habe. Gibt es aus diesem ganz konkreten Fall irgendwelche Folgerungen, zum Beispiel in konkret operativer Form, also Überwachung, Aufstockung von Personal an gewissen in Zügen oder Ähnlichem? Gibt es möglicherweise Überlegungen, auf diesen Anschlag auf gesetzlicher Seite auf dieses Attentat, diesen Anschlag zu reagieren oder ist das noch offen?

Dimroth: Es ist jetzt ein bisschen eine missliche Lage, weil, wie gesagt, der Minister sich gerade sehr ausführlich dazu geäußert hat. Ich kann gerne den O-Ton verschicken; das Angebot steht. Ich kann das gerne auch alles noch einmal wiederholen.

Es ist ja so, dass es eine Reihe von Maßnahmen in dieser Legislaturperiode gegeben hat, die diese Bundesregierung ergriffen und erfolgreich durchgesetzt hat. Das betrifft eine Reihe von gesetzgeberischen Maßnahmen sowohl auf nationalem wie auch internationalem Level, insbesondere dem europäischen Level. Das betrifft aber - das ist dem Innenminister besonders wichtig - eben auch eine durchgängige Stärkung der Personalausstattung der Sicherheitsbehörden des Bundes durch die gesamte Legislaturperiode in sehr bemerkenswertem Umfang. Insofern ist es nicht so, dass wir sozusagen tätig werden müssen, weil bis jetzt noch nichts geschehen ist. Das Gegenteil ist der Fall.

Der Minister hat auch gesagt, dass aus seiner Sicht mit Stand heute die Analyse folgende Schlüsse zulässt: Videoüberwachung ist ein wichtiger Bestandteil und ein wichtiges Element auch bei der Bekämpfung solcher Delikte, insbesondere auch im Zusammenhang mit dem Zugverkehr. Mehr Polizei, mehr Präsenz von Polizei ist ein wichtiger Punkt. Dazu hatte ich gerade ausgeführt, dass jedenfalls für den Bund im Laufe dieser Legislaturperiode hier sehr viel geschehen ist. Die hinreichende Ausstattung mit Sicherheit für die im Einsatz befindlichen Beamten ist ein wichtiges Element.

Der Minister hat auch noch einmal betont, dass neben Deradikalisierungs- und Präventionsmaßnahmen des Staates auch die Achtsamkeit der Bevölkerung für die Menschen in ihrem unmittelbaren Umfeld ein wichtiger Bestandteil ist, weil es gerade dann, wenn es sich um Radikalisierungsprozesse handelt, die schnell und im privaten Umfeld vonstattengehen, wichtig ist, dass Menschen, die sich im Umfeld dieser Menschen aufhalten, sehr achtsam darauf schauen, ob es Veränderungen gibt, die Anlass zu Sorge geben, dass ein solcher Radikalisierungsprozess stattfindet und dann auch die Beratungsangebote, die insbesondere beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge breit gefächert vorgehalten werden, in Anspruch nehmen.

Frage: Herr Dimroth, hat der Minister sich auch zu der Forderung des bayerischen Innenministers Herrmann nach einer Obergrenze geäußert? Ich habe die Pressekonferenz nur zum Teil verfolgt.

Dimroth: Nein, das hat er nicht.

Zusatz: Dann würde ich diese Frage jetzt gerne stellen.

Dimroth: Die lautet wie?

Zusatz: Der bayerische Innenminister Herrmann hat heute Morgen das Attentat in Würzburg noch einmal zum Anlass genommen, seine Forderung nach einer Obergrenze zu erneuern. Er hat gesagt, man müsse ganz genau sehen, was nach Deutschland reinkomme. Ich würde das in "wer nach Deutschland reinkomme" umformulieren.

Dimroth: Zum ersten Teil Ihrer Frage, wenn ich das sozusagen für mich im Kopf als Frage umformuliere: Es hat sich an der Position des Innenministers zu der Frage einer Obergrenze nichts geändert - weder durch den Sachverhalt noch durch die Äußerungen des bayerischen Innenministers. Die Position ist bekannt, und sie ist unverändert.

Was die andere Frage betrifft: Das Interesse, grundsätzlich ein größtmögliches Maß an Information, an Kenntnis darüber zu haben, wie das Migrationsgeschehen sich ausgestaltet, teilen wir. Es ist aber auch nicht neu, dass wir dieses Interesse teilen, sondern ganz im Gegenteil: Es ist ja sehr früh erkannt worden, dass es bei den bestehenden Systemen, die für eine sehr viel geringere Zahl von Zuwanderungen oder Flüchtlingsgeschehen ausgestattet waren, als wir das im letzten Herbst und Anfang dieses Jahres erleben konnten, Verbesserungsbedarf gibt. Dieser Verbesserungsbedarf ist angegangen worden. Insbesondere mit dem sogenannten Ankunftsnachweis und dem dahinter liegenden Kerndatennetz ist ein System in beinahe schon bemerkenswerter Schnelle in der gesamten Fläche etabliert, ausgerollt und im Einsatz, was genau an dieser Stelle ansetzen soll, dass nämlich hier ein verlässlicheres Maß an Erkenntnis darüber zentral und dann für alle in diesem Prozess tätigen Behörden abrufbar vorgehalten wird.

Zusatzfrage: Ich habe eher eine Einschätzungsfrage. Das, was gestern in Würzburg passiert ist, ist ja sozusagen die Horrorvorstellung von dem, was man sich vorstellen kann: Jemand, der nicht auffällt, der relativ gut betreut wurde, den man überhaupt nicht auf dem Schirm hat und der sich sehr zügig radikalisiert. Das ist ja eine Geschichte, die von Menschen, die die Flüchtlingspolitik hier in Deutschland sehr kritisch sehen, als nützliches Beispiel benutzt werden kann, um zu sagen: Das war alles falsch, was wir im vergangenen Jahr gemacht haben.

Dimroth: Jetzt möchten Sie eine Einschätzung von mir, ob alles falsch war, was wir im vergangenen Jahr gemachten haben?

Zusatz: Von Ihnen oder von Herrn Seibert.

Dimroth: Dann wäre die Antwort leicht: sicher nicht. Sicher ist dieser Sachverhalt auch nicht dazu geeignet - schon gar nicht in einem nicht ausermittelten Stadium, in dem wir uns befinden; das muss ich leider wiederholen -, hier ganz grundlegende Schlüsse zu ziehen, die weit über den konkreten Sachverhalt hinausgehen. Denn auch für solche Schlussfolgerungen ist es ja nicht unerheblich, wie der Sachverhalt sich tatsächlich beweissicher im Endeffekt darstellen wird. Woher ist jemand gekommen? Wie lange war er wo? Wie ist tatsächlich Integration und Betreuung eines, soweit wir wissen, unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings vonstattengegangen? All das sind Fragen, auf die es noch keine abschließenden Antworten gibt. Insofern ist es sicher zu früh, jetzt überhaupt Schlüsse aus diesem Sachverhalt zu ziehen, wie von Ihnen gerade skizziert.

Aber sicher ist auch: Wir sprechen ja nicht ohne Grund schon seit geraumer Zeit davon, dass es selbstverständlich bei den Sicherheitsbehörden immer wieder Hinweise gibt, dass es unter dem Flüchtlingsstrom derjenigen, die nach Deutschland gekommen sind, auch Erkenntnisse dazu gibt, dass es möglicherweise Bezüge zu terroristischen Organisationen gibt. Selbstverständlich ist es so, dass die Sicherheitsbehörden jedem einzelnen dieser Hinweise mit größter Seriosität und Sorgfalt nachgehen. Es gibt auch einige Ermittlungsverfahren, die noch laufen. In vielen Fällen hat sich herausgestellt, dass sich ein entsprechender Anfangsverdacht nicht erhärten lässt, möglicherweise auch Denunziantentum eine Rolle gespielt hat, dass Flüchtlinge sich untereinander beschuldigen. Aber all das ist jedenfalls nicht neu.

Deswegen noch einmal: Wenn Sie mich Spitz auf Knopf fragen, ob das aus meiner Sicht alles falsch war, was im Lichte dessen, was am Montagabend in Würzburg geschehen ist, geschehen ist, dann lautet meine Antwort: Nein.

StS Seibert: Herr Dimroth hat sehr klar auf die wirklich vielfachen Anstrengungen des Staates hingewiesen, für Sicherheit noch mehr zu tun. Trotzdem wissen wir alle, dass es bei all diesen Anstrengungen nie den Zustand absoluter Sicherheit geben wird.

Wenn man nun auf die verschiedenen terroristischen Anschläge der letzten Zeit - Paris, Brüssel, Nizza - schaut, dann ist das ja kein einheitliches Bild. Dann kann man nur sagen: In den allermeisten Fällen waren die Täter jedenfalls keine Flüchtlinge, sondern sie waren zum Teil hier in Europa geboren; sie waren zum Teil schon sehr lange Zeit hier.

Der Täter von Würzburg - das steht fest - war ein Flüchtling. Ich würde aber schon gerne an das erinnern, was Minister Altmaier gestern gesagt hat: Die grauenhafte Tat eines Einzelnen kann nicht eine große Gruppe von Menschen diskreditieren.

Frage : Herr Dimroth, ich habe die Pressekonferenz eben auch nur zum Teil verfolgt, und vielleicht frage ich deswegen nach etwas, was dort auch nachgefragt wurde. Der Innenminister sprach auch von einem Mehr an Videoüberwachung auf Bahnhöfen und gegebenenfalls in Zügen. Ich habe mich gefragt: Was nützt das in so einem konkreten Fall wie bei diesem Menschen, der mit einer Axt, einem Messer oder ähnlichen Waffen einen Regionalzug besteigt? Können Sie mir das erläutern?

Dimroth: Ich glaube, es ist völlig unstreitig, dass - jedenfalls ganz grundsätzlich - sowohl das Sicherheitsgefühl als auch die objektive Sicherheit dadurch verstärkt werden, dass mehr Videoüberwachung stattfindet. Das gilt in Teilen für den Bereich der Prävention, also für die Verhinderung von Straftaten. Das gilt ganz unbedingt aber auch für die Aufklärung von Straftaten, wenn sie denn nicht zu verhindern waren. Das gilt auch für diesen konkreten Sachverhalt, bei dem es dann vielleicht doch leichter möglich wäre, den konkreten Tathergang schon jetzt zu rekonstruieren. Das gilt auch dafür, die von Ihnen ja immer wieder gestellte Frage nach einem möglichen terroristischen Hintergrund deutlicher zu beantworten, weil man durch eine solche Videoaufzeichnung möglicherweise Anhaltspunkte für den konkreten Tathergang auch jetzt schon beweissicher vorliegen hätte. Das betrifft also eine Reihe von Punkten.

Es bleibt aber auch in diesem Punkt bei dem, was Herr Seibert gerade noch einmal gesagt hat und was der Bundesinnenminister auch gerade gesagt hat: Absolute Sicherheit wird man nicht gewährleisten können, egal durch welche Maßnahmen, jedenfalls wenn es um Maßnahmen geht, die wir rechtsstaatlich sauber durchführen können. Daran, dass dieser Rahmen gilt, besteht ja hoffentlich kein Zweifel.

Frage : Herr Seibert, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie es verurteilen oder unanständig finden, wenn diese Tat jetzt mit der Flüchtlingssituation in Verbindung gebracht wird?

Herr Dimroth, habe ich Sie richtig verstanden, dass der Bombenanschlag auf diesen Sikh-Tempel und der Mord an den beiden US-Soldaten bei Ihnen als islamistischer Terroranschlag gilt?

StS Seibert: Keines der Worte, die Sie mir da in den Mund legen, habe ich benutzt. Ich habe das gesagt, was ich gesagt habe.

Dimroth: Auf Ihre konkrete Frage hatte ich mich geäußert, möglicherweise auch missverständlich; ich kann mich nicht mehr ganz so gut wie Herr Seibert an das genau Gesagte erinnern. Jedenfalls ordnen wir das als terroristische Anschläge auf deutschem Boden ein. Ja, so ist das.

Zusatzfrage : Warum?

Dimroth: Weil die entsprechenden Erkenntnisse, die sich aus den jeweiligen Ermittlungen ergeben haben, genau dies belegen.

Frage : Herr Dimroth, es gab jetzt Medienberichte über die Nationalität des Attentäters. Darin war auch von "Pakistani" die Rede. Können Sie dazu Näheres sagen? Gibt es Kontakte mit pakistanischen Offiziellen, falls er Pakistani ist?

Dimroth: Dazu kann ich nichts Näheres sagen. Dazu hat der Minister auch gerade ausgeführt, dass es diese Spekulationen gibt; das ist bekannt. Es gibt aber jedenfalls keine mir vorliegende abschließende Aufklärung dieses Sachverhaltssplitters. Auch insoweit gilt, dass die ermittlungsführenden Stellen in Bayern hierfür die richtigen Ansprechpartner wären, die dann auch Ergebnisse kommunizieren würden.

Frage : Herr Dimroth, vielleicht wissen Sie mehr als wir, aber zum Beispiel die Staatsanwaltschaft in Essen hat die Täter des Anschlags auf den Sikh-Tempel nicht wegen Terrorismus oder irgendwelcher staatsgefährdenden Taten angeklagt, sondern nur wegen versuchter Tötung, gefährlicher Körperverletzung und dem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion. Da sagt also selbst die Staatsanwaltschaft: Da ist nichts von Terrorismus zu merken. Auch beim Radrennen in Frankfurt wurde der Täter jetzt zwar verurteilt, aber nicht wegen irgendwelcher staatsgefährdenden Maßnahmen. Warum sprechen Sie da also von Terrorismus? Ist das jetzt politisch motiviert? Wollen Sie also davon sprechen?

Dimroth: Ich weiß nicht, wie Sie jetzt auf das Beispiel Frankfurt kommen; das hatte ich ja bewusst nicht aufgeführt. Insofern - - -

Zuruf : Das hat der Minister hier mehrfach in BPK immer wieder als versuchten Terroranschlag charakterisiert!

Dimroth: Sie hatten mich gerade nach dem gefragt, was ich ausgeführt habe, und insofern würde ich Sie bitten, sozusagen die Vollständigkeit zu wahren. Ich hatte diesen Sachverhalt nicht genannt.

Noch einmal: Nach allem, was wir wissen, und nach den Erkenntnislagen bleibt es dabei, dass wir diese drei Fälle so einordnen, wie ich es eben getan habe.

Zusatz : Also wissen Sie mehr als die Staatsanwaltschaft.

Dimroth: Also bleibt es dabei, was ich gerade gesagt habe.

Frage: Herr Dimroth, Sie haben gesagt, dass die Behörden Hinweise darauf haben, dass unter den Flüchtlingen auch Menschen sein könnten, die Kontakte zu den Terroristen haben könnten. Können Sie vielleicht eine prozentuale Einschätzung des Ministeriums dazu abgeben? Wie viele Fälle haben Sie jetzt im Visier?

Dimroth: Eine prozentuale Einschätzung kann ich Ihnen sicherlich nicht geben. Es gibt Zahlen darüber, wie viele Ermittlungsverfahren es gibt. Ich werde, wenn gleich jemand anderes etwas gefragt werden wird, die Gelegenheit nutzen, um nachzuschauen, ob ich die Zahlen dabei habe. Wenn nicht, würde ich sie nachreichen. Es gibt also sozusagen aufaddierte Zahlen dazu, wie viele Ermittlungsverfahren es tatsächlich in diesem Kontext gibt. Ich muss schauen, ob ich sie dabei habe.

Zusatzfrage: Aber wie viele Fälle haben Sie jetzt, wie gesagt, im Visier? Das kann man ja jetzt sagen.

Dimroth: Das wäre ja im Prinzip die gleiche Zahl, jedenfalls weitestgehend.

Frage : Ich würde gerne auf den IS und den Irak zu sprechen kommen. Herr Nannt, sehen Sie sich in der Lage, eine Bilanz des Bundeswehreinsatzes im Irak zu ziehen?

Herr Fischer, der Minister hat heute 160 Millionen Euro für Stabilisierungsmaßnahmen angekündigt. Sind das, wie ich es jetzt einmal nenne, rein zivile Maßnahmen, oder umfasst das auch militärische Ausgaben?

Nannt: Sie sprechen mich wahrscheinlich auf den Einsatz in Erbil im Nordirak an. Ich habe die Zahlen dazu, wie die Unterstützungsleistung dort durchgeführt wurde, jetzt nicht parat. Die können Sie aber auch bei uns nachlesen.

Insgesamt sind es zwei Felder, in denen wir aktiv sind, zum einen natürlich im Bereich der Lieferung der Ausrüstung und des Materials. Der zweite Punkt ist der Bereich der Ausbildung. Insgesamt haben wir dort nach unserer Bewertung große Fortschritte erzielt. Die Qualität im Bereich der Fähigkeiten der Peschmerga, die auch wirklich hoch gelobt wird, hat sich deutlich erhöht, gerade auch, was die Zusammenarbeit in komplexen Situationen angeht, gerade auch, wenn es darum geht, was wir dort im Bereich der sanitätsdienstlichen Unterstützung machen, und wenn es darum geht, wie dort in schwierigen, gefährlichen Situationen gehandelt werden muss. Hier gibt es also einen deutlichen Zugewinn. Die Mission ist also aus unserer Sicht sehr erfolgreich. Gerade auch durch die Lieferung der Ausrüstung, die wir dort an die Peschmerga geliefert haben, sind die in der Lage, wesentliche Erfolge zu erzielen.

Wenn man zurückblickt, sieht man: Es ist einfach so, dass der IS dort eingedämmt werden konnte. Das ist natürlich ein ganz wesentlicher Unterstützungsbeitrag, den wir, aber auch genauso alle anderen Nationen, die dort eingesetzt sind, liefern. Insofern ist das nach meiner Bewertung sehr erfolgreich.

Fischer: Wenn ich das ergänzen darf: Der Minister hat ja immer wieder darauf hingewiesen, dass der Kampf gegen den Terrorismus eben auch eine internationale Dimension hat. Wenn wir uns das anschauen, dann sehen wir, dass es ja in Syrien und im Irak tatsächlich Heimstätten für die Terroristen des IS gibt. Die internationale Gemeinschaft hat sich zusammengetan, um dafür zu sorgen, dass aus diesen Regionen kein Terror mehr entspringen kann. In diesem Rahmen engagiert sich die Bundeswehr.

Aber wir engagieren uns eben auch mit zivilen Maßnahmen im Bereich der Stabilisierung, der Entwicklungshilfe und des Wiederaufbaus. Genau für diesen zivilen Bereich werden auch die 160 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Was wir mit dem Geld machen, haben wir ja sozusagen schon in Tikrit gezeigt, das ja aus den Händen des IS befreit werden konnte und wo es mit sehr schneller Wiederaufbauhilfe und mit Stabilisierungsmaßnahmen möglich wurde, dass bislang 90 Prozent der Bevölkerung zurückgekehrt sind. Ähnliche Maßnahmen haben wir in Falludscha ergriffen, das ja erst vor wenigen Tagen befreit worden ist.

Der Minister ist zur Stunde auf dem Weg nach Washington, wo heute eine Irak-Geberkonferenz und morgen ein Treffen der internationalen Koalition gegen den IS stattfinden wird. Dort wird es dann auch darum gehen, wie man sich darauf vorbereitet, die letzte große Stadt im Irak, die der IS kontrolliert, nämlich Mossul, aus den Klauen dieser Terrororganisation zu befreien und den Menschen dort ein Leben ohne die Kontrolle durch diese Terrororganisation zu ermöglichen.

Nannt: Ich kann vielleicht noch eine Sache bezüglich der Zahlen ergänzen; ich habe jetzt gerade noch einmal nachgeschaut: Im Bereich der Ausbildung haben wir durch unsere Beteiligung seit Januar 2015 mehr als 8600 Peschmerga, Kakai und Jesiden im Umgang mit Waffen, Erster Hilfe, der Beseitigung von Sprengfallen, aber auch im ABC-Bereich ausgebildet. Insgesamt haben wir Material für etwa 70 Millionen Euro dorthin geliefert.

Alle weiteren Informationen können Sie, wie gesagt, auch noch einmal bei uns auf der Seite nachlesen.

Fischer: Vielleicht zum Gesamtumfang der deutschen Hilfe für den Irak: Allein dieses Jahr werden wir rund 500 Millionen Euro an humanitärer Hilfe und Mitteln für Stabilisierung und Entwicklung zur Verfügung stellen. Hinzu kommt noch ein ungebundener Finanzkredit in Höhe von 500 Millionen Euro. Insgesamt gibt es also 1 Milliarde Euro an Unterstützung für den Irak im Kampf gegen den IS.

Frage: Herr Seibert, ich habe zwei Fragen an Sie zum Terroranschlag in Würzburg.

Eine ganz kurze Vorbemerkung dazu: Es ist der 30. Juni 2015. Riaz Khan Ahmadzai reist ohne Familie über Passau in die Republik ein, wird dort registriert, gibt sein Alter mit 16 an und gilt als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling. 63 Tage später - es ist der 31. August 2015 - sagt Frau Kanzlerin Merkel hier in der Bundespressekonferenz "Wir schaffen das". 385 Tage später - es ist der 18. Juli 2016 - attackiert Ahmadzai in einem Regionalzug bei Würzburg Reisende mit Axt und Messer. Er verletzt fünf Menschen. Zwei Opfer schweben in Lebensgefahr. Ahmadzai wird auf der Flucht erschossen.

Erste Frage: Hat die Kanzlerin die Gefahr unterschätzt, die vom unkontrollierten Flüchtlingsstrom für Deutschland ausgeht?

Zweite Frage: Müssen wir Merkels Satz "Wir schaffen das" so verstehen, dass wir künftig mit Terroranschlägen im Regionalverkehr, Sexmob-Attacken vor dem Kölner Dom und Übergriffen in Freibädern leben müssen?

StS Seibert: Wir haben gerade über die Frage dieses entsetzlichen Verbrechens und der Flüchtlingspolitik gesprochen. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Wir haben es hier mit einer grauenhaften Tat eines Einzelnen zu tun, die im Übrigen noch nicht ganz ausermittelt ist. Ich sehe keinen Grund, den Ermittlern hier vorzugreifen.

Ich habe aber auch gesagt und mich dabei auf das Zitat von Minister Altmaier bezogen: Die grausame Tat eines Einzelnen kann nicht eine Gruppe von vielen Tausend diskreditieren. Das ist das, was ich dazu zu sagen habe.

Frage : Wieder zurück zum Irak und zu Syrien: Gestern sind bei einem Luftangriff in Tokhar 85 Zivilisten gestorben oder getötet worden. Das ist in Nordsyrien. Laut mehrerer Quellen war das ein Angriff der Anti-ISIS-Koalition, also einer Koalition, die Sie unterstützen und in deren Rahmen die Bundeswehr aufklärt, damit so etwas nicht passiert. Die Quelle ist das Syrian Observatory for Human Rights, das die Bundesregierung selbst immer wieder als zuverlässige Quelle zitiert hat.

Ich würde gerne wissen, Herr Nannt: Wie konnte das passieren, wenn die Bundeswehr aufklärt, damit das nicht passiert? Können Sie uns sagen, wer diesen Luftangriff mit 85 zivilen Opfern durchgeführt hat?

Nannt: Ich kann Ihnen nur aus meiner Sicht sagen: Ich habe dazu keine Kenntnisse. Wir hatten ja in der Vergangenheit gerade auch mit Ihnen schon häufiger darüber gesprochen. Wir haben keine eigenen Erkenntnisse. Das, was Sie jetzt gerade zitiert haben, habe ich heute Morgen auch gelesen.

Ich glaube, gerade in der letzten Woche hatten Sie diese Frage auch gestellt, und ich kann die Worte von Herrn Flosdorff dazu nur noch einmal wiederholen: Gerade bei unserem Beitrag, den wir dazu im Bereich der Aufklärungs- und Hochwertfähigkeiten leisten, geht es, sage ich einmal, eben auch darum, die Ziele auszuwählen und zu suchen, um eben auch die Zivilbevölkerung zu schützen und gezielt und effektiv gegen den sogenannten Islamischen Staat vorzugehen. Dazu leisten wir unseren Beitrag. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.

Zusatzfrage : Das war ja gerade die Frage: Haben Sie Ihren Beitrag in diesem Fall also offenbar nicht geleistet, wenn da 85 Zivilisten getötet wurden? Sind es nach Ihrem Stand die ersten zivilen Opfer westlicher Luftangriffe? Bisher konnten Sie uns nämlich nie von irgendwelchen berichten.

Nannt: Das ist genau das, was ich gerade geantwortet habe. Ich habe keine eigenen Erkenntnisse dazu. Insofern kann ich auch nicht kommentieren, ob das jetzt die ersten sind oder ob es schon welche gab. Wir haben dazu keine eigenen Erkenntnisse.

Insofern: Wir leisten unseren Beitrag als Bundeswehr. Wir haben dazu einen klaren Auftrag, auch einen des Bundestags. Den leisten wir. Das ist eine Hochwertfähigkeit, die wir dort einbringen, um so etwas eben natürlich auch zu verhindern.

Aber ich weiß nicht, wie gesagt, ob diese Zahlen so sind, wie sie sind, weil wir dazu eben keine eigene Erkenntnis haben.

Frage : Herr Nannt, ich würde jetzt doch ganz gerne Folgendes wissen: Wenn Sie zumindest keine eigenen Erkenntnisse über Opfer etc. pp. haben, dann werden Sie ja doch sicherlich zumindest eigene Erkenntnisse darüber haben, ob Bundeswehrmaschinen dort vorher im Einsatz waren, um in diesem Zielgebiet Ziele zu markieren, zu identifizieren etc. pp.

Nannt: Ich kann Ihnen dazu nichts sagen. Sie müssen das so verstehen, auch im Sinne einer militärischen Operation: Um eine sogenannte Luftoperation durchzuführen, kommen ganz viele Erkenntnisse zusammen. Das heißt, wir liefern eine Datenbasis. Im Rahmen des Targeting-Prozesses laufen ganz viele einzelne Schritte ab. Es wird immer wieder verifiziert, es wird überprüft. Da kommen ganz viele verschiedene Erkenntnisse zusammen. Mehr weiß ich dazu nicht.

Zusatzfrage : Aber kann ich denn davon ausgehen, dass Sie zumindest technisch in Erfahrung bringen können, ob Bundeswehrangehörige an einer Identifikation im entsprechenden Gebiet beteiligt waren?

Nannt: Noch einmal: Es ist nicht nur ein Punkt, der für einen solchen Prozess infrage kommt, sondern es sind insgesamt zig Punkte, zig verschiedene Erkenntnisse, die dort zusammenfließen und die dann dort insgesamt ein Lagebild ergeben. Mehr gibt es dazu, wie gesagt, nicht zu sagen. Wir leisten mit dieser Hochwertfähigkeit unseren Beitrag dazu, dass das insgesamt geleistet wird, und zwar genau so, wie auch alle anderen Nationen der Koalition dort tätig sind.

Frage : Herr Nannt, laut britischen Medienberichten war das ja ein US-Luftangriff. Gab es darüber irgendwelche Gespräche mit der amerikanischen Seite, um eben zumindest von der amerikanischen Seite Aufklärung über diesen Fall zu erhalten? Ich meine, es geht hier um 85 Menschen, die gestorben sind, unter ihnen auch viele Kinder.

Nannt: Ich habe dazu keine Erkenntnisse. Das weiß ich nicht.

Frage : Herr Nannt, können Sie uns einmal erläutern, wie jetzt der Lernprozess innerhalb der Anti-ISIS-Koalition abläuft? Wenden Sie sich also an die Amerikaner und fragen nach, was dort passiert ist und ob sie selbst mitschuldig, mitverantwortlich sind?

Herr Fischer, weil Sie ja von der Reduzierung von Terroristen gesprochen haben: Was glauben Sie denn, wie viele Terroristen dieser Anschlag jetzt wieder kreiert hat? Wir wissen ja nämlich: Wenn Unschuldige getötet werden, dann führt das dazu, dass neue Terroristen motiviert werden, neue Terroristen entstehen. Vielleicht mag Herr Seibert auch etwas dazu sagen.

Fischer: Wenn ich einmal anfangen darf: Es ist ja so, dass die Terrororganisation IS bereits weit vor dem Eingreifen der internationalen Koalition aktiv gewesen ist und Menschen auf ganz grauenvolle Art und Weise umgebracht, verfolgt und ermordet hat. Wir erinnern uns ja alle zum Beispiel an die IS-Kampagne gegen die Jesiden im Irak, die ja fast in einem Völkermord gegipfelt wäre. Das geschah ja, bevor die internationale Koalition zusammengetreten ist. Das war ja sozusagen eine Reaktion auf das Vorrücken des IS. Daher glaube ich nicht, dass der von Ihnen postulierte Zusammenhang so besteht.

Was aber im Übrigen natürlich so ist, das ist, dass wir und vor allen Dingen ja auch die Kolleginnen und Kollegen der Bundeswehr uns sehr stark darum bemühen - das ist ja auch Teil ihres Auftrags -, zivile Opfer so weit wie möglich zu verhindern, zu vermeiden. Uns liegen jetzt noch keine Erkenntnisse zu dem von Ihnen angesprochenen Vorfall vor. Aber es ist doch so, dass wir uns, glaube ich, mit allem, was wir haben und können, wirklich darum bemühen, zivile Opfer zu verhindern. Das mag im Einzelfall nicht immer gelingen, weil sich Dinge vor Ort verändern, weil nicht alle Informationen vorliegen. Aber Sie können davon ausgehen, dass diese Dinge im Hauptquartier der internationalen Koalition sicher ausgewertet werden und dass versucht wird, Konsequenzen zu ziehen, wenn es denn vorkommt.

Nannt: Ich kann das, was Herr Fischer gesagt hat, letztendlich noch einmal bestätigen oder noch einmal unterstreichen: Natürlich findet bei so etwas eine Überprüfung statt, und man schaut: Ist es so gewesen? Es ist aber natürlich auch eine schwierige Situation am Boden. Es muss ja erst einmal genau geprüft werden: Sind die Zahlen so richtig, sind die Zahlen nicht richtig? Auch in der Vergangenheit gab es ja immer wieder unterschiedliche Zahlen.

Wir versuchen natürlich alles, um zu vermeiden, dass irgendwo unschuldige Personen zu Schaden kommen. Aber was dort insgesamt durch die Anti-IS-Koalition geleistet wird, ist ein ganz wesentlicher, entscheidender Beitrag, wenn es darum geht, den IS einzudämmen. Ohne diesen Beitrag, den man dort insgesamt leistet, ist es eben nicht möglich, den IS erfolgreich zu bekämpfen. Wie gesagt, wir versuchen alles, um zu vermeiden, dass unschuldige Personen zu Schaden kommen, und natürlich wird man jetzt schauen und überprüfen: Was ist dort vorgefallen? Ich kann Ihnen dazu aber auch nicht mehr sagen als das, was dazu jetzt schon sowohl von Herrn Fischer als auch von mir gesagt wurde.

Frage : Die Zahlen sind ja eher zweitrangig; ob da jetzt 80 oder zehn gestorben sind, ändert ja nichts daran, dass es so oder so zu viele sind.

Herr Fischer, höre ich da jetzt ein Bedauern heraus? Tut es der Bundesregierung leid, wenn dort bei Angriffen, an denen Sie beteiligt sind, Menschen sterben, Zivilisten sterben?

Fischer: Ich weiß nicht, was ich von dieser Frage halten soll. Natürlich tut jedes Opfer in einer militärischen Auseinandersetzung weh und verursacht Leid.

Fischer: Herr Seibert, zu ISIS und dem vorgestrigen Attentat: Der französische Präsident hat nach dem Anschlag in Nizza schon wieder gesagt, dass Frankreich seine Aktivitäten in Syrien gegen den Islamischen Staat stärken werde. Der sogenannte "Islamische Staat" hat sich ja auch zu dem Anschlag von Würzburg bekannt. Denkt auch die Bundesregierung darüber nach, ihre Aktivitäten in Syrien zu stärken?

StS Seibert: Das führt uns erst einmal zurück zu der Tatsache, dass im Zusammenhang mit dem Anschlag in Würzburg ja noch vieles ermittelt werden muss, und das möchte ich doch bitte abwarten. Es gibt tatsächlich ein Bekenntnis aus Quellen des sogenannten Islamischen Staates. Ob dieses Bekenntnis auch heißt, dass es einen direkten Kontakt zwischen dem Täter und dem Islamischen Staat gibt, kann ich hier nicht beurteilen. Das wird einer der Punkte sein, die zu ermitteln sind. Deswegen würde ich mich darauf jetzt nicht weiter einlassen wollen.

Sie haben gehört, welche sehr wichtige Unterstützungsleistung die Bundeswehr für die Anti-IS-Koalition erbringt. Derzeit wird über Weiteres nicht nachgedacht. Aber diese Unterstützungsleistung erbringen wir, und wir erbringen sie mit Überzeugung.

Zusatzfrage: Ich habe nicht nach einer festen Entscheidung gefragt, sondern nur danach, ob es solche Überlegungen gibt. Kann es sein, dass die Bundesregierung ihre Aktivitäten in Syrien stärken wird, wenn hinter dem Anschlag ISIS steht?

StS Seibert: Das ist aber eine sehr hypothetische Frage. Jetzt sollten wir erst einmal die Ermittlungen abwarten und ihnen nicht vorgreifen. Das, was wir im Rahmen der Anti-IS-Koalition tun, tun wir mit großem Einsatz und mit großer Überzeugung.

Frage : Herr Seibert oder Herr Fischer, gibt es Anfragen der Alliierten, dass Deutschland selbst mit Bombardierungen beginnen soll?

Fischer: Solche Anfragen sind mir nicht bekannt.

Frage : Herr Seibert, Sie sagten gerade, es gebe das Video aus Quellen des IS - also Amaq in diesem Fall -; Sie sagten aber auch, dass noch nicht klar sei, ob es Kontakt zwischen dem Attentäter oder Amokläufer und dem IS gegeben habe. Ich bekomme das gerade nicht ganz zusammen. Können Sie mir das ganz kurz erläutern? Wenn ein Video desjenigen bei Amaq landet, dann muss es ja schon irgendeine Form von Kontakt gegeben haben, oder nicht?

StS Seibert: Das schließen Sie daraus. Ich überlasse alle diese Erkenntnisse denjenigen, die die Erfahrung und die Kompetenz haben, so etwas genau zu ermitteln, und die sind jetzt mit Hochdruck an der Arbeit.

Dimroth: Dem habe ich fast nichts hinzuzufügen, nur vielleicht, dass das eben gerade Gegenstand dieser Ermittlungsarbeiten ist. Wann wurde dieses Video erstellt, in welchem Kontext, an welchem Ort, wie wurde das übermittelt, wohin wurde es - unmittelbar oder mittelbar - übermittelt: All das sind ja Fragen, die noch offen sind. Insofern können wir diese Fragen hier, glaube ich, nicht abschließend beantworten. Ihr Schluss muss jedenfalls nicht zwingend der einzig richtige sein.

Frage: An Herrn Seibert und Herrn Fischer zu den jüngsten Maßnahmen in der Türkei: Dort sollen 21 Lehrer nicht mehr unterrichten, 1 Dekane sind suspendiert worden, und es besteht eine Reiseunfreiheit für Akademiker. Wie bewerten Sie diese Maßnahmen, und was raten Sie vor allem den hier lebenden Türken, von denen ja möglicherweise Verwandte - sei es als Schüler oder als Lehrer - betroffen sind?

StS Seibert: Bundeskanzlerin Merkel hatte, wie Sie ja wissen, am Montagnachmittag mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan telefoniert. Sie hat in diesem Telefonat den Umsturzversuch noch einmal deutlich verurteilt. Sie hat aber auch ihre Besorgnis über die Verhaftungswelle, über die Entlassungen und auch über die Überlegungen, möglicherweise die Todesstrafe wieder einzuführen, zum Ausdruck gebracht. Sie hat in ihrer ersten Reaktion auf den verhinderten Militärputsch am Samstag bereits gesagt, dass gerade der Umgang mit den Verantwortlichen für diese tragischen Ereignisse der letzten Nacht eine Möglichkeit für den Rechtsstaat sein kann und sein soll, sich zu beweisen. Das war am Samstag ihre Haltung und das ist bis heute ihre Haltung, und die gilt nun umso mehr.

Es gibt gar keinen Zweifel daran, dass Maßnahmen, die der türkische Staat seit dem gescheiterten Putsch ergriffen hat - Sie haben einige jetzt genannt -, zutiefst besorgniserregend sind. Fast täglich kommen neue Maßnahmen hinzu, die einem rechtsstaatlichen Vorgehen widersprechen und die das Gebot der Verhältnismäßigkeit außer Acht lassen. Das ist die Einschätzung, die wir haben und die die Bundeskanzlerin dem türkischen Präsidenten gegenüber auch bereits am Montag ausgedrückt hat. Seitdem sind aber natürlich weitere Maßnahmen hinzugekommen.

Fischer: Wenn ich das vielleicht von meiner Seite noch ergänzen darf: Der Außenminister hat sich ja schon am Samstagmorgen gemeldet und hat den Putschversuch verurteilt, ähnlich wie das Herr Seibert für die Bundeskanzlerin gesagt hat. Schon da hat er alle Verantwortlichen dazu aufgerufen, sich an die demokratischen und rechtsstaatlichen Spielregeln zu halten. Das gilt natürlich auch jetzt, und das hat er dann am Montag auch in Brüssel ausgeführt.

Insofern kann ich mich dem, was Herr Seibert gesagt hat, nur anschließen, nämlich dass wir die Nachrichten über Massenentlassungen, den Entzug von Sendeerlaubnissen und die Festnahmen der letzten Tage sehr aufmerksam und mit zunehmender Sorge beobachten. Letztlich ist es ja so, dass die Türkei ein Land ist, das in die EU strebt, und wir können doch erwarten, dass ein Land, das der EU beitreten möchte, auch die europäischen Normen und Prinzipien erfüllt. Das heißt: Dass natürlich die Drahtzieher des Putschversuches zur Rechenschaft gezogen werden müssen, aber das muss eben unter Wahrung der rechtsstaatlichen Prinzipien und der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Das haben sowohl der Bundesaußenminister als auch die europäischen Außenminister in einer gemeinsamen Erklärung am Montag sehr deutlich klargemacht.

StS Seibert: Erinnern wir uns doch noch einmal an die Putschnacht: Da waren es doch die Menschen in der Türkei in ihrer übergroßen Mehrheit und auch alle im türkischen Parlament vertretenen Parteien, die sich diesem Putsch mit großer Entschiedenheit und unter persönlichem Risiko entgegengestellt haben. Diese Menschen verdienen es doch allesamt, dass ihnen der Rechtsstaat erhalten bleibt. Das ist das, was unsere Überzeugung ist und was jetzt eigentlich auch in der Türkei der Maßstab sein sollte. Wir sehen aber in der Tat Maßnahmen, die verkündet werden, die dem widersprechen.

Zusatzfrage: Herr Fischer oder Herr Seibert, gibt es seitens der Türkei Anforderungen beziehungsweise Bitten, wie man mit den Anhängern der Gülen-Bewegung in Deutschland umgehen solle? Gibt es von Ihnen eine Haltung zur Gülen-Bewegung?

Fischer: Von solchen Anfragen ist mir jetzt konkret nichts bekannt. Ich will nicht ausschließen, dass es zu einzelnen Personen Anfragen gibt - das kann ich einfach nicht entscheiden. Ich glaube, für Deutschland gilt, dass diejenigen, die sich im Rahmen unserer rechtsstaatlichen und freiheitlichen Ordnung bewegen, dies auch so tun können. Dies gilt querbeet durch alle zivilgesellschaftlichen oder auch religiösen Organisationen.

Frage : Herr Seibert, Herr Fischer, sehen Sie nach all den Appellen seit dem Samstag auch nur einen Punkt, an dem die türkische Regierung auf die Forderungen, rechtsstaatlich zu handeln, reagiert hat, indem sie signalisiert hat: Das ist angekommen?

Zweite Frage - das geht vielleicht an Herrn Dimroth -: Wie sind denn die Chancen eines von den jetzigen Maßnahmen erfassten Türken, in Deutschland politisches Asyl zu bekommen? Wenn ich jetzt höre, dass Akademikern die Ausreise verwehrt wird: Gibt es schon entsprechende Fälle, in denen Antrag auf politisches Asyl in Deutschland gestellt wird?

Dimroth: Zum zweiten Teil Ihrer Frage kann ich gerne etwas sagen: Es ist jedenfalls mit Stand heute nicht so, dass wir eine signifikante Veränderung erkennen, und zwar weder in Bezug auf das Einreisegeschehen noch in Bezug auf die Stellung von Asylanträgen von Menschen, die aus der Türkei stammen. Insofern erkennen wir eine Auswirkung wie die von Ihnen erfragte jedenfalls mit Stand heute noch nicht. Ob sich eine solche Konsequenz aus den Geschehnissen in der Türkei ergibt, lässt sich schlicht nicht prognostizieren. Jedenfalls erkennen wir aktuell eine solche Entwicklung nicht.

Die Frage nach den Chancen eines Asylantrages lässt sich, wie Sie wissen, so abstrakt nicht beantworten. Da kommt es immer auf jeden einzelnen Einzelfall und auf den Grad an Schutzbedarf an, der sich aus dem Vortrag und dem entsprechenden Prüfvorgang durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dann darstellt.

StS Seibert: Zu Ihrer ersten Frage: Ich kann, ehrlich gesagt, von hier aus nicht alle innenpolitischen Wendungen und alle innenpolitischen Äußerungen, die in der Türkei gemacht werden, nachvollziehen oder nachverfolgen. Ich kann hier nur für die Bundesregierung die Sorge ausdrücken, die wir angesichts einiger Maßnahmen, die bekannt geworden sind und die angekündigt worden sind, empfinden, nämlich die Sorge, dass da die Rechtsstaatlichkeit verlassen wird und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit außer Acht gelassen wird.

Nun sollten wir die weitere Entwicklung abwarten. Es ist ja wohl so, dass der Staatspräsident für heute eine wichtige Erklärung angekündigt hat. Lassen Sie uns die jetzt abwarten und uns nicht auf Spekulationen über den weiteren Gang einlassen.

Frage : Herr Seibert, Sie sagen ja selbst, dass das wenig mit Rechtsstaatlichkeit und fast nichts mit Verhältnismäßigkeit zu tun hat. Verurteilt die Bundesregierung denn diese Säuberungswelle der türkischen Regierung? Hat das noch etwas mit demokratischen Verhältnissen zu tun?

StS Seibert: Ich habe dazu das gesagt, was ich für die Bundesregierung zu sagen habe. Wir sind sehr besorgt und haben diese Besorgnis auch zum Ausdruck gebracht - im Gespräch der Bundeskanzlerin mit dem Staatspräsidenten und auf anderen Wegen. Im Übrigen ist es auch nicht nur die Besorgnis der Bundesregierung, sondern es ist die Besorgnis ganz Europas. Schauen Sie sich an, was die europäischen Außenminister am Montag als gemeinsame Haltung erarbeitet hatten.

Zusatzfrage : Zum Verständnis: Sie verurteilen das nicht?

Herr Fischer: Hat das noch mit Demokratie in der Türkei zu tun?

Fischer: Ich glaube, wir haben zu diesem Thema gesagt, was wir zu sagen hatten. Es gab den Versuch eines Putsches gegen die demokratische Grundordnung, und es gab eine Reaktion der gesamten türkischen Gesellschaft und der gesamten politischen Parteienlandschaft, die sich gegen diesen Putsch ausgesprochen hat. Jetzt haben wir gesagt, dass wir die Dinge, die sich in der Türkei derzeit abspielen, mit deutlich zunehmender Sorge beobachten, und haben dazu aufgerufen, dass bei der Aufarbeitung der Ereignisse vom Wochenende die rechtsstaatlichen Prinzipien und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit beachtet werden, und dass ein Land, das in die EU möchte, bei all diesen Dingen auch europäische Normen einhält.

Frage : Herr Seibert, Herr Dimroth, bislang wurde das Thema Visaliberalisierung sozusagen immer andersherum diskutiert. Nun gibt es vielleicht gute Gründe, die Visapolitik eben doch zu liberalisieren, nämlich um Menschen, die aus der Türkei in die Europäische Union flüchten wollen würden, eine Einreise zu ermöglichen. Wie sieht das aus, gibt es auf Ihrer Seite inzwischen Überlegungen in dieser Richtung?

Dimroth: Wenn ich es ganz kurz machen soll: Nein. Das ist aber insoweit vielleicht auch nicht überraschend, Herr Steiner; denn wie Sie wissen, hat das eine mit dem anderen jedenfalls nach unserer festen Überzeugung nur sehr bedingt etwas zu tun. Das Thema Visaliberalisierung ist ja ganz grundsätzlich keines, das aus unserer Sicht ein Beitrag dazu ist, bestehenden Flüchtlingsdruck oder Migrationsdruck zu kanalisieren. Vielmehr ist das Thema Visaliberalisierung eines, welches den Reiseverkehr zwischen einem betroffenen Staat und der Europäischen Union erleichtern soll, wenn bestimmte Voraussetzungen eingehalten werden. Insofern hatte das in der Vergangenheit nichts miteinander zu tun, und aus unserer Sicht wird es auch in Zukunft nichts miteinander zu tun haben.

Frage: Herr Seibert, die Kanzlerin erwartet heute Nachmittag ja Besuch aus Großbritannien. Können Sie schon etwas über das Themenspektrum, das da besprochen wird, sagen? Wird die Kanzlerin daran festhalten, nicht über den "Brexit" zu sprechen, solange der britische Antrag nicht eingegangen ist?

StS Seibert: Ich habe es hier am Montag schon gesagt: Das ist in allererster Linie eine erste persönliche Begegnung der Bundeskanzlerin mit der neuen Premierministerin. Ich denke, man kann davon ausgehen, dass einige der Themen, die wir heute hier besprochen haben - Türkei, Kampf gegen den IS, Flüchtlinge/Migration im Mittelmeer -, auch dort Themen sein werden.

Natürlich ist der "Brexit" oder, besser gesagt, die Situation in Großbritannien nach dem Referendum ein Thema. Wenn wir sagen, dass es keine Vorverhandlungen mit Großbritannien geben kann, bevor Großbritannien Artikel 50 offiziell erklärt hat - was die deutsche wie die europäische Position ist -, dann bedeutet das nicht, dass man nicht miteinander sprechen kann. Aber es gibt keine Vorverhandlungen; da können Sie ganz gewiss sein.

Frage : Herr Seibert, Frau May hat sich in einem Interview oder einem Statement dahingehend geäußert, dass sie heute Abend offen und frei sprechen wird. Gilt das auch für die Bundeskanzlerin, auch was mögliche Details eines möglichen Deals angeht, oder legt sie sich noch gewisse Grenzen auf, was die Darstellung der deutschen Position angeht?

StS Seibert: Ich dachte, ich hätte in meiner vorherigen Antwort klar gemacht, dass es nicht um mögliche Details, wie Sie es gerade genannt haben, eines künftigen Deals geht. Aber natürlich geht es darum - und zwar offen und frei, wie die Bundeskanzlerin es bei jedem Staatsgast tut, den sie empfängt -, über die Themen, die uns vereinen, und über die Herausforderungen, vor denen wir gemeinsam stehen, zu sprechen.

Frage : Herr Fischer, eine Frage zum iranischen Nuklearabkommen: Gestern fand ein Treffen der 5+1-Gruppe mit der iranischen Seite in Wien statt. Können Sie dazu Näheres sagen?

Eine deutsche Delegation, die bei dem Treffen in Wien war, ist heute nach Teheran geflogen. Können Sie darüber nähere Einzelheiten erzählen?

Fischer: Dazu ist mir nichts bekannt. Von daher kann ich Ihnen dazu nichts sagen.

Zusatzfrage : Können Sie auch zu dem Treffen gestern nichts sagen?

Fischer: Nein.

Frage: Donald Trump ist jetzt offiziell Präsidentschaftskandidat in den USA. Inwiefern gibt es Vorbereitungen der Bundesregierung zu diesem Präsidentschaftskandidaten, der immerhin angekündigt hat, die USA aus der Nato herauszuführen?

Also die offene Frage an Herrn Seibert: Wäre die Bundeskanzlerin bereit, Herrn Trump in der Wahlkampfphase zu empfangen?

Und noch einmal die allgemeine Frage: Wie laufen die Vorbereitungen auf diesen Präsidentschaftskandidaten?

StS Seibert: Soweit ich die amerikanischen Gepflogenheiten kenne, muss er die Nominierung seiner Partei noch annehmen. Das passiert, meine ich, morgen.

Für die Bundesregierung nehme ich zu dem gesamten amerikanischen Vorwahlprozess keine Stellung.

Frage : Damit Frau Moiteaux noch etwas zu tun hat: Das Thema der Übernahme des Roboterherstellers KUKA hat die Politik in der Vergangenheit beschäftigt, auch während des Besuchs der Kanzlerin in China. Nun haben die Chinesen, so meine ich, 86 Prozent von KUKA erworben. KUKA ist ein strategisch wichtiges Unternehmen. Hat die Bundesregierung eine Meinung dazu? Hofft sie immer noch, dass deutsche oder europäische Investoren möglicherweise einen Teil kaufen und damit zumindest eine Teilung des Interesses bei KUKA besteht?

Moiteaux: Vielen Dank für die Frage. - Das Ganze ist ein unternehmerischer Vorgang, den wir als solchen nicht kommentieren. Wie Sie wissen behält sich das Bundeswirtschaftsministerium weiterhin vor, den Vorgang nach dem Außenwirtschaftsgesetz zu prüfen. Aber darüber hinaus gibt es keinen neuen Stand.

Frage : Herr Fischer, der Vizepräsident der Amerikaner, Herr Kerry, und Frau "Nudelman" waren vor ein paar Tagen in Moskau und haben mit Herrn Putin über ein Joint Venture im Anti-ISIS-Kampf im Irak und in Syrien verhandelt. Ist die Bundesregierung über dieses Treffen und die Pläne der Amerikaner informiert worden?

Fischer: Ich weiß nicht, woher Sie wissen wollen, dass sie über ein Joint Venture gesprochen haben. Aber wenn Sie danach fragen, ob die Bundesregierung informiert worden ist, dann kann ich bestätigen, dass der Außenminister gestern in London auch mit dem amerikanischen Außenminister zusammengetroffen ist und dass es bei dem Treffen, an dem auch der britische, der französische und der italienische Außenminister sowie die Hohe Vertreterin der EU, Federica Mogherini, teilgenommen haben, um Syrien ging und um Wege, wie man die Situation in Syrien stabilisieren und den Wiener Prozess voranbringen kann.

Zusatzfrage : Heißt das, die Bundesregierung ist dafür, dass Russland in die Anti-ISIS-Koalition gebracht wird und dass man zusammen bombardiert?

Fischer: Ich weiß nicht, was Sie unter "Anti-ISIS-Koalition" verstehen. Was ich sagen kann, ist, dass wir uns natürlich mit Russland, mit den USA, aber auch mit vielen Regionalmächten wie Saudi-Arabien, der Türkei und dem Iran im Rahmen des Wiener Prozesses darum bemühen, die Lage in Syrien zu stabilisieren, einen Waffenstillstand und humanitären Zugang zu den eingeschlossenen Menschen zu erreichen und letztlich auch einen politischen Übergang zu organisieren. Dabei arbeiten wir sowohl mit den Amerikanern als auch mit den Russen zusammen.

Sie wissen, dass der UN-Sonderbeauftragte hierzu immer noch Gespräche führt und sich bemüht, den politischen Prozess wieder in Gang zu setzen. Dazu wird er unter anderem am Freitag hier in Berlin sein.

Wir haben das Gespräch gestern gehabt. Natürlich wird es am Rande der Irak-Geberkonferenz auch noch die Möglichkeit zum Austausch über Syrien geben sowie die Möglichkeit, über nächste Schritte zu einer weiteren Stabilisierung des Landes zu sprechen.

Zusatzfrage : Es ging konkret um die militärische Kooperation. Ist die Bundesregierung dafür, unterstützt sie es, dass die Russen jetzt Teil der Anti-ISIS-Koalition werden, der militärischen Operation gegen ISIS?

Fischer: Ich denke, ich habe dazu gesagt, was ich zu sagen habe.

Im Rahmen des Wiener Prozesses wurde beschlossen, dass es eine gemeinsame Aufklärungszelle gibt, die sich darum bemüht, die verschiedenen Gruppen, die in Syrien aktiv sind, zu identifizieren und auseinanderzuhalten. Dort arbeiten Amerikaner und Russen schon jetzt zusammen. Ja, im Rahmen der im Wiener Prozess vereinbarten Regeln.

Frage : Herr Fischer, während des Besuchs des Bundespräsidenten Joachim Gauck in Chile gab es eine Veranstaltung mit Opfern der Colonia Dignidad und - wenn man das richtig erfahren hat - wohl auch mit zwei früheren Tätern.

Ich würde gern wissen, erstens, wie weit Sie inzwischen - es ist ja schon ein paar Tage her - in der Aufklärung dieses Zustandes gekommen sind - wenn ich es richtig weiß, war die Botschaft vor Ort für das Protokoll zuständig, also das Auswärtige Amt - und, zweitens, wie es dazu kommen konnte, dass auch Täter eingeladen wurden.

Fischer: Ich denke, Sie haben der entsprechenden Berichterstattung entnommen, dass wir die Botschaft umgehend um Aufklärung dieser Sache gebeten haben. Aus diesen Informationen zeigt sich, dass die Einladung an die im Zeitungsbericht genannten Personen zu dem Empfang tatsächlich ausgesprochen wurde.

Aber ich bitte um Verständnis dafür, dass wir den Sachverhalt noch nicht vollständig aufgeklärt haben. Wir wissen beispielsweise noch nicht ganz genau, welche Abwägungen der Botschaft im Einzelnen zugrunde lagen, als sie die Einladungen ausgesprochen hat. Denn von den Menschen, die früher in der Colonia Dignidad gelebt haben, sind viele Opfer gewesen - sie sind dort aufgewachsen, missbraucht, misshandelt worden -, aber auf der anderen Seite später, als sie alt genug waren, selber zu Tätern geworden. Das heißt, es ist ein sehr schwieriges und sensibles Umfeld, in dem agiert wird.

Ich denke, wir sollten zunächst die vollständige Erklärung abwarten und dann daraus unsere Schlussfolgerungen ziehen.

Zusatzfrage : Damit ich weiß, wann ich nachfragen soll: Von welchem Zeithorizont gehen Sie aus?

Fischer: Wir sind an der Klärung dran. Wir haben ja auch ein eigenes Interesse daran.

Dimroth: Ich hatte ja gesagt, dass es eine Reihe von Einzelhinweisen im Zusammenhang mit den in Deutschland aufhältigen Flüchtlingen im Kontext eines möglichen Bezugs zu terroristischen Organisationen gibt. Die Zahl mit Stand von Ende Juni ist: Es gibt 403 Einzelhinweise auf mutmaßliche Kämpfer, Angehörige, Unterstützer, Sympathisanten terroristischer Organisationen, Tatverdächtige im Sinne von 89a des Strafgesetzbuches.

Wie ich bereits erwähnt habe, wird jedem einzelnen dieser Hinweise durch die Sicherheitsbehörden sehr sorgfältig nachgegangen. Wie ich auch bereits erwähnt habe, stellt sich mitnichten jeder einzelne dieser Hinweise im weiteren Verfahren als valide heraus und erhärtet sich. So gibt es mit Stand von Ende Juni dieses Jahres bei den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Ländern 53 Ermittlungsverfahren in diesem Kontext.

Mittwoch, 20. Juli 2016

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 20. Juli 2016
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/07/2016-07-20-regpk.html
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2016

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