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PRESSEKONFERENZ/1145: Regierungspressekonferenz vom 27. Januar (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Mittwoch, 27. Januar 2016
Regierungspressekonferenz vom 27. Januar 2016

Themen: Personalie, Kabinettssitzung (Jahreswirtschaftsbericht 2016, Entwurf eines Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern, Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung des Ausbaus digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze, Bericht zur deutsch-französischen Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen, Asyl- und Flüchtlingspolitik), Äußerungen des russischen Außenministers zur angeblichen Vergewaltigung einer 13-jährigen mit russischen Wurzeln in Berlin, Bundeswehr-Etat, Pläne der EU-Kommission zur Zulassung von Neuwagen, mögliche Kontakte der Türkei zum IS

Sprecher: StS Seibert, Toschev (BMWi), Plate (BMI), Westhoff (BMAS), Schäfer (AA), von Tiesenhausen-Cave (BMF), Susteck (BMVI)


Vors. Detjen eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Vors. Detjen: Heute ist zum letzten Mal Herr Toschev als Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums bei uns, und er möchte sich gerne selbst von uns verabschieden.

Toschev: Vielen Dank für das Wort. Ich möchte mich heute in der Tat von Ihnen verabschieden. Ich werde ab kommenden Montag die Pressestelle verlassen und eine neue Stelle im Haus antreten, und zwar in unserer Außenwirtschaftsabteilung. Ich durfte hier und auch bei den anderen Gelegenheiten dreieinhalb Jahre lang Sprecher des Ministeriums sein. Es war eine sehr spannende Zeit, natürlich dank Ihrer Fragen und Ihrer Beiträge. Ich danke Ihnen sehr für die gute Zusammenarbeit in dieser Zeit, für Ihr Interesse an den Themen unseres Hauses, und wünsche Ihnen alles Gute. - Danke!

Vors. Detjen: Herr Toschev, danke auch unsererseits für die vielen Antworten, die Sie uns gegeben haben. Die Fragen ans Haus bleiben - das wissen Sie und Ihre Nachfolger aber. Wir wünschen Ihnen schon jetzt viel Erfolg und eine erfüllte Zeit in Ihrer neuen, interessanten Funktion im Bundeswirtschaftsministerium.

Jetzt beginnen wir, wie immer am Mittwoch, mit dem Bericht aus dem Bundeskabinett. - Herr Seibert.

StS Seibert: Danke. - Guten Tag! Es war heute eine besondere Kabinettssitzung, weil wir heute einen besonderen Gast hatten, nämlich den französischen Innenminister Bernard Cazeneuve. Sie wissen, dass es immer wieder einmal Besuche französischer Minister bei uns beziehungsweise auch deutscher Minister im französischen Kabinett gibt. Heute hat also Bernard Cazeneuve seinen Amtskollegen Thomas de Maizière ins Kabinett begleitet - dazu später noch mehr.

Es war auch deshalb eine besondere Kabinettssitzung, weil heute der Präsident und die Vizepräsidentin der Bundesbank zu Gast waren - jedenfalls zeitweilig.

Das verweist Sie schon darauf, dass der Jahreswirtschaftsbericht 2016 heute Kabinettsthema war. Da der Bundeswirtschaftsminister Ihnen hier an dieser Stelle ab 14 Uhr alles darüber berichten wird, werde ich mich hier jetzt zurückhalten, und ich bin mir sicher, dass Sie alle Ihre Fragen dann auch an ihn loswerden können.

Ein weiterer Punkt im Kabinett heute, gemeinsam vorgetragen von Innen- und Justizministerium, war das Thema erleichterte Ausweisung straffälliger Ausländer. Dazu hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt. Das entspricht der Vereinbarung, die die Minister de Maizière und Maas am 12. Januar miteinander getroffen haben.

Ereignisse wie die in der Kölner Silvesternacht befördern Ressentiments gegenüber der großen Mehrheit von Ausländern bei uns im Lande, die sich rechtstreu verhalten. Wenn Ausländer, die in Deutschland Schutz suchen, Straftaten von erheblichem Ausmaß begehen, dann kann das den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland und die Akzeptanz für die Aufnahme von Schutzbedürftigen gefährden. Ziel der heute beschlossenen Regelungen ist es nun, die Ausweisung krimineller Ausländer zu erleichtern und Asylsuchenden, die Straftaten begehen, die Anerkennung als Flüchtling konsequenter als bisher zu versagen.

Im Einzelnen ist Folgendes vorgesehen: Es wird künftig ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse schon dann vorliegen, wenn ein Ausländer wegen einer vorsätzlichen Straftat gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheit- oder Jugendstrafe verurteilt worden ist, sofern die Taten mit Gewalt, Drohungen mit Gefahr für Leib oder Leben oder List begangen worden sind oder sofern es sich um Serientaten gegen das Eigentum handelt. Ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, wie ich es hier gerade beschrieben habe, hängt nicht davon ab, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt ist.

Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse wird in Zukunft schon dann gegeben sein, wenn ein Ausländer wegen einer der von mir gerade genannten Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird. Auch das gilt künftig unabhängig davon, ob diese Strafe zur Bewährung ausgesetzt ist oder nicht.

Asylsuchenden, die eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeuten, weil sie wegen einer der genannten Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden sind, kann künftig die Rechtsstellung als anerkannter Flüchtling versagt werden. Wenn solch eine Rechtsstellung schon zugesprochen wurde, dann kann sie in diesen Fällen auch widerrufen werden. - So viel zu diesem Thema.

Der Minister für Verkehr und Infrastruktur hat dem Kabinett anschließend seinen Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung des Ausbaus digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze vorgestellt, und das Kabinett hat diesen beschlossen. Das Ziel dieses Gesetzes ist es, die Kosten für den Ausbau dieser digitalen Hochgeschwindigkeitsnetze in Deutschland maßgeblich zu senken. Dazu gibt es ein umfangreiches Maßnahmenbündel.

Effizientere Verfahren und mehr Transparenz beim Netzausbau sollen dazu beitragen, dass der Breitbandausbau nachhaltig beschleunigt wird. Dazu gehört die Nutzung existierender passiver Netzinfrastrukturen. Wenn Sie sich fragen - wie auch ich mich, ehrlich gesagt, gefragt habe -, was passive Netzinfrastrukturen sind: Das sind unter anderem Leerrohre, Leitungsrohre, Einstiegsschächte, Verteilerkästen, Masten, Antennenanlagen und alle anderen Trägerstrukturen der öffentlichen Versorgungsnetze. Die sollen also genutzt werden. Es soll die Mitverlegung von geeigneten passiven Netzinfrastrukturen und Glasfaserkabeln bei öffentlich finanzierten Bauarbeiten und bei der Erschließung von Neubaugebieten vorgenommen werden, und wir wollen den Zugang zu Informationen über die tatsächliche Versorgungslage verbessern. Die Bundesnetzagentur wird die Aufgabe einer zentralen Informations- und auch nationalen Streitbeilegungsstelle wahrnehmen.

Mit diesem Gesetz zum Ausbau digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze unterstreicht die Bundesregierung ihren Willen, den sie im Koalitionsvertrag niedergelegt hat und der auch Gegenstand unserer digitalen Agenda ist, das schnelle Internet für alle Bürgerinnen und alle Bürger überall zu ermöglichen.

Ich hatte es schon gesagt: Der französische Innenminister war heute bei unserer Kabinettssitzung dabei. Das führte dann zu einem Bericht zur deutsch-französischen Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen, bei dem sowohl er als auch Bundesinnenminister de Maizière vorgetragen und über diese sehr enge Zusammenarbeit berichtet haben. Beide haben von einer exzellenten, auch persönlich-freundschaftlichen Zusammenarbeit berichtet, auch von enger Abstimmung beim gemeinsamen europäischen Vorgehen. Im Vordergrund stand dabei das Thema Terrorismusbekämpfung. Wir in der Bundesregierung sind überzeugt, dass es angesichts der durchaus angespannten Sicherheitslage essenziell ist, dass Deutschland und Frankreich da eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Es zahlt sich dabei aus, dass auch schon vor den schrecklichen Terroranschlägen des Jahres 2015 mit verschiedenen gemeinsamen Projekten eine vertiefte bilaterale Partnerschaft aufgebaut worden war.

Zum Schluss - es gibt ja immer den Kabinettspunkt Flüchtlingspolitik - hat der Bundesaußenminister einen kurzen Ausblick auf die Syrien-Konferenz gegeben, die am Donnerstag, dem 4. Februar, in London stattfinden wird und deren Titel "Supporting Syria and the region" ist. Zu dieser Konferenz haben, wie Sie vielleicht wissen, der britische Premierminister, die Bundeskanzlerin, die norwegische Ministerpräsidentin, der Regierungschef von Kuwait und der Generalsekretär der Vereinten Nationen eingeladen. Ein Ziel ist natürlich, dass wir zu einer signifikanten Erhöhung der finanziellen Hilfen für humanitäre Maßnahmen in Syrien und in der Region beitragen. Ein anderes Ziel ist aber natürlich auch, mittel- und langfristige Maßnahmen, strukturbildende Maßnahmen der Entwicklungshilfe zu planen, damit die Zukunftsperspektiven der Flüchtlinge, die in Syrien und in den syrischen Nachbarstaaten sind, verbessert werden können. - Das ist das, was ich Ihnen dazu - es war ein kurzer Bericht des Außenministers - an dieser Stelle dazu sagen kann.

Frage (zum Entwurf eines Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern): Herr Seibert, wenn ich richtig informiert bin, war das bisherige Ausweisungsrecht beziehungsweise ist das jetzt geltende Ausweisungsrecht mit dem heutigen Tag 26 oder 27 Tage in Kraft. Welche Erfahrung hat man denn mit diesem Recht gemacht? Ist es überhaupt jemals angewendet worden?

StS Seibert: Ich schlage vor, dass der Vertreter des Innenministeriums diese Frage beantwortet.

Plate: Es gibt keine umfassende Analyse über die Anwendung des geltenden Ausweisungsrechts. Es handelte sich ja im Wesentlichen um eine Neuordnung und neue Strukturierung des Ausweisungsrechts, die zum 1. Januar in Kraft getreten ist. Nichtsdestotrotz ist jetzt der Vorschlag einer Neuregelung vor allen Dingen verschärfenden Charakters auf den Tisch gelegt worden - sie ist ja noch nicht in Kraft. Das heißt, das zum 1. Januar in Kraft getretene Ausweisungsrecht gilt nach wie vor. Ich kann Ihnen aber keine konkreten Erfahrungswerte über die Anwendung in diesen Tagen - die ja durch die Länder erfolgt - mitteilen.

Zusatzfrage : Wenn man jetzt die Straftaten von Köln - nach allem, was man darüber weiß -, die ja Anlass für diese Gesetzesnovellierung sind, betrachtet: Würde bei Anwendung dieses Gesetzes, das Sie heute im Kabinett beschlossen haben, irgendeiner der Fälle, die dort in Rede stehen, irgendwie von diesen neuen Regelungen betroffen sein können?

Plate: Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht mit abschließender Sicherheit mitteilen, da in den konkreten Fällen, um die es geht, die Ermittlungsverfahren mindestens überwiegend - vielleicht sogar alle - noch nicht abgeschlossen sind. Da ja die Anwendung des Ausweisungsrechts, wie Herr Seibert gerade richtig vorgetragen hat, von konkreten Verurteilungen abhängt, die aber jetzt noch nicht vorliegen, kann ich das so mit Absolutheit weder bestätigen noch verneinen.

Zusatzfrage : Eine Lernfrage: Auf die Fälle von Köln, also die am 31. Dezember oder 1. Januar verübten Straftaten, lässt sich doch dieses neue Ausweisungsrecht, wenn es irgendwann vom Bundestag beschlossen ist, sowieso nicht anwenden, für diese Fälle würde noch das alte gelten? Oder ist theoretisch eine Anwendung der neuen Paragrafen auf diese Kölner Straftäter denkbar?

Plate: Ich will einmal versuchen, das für Sie rechtlich durchzuspielen. Im Prinzip ist das Ausweisungsrecht ab dem Zeitpunkt, an dem es vorliegt - der genaue Zeitpunkt des Inkrafttretens steht ja noch nicht fest, da, wie Sie wissen, nicht nur der Bundestag, sondern auch der Bundespräsident noch das Ihre dazu zu tun haben -, in Kraft. Wenn dann eine entsprechende Verurteilung vorliegt, dann ist eine Anwendung des neuen Rechts nicht ausgeschlossen. Das ist eine Frage der Subsumption, aber da müssen wir jetzt natürlich auf den genauen Einzelfall schauen - je nachdem, wann es eine Verurteilung gibt, und je nachdem, wann dieses Gesetz letzten Endes in Kraft tritt.

Frage : Ich habe eine ähnliche Frage: Wenn jemand gestern für eine schwerwiegende Straftat verurteilt wurde und eine Freiheitsstrafe oder eine Bewährungsstrafe bekommen hat, dann zählt das noch nicht? Oder muss der dann doch damit rechnen, nachträglich ausgewiesen zu werden?

Plate: Im Wesentlichen kann ich nur auf die Aussage verweisen, die ich gerade auch auf die Frage von Herrn Siebert schon getroffen habe.

Zusatzfrage : Ich habe sie nicht verstanden, darum sollten Sie das vielleicht noch einmal erläutern.

Plate: Okay. Ich weiß nicht, ob Sie auf das strenge strafrechtliche Rückwirkungsverbot anspielen; das gilt natürlich für Fragen des Ausweisungsrechts nicht, weil das Ausweisungsrecht kein Strafrecht ist. Insofern kommt es darauf an, wann das Ausweisungsrecht jetzt wirklich in Kraft tritt und ob dann in dem fraglichen Fall die Voraussetzungen für die Ausweisung gegeben sind - zum Beispiel eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr; je nachdem, um welche Konstellation es geht. Da die Fallgestaltungen vielfältig sind, kann ich das in der Absolutheit, in der Sie sich das verständlicherweise wünschen, nicht beantworten.

Zusatzfrage : Wenn es jetzt schon mehrere hundert Menschen mit Asylstatus in Deutschland gibt, die eine Freiheitsstrafe bekommen haben, dann müssen diese jetzt also fürchten, dass sie ausgewiesen werden?

Plate: Ich kann nur auf das verweisen, was ich gerade gesagt habe; dem kann nichts weiter hinzufügen.

Frage: An Herrn Plate, möglicherweise aber auch an das Arbeitsministerium: Wenn jemand rechtskräftig ausgewiesen ist, aber nicht abgeschoben werden kann, weil ein Hindernis vorliegt oder es kein Rückführungsabkommen gibt, muss diese Person dann mit einer Kürzung von finanziellen Leistungen rechnen?

Plate: Das ist eine Frage des Asylbewerber- oder sonstigen Sozialleistungsrechts und liegt nicht in der Zuständigkeit des BMI.

Westhoff: In dieser Pauschalität kann ich das jetzt, glaube ich, auch nicht ohne Weiteres beantworten. Wir haben in Deutschland die Pflicht, das Existenzminimum zu sichern - das kennen wir alle, das ist das soziokulturelle Existenzminimum, und diese Leistung wird für noch nicht Anerkannte oder Geduldete über das Asylbewerberleistungsgesetz erbracht. Das ist ein verminderter Regelsatz, und nach dem Aufenthalt in Erstaufnahmeeinrichtungen steigert sich das dann ein bisschen - Sie wissen ja, dass in den Erstaufnahmeeinrichtungen Taschengeld bezahlt wird und dass ansonsten das Ganze über Sachleistungen abgehandelt wird. Es ist aber nicht so, dass eine Sanktionierung einer Straftat über das Beschneiden des soziokulturellen Existenzminimums erfolgt.

Frage : Herr Schäfer, wie bewertet man denn im Auswärtigen Amt die gestrigen Äußerungen des russischen Außenministers zum Fall Lisa?

Schäfer: Erst einmal freuen wir uns über das große Engagement der russischen Regierung für Aufklärung, Objektivität und Transparenz in der Strafjustiz. Wir hoffen, dass dieses Interesse nicht nur für den angesprochenen Fall gilt, der jetzt unter dem Stichwort "Lisa" läuft, sondern auch für alle anderen Fälle, auch überall sonst.

Vieles von dem, was Herr Lawrow gestern gesagt hat, können wir, so denke ich, teilen. Ja, Aufklärung ist nötig - allerdings unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich hier um ein 13-jähriges Mädchen handelt und man im Grunde alle nur auffordern kann - in der Politik, in den Medien, vielleicht sogar im Kreise der Angehörigen -, immer daran zu denken, dass es hier um ein 13-jähriges Mädchen geht und dass es ja wohl nicht im Interesse von ihr sein kann, diese Sache irgendwie politisch zu instrumentalisieren.

Ich kann für das Auswärtige Amt ergänzen, dass wir da vollstes Vertrauen in die Arbeit der Berliner Justiz und der Berliner Polizei haben und - wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf - ein ganz kleines bisschen weniger Vertrauen haben in die Objektivität, die Transparenz und die wirkliche Bereitschaft zur Aufklärung mancher Kollegen von Ihnen, die in den letzten Tagen dieses Thema in den russischen Medien behandelt haben.

StS Seibert: Wenn ich für die Bundesregierung auch noch etwas hinzufügen darf, obwohl Sie mich nicht gefragt haben: Zu dem Fall an sich kann und will ich nichts sagen. Das ist in Deutschland nicht Sache der Bundesregierung. Das ist Sache der Staatsanwaltschaft, und die hat sich bereits geäußert.

Was ich ganz grundsätzlich sagen kann: Wir haben in Deutschland einen Rechtsstaat. Wir haben in Deutschland eine unabhängige Justiz, der jeder Bürger vertrauen kann. Diese Justiz soll in Ruhe und ohne Störung ihrer Ermittlungen von außen arbeiten können. Es gibt überhaupt keinen Anlass - es verbietet sich sogar -, diesen Vorgang politisch zu instrumentalisieren.

Zusatzfrage : Der russische Außenminister hat gesagt, die deutschen Behörden "lackieren" die Wirklichkeit aufgrund innenpolitischer Ziele. Betrachtet das Auswärtige Amt das als einen Versuch, auf die deutschen Behörden einzuwirken? Damit wäre aus meiner Sicht auch ein bisschen der Versuch der Einflussnahme gegeben.

Schäfer: Ich kann jetzt, ehrlich gesagt, gar nicht beurteilen, ob das gestern wirklich die Absicht von Herrn Lawrow gewesen ist. Ich fürchte, danach, ob das seine Absicht war, müssten Sie ihn oder vielleicht seine Sprecherin fragen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich irgendjemand, der mit der strafrechtlichen und vielleicht auch sonstigen Aufklärung dieses Falles in der Berliner Justiz, in der Berliner Polizei, bei der Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei zu tun hat, durch eine Äußerung aus Moskau in welcher Weise auch immer unter Druck setzen ließe, sondern das ist ein Fall, der wegen der Betroffenen aus unserer Sicht sehr viel Sensibilität notwendig macht. Noch einmal: Wir haben das allergrößte und vollste Vertrauen in diejenigen in Justiz und Polizei, die sich mit der Aufklärung dieses Sachverhalts zu beschäftigen haben.

Frage : Herr Schäfer, was hat denn so eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Deutschlands für diplomatische beziehungsweise außenpolitische Folgen?

Schäfer: Ich glaube erst einmal, dass das jetzt keine übermäßigen Folgen hat. Wir haben die Äußerungen von Herrn Lawrow auf seiner traditionellen Jahresanfangspressekonferenz - so etwas findet dort ja jedes Jahr statt - natürlich aufmerksam verfolgt. Das haben Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen ja auch, und deshalb reden wir ja jetzt auch darüber.

Herr Lawrow hat über diesen Fall hinaus eine ganze Menge zu den deutsch-russischen Beziehungen gesagt, was wir nur begrüßen können, und zwar, dass er ein Interesse an engerer Zusammenarbeit hat, dass er ein Interesse an der Überwindung der Krise in der Ostukraine hat, dass er bereit ist, bei den Versuchen, eine politische Lösung für Syrien hinzubekommen, mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten und dass er dies tun möchte. Er hat auch andere Dinge zu den bilateralen Beziehungen zwischen Berlin und Moskau gesagt, die wir nur begrüßen können.

Darüber hinaus mussten und konnten wir feststellen, dass es in den letzten Tagen insbesondere in den russischen Medien eine ganz interessante Berichterstattung - ich sage bewusst "interessante Berichterstattung" - über diesen wirklich schrecklichen Fall gab. Einige Ihrer Kolleginnen und Kollegen - das habe ich heute Morgen mit großem Interesse gelesen - haben sich ja auch schon darangemacht, die eine oder andere Mitteilung und Berichterstattung in den russischen Medien ein wenig zu sezieren. Ich will das gar nicht kommentieren, sondern nur sagen, dass ich jedenfalls persönlich mit großer Aufmerksamkeit gelesen habe, was da so gemacht worden ist.

Ansonsten schließe ich mich für das Auswärtige Amt eins zu eins dem an, was Herr Seibert gesagt hat und was ich auch schon gesagt habe, und ich sage es gerne noch einmal: Es ist wirklich ganz schlimm, so glauben wir, wenn ein solcher Fall politisch instrumentalisiert wird. Dafür eignet er sich nun beim besten Willen überhaupt nicht.

Frage : Bewerten Sie auch die Informationspolitik der Berliner Polizei in diesem Fall positiv?

Schäfer: Es ist jetzt nicht an der Bundesregierung, die Informationspolitik der Berliner Polizei zu kommentieren; das muss ich Ihnen überlassen. Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass wir nicht den geringsten Anlass haben, an der Seriosität und der Ernsthaftigkeit der strafrechtlichen Aufklärung durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden des Landes Berlin irgendeinen Zweifel zu haben.

Frage : Herr Schäfer, hat die Bundesregierung denn den Eindruck, dass in Russland eine Medienkampagne beziehungsweise eine Kampagne anhand dieses konkreten Beispiels gefahren wird?

Schäfer: Auch an dieser Stelle haben wir schon ganz häufig darüber gesprochen, dass man in den letzten Jahren in der Tat beobachten konnte - ich spreche ganz ausdrücklich unabhängig von dem Fall, über den wir jetzt reden -, dass sich die russischen Medien sozusagen sehr aktiv im Rahmen von Berichterstattungen auch über die Grenzen Russlands hinaus einbringen. Vielleicht belasse ich es bei dieser Antwort oder sage es einmal so: Wir sind der festen Überzeugung, dass sich mündige, aufgeklärte Bürger ein eigenes Urteil darüber bilden können, was in den Medien - in russischen oder in anderen - an Berichten kommt. Wir haben großes Vertrauen in die Fähigkeit der Bürger, das alles zu verstehen und richtig einzuordnen. Vielleicht sage ich es noch kürzer: "In the long run", auf Dauer, gilt immer: Lügen haben kurze Beine.

Frage (zur Asyl- und Flüchtlingspolitik): Herr Seibert, gestern ist ja der Brief des bayerischen Ministerpräsidenten im Kanzleramt eingetroffen. Meine Frage wäre: Gedenkt die Kanzlerin - falls ja, bis wann -, auf diesen Brief zu antworten? Wie geht sie insbesondere mit der darin enthaltenen Drohung einer Verfassungsklage um, die ja vom Koalitionspartner SPD schon als ein erster Schritt zu einem Koalitionsbruch bezeichnet wird?

StS Seibert: Sie haben recht: Das Schreiben ist eingegangen. Das ist auch beinahe schon alles, was ich Ihnen dazu sagen kann; denn Sie wissen, dass die Bundeskanzlerin ihren Briefverkehr grundsätzlich nicht über die Öffentlichkeit kommuniziert. So wird es auch in diesem Fall sein.

Frage: Es geht mir darum, ob es richtig ist, dass die Bundesregierung erwägt, im Rahmen von Frontex oder auch bilateral die Bundespolizei an der mazedonisch-griechischen Grenze einzusetzen.

Plate: Vermutlich richtet sich die Frage an mich. Der Sachverhalt sagt mir jetzt so, ehrlich gesagt, nichts. Berufen Sie sich auf irgendeine Meldung? Ich müsste das sonst nachreichen. Das ist mir jetzt nicht bekannt.

Zusatz: In Brüssel kursiert das Thema.

Plate: Mit so einer nicht so superpräzisen Quellenangabe kann ich das leider gerade nicht kommentieren.

Zusatzfrage: Die Frage ist ja relativ einfach, meine ich. Wird so ein Einsatz der Bundespolizei erwogen?

Plate: Ich sagte es schon: Mir ist darüber nichts bekannt. Das hat nichts mit "einfach" oder "nicht einfach" zu tun. Wenn mir dazu nichts bekannt ist, dann ist es letztlich egal, ob die Frage einfach zu beantworten wäre, wenn man die Antwort wüsste. Mir ist sie ja nicht bekannt, wie schon gesagt.

StS Seibert: Ich kann dazu nur grundsätzlich sagen: Es ist, und das haben wir hier ganz oft dargelegt, aus unserer Sicht absolut vordringlich, dass wir den Schutz der EU-Außengrenzen verbessern. Ohne einen effektiven Schutz dieser EU-Außengrenzen ist die Freizügigkeit im Schengen-Raum gefährdet. Nun hat sich der Rat mit diesem Thema ja schon befasst und auch darauf geeinigt, sich im Zeitrahmen der niederländischen Präsidentschaft, also im ersten Halbjahr 2016, auf diesen Vorschlag der Europäischen Kommission zu verständigen, einen Vorschlag für einen gemeinsamen europäischen Grenz- und Küstenschutz. Damit haben sich ja jetzt auch die Innen- und Justizminister in Amsterdam befasst.

Mazedonien ist ein Land im EU-Heranführungsprozess, und wie bei allen Ländern, die diesen Status haben, geht es auch bei Mazedonien darum, die sicherheitspolitische und die polizeiliche Zusammenarbeit auszubauen. Das schließt auch die schrittweise Übernahme europäischer Standards ein. Das ist das, was ich Ihnen dazu sagen kann.

Zusatzfrage: (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)

StS Seibert: Dazu kann ich Ihnen nichts sagen, und es gibt auch keine Beschlüsse dieser Art, sondern es gibt unser grundsätzliches Interesse daran, einen effektiven Schutz der EU-Außengrenzen zu erreichen und auch daran, den Vorschlag der Europäischen Kommission für einen gemeinsamen europäischen Grenz- und Küstenschutz innerhalb der ersten sechs Monate dieses Jahres in Europa zu beschließen. Das ist ein wichtiger Punkt.

Frage : Herr Seibert, zu dem morgigen Treffen mit Herrn Gabriel und Herrn Seehofer: Wie bewertet die Kanzlerin die Chancen dafür, dass es morgen zu einer Einigung über das Asylpaket II kommen wird?

Technische Frage: Wird es danach irgendeine Art der Presseunterrichtung über das Ergebnis des Treffens geben?

StS Seibert: Herr Delfs, das ist ja ein Treffen auf Ebene der Parteivorsitzenden; der SPD-Parteivorsitzende hat Sie ja wie auch andere Vertreter der Parteien schon darauf hingewiesen. Das ist eigentlich auch alles, was ich Ihnen dazu sagen kann.

Wir haben hier am Montag gesagt, dass wir intensiv an der Kompromisssuche hinsichtlich der verschiedenen Themen des Asylpakets II sind, und da stehen wir jetzt. Dann wird es am Donnerstag dieses Treffen geben, von dem Sie wissen. Weiteres kann ich Ihnen noch nicht sagen.

Frage: Ich habe zwei Fragen, Herr Seibert. Können Sie uns vielleicht sagen, welcher Bereich neben dem Asylpaket II noch auf der Tagesordnung stehen wird beziehungsweise beschlossen werden könnte?

Zum zweiten Punkt: Der Bundesfinanzminister hat neulich einmal gesagt "Wenn wir gemeinsam keine EU-Beschlüsse hinbekommen, zum Beispiel zur Hilfe für Griechenland und dazu, wie man denen beim Schutz der Außengrenze hilft, dann könnte es eine Koalition der Willigen geben", also dass man dann eben gemeinsam mit den Ländern vorangeht, die sich darüber einig sind. Ist das für die Kanzlerin auch eine Option?

StS Seibert: Ich kann Ihnen zu diesem Treffen der drei Parteivorsitzenden am Donnerstag und zu seinen Inhalten nicht mehr sagen. Erkennbar hat das mit dem Asylpaket II zu tun. Ob andere Themen auf der Tagesordnung stehen werden, weiß ich nicht. Ich würde Sie wirklich bitten, sich dafür an die Parteivertretungen zu wenden.

Ansonsten, was die Einschätzung des Finanzministers angeht, gebe ich das Wort vielleicht erst einmal an die Sprecherin des Finanzministeriums.

von Tiesenhausen-Cave: Ich glaube, Sie haben das Interview, in dem dieser Satz fiel, nicht ganz sorgfältig gelesen. Darin bezog sich der Bundesfinanzminister auf die Bereitstellung von Finanzmitteln für die Türkei und für andere Länder in der Krisenregion, aus der derzeit so viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen. In diesem Zusammenhang war die Aussage gefallen.

Zusatzfrage: Stimmt, Sie haben recht; da bin ich etwas durcheinander gekommen. Trotzdem noch einmal die Frage: Ist das denn auch eine Option für die Bundeskanzlerin?

StS Seibert: Sie wissen ja, dass es im Zusammenhang mit dem EU-Türkei-Aktionsplan schon vor dem letzten Europäischen Rat ein Treffen einzelner Mitgliedstaaten gegeben hat - ich glaube, es waren zehn oder elf -, die aus ihrer nationalen Situation heraus ein ganz besonderes Interesse an der Umsetzung dieses EU-Türkei-Aktionsplans haben. Wenn Sie das eine "Koalition der Willigen" nennen wollen, dann können Sie das tun. Wir suchen, wo immer das geht, immer den Weg gemeinsamer europäischer Lösungen. Das ist unsere Überzeugung.

Frage : Wie sollte der Grenzschutz in der Ägäis vor sich gehen? Gibt es konkrete Pläne dazu? Soll dabei auch militärische Gewalt angewandt werden? Sollen die Schiffe oder Boote, die von der Türkei nach Griechenland fahren, versenkt werden? Die Frage geht an Herrn Seibert und auch an Herrn Plate.

StS Seibert: Ich kann hier keine operativen Details nennen. Es gibt einen Vorschlag der Europäischen Kommission dazu, wie ein verbesserter europäischer, gemeinsamer Grenz- und Küstenschutz aussehen könnte. Mit dem befassen sich die Staaten unter der Führung der Präsidentschaft der Niederlande in diesem ersten Halbjahr 2016. Dabei wird all das zu diskutieren sein.

Grundsätzlich kann man sagen, dass der Zustand, wie er jetzt ist, nämlich dass zwischen den beiden Ländern Griechenland und Türkei - immerhin auch zwei Nato-Länder - die Schlepper, die verbrecherischen Menschenhändler ziemlich ungehindert in der Ägäis operieren können und täglich immer wieder Menschen in Lebensgefahr bringen können, eigentlich unerträglich ist und auch für die beiden Länder, die es betrifft, unerträglich sein sollte.

Zusatzfrage : Können Sie dabei die Anwendung militärischer oder polizeilicher Gewalt ausschließen?

StS Seibert: Ich habe hier gar nichts auszuschließen. Ich verweise auf die gemeinsamen europäischen Beratungen darüber, wie ein wirksamer Grenz- und Küstenschutz organisiert sein kann. Dabei wird sich Griechenland sicherlich intensiv einbringen, denn es hat ja auch dieses Interesse. Wir und viele andere Staaten sind natürlich auch auf allen Ebenen bereit, Griechenland dabei zu unterstützen. Ich kann hier nicht darüber sprechen, wie das dann operativ gehen wird, aber das wird dann Thema der Beratungen sein.

Frage: Herr Seibert, die Schlepper kommen aus der Türkei. Die kommen nicht aus Griechenland. Was macht man? Was ist die Lösung? Niemand in Griechenland versteht, was Sie meinen, niemand! Was soll man machen? Das meinte der Kollege auch. Niemand weiß, was Sie mit einem "besseren Schutz der Außengrenzen von Europa" meinen.

StS Seibert: Ein besserer Schutz der europäischen Außengrenzen, was ja im Übrigen nicht nur die Ägäis betrifft, muss doch in erster Linie einmal bedeuten, dass an diesen Außengrenzen nicht Schlepper ihr Unwesen treiben können. Das ist doch einmal ein erstes Ziel, dass nicht mehr Menschen in großer Zahl ertrinken und in Gefahr gebracht werden, dass dort nicht Milliardengeschäfte mit Menschen gemacht werden. Das ist doch einmal eine ganz klare gemeinsame Zielsetzung, und auf die muss man zuarbeiten.

Zusatzfrage: Gibt es nur einen Weg, nämlich auf diese Schiffe zu schießen? Gibt es keinen anderen Weg ins Meer?

StS Seibert: Auch wenn Sie vielleicht Experte für maritimen Küstenschutz sind, bin ich es nicht. Ganz klar ist: Das muss unsere Zielsetzung sein. Das ist in Europa und natürlich auch intensiv mit den Türken zu besprechen. Sie wissen, dass ein Teil des EU-Türkei-Aktionsplanes ist, dass von der Türkei ein intensiveres, konsequenteres Vorgehen gegen das Schlepperunwesen erwartet wird.

Frage : Herr Seibert, im Vorgriff auf den kommenden EU-Gipfel, den die Kanzlerin ein bisschen als Punkt für eine Zwischenbilanz angezeigt hat, frage ich: Hat die Kanzlerin eigentlich das Ziel aufgegeben, noch mit allen 28 EU-Staaten eine Lösung hinzubekommen, weil sich ja auch dort erst wieder die Koalition der Willigen treffen wird, oder ist es nach wie vor erklärtes Ziel, dass sich wirklich alle 28 EU-Staaten an einer Lösung beteiligen?

StS Seibert: Unser Ziel als Bundesregierung ist es, zu einer gemeinsamen europäischen Antwort auf die europäische Herausforderung der Flüchtlingskrise zu kommen. Daran arbeiten wir auf allen Ebenen und in allen Teilbereichen dieses Problems.

Frage : Ist nicht die oberste Pflicht der Küstenwache, egal ob sie von Frontex unterstützt wird oder nicht, den Menschen auf offener See zu helfen und ihnen genau das zu gewähren, was die internationale Gesetzgebung vorsieht, gemäß allen möglichen Gesetzen auf diesem Gebiet?

StS Seibert: Natürlich gibt es die Pflicht, Leben zu retten, wo man Leben in Gefahr sieht. Das wird ja ständig praktiziert. Das wird von deutschen Marineschiffen vor der afrikanischen Küste, von vielen internationalen Seeeinheiten und auch in der Ägäis praktiziert. Die Pflicht, Menschenleben zu retten, besteht. Aber es gibt auch die gemeinsame Pflicht, dafür zu sorgen, dass Menschen überhaupt nicht mehr in diese Lebensgefahr gebracht werden und dass die Menschen, die Milliarden verdienen, indem sie andere Menschen in Lebensgefahr bringen - also die Schlepper - dort nicht ungehindert arbeiten können.

Frage: Eine Frage an das Finanzministerium. Frau von der Leyen hat für den Ausbau der Bundeswehr erhebliche Summen gefordert oder als nötig erachtet, 130 Milliarden Euro bis 2030. Inwieweit ist das mit dem Finanzminister abgesprochen? Wie weit hat er schon Signale gegeben, dass so etwas möglich ist?

von Tiesenhausen-Cave: Zu diesem Thema sind die beiden Minister in der Tat im Gespräch. Frau von der Leyen hat den Bundesfinanzminister fortlaufend und vertrauensvoll über ihre Planungen informiert.

Lassen Sie mich das aber erst noch prozedural einordnen. Wir gehen jetzt in das Haushaltsaufstellungsverfahren für den Bundeshaushalt 2017 und die Finanzplanung bis 2020. Im Gespräch ist ja eine langfristige, sehr strategische Ausrichtung bis zum Jahr 2030. Das geht also über diesen Zeitraum deutlich hinaus.

Der Herr Minister hat in der letzten Zeit auch schon mehrfach öffentlich gesagt, dass er in den Bereichen der inneren und äußeren Sicherheit durchaus Bedarf sieht. Das heißt aber nicht, dass in diesem konkreten Fall irgendetwas präjudiziert ist. Die Gespräche werden jetzt sorgfältig geführt, und zwar mit allen Ressorts. Nach Abschluss dieser Gespräche im März wird man dann mit dem Eckwertebeschluss zu Ergebnissen kommen.

Frage: Eine Frage an das Verkehrsministerium zur Zulassung für Neuwagen und zu den Plänen der EU-Kommission, die heute, jetzt gerade vorgestellt werden. Es sind ja schon einige Dinge durchgesickert. Unter anderem geht es darum, dass es eine EU-Aufsicht für nationale Zulassungsverfahren geben soll. Können Sie schon eine Stellungnahme zu den Plänen abgeben und sagen, was Sie davon halten? - Danke.

Susteck: Vielen Dank für die Frage. Sie haben es selber gesagt: Die EU-Kommission stellt erst in diesen Minuten ihre Pläne vor. Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich dazu jetzt keine Stellung nehmen kann. Wir werden uns diese Pläne in Ruhe ansehen.

Sie wissen, dass die Bundesregierung die Weiterentwicklung der Pkw-Abgastests auf europäischer Ebene bereits seit Jahren vorantreibt. Wir wollen einerseits mit Hilfe des sogenannten WLTP-Verfahrens die Testmethoden verbessern. Dieses Verfahren beinhaltet einen neuen dynamischen Fahrzyklus, der auf realen, repräsentativen Fahrstatistiken beruht. Andererseits, auch das dürfte bekannt sein, setzt sich Deutschland seit 2011 auf europäischer Ebene für die Einführung der sogenannten RDE-Tests ein, also Realwertmessungen auf der Straße. Der Minister hat dieses Thema auf die Tagesordnung des jüngsten Verkehrsministerrates gesetzt. Die EU-Staaten haben sich auf deutsche Initiative hin auch auf Details für dieses neue Prüfverfahren geeinigt. Sie können davon ausgehen, dass wir uns für eine schnelle Umsetzung einsetzen.

Darüber hinaus möchte ich nur noch kurz auf die Pläne und Maßnahmen verweisen, die die Untersuchungskommission anstrebt. Herr Rudolph hat das hier am vergangenen Montag vorgestellt. Dabei geht es erstens um die Offenlegung der Motorsoftware gegenüber der Typgenehmigungsbehörde, zweitens um eine Rotation der technischen Prüfdienste bei den Herstellern und drittens um staatliche Prüfstände zu Nachprüfungen der Abgasemissionen, die aufgebaut werden sollen.

Frage: Ich wollte noch einmal zum Investitionsbedarf fragen, Herr Seibert. Die Bundesministerin hat heute Morgen gesagt, dass sich dieser Investitionsbedarf an den Bedürfnissen der Bundeswehr für die Aufgaben der nächsten Jahre ausrichtet. Wenn man der Meinung sei, dass man das finanziell nicht leisten könne, dann müsse man eben ins Parlament gehen und klären lassen, welche Leistungen künftig nicht mehr erbracht werden müssten. Das ist jetzt in meinen Worten das zusammengefasst, was die Ministerin gesagt hat. Wo steht denn da die Bundeskanzlerin? Ist sie mit der Ministerin in Abstimmung? Ist das ein Aufgabenspektrum, was die beiden gleich sehen? Oder neigt die Bundeskanzlerin aus einer traditionellen Zurückhaltung gegenüber allem Militärischen eher dazu zu sagen: "Dann lass uns doch einmal ein bisschen aussortieren; vielleicht gibt es ein paar Sachen, die wir nicht machen müssen."?

StS Seibert: Da ich die Äußerungen der Ministerhin heute Morgen noch nicht nachlesen konnte, würde ich darauf jetzt nicht gern Bezug nehmen.

Grundsätzlich ist es so - das wissen wir alle in der Bundesregierung -, dass die Bundeswehr durch die aktuellen Einsätze weiterhin sehr gefordert ist. Wir wissen auch, dass das sicherheitspolitische Umfeld in der Welt gerade im letzten Jahr sich noch einmal stark verändert hat, dass es viele neue Herausforderungen, viele neue Anforderungen gibt. Wir brauchen auch zukünftig eine Bundeswehr, die ihre vorgesehenen Aufgaben und Aufträge zuverlässig erfüllen kann. Das erfordert natürlich eine angemessene und solide finanzierte Ausstattung, sowohl mit Personal als auch mit Material. Die Bundeskanzlerin hat sich ja vorletzte Woche im Verteidigungsausschuss zu diesen Fragen geäußert. Grundsätzlich unterstützt sie die Überlegung der Bundesverteidigungsministerin zur zukünftigen Ausgestaltung des Verteidigungshaushaltes. Aber es ist natürlich auch ganz klar: Die Details sind Gegenstand der Gespräche zum Haushaltsplan 2017 zwischen dem Ministerium und dem Finanzministerium. Dazu möchte ich hier nicht Stellung nehmen.

Zusatzfrage: Herr Seibert, halten Sie es für politisch durchsetzbar, über die Jahre eine Steigerung im Militärbereich durchzusetzen, die sich auf fast eine Verdoppelung der Investitionen in Rüstungsgüter beläuft? Ist das in Deutschland politisch durchsetzbar?

StS Seibert: Ich werde heute solche Zahlen nicht kommentieren. Das sind Dinge, die in den Haushaltsgesprächen zwischen dem Ministerium und dem Finanzministerium zu klären sind. Sie wissen, in diesem Jahr soll ein neues Weißbuch im Kabinett beschlossen werden. Das wird zurzeit federführend durch das Verteidigungsministerium erarbeitet. Das stellt dann Grundzüge, Ziele und Rahmenbedingungen der deutschen Sicherheitspolitik - auch bezüglich der Lage der Bundeswehr und der Zukunft der Streitkräfte - dar. Das ist sicherlich ein nächster interessanter Schritt. Aber ich werde mich hier zu Zahlen nicht äußern.

Frage : Ich möchte zur Türkei und ISIS kommen. Herr Schäfer, Sie haben ja bestimmt gestern mitbekommen: Der israelische Verteidigungsminister, Herr Jaalon, hat sich gestern mit seinem griechischen Kollegen Kammenos getroffen. Er hat vor der Presse gesagt, der IS erfreue sich schon seit langer, langer Zeit am türkischen Geld. Originalzitat ist: "As you know, Daesh enjoyed turkish money for oil for a very, very long period of time." Haben Sie mit der israelischen Regierung einmal über diese Erkenntnisse gesprochen, die Sie ja bisher überhaupt nicht haben? Holt sich das Auswärtige Amt, die Bundesregierung, Herr Seibert, Informationen von den israelischen Freunden über die türkischen Freunde? Gelten diese Aussagen jetzt als erste Erkenntnisse der Bundesregierung über die Verbindungen zwischen ISIS und der Türkei?

Schäfer: Es sind ja keine Erkenntnisse der Bundesregierung, wenn diese Gespräche tatsächlich so stattgefunden hätten. Wenn das so ist, wie Sie sagen, dann nehmen wir das mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis, was da von israelischer Seite gesagt wurde.

An dem heutigen Tag, der ein ganz besonderer für die deutsch-israelischen Beziehungen ist - nicht wegen dem, was der israelische Verteidigungsminister gesagt hat, sondern wegen der deutsch-jüdischen und damit auch deutsch-israelischen Geschichte.

Heute feiern wir den Holocaust-Gedenktag, den 71. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee. Sie können ganz gewiss sein, dass wir nicht nur heute, sondern auch sonst, einen sehr intensiven, sehr engagierten und sehr sachorientierten Dialog mit der israelischen Regierung führen. Dass Israel als unmittelbarer Nachbar von Syrien und damit auch als unmittelbarer Nachbar der Bedrohung durch ISIS ein ganz besonderes Interesse und ganz sicher auch ein großes Aufklärungsinteresse an dem hat, was da in Syrien, im Irak oder sonstwo mit dem "Islamischen Staat" passiert, das liegt auf der Hand. Insofern gilt, dass wir an dem Austausch mit Israel zu diesen und zu vielen anderen Themen weiter wie in der Vergangenheit ein ganz großes Interesse haben.

Zusatzfrage : Haben Sie denn nicht so ein großes Aufklärungsinteresse zur Verbindung zwischen der Türkei und ISIS? Was folgt denn jetzt aus diesen Erkenntnissen? Werden sich irgendwelche deutschen Beamten mit den Israelis in Verbindung setzen und sagen: "Gebt uns einmal die Informationen, die Ihr da habt. Denn wir haben bisher gar keine."?

Schäfer: Ja. Ich bin sicher, dass es tagtägliche Kontakte zwischen der Bundesregierung und der israelischen Regierung, zwischen beiden Außenministerien, zwischen den Botschaften und den Außenministerien gibt. Da bin ich sogar ganz sicher, dass das der Fall ist.

Wir konzentrieren uns jetzt darauf und wollen daran mitwirken, dass die von den Vereinten Nationen ausgerichtete und am Freitag beginnende Syrien-Konferenz - die Verhandlungen zwischen der syrischen Regierung und der syrischen Opposition - beginnen können. Auch das ist Teil unseres Kampfes gegen den "Islamischen Staat".

Denn wir sind der festen Überzeugung: Nur dann, wenn endlich Opposition - jedenfalls gemäßigte Opposition - mit der syrischen Regierung am Tisch sitzt - das wird in Genf hoffentlich ab übermorgen der Fall sein - und wenn die Beteiligten im Laufe der Verhandlungen ihre Kämpfe einstellen, wird man sich darauf konzentrieren können, die ernste Bedrohung, die vom "Islamischen Staat" für Syrien, für den Irak, für die ganze Region und letztlich auch für uns ausgeht, zu bekämpfen. Nur dann werden wir in absehbarer Zeit alle gemeinsam durchatmen und feststellen können, dass es uns gelungen ist, diese große Bedrohung, die ISIS darstellt, zu bannen.

Mittwoch, 27. Januar 2016

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 27. Januar 2016
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/01/2016-01-27-regpk.html;jsessionid=AD0100986C217D6D242D2F298896D215.s2t2
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2016

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