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PRESSEKONFERENZ/1115: Bundeskanzlerin Merkel beim EU-Türkei-Gipfel am 29.11.2015 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Brüssel - Sonntag, 29. November 2015
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel beim EU-Türkei-Gipfel am 29. November 2015


StS Seibert: Guten Abend, meine Damen und Herren! Die Bundeskanzlerin informiert Sie jetzt über die Ergebnisse des EU-Türkei-Gipfels.

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, der heutige Gipfel des Europäischen Rates mit der Türkei war ein weiterer Baustein in den Bemühungen auf europäischer und internationaler Ebene, die Flüchtlingskrise zu bewältigen. Ich sage bewusst "ein weiterer Baustein" - sicherlich ein wichtiger, aber natürlich bei Weitem nicht der einzige.

Dass die Türkei ein Schlüsselland bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise ist, zeigt allein die Zahl der Flüchtlinge, die über die Türkei in die Europäische Union kommen. Die große Mehrheit dieser Flüchtlinge kommt aus Syrien; deshalb haben wir heute natürlich auch über die politische Lösung des Syrien-Konflikts gesprochen, weil dies natürlich ganz elementar mit der Zahl der Flüchtlinge und mit der Hoffnung der Flüchtlinge, wieder in die Heimat zurückkehren zu können, zusammenhängt. Ebenfalls eine Rolle gespielt hat natürlich auch der Kampf gegen IS im Irak.

Natürlich sind die Europäische Union und die Türkei in vielfältiger Weise miteinander verbunden. Wir haben auf der einen Seite eine strategische Partnerschaft zwischen der Türkei und der Europäischen Union. Auf der anderen Seite ist die Türkei Beitrittskandidat. Ich habe auch immer wieder gesagt, dass bezüglich dieses Status des Beitrittskandidaten gilt: Pacta sunt servanda. Das gilt für die Bundesregierung auch heute.

Es gab also viele gute Gründe dafür - und zwar sowohl im Allgemeinen als auch speziell bezogen auf die Flüchtlingsfrage -, neue Impulse für unsere Partnerschaft zu setzen.

Hier möchte ich mich bedanken, insbesondere bei der Kommission, bei Jean-Claude Juncker, aber auch bei Frans Timmermans, die in sehr kurzer Zeit einen prägnanten EU-Türkei-Aktionsplan verhandelt haben, den wir heute gemeinsam angenommen haben. Es geht hier im Kern darum, die Beziehungen auf breiter Basis fortzuentwickeln, aber dann auch sehr konkret etwas zu tun, um die Lebenssituation der über 2 Millionen Flüchtlinge in der Türkei zu verbessern - die Mehrzahl dieser Flüchtlinge lebt nicht in Flüchtlingslagern, sondern lebt außerhalb dieser Flüchtlingslager. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hat heute noch einmal darauf hingewiesen, dass auch die Türkei selbst zur Verbesserung der Lebenslage beitragen wird, zum Beispiel auch durch die Möglichkeit der legalen Arbeitsaufnahme.

Die 3 Milliarden Euro, die die Europäische Union in Aussicht gestellt hat, dienen ausschließlich der Finanzierung von Flüchtlingsprojekten, also von Projekten, die die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge verbessern, von Projekten, die die Bildungschancen der etwa 900.000 Kinder verbessern, die in der Türkei beschult werden müssen, weil sie als Flüchtlinge sonst keine Bildung bekommen.

Es geht also um die Lebensbedingungen und das Wohl der Flüchtlinge. Es geht damit natürlich auch darum, dass weniger Menschen den Ausweg suchen müssen, sich noch weiter weg von ihrer Heimat zu bewegen, und es geht vor allen Dingen auch um den Kampf gegen die illegale Migration in den Händen von Schleppern und Schleusern. Auch darüber waren wir uns einig. Es geht also darum, auf der einen Seite Flüchtlinge besser zu versorgen und als Europäische Union dazu einen Beitrag zu leisten, und auf der anderen Seite auch aus illegaler Migration legale zu machen, wo immer das möglich ist.

Wir haben auch darüber gesprochen, dass der Druck auf die Türkei einerseits aus den Kampfhandlungen in Syrien entsteht. Man darf nicht vergessen: Die Mehrzahl der Flüchtlinge in der Türkei ist vor den Fassbomben von Assad geflohen; heute kommen noch die Fluchtbewegungen vor dem IS dazu. Der Druck entsteht darüber hinaus auch aus schlecht versorgten Flüchtlingslagern in Libanon und Jordanien. Das heißt, die Aufgabe für uns seitens der Europäischen Union, hier genauso wie in den Flüchtlingslagern im Irak die Lebensbedingungen zu verbessern, bleibt bestehen, auch weil mit der Türkei ein gemeinsames Interesse daran besteht, den Menschen dort dann wieder ein Leben in der Nähe der eigenen Heimat zu ermöglichen.

Was die breite Agenda anbelangt, so haben wir über eine Vielzahl von Maßnahmen gesprochen. Im Dezember wird es die Eröffnung eines neuen Kapitels, des Kapitels 17, geben; dem haben wir alle zugestimmt. Wir werden an den Vorbereitungen für die Eröffnung weiterer Kapitel arbeiten. Spätestens hier ist natürlich klar geworden, dass der Verlauf des Beitrittsprozesses der Türkei und der Eröffnung von Kapiteln sehr eng verknüpft ist mit Fortschritten auch in der Zypern-Frage; darauf ist von vielen Seiten hingewiesen worden. Vielleicht gibt es in diesen Monaten eine Möglichkeit beziehungsweise ein Fenster der Möglichkeiten, auch diesen Konflikt zu lösen. Auch das wäre ein Beitrag zu mehr Stabilität in der Region.

Es gibt dann die Fragen der Beschleunigung der Verhandlungen zur Visafreiheit. Ich will vielleicht noch einmal darauf hinweisen: Diese Verhandlungen laufen ja, sie sollten bis Ende des Jahres 2017 abgeschlossen sein. Diesen Prozess will man jetzt beschleunigen. Im Gegenzug will man seitens der Türkei auch die Frage der Rückübernahme von Drittstaatsangehörigen, die aus der EU kommen, beschleunigen. Hier ist eine Sequenz verabredet worden: Bis Juni ist die Türkei bereit, Drittstaatsangehörige im Rahmen des Rückübernahmeabkommens zurückzunehmen, und in der Folge soll im Herbst dann geschaut werden, ob man die Voraussetzungen für die Visafreiheit erfüllt. Die Voraussetzungen im Visadialog mit verschiedenen Staaten sind klar definiert, und hier geht es jetzt darum, ob diese Voraussetzungen schneller erfüllt werden können.

Wir haben des Weiteren über enge Beziehungen im wirtschaftlichen Bereich gesprochen, insbesondere über Fortschritte bei der Zollunion und auch bei der Zusammenarbeit im Energiebereich.

Vor dem Gipfel hatten wir ein Treffen mit einigen Ländern; das waren im Wesentlichen Länder, die im Augenblick sehr viele Flüchtlinge aufnehmen und die naturgemäß ein sehr hohes Interesse daran haben, dass das, was wir heute im EU-Türkei-Aktionsplan vereinbart haben, nicht irgendwann umgesetzt wird, sondern möglichst schnell umgesetzt wird. Dazu gehört auch die Frage: Wie kann man aus illegaler Migration legale Migration machen? Die Voraussetzung dafür ist natürlich, dass wir eine Reduktion der illegalen Migration auch im Rahmen des EU-Türkei-Aktionsplans erwarten, so wie es dort auch niedergelegt ist.

Diese Gruppe ist nicht abgeschlossen. Es wird eine Reihe von Ländern geben, die sich an der Frage der legalen Migration vielleicht noch über das bisher Vereinbarte hinaus beteiligen werden. Insofern muss man da heute überhaupt noch nicht sagen, wer da mitmachen wird und wer da nicht mitmachen wird. Es ging heute vielmehr darum, eine Gruppe zu definieren - und das ist naturgemäß von der Interessenlage her die Gruppe der Länder, die im Augenblick viele Flüchtlinge aufnehmen -, die die Implementierung voranbringt. Deshalb war die Kommission auch bei diesem Treffen dabei, und wir werden in den nächsten Tagen die Arbeiten beginnen. Die Kommission wird dann zum EU-Rat am 17. Dezember auch ihre Vorschläge für die Implementierung vorlegen. Das heißt, es geht jetzt darum, dass keine Zeit verstreicht.

Alles in allem würde ich sagen, dass das heute eine wichtige und eine von beiden Seiten begrüßte Initiative war. Natürlich sind in einem solchen Prozess die Interessen beider Seiten zu berücksichtigen, aber wenn ich mir anschaue, wie viele Konflikte die Region hat, dann kann ich sagen, dass dies ein guter Beitrag dazu war, konstruktiv Themen zu besprechen und Probleme zu lösen, und nicht sozusagen durch Gegnerschaft.

Deshalb war es, wenn man an die Flüchtlingsfragen denkt, vor allen Dingen auch ein Beitrag zum Schutz der Außengrenze, den wir natürlich in der Europäischen Union natürlich dringend brauchen - natürlich nicht nur, aber auch an der griechischen Grenze zur Türkei -, um die Voraussetzungen der Bewegungsfreiheit, also des Schengen-Abkommens, auch weiter zu erhalten. Deshalb fand ich die Arbeiten, die wir geleistet haben, sinnvoll, und ich bin mit den Ergebnissen sehr zufrieden.

StS Seibert: Kommen wir zu Ihren Fragen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, eine Nachfrage zu diesem Vortreffen: Ist es aus Ihrer Sicht - es ist ja im Vorfeld auch über mögliche Kontingente, die die EU der Türkei in der Zukunft abnehmen könnte, gesprochen worden - ist es aus Ihrer Sicht vorstellbar, dass diese Gruppe, die sich heute getroffen hat, auch die Basis für eine Gruppe ist, die in der Zukunft eine bestimmte zu definierende Zahl an Flüchtlingen abnimmt?

BK'in Merkel: Ja, das ist möglich, aber wir haben heute keine einzige Zahl genannt. Alles, was in Zeitungen geschrieben ist, findet keinerlei - sagen wir mal - Wiederklang in dem, was wir heute besprochen haben. Wir haben gesagt: Wenn man eine legale Form der Migration finden will, dann sind Kontingente, dann sind Quoten - wie es von der türkischen Seite aus genannt wird - eine Möglichkeit. Aber, wie gesagt, die Gruppe war nicht abschließend, sondern sie war gespeist eigentlich durch die Gruppe derer, die im Augenblick sehr viele Flüchtlinge selber aufnehmen. Und wir haben von einigen Ländern heute gehört, dass sie sich sehr gut vorstellen könnten, bei einem solchen Prozess auch mitzumachen. Und insofern keine Zahlen, aber es wird an der Implementierung aller Aspekte weiter gearbeitet.

Frage:Ich habe auch noch mal eine Nachfrage zu dem Vortreffen: Heißt das, dass die, die sich heute getroffen haben, die Osteuropäer links liegen lassen und sagen: "Okay, wir machen das jetzt ohne die"? Also, ist das so eine Art Kerneuropa, was wir hier sehen? Und zweitens habe ich schon wieder vergessen. Erst mal das.

StS Seibert: Man soll auch immer nur eine stellen.

BK'in Merkel: Also, das heißt erst einmal nicht mehr und nicht weniger, als dass wir jetzt einen EU-Türkei-Aktionsplan haben. Und dass natürlich mit diesem Papier, das sehr inhaltsreich ist, das wirklich auch viele Aspekte abdeckt, ja noch nichts umgesetzt ist. Und jetzt ist die Frage: Wer hat ein Interesse daran, dass das umgesetzt wird?

Wir haben von deutscher Seite zum Beispiel auch sehr mitgearbeitet - dem hat ja auch mein Besuch in der Türkei gedient, damals vor den Wahlen -, dass Unterstützung für die Arbeiterkommissionen geleistet wurde, nämlich diesen Plan erst einmal zu verhandeln. Jetzt haben diese Länder etwas Ähnliches gemacht und unterstützen die Kommission darin, dass es implementiert wird. Ich glaube, dass wir existierende Mechanismen haben - dazu gehört ja auch ein existierender Resettlement-Mechanismus von 20.000. Unter den 160.000, die von den Hotspots verteilt werden, sind ja auch 20.000, die auf das Thema Resettlement als Kommissionsvorschlag kommen. Es kann aber auch gut sein, dass diese 20.000 nicht ausreichen. Und dann haben wir aber heute nicht sozusagen schon gefragt: Wer würde denn bei einer solchen Initiative mitmachen?

Ich glaube nicht, dass alle mitmachen würden, aber aus der Zusammensetzung heute können Sie nicht schlussfolgern: Wer macht bei so etwas mit? Sondern, es gilt jetzt erst einmal in allen Aspekten zu gucken: Wie kommen wir schnell voran? Und da ist es, glaube ich, nicht verwunderlich, dass die Gruppe, die sehr viele Flüchtlinge aufnimmt, auch ein Interesse daran hat, dass die irreguläre Migration sozusagen gestoppt wird. Es (haben) aber auch - z.B. Frankreich und viele andere, die sich mit Fragen der Kontrolle der Außengrenzen aus ganz anderen Blickwinkeln, z.B. aus dem Blickwinkel der Sicherheit vor Terroristen befassen -, sehr klar gesagt: Der Schutz der Außengrenzen ist für uns genauso ein Thema.

Frage: Zwei Fragen an Sie: Ich bin Kurdin und ich weiß ganz genau - Sie sind auch gut informiert -, dass im Nordirak fast 1,8 Millionen Flüchtlinge leben. Hat die EU auch einen Plan, auch die Regionalregierung Kurdistan zu unterstützen?

Meine zweite Frage: Sie wissen auch ganz genau, dass (es) in der Türkei zurzeit Menschenrechtsverletzungen gibt. Dass es Auseinandersetzungen mit Kurden gibt, dass (es) da momentan sehr undemokratisch ist. Haben Sie heute mit Herrn Davutoglu darüber gesprochen, was die Türkei da in der Hinsicht jetzt machen muss?

BK'in Merkel: Wir haben auf jeden Fall miteinander gesprochen. Das war heute nicht der Raum dafür, dass dafür sehr viel Zeit war, aber dass wir über alle Aspekte auch des EU-Türkei-Verhältnisses sprechen müssen.

Wir haben zum Ausdruck gebracht, dass wir uns den politischen Prozess wünschen - dass er fortgesetzt wird, mit den Kurden. Wir haben über die Kurden im Irak gesprochen, wir haben über die Themen auch Pressefreiheit gesprochen, wir haben über Menschenrechte gesprochen.

Also, wir haben gesagt: Wenn wir strategische Partner sind, müssen wir die Themen, zu denen wir Fragen, oder auch Anmerkungen haben oder auch Kritik haben, natürlich miteinander offen aussprechen. Und ich glaube, das heutige Treffen hat dafür auch die Möglichkeit, insbesondere für die Zukunft eröffnet, denn wenn man nicht miteinander redet, kann man auch die Kritik bestenfalls über die Medien äußern, aber das führt meistens noch zu keiner Problemlösung. Des Weiteren haben wir ganz ausdrücklich gesagt, dass die Situation in den Flüchtlingslagern, z.B. im Irak, einer der zentralen Punkte ist. Und genauso, wie wir im Kampf gegen IS in unterschiedlicher Weise in Syrien engagiert sind, ist ja Deutschland z.B. mit der kurdischen Regionalregierung sehr eng, auch im Einklang mit der irakischen Regierung, aber insgesamt dort engagiert und versucht, im Kampf gegen IS hilfreich zu sein - sei es durch Training von Soldaten oder durch Lieferung von Waffen.

Frage: Aber die humanitäre Unterstützung?

BK'in Merkel: Ja, wir engagieren uns ja. In Dohuk z.B., in den Flüchtlingslagern - wir wissen das - ich habe extra eben gesagt: Jordanien, Libanon und die Situation in Kurdistan, das ist in Nordkurdistan, im Irak. Das wissen wir, dass dort die Lage auch sehr schlecht ist und wir werden uns auch seitens der Europäischen Union noch einmal überlegen müssen: Wenn andere auf der Welt ihren Verpflichtungen nicht gerecht werden, was kann Europa vielleicht noch zusätzlich machen? Ich will vielleicht nur daran erinnern, dass wir auch gerade in diesem Hinblick in London Anfang Februar eine Geberkonferenz haben werden. Der britische Premierminister, die norwegische Premierministerin, der kuwaitische Emir und ich, um die Welt noch einmal wachzurütteln, was dort die humanitären Probleme sind.

Frage:Frau Bundeskanzlerin, ich würde gern nochmal nach dem Drei-Milliarden-Fonds fragen. Wie soll der aus Ihrer Sicht befüllt werden? In welchem Umfang sollten bestehende EU-Mittel herangezogen werden? Und sehen Sie eine Notwendigkeit, dass eben jene Staaten, die in der Flüchtlingskrise bisher weniger Lasten tragen und weniger Flüchtlinge aufnehmen, vielleicht hier zumindest eine finanzielle" Mehrlast" tragen sollen?

BK'in Merkel: Wir haben heute über die Details dieser drei Milliarden nicht gesprochen. Klar ist, dass da noch Beiträge geleistet werden müssen. Aber jetzt über Überkompensation von Ländern, die weniger Flüchtlinge haben, haben wir nicht gesprochen. Man wäre schon froh, wenn alle Länder ihren Beitrag leisten. Ich glaube, da muss noch an der Einigkeit gearbeitet werden. Aber ich bin ganz optimistisch, dass wir das Thema hinkriegen können.

Frage: Ja, das schließt gut an. Sie deuten an, dass sich nicht alle Mitgliedsstaaten an der Finanzierung der drei Milliarden beteiligen wollen, jedenfalls noch nicht. Sie haben gerade gesagt, Sie wären froh, wenn sich alle beteiligen würden. Das war Konjunktiv, wenn ich das richtig verstanden habe.

BK'in Merkel: Stimmt. Ja, aber es gibt ja überhaupt noch keine Einigung, wenn ich das sagen darf. Es gibt vorhandene, europäische Mittel und dann gibt es eine Differenz und damit müssen sich die Finanzminister noch mal befassen, und ich glaube, da hat noch kein Land - da will ich auch Deutschland jetzt nicht hervorheben - sozusagen sein endgültiges Angebot gemacht, wie man dieses Thema lösen kann.

Frage: Das stelle ich gerne in Rechnung, aber es gibt ja Äußerungen aus den Ländern. Wir haben diese Schwierigkeiten beim Resettlement, wo sich längst nicht alle Länder beteiligen wollen und beim permanenten Verteilungsschlüssel ist es genau dasselbe. Ich wollte Sie so ein bisschen auf der höheren Ebene fragen: In welchem Zustand sehen Sie eigentlich die Europäische Union jetzt, wenn Sie sie daran messen, dass sie eine, wie es so schön heißt, Schicksalsgemeinschaft sein will?

BK'in Merkel: Ich finde, dass der heutige Tag doch ein Beitrag dazu ist, dass handeln möglich ist - auch wenn da noch sehr, sehr viel gemacht werden muss. Aber vor ein paar Wochen haben viele noch nicht geglaubt, dass man an diesem Baustein der Flüchtlingspolitik ein solches Ergebnis erzielen kann. Und das ist der Arbeit der Kommission zu verdanken, das ist auch dem Engagement vieler zu verdanken - und es kommt eigentlich der Intention aller zugute, der heutige Tag, weil über diesen Weg auch potentiell ein besserer Schutz der Außengrenzen, jedenfalls auf der Hauptfluchtroute, die heute benutzt wird, möglich ist.

Damit sind andere Fragen, die Sie angesprochen haben - nämlich ein permanenter Verteilmechanismus - natürlich noch nicht gelöst. Aber mein Denken ist: Wir müssen ja Schritt für Schritt vorgehen. Also haben wir heute den EU-Türkei-Aktionsplan. Wir arbeiten zusammen mit Griechenland und Italien an dem Aufbau der Hotspots. Wir müssen jetzt erst einmal die 160.000 minus 20.000, also die 140.000 Flüchtlinge verteilen. Wenn man sich mal anschaut, dass dieser Prozess bis jetzt 30 hier und 20 dort umfasst, haben wir eine Weile zu tun, um 160.000 Flüchtlinge zu verteilen. Die Türkei hat im Übrigen nochmal einen Unterschied gemacht zu der Frage: Syrische Flüchtlinge, die ja jetzt direkt - und ich beziehe da die irakischen genauso mit ein, die ja direkt aus dem Krieg in Syrien und aus dem Kampf gegen IS resultieren -, mit anderen Herkunftsländern, wo die Türkei auch das Interesse hat - Pakistan, Bangladesch -, hier die Migration zu unterbinden. Auch mit Afghanistan werden wir reden. Der afghanische Präsident kommt nächste Woche nach Deutschland, da werden wir darüber sprechen, was das bedeutet, wenn wir unsere Soldaten in Afghanistan haben, um dort auch Schutz zu geben - sodass also auch hier nochmal sehr deutlich unterschieden wird, auch von Seiten der Türkei.

Und jetzt haben wir heute an einem Punkt europäische Einigung gehabt. Der löst noch nicht die anderen Punkte, die keine europäische Einigung mit sich bringen, aber immerhin. Deshalb bin ich heute Abend sozusagen so gestimmt, dass ich sage: Es lohnt sich auch, an den noch dickeren Brettern weiter zu bohren.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, wenn ich nachfragen darf - Stichwort Kerneuropa: Kann man sich vorstellen, dass diese Länder, die bereit sind, alle diese Mechanismen mit zu tragen - wie die Quote usw. - finanziell entlastet werden sollen, indem die anderen Länder vielleicht einen Beitrag leisten würden, durch weniger Kohäsionsfonds oder Strukturfonds oder was auch immer, in der Zukunft? Vielleicht 2017 oder wann auch immer? Denn man redet von dauerhaften Lösungen - und vielleicht sind einfach manche Länder nicht bereit, dauerhaft einen Beitrag zu leisten.

BK'in Merkel: Also, im Augenblick denke ich noch nicht so weit, sondern ich denke jetzt erst einmal für die nächsten Schritte. Und da heißt die Aufgabe Hotspots, die Aufgabe EU-Türkei-Plan umsetzen, da heißt die Aufgabe Verteilungsmechanismus für die 160.000 Flüchtlinge. Sollte es gelingen, dass die illegale oder irreguläre Migration geringer wird, dann reicht ja auch dieser Verteilmechanismus von 160.000 für eine längere Strecke. Und dann arbeiten wir ja auch bei der Wiener Konferenz an einer Lösung für eine friedliche Entwicklung in Syrien. Also, es ist sehr schwer vorauszusehen: Was ist 2017? Jetzt gucken wir erst einmal: Was ist Anfang 2016? Und dann müssen wir vorangehen. Ich finde, dass das Schengen-System - und das ist heute von allen auch betont worden - eine wichtige Säule der Europäischen Union ist: die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, die Möglichkeit auch, den freien Warenverkehr unbürokratisch zu organisieren. Und dieser Vorteil, für den sollte man schon einiges einsetzen und den Beitrag leistet Deutschland jedenfalls dazu.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, gehen Sie davon aus, dass diese drei Milliarden ein Anfang sind, dem weitere Milliarden folgen müssen? Zum zweiten: Ist es jetzt schon für Sie klar, dass Frankreich sich substantiell auch bei der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligt?

BK'in Merkel: Frankreich konnte heute aus rein organisatorischen Gründen nicht bei dem Treffen dabei sein. Wir haben aber auch, wie gesagt, über keinerlei Zahlen gesprochen. Die drei Milliarden sind erst mal ein Anfang und jetzt müssen erst mal Projekte in Höhe von drei Milliarden gefunden werden. Wir machen es ja nicht so, dass wir die drei Milliarden einfach der Türkei geben, sondern da wird Projekt für Projekt aus einem Fonds erarbeitet und umgesetzt, damit es auch wirklich den Flüchtlingen zugute kommt. Das ist auch von der türkischen Seite eben nochmal ganz klar betont worden. Und dann schauen wir weiter.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben jetzt zwei-, dreimal betont, dass es keine Einigung auf eine Zahl gab bei möglichen Kontingenten in der Zukunft. Aber sind Sie sich denn in dieser G8, sage ich mal, wenn es denn acht waren, über das Prinzip schon einig?

Ich habe zum Beispiel aus einem Beneluxland gehört, das gesagt hat, das würde ja zum Beispiel einen großen Brüllfaktor in der Türkei auslösen, wenn man das Gleiche nicht auch - also ein Resettlement-Programm - für Jordanien und den Libanon in Angriff nähme. Also, ist auch darüber möglicherweise gesprochen worden? Und haben Sie diese Einigkeit in dieser Gruppe über das Prinzip?

BK'in Merkel: Also, wir haben, wie gesagt, keine Einigkeit. Das war heute ein erstes Treffen zur umfassenden Umsetzung des EU-Türkei-Plans, mit der Komponente auch der Umsiedlung, also der legalen Migration - aber bei weitem nicht nur.

Und wie man dann auch mit Jordanien und Libanon verfährt, darüber ist jetzt im Einzelfall nicht gesprochen worden. Es war aber klar, dass man zumindest die Lebenssituation der Flüchtlinge in Jordanien und Libanon verbessern muss, wenn man nicht viele Faktoren haben will, die die Flüchtlinge nochmal aus Jordanien und Libanon oder auch aus dem Irak in die Türkei bringen. Und die Dinge hängen natürlich miteinander zusammen.

Das Ziel war heute, wie gesagt, ein erstes Treffen, wo ich glaube, dass insgesamt über eine schnelle Implementierung Einigung war - auch über die Komponente, gegebenenfalls solche Umsiedlungen ins Auge zu fassen, als Ergänzung der bestehenden Mechanismen. Worüber natürlich dann wieder noch diskutiert wird, ist: Wer muss den ersten Zug machen? Muss es erst eine Reduktion der illegalen Migration geben, damit man sich diesem Gedanken öffnet? Das wird überhaupt noch ein sehr spannender Prozess. Die Türkei möchte natürlich, dass wir unsere Verpflichtungen erfüllen. Wir möchten, dass die türkischen Verpflichtungen erfüllt werden. Und deshalb wird die Kommission jetzt auch sozusagen sehr daran arbeiten, wie man dieses Zug-um-Zug-Prinzip umsetzt, damit Vertrauen aufgebaut wird. Aber der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hat heute nochmal ganz klar gesagt: Wenn die Türkei einen solchen Plan unterschreibt, dann wird sie auch mit viel Kraft daran arbeiten, dass er umgesetzt wird.

Sonntag, 29. November 2015

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel beim EU-Türkei-Gipfel am 29. November 2015
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/11/2015-11-30-merkel-bruessel.html;jsessionid=DD29F60F6258EF8EF011C8B802492887.s1t2
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2015

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