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PRESSEKONFERENZ/996: Bundeskanzlerin Merkel und Premierminister Cameron, 29.05.2015 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz im Bundeskanzleramt - Freitag, 29. Mai 2015
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Premierminister des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nordirland, Cameron

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Premierminister David Cameron

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich sehr, dass der britische Premierminister David Cameron heute wieder in Berlin zu Gast ist. Er hat, wie Sie wissen, die Wahl eindrucksvoll gewonnen, und ich freue mich, dass heute der Antrittsbesuch stattfindet. Ich freue mich, dass auch bald die Queen Deutschland besuchen wird.

Ich darf an dieser Stelle sagen, dass wir, was unsere bilateralen Beziehungen anbelangt, freundschaftliche, enge Beziehungen haben, und das hat auch unser heutiges Treffen charakterisiert. Wir haben die gesamte Bandbreite der Themen besprochen, was die internationale Agenda anbelangt, beginnend mit der Ukraine, weiterführend mit dem Kampf gegen IS und der Flüchtlingssituation im Mittelmeer. Es gibt hier eine Vielzahl von gemeinsamen Herangehensweisen. Ich denke, was auch gerade das bevorstehende G7-Treffen anbelangt, werden Deutschland und Großbritannien in vielen Fragen eine gemeinsame Position vertreten, und die werden wir auch als Position in die europäischen Gespräche einbringen.

Wir haben dann natürlich über die Erwartungen und die Wünsche Großbritanniens im Zusammenhang mit einem Referendum über die Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union gesprochen, auch Veränderungen vorzunehmen, die mit den Gegebenheiten in der Europäischen Union zu tun haben. Wir sind die verschiedenen Themenblöcke durchgegangen. Wir haben heute nicht zum ersten Mal, aber jetzt - zu Beginn eines Prozesses, der dann auch Detailarbeit erwarten lassen wird - etwas spezifischer als bislang darüber gesprochen. Es gibt hier von deutscher Seite eine klare Hoffnung - entschieden wird natürlich durch die britische Bevölkerung -, dass Großbritannien Mitglied der Europäischen Union bleibt. Ich habe die Vielzahl von Herausforderungen, vor denen wir stehen, genannt. Ich darf auch noch einmal den gemeinsamen Markt als Kernstück der Europäischen Union nennen, der uns Wohlstand, Wirtschaftswachstum und Prosperität in Europa bringt. Es gibt hier auch viele Gemeinsamkeiten mit Großbritannien, was bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau anbelangt. Ich glaube, hier werden wir auch sehr schnell gemeinsame Positionen finden.

Es gibt andere Bereiche, in denen man länger verhandeln müssen wird. Es gibt Bereiche, in denen auch Deutschland Sorgen hat. Sie kennen die verschiedenen Fälle in Bezug auf Sozialmissbrauch im Zusammenhang mit der Freizügigkeit und der Bewegung innerhalb Europas beim Europäischen Gerichtshof. Wir verfolgen diese Rechtsprechung sehr intensiv, und gegebenenfalls ist es auch im deutschen Interesse, hier bestimmte Änderungen vorzunehmen.

Auf jeden Fall haben wir vereinbart, sehr eng zusammenzuarbeiten. Wir wollen den Prozess, den Großbritannien auf dem Weg zu einem Referendum und einer Veränderung seiner Mitgliedschaft innerhalb der Europäischen Union durchlaufen möchte, konstruktiv begleiten. Ich habe schon an anderer Stelle gesagt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Das hat Europa sehr häufig bewiesen, und nach diesem Prinzip wollen wir auch jetzt verfahren.

Da es immer wieder von Interesse ist, will ich auch gleich hinzufügen: Wir beginnen jetzt, über Inhalte zu sprechen. Die Frage, was dafür verändert werden muss - Ist dafür eine Vertragsänderung notwendig? Kann man das im Sekundärrecht machen? -, sollte erst anschließend besprochen werden. Natürlich kann man, wenn man inhaltlich von etwas überzeugt ist, nicht sagen "Eine Vertragsänderung ist eine völlige Unmöglichkeit" - wir kennen alle die Schwierigkeiten damit, Verträge in Europa zu ändern -, aber ich habe mich auch im Zusammenhang mit der Eurozone immer dafür ausgesprochen, das sachlich-inhaltlich Notwendige zu tun und nicht die Formfragen an den Beginn einer Diskussion zu stellen.

In diesem Sinne war unsere Gesprächszeit gut ausgefüllt. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit. Europa hat viel zu tun. Deutschland und Großbritannien wollen sich hierbei einbringen. Insofern war es ein konstruktives, produktives und freundschaftliches Gespräch.

PM Cameron: Herzlichen Dank. Guten Tag! Es freut mich sehr, dass ich wieder in Berlin sein kann und dabei neben dir, Angela, stehen kann. Wir haben ja sehr erfolgreich zusammengearbeitet. Deswegen ist es ein Vergnügen, auch deswegen, weil die Beziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland für den Erfolg unserer Länder so wichtig ist.

Ich freue mich auch besonders, dass ich heute mit einem neuen Mandat für weitere fünf Jahre der Regierungstätigkeit hier sein kann; denn natürlich gibt es sehr viel zu tun. Wir sind beide Vertreter der politischen Richtung Mitte-rechts, und wir haben Verantwortung zu tragen - sowohl in unseren eigenen Ländern als auch in der EU. Wir glauben an freie Märkte. Wir glauben an die Nato. Wir glauben an den Freihandel. Die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien wachsen wohl schneller als jede andere Beziehung in der Welt. Wir möchten den Freihandel insgesamt erweitern. Wir haben jetzt die Gelegenheit, zusammenzuarbeiten, um ein Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten zustande zu bringen, das für uns alle auf beiden Seiten des Atlantiks mehr Wohlstand mit sich bringen wird.

Wie eng verbunden sich Großbritannien und die Bundesrepublik fühlen, zeigt ganz deutlich, dass die Königin im Juni ihren fünften Staatsbesuch abstatten wird. Ich freue mich sehr, dass ich die Königin bei ihrem Besuch hier in Berlin begleiten kann und auch am Staatsbankett teilnehmen kann.

Natürlich werde ich auch an dem G7-Gipfel in Bayern in der nächsten Woche teilnehmen. Darauf freue ich mich auch sehr. Dort werden ja auch sehr viele Punkte auf der Tagesordnung stehen. Wir müssen einige der sehr schwierigen Themen angehen, denen sich unsere Gesellschaft gegenübersieht: Wir müssen gegen den Terrorismus vorgehen. Wir müssen Gesundheitsprobleme lösen. Wir müssen auch die Armut bekämpfen. Wir müssen uns auch darüber unterhalten, was wir tun können, um wirksam gegen den Terrorismus zu kämpfen, indem wir zum Beispiel gegen ISIL in Syrien und im Irak vorgehen und indem wir verhindern, dass sich unsere Bürger radikalisieren und dann ihre Mitbürger bedrohen.

Wir haben auch darüber gesprochen, was wir tun können, um einen politischen Prozess in Libyen anzustoßen und auf diese Weise auch zu verhindern, dass das Land auseinanderfällt und weitere Flüchtlinge über das Mittelmeer zu uns strömen.

Was die Probleme in der östlichen Ukraine angeht, haben wir gesagt: Die Sanktionen der EU müssen auf jeden Fall bestehen bleiben, bis das Minsker Abkommen voll und ganz und vollumfänglich umgesetzt ist. Ich darf dir, Angela, sehr herzlich dafür danken, was du mit François getan hast, um dieses Abkommen zustande zu bringen.

Ich habe heute über meinen Plan bezüglich der Europäischen Union und darüber gesprochen, wie der Platz Großbritanniens in der Europäischen Union erhalten werden kann. Heute war Gelegenheit dazu, auch wirklich einmal die einzelnen Themen anzusprechen und miteinander zu besprechen, wie wir die verschiedenen Besorgnisse und Bedürfnisse angehen können, die die Bevölkerung bei uns in Großbritannien, aber auch die Bevölkerung anderenorts hat. Es gibt natürlich keine magische, schnelle Lösung, aber die Bundeskanzlerin hat es ja schon früher gesagt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Die Europäische Union hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie sich, wenn ein Mitgliedstaat ein Problem hat, das gelöst werden muss, auch als flexibel erweisen kann. Ich bin sehr zuversichtlich, dass dies auch wieder geschehen wird. Die Europäische Union wird auf jeden Fall besser dastehen, wenn Großbritannien Mitglied ist, und ich denke, dass auch den Interessen Großbritanniens am besten gedient ist, wenn wir weiterhin in der EU bleiben. Das wollen wir beide. Dafür, dies in den nächsten Monaten zu erreichen, wollen wir beide in den nächsten Monaten zusammenarbeiten. - Herzlichen Dank.

Frage: Zunächst eine Frage an Sie beide: Wenn man sich einmal ansieht, wie diese Korruptionsvorwürfe gegen FIFA-Vertreter aussehen, sollte Herr Blatter dann Ihrer Ansicht nach zurücktreten?

Frau Bundeskanzlerin, welche Chance, glauben Sie, hat David Cameron, seine Reformen wirklich durchzubringen, wenn man sieht, dass Sie und so viele andere politische Führer gegen diese Vertragsänderung sind, die er ja eigentlich braucht?

Herr Premierminister, ich werde jetzt, da ich Sie auf Ihrer Reise durch Europa begleite, immer wieder gefragt: Warum besteht er so sehr auf der Vertragsänderung, wenn doch alle anderen sagen, dass das einfach nicht passieren wird? Warum kann man denn jetzt nicht einfach zugeben "Wenn das mit der Vertragsänderung nun nicht möglich ist, könnten ja vielleicht einfach kleine textliche Veränderungen das Gleiche für die Zukunft erreichen"?

PM Cameron: Das sind aber ziemlich viele Fragen! Zunächst einmal fange ich mit Sepp Blatter an: Ich finde, er sollte gehen. Man kann nicht zulassen, dass es auf dieser Ebene und in diesem Ausmaß Korruptionsvorwürfe in dieser Organisation gibt, und dann tut man so, als ob derjenige, der diese Organisation zurzeit leitet, auch wirklich der Richtige ist, um in die Zukunft zu schreiten. Das, was wir hier sehen, ist die hässliche Seite dieses schönen Spieles, das wir lieben. Je eher er geht, desto besser, und desto schneller kann sich diese Organisation auch wieder daran machen, Glaubwürdigkeit aufzubauen. Denn das ist doch wichtig! So viele Menschen in der Welt möchten, dass dieses schöne Spiel unter ein vernünftiges Management gestellt wird, damit wir alle auch in Zukunft die Weltmeisterschaften wieder genießen können und sie richtig organisiert werden.

Zu der zweiten Frage: Das, was Angela gesagt hat, ist ja richtig. Das, was hier wichtig ist, ist der Inhalt, ist die Substanz dessen, was geändert werden soll. Es kann sein, dass die Substanz dann eben verlangt, dass wir Veränderungen an den Verträgen vornehmen müssen. Aber über diese Substanz sollten wir uns erst einmal klar werden. Wir sollten dann eben auch die Veränderungen vornehmen, die wirklich notwendig sind. Ich bin durch das, was die Bundeskanzlerin gesagt hat, sehr ermutigt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Wenn die Substanz und der Inhalt Veränderungen erforderlich machen, dann, denke ich, sollte man sich dem nicht verschließen.

Ich will es ganz deutlich sagen: Das, was wir erreichen wollen, sind Veränderungen, die wirklich darauf abzielen, dem, was den Interessen der Bevölkerung entspricht, auch nahezukommen. Das ist es ja, was wir wollen. Ich denke, es ist richtig, dass Großbritannien in der Europäischen Union ist. Ich bin sehr froh darüber, wie sich der Besuch bisher gestaltet hat. Ich war ja in Frankreich und in Polen. Ich habe mich mit dem Präsidenten der Kommission getroffen oder werde das noch tun, und jetzt bin ich in Deutschland. Natürlich wird es dabei auch Meinungsunterschiede geben. Es wird Tage geben, an denen man das Gefühl hat "Ach, jetzt läuft es ganz gut", und auch Tage, an denen es halt nicht so gut läuft; das habe ich ja auch schon in Riga gesagt. Ich denke, man muss die Sache jetzt einfach einmal anstoßen, und dann muss man sehen, wie sich das weiter vollziehen wird. Man muss ja jetzt nicht jeden Tag die Temperatur nachfühlen und sagen, auf welchem Stand wir sind.

BK'in Merkel: Bei der FIFA finden heute Wahlen statt, und das, was für mich im Zentrum steht, ist, dass dort mit der Korruption gebrochen wird und dass dort Transparenz einkehrt. Das ist bei diesem wunderschönen Spiel des Fußballs absolut notwendig. Mit der schmutzigen Seite, wie David Cameron es eben gesagt hat, muss aufgeräumt werden, und zwar dringend. Ich denke, das gilt im Namen aller Fans, die wir beim Fußball haben, und das sind Milliarden auf der Welt.

Was den anderen Teil anbelangt, glaube ich, dass ich in meinen Ausführungen eigentlich schon etwas dazu gesagt habe. Ich kann das gerne noch einmal wiederholen: Die Formfrage, ob man eine Vertragsänderung braucht, ob man eine Sekundärrechtsänderung braucht oder ob man eine Resolution braucht, muss man dann entscheiden, wenn man sich über die Inhalte einig ist. Wir haben in Europa ein Prinzip: Wenn ein Mitgliedstaat ein Begehren hat, einen Wunsch hat, dann wird man versuchen, die verschiedenen Wünsche zusammenzubringen. Dabei gibt es Verständnis dafür, dass es auch rote Linien gibt. Die Grundprinzipien des gemeinsamen Marktes und der Freizügigkeit kann man sicherlich nicht infrage stellen - das ist jedenfalls die deutsche Position -, aber man kann Lösungen für Anliegen finden. Einige sind im deutschen Interesse, und andere würden einen Weg Großbritanniens gehen, der sich von dem Weg unterscheidet, den zum Beispiel Euro-Mitgliedstaaten gehen. Das heißt aber nicht, dass wir solche Fälle nicht auch in der Vergangenheit gehabt hätten. Wir haben solche Fälle immer wieder gelöst bekommen. Ich gehe an diese Gespräche konstruktiv heran. Ich möchte eine Lösung finden. Wenn ich einmal daran denke, wie wir die Haushaltsverhandlungen für die mittelfristige finanzielle Vorausschau gestartet haben und wie wir dann eine Lösung gefunden haben, dann ist das ein gutes Beispiel dafür, dass man auch scheinbar nicht miteinander vereinbare Positionen zusammenbringen kann. Ich spüre auch bei vielen Kollegen - auch mit dem Kommissionspräsidenten habe ich darüber gesprochen, und David Cameron hat ja als Erstes mit Jean-Claude Juncker gesprochen -, dass wir uns diesem Versuch stellen, und dann werden wir erst einmal arbeiten.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Herr Premierminister, Vizekanzler Gabriel schreibt heute in einem Zeitungsbeitrag: "Wir brauchen in Europa mehr Mut zu unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Vor allem Frankreich und Deutschland müssen vorangehen." Frau Bundeskanzlerin, teilen Sie das?

Premierminister, was halten Sie von einem Europa der zwei Geschwindigkeiten, in dem Frankreich und Deutschland sozusagen die Tempomacher sind?

BK'in Merkel: Ich teile das und würde hinzufügen: Wir haben das ja heute auch schon. Die Mitgliedstaaten, die bereits Mitgliedstaaten des Euro sind, haben sehr viel größere Verpflichtungen. Es gibt Mitgliedstaaten, die dem Schengen-Bereich angehören. Es gibt Staaten, die haben ein Opt-out-Recht in bestimmten Bereichen, zum Beispiel Dänemark und Großbritannien. Insofern ist das Europa der zwei Geschwindigkeiten die heutige Realität. Wir haben auch immer wieder im Zusammenhang mit der Euro-Krise Vorschläge gemacht - ich nenne zum Beispiel nur den Fiskalvertrag -, die nur für die Euro-Mitgliedstaaten verpflichtend waren.

Was bei den verschiedenen Geschwindigkeiten in Europa ein wichtiges Prinzip ist, ist aber, dass das, was wir machen, für jeden offen sein sollte. Wir wollen keinen ausschließen. Aber wenn jemand zu bestimmten Projekten sagt "Ich will nicht mitmachen", dann ist das möglich. Ich will daran erinnern, dass wir das Prinzip der verstärkten Zusammenarbeit haben. Wir haben jetzt zum Beispiel eine Verhandlungsrunde von elf Mitgliedstaaten, die über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer sprechen. Die anderen haben zugestimmt, dass diese elf das machen können. Insofern wird sich diese Realität fortsetzen.

An einigen Stellen werden Frankreich und Deutschland Impulse geben können. Aber es wird auch Fälle geben, in denen vielleicht einmal andere Länder Impulse geben. Das ist jetzt also keine angeborene Rolle von Deutschland und Frankreich. Die Erfahrung lehrt nur, dass es, wenn Deutschland und Frankreich Vorschläge machen, auch ein hohes Maß an Übereinstimmung mit anderen Mitgliedstaaten gibt. Aber die Zusammenarbeitsformen können sehr unterschiedlich sein. Verschiedene Geschwindigkeiten haben wir und werden wir haben, und ich habe überhaupt kein Problem damit, dass wir das auch in Zukunft so handhaben werden.

PM Cameron: Ich kann der Bundeskanzlerin da nur zustimmen: Wir haben ja schon ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten und manchmal auch unterschiedlicher Ziele. Großbritannien ist nicht im Euroraum - wird es auch nicht sein -, ist nicht im Schengen-Raum und beabsichtigt auch nicht, sich dieser Gruppe anzuschließen. Aber wenn man jetzt zum Beispiel zum Binnenmarkt kommt, kann man sagen: Großbritannien ist eines der Länder, die die Richtlinien am schnellsten umsetzen. Großbritannien ist sehr ehrgeizig bei bestimmten Handelszielen, auch in Konkurrenz mit den am schnellsten wachsenden Regionen in der Welt. Wir sind da sicherlich am aggressivsten. Das, was wir brauchen, ist Flexibilität - die Flexibilität eines Netzwerkes und nicht die Rigidität eines Blocks. Diese Flexibilität müssen wir finden. Die sollten wir ermutigen und fördern. Das ist eigentlich eine Stärke. Wir sollten uns dadurch nicht entmutigen lassen, sondern es ist eine Stärke Europas, auch auf die Interessen anderer zuzugehen, sie durchaus zur Kenntnis zu nehmen und ihnen auch entgegenzukommen.

Frage: Herr Premierminister, nach Ihrem Treffen in Warschau heute Morgen hat das Büro der polnischen Premierministerin deutlich gemacht, dass Sie dagegen sind, dass zum Beispiel Sozialleistungen an Migranten, die in Großbritannien leben und die aus Polen kommen, gekürzt werden. Wie wollen Sie das erreichen?

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben ja davon gesprochen, dass diese Freizügigkeit durchaus auch missbraucht wird. Stimmen Sie den Briten zu, dass diejenigen Migranten, die in Ihre Länder kommen, unter Umständen mit zu niedrigen Gehältern bezahlt werden und dass das dann noch durch Sozialleistungen ergänzt wird?

Sind Sie der Ansicht, dass, wenn jetzt diese Frage, wer der Gastgeber der Weltmeisterschaft sein soll, noch einmal neu aufgerollt wird, Großbritannien dann der Gastgeber sein sollte? Sind Sie der Ansicht, Frau Bundeskanzlerin, dass dieser Prozess transparent ist?

PM Cameron: Zunächst einmal zur Frage der polnischen Premierministerin: Wir sind der Ansicht, dass die Freizügigkeit sicherlich etwas ist, dass man nicht einfach abschaffen sollte. Es ist richtig, dass es Freizügigkeit gibt und dass jemand in ein anderes EU-Land geht und dort einen Job sucht. Das ist eines der grundlegenden Prinzipien. Das tun ja auch viele Briten. Sie gehen in andere Länder und versuchen, dort einen Job zu finden. Aber wir sind halt der Ansicht, dass die sozialen Sicherungssysteme die Leute dann nicht noch zusätzlich anziehen sollten. Das halten wir nicht für fair. Ich hatte heute Morgen sehr gute Gespräche mit der polnischen Premierministerin über dieses Thema, und ich denke, wir haben dabei auch gute Fortschritte erzielen können.

Was die Weltmeisterschaft angeht: Ich denke, da lasse ich mich von Greg Dyke leiten, der ja sehr offen über diese Themen gesprochen hat. Ich denke, wir sollten auch gerade, was die fußballerische Seite der ganzen Sache angeht, ihm das Heft überlassen. Ich habe zur FIFA gesagt: Das ist jetzt eine Organisation, die ja im Grunde sozusagen mit dem Makel der Korruption leben muss. Deswegen muss es da Veränderungen geben. Es ist absolut undenkbar, dass Sepp Blatter diese Organisation unter diesen Umständen in die Zukunft führen kann. Ich denke, je schneller sich diese Veränderungen dort vollziehen, desto klarer. Aber beim Fußballerischen, muss ich sagen, lasse ich mich von dem leiten, was Greg Dyke sagt; denn ich glaube, er ist der vernünftigste Mann dafür.

BK'in Merkel: Ich glaube, wir werden die ganzen Fragen, nach denen Sie auch gefragt haben, im Detail diskutieren. Ich will dazu nur zwei generelle Bemerkungen machen. Die eine ist: Wir haben die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union. Die andere Bemerkung ist: Wir haben keine Sozialunion innerhalb der Europäischen Union, sondern wir haben sehr unterschiedliche Gegebenheiten. In vielen Ländern gibt es Mindestlöhne, die dramatisch variieren. Es gibt Sozialleistungen, die dramatisch variieren. Deshalb muss die Freizügigkeitsfrage auch mit der Arbeitsfrage sowie natürlich auch mit der Frage verbunden sein, wie wir eine faire Balance zu den Sozialleistungen hinbekommen. Deshalb gibt es eine Vielzahl von Fällen vor dem Europäischen Gerichtshof, die im Augenblick behandelt werden. Wir verfolgen jede Rechtsprechung mit großer Aufmerksamkeit. Ich schließe nicht aus, dass sich aus der Rechtsprechung auch für Deutschland eine Situation ergibt, in der wir sagen: Wir müssten daran eigentlich etwas ändern. Insoweit werden wir uns das ganz genau anschauen und werden die Fälle alle einzeln durchgehen.

Zur FIFA kann ich nur noch einmal allgemein sagen: Transparenz muss her. Bestechung und Korruption müssen bekämpft werden, und zwar möglichst schnell. Alle anderen Fragen müssen dann von der FIFA entschieden werden.

Frage: Premierminister Cameron, Sie haben in Ihrem Land sehr hohe Erwartungen an eine Vertragsveränderung und auch an Sonderkonditionen für Großbritannien geweckt. Werden Sie, wenn Sie sich mit Ihren Vorstellungen nicht durchsetzen können, bei dem Referendum dann einen Austritt Ihres Landes aus der EU empfehlen?

Frau Bundeskanzlerin, welche Gefahren würde so ein Austritt Großbritanniens aus der EU bergen?

Ich habe noch eine Frage an Sie beide als Nachklapp zu dem FIFA-Korruptionsskandal: Werden Sie Ihren nationalen Fußballverbänden oder der UEFA empfehlen, die Teilnahme an den Weltmeisterschaften in Russland und Katar im Angesicht dieser neuen Erkenntnisse oder weiterer Erkenntnisse vielleicht noch einmal zu überdenken?

BK'in Merkel: Zum Zweiten kann ich sagen, dass ich solche Pläne, jetzt Empfehlungen abzugeben, nicht habe.

Was die Frage "Was passiert, wenn?" anbelangt: Auf spekulative Fragen antworte ich nicht. Ich will deshalb nur noch einmal betonen: Wir haben heute nicht darüber gesprochen, was passiert, wenn, sondern wir haben darüber gesprochen, wie wir unterschiedliche Erwartungen, die wir haben, zusammenbringen und eine Lösung finden können. Ich habe Beispiele genannt, bei denen wir das schon geschafft haben, und aus dieser Erfahrung heraus gehe ich davon aus, dass man das bei gutem Willen auch hier schaffen kann.

PM Cameron: Ich habe es ja gesagt: Ich gehe nicht in eine Verhandlung hinein und erwarte, dass ich dann sozusagen Misserfolg habe, sondern ich hoffe natürlich und erwarte, dass ich erfolgreich bin. Ich habe ja gesagt, was meiner Ansicht nach verändert werden muss. Ich habe gesagt: Diese immer engere Union funktioniert für uns nicht. Wir möchten auf jeden Fall die Wettbewerbsfähigkeit nach vorne bringen. Wir möchten dafür sorgen, dass es Fairness zwischen den Ländern gibt, die im Binnenmarkt zusammen sind, die sich aber nicht der einheitlichen Währung anschließen, und denjenigen Ländern, die eben die einheitliche Währung haben und noch weiter gehen wollen. Dann muss es natürlich auch um Themen wie Immigration und das System der sozialen Sicherung gehen, das Probleme hat. Die Briten möchten, dass wir uns diesen Fragen widmen.

Ich habe gesagt: Wenn ich nichts davon erreiche, dann kann ich nichts ausschließen. Das meine ich natürlich auch so. Aber ich hoffe und glaube doch, dass Europa die Flexibilität zeigen wird, dass man, wenn ein großes Land, ein wichtiger Beitragszahler und ein wichtiger europäischer Player Probleme hat, sich diesen Problemen dann auch entsprechend widmen wird. Ich denke, dem kann man nicht groß etwas hinzufügen.

Was das Fußball-Thema angeht, sollten wir vielleicht bei dieser Gelegenheit sagen: Es sollte überhaupt niemals mehr irgendwelche Elfmeterentscheidungen geben, sondern wir sollten einfach so lange spielen, bis dann endlich ein Ergebnis erzielt worden ist; denn wir sind ja schließlich die beiden größten Fußballnationen auf der Welt.

Freitag, 29. Mai 2015

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Premierminister des
Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nordirland, Cameron
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/05/2015-05-29-pk-merkel-cameron.html;jsessionid=74BDA61FA07132DB8C840A3A7770248D.s2t2
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2015

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